Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Butterblume09
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Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von Butterblume09 »

Hallo,
folgende Frage hat mich stutzig gemacht:

Angenommen, ein deutsches Gericht kommt zu dem Ergebnis, § 4 XYZ verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit. Was ist die unmittelbare Rechtsfolge einer solchen Feststellung?

Jetzt haben sich für mich folgende Fragen aufgetan: Kann ein deutsches Gericht über Art. 23 GG Gesetze prüfen, die gegen Grundfreiheiten verstoßen?
Und käme dann die konkrete Normenkontrolle zur Anwendung oder wäre hier gar nicht das BVerfG gefragt?

Bin total verwirrt und freue mich über jeden neuen Gedanken!
Julia
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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von Julia »

Die Hausarbeiten werden auch immer anspruchsvoller...
doohan
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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von doohan »

Julia hat geschrieben: Dienstag 22. September 2020, 13:34 Die Hausarbeiten werden auch immer anspruchsvoller...
Yepp - man kann aus dem entsprechenden Gesetz die Antwort 1:1 abschreiben... traurig....
Butterblume09
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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von Butterblume09 »

doohan hat geschrieben: Dienstag 22. September 2020, 22:47
Julia hat geschrieben: Dienstag 22. September 2020, 13:34 Die Hausarbeiten werden auch immer anspruchsvoller...
Yepp - man kann aus dem entsprechenden Gesetz die Antwort 1:1 abschreiben... traurig....
Meinst du den Art. 267 AEUV?
Ich finde das irritierend, wenn mein Beitrag kommentiert wird, aber kein richtiger Austausch stattfindet.
Wenn die Aufgabe leicht in euren Augen ist, ist es okay, aber ich bin verwirrt und hatte mir, wie gesagt, einen Austausch erhofft.
Jedes andere Kommentar ist wenig hilfreich und sinnstiftend.

Lieben Gruß
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scndbesthand
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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von scndbesthand »

Die Frage nach dem Verhältnis von EU-Normen zum deutschen Recht ist natürlich berechtigt und spannend, auch außerhalb von Hausarbeiten.

1.
Das BVerfG muss nicht nach Art. 100 GG angerufen werden, wenn ein Gericht eine Norm für inkompatibel mit EU-Recht hält. Die Norm gilt nur dann, wenn das Gericht von einer Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes überzeugt ist. Das ergibt auch deswegen einigermaßen Sinn, weil das BVerfG zur letztverbindlichen Auslegung des AEUV ohnehin nicht zuständig ist. Eine nationale Monopolisierung der Prüfung der EU-Rechts-Konformität gibt es so nicht.

2.
Wenn man sich in einem Streit zwischen Bürger und "Staat", d. h. Verwaltung im weitesten Sinne befindet, gilt die Regel, dass Gerichte (und jeder andere Rechtsanwender) den Vorrang des Unionsrechts zu beachten haben. Verstößt das nationale Recht gegen Unionsrecht, darf das Gericht die nationale Norm nicht anwenden. Das gilt aber nicht uneingeschränkt.

Bezüglich einer Richtlinie setzt der EuGH im Urteil v. 22.06.1989, Rs. 103/88 Rn. 29 (m. w. N.) insoweit voraus, dass die Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist.

Bei den Grundfreiheiten - also auch der Niederlassungsfreiheit - muss der Gewährleistungsgehalt ebenfalls inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sein. Ein Beispiel für fehlende Bestimmtheit mangels EU-Verordnungen, die den Inhalt der Grundfreiheit näher ausprägen, bildete die Sache Middleburgh, EuGH v. 4.10.1991, Rs. C-15/90, BeckRS 2004, 74451, Rn. 14 ff.

Wenn man die Voraussetzung der unmittelbaren Geltung bejahen kann, so ist zu prüfen, ob man das deutsche Recht unionsrechtskonform auslegen kann, siehe Art. 4 (3) EUV, Grabitz Rn. 110. Erst wenn dies nicht möglich erscheint, so gilt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, d. h. das nationale Recht ist insoweit nicht anzuwenden, als dass es gegen Unionsrecht verstößt.


3.
Im Privatrechtsstreit gelten nun einige wichtige Modifikationen.

Die unmittelbare Geltung einer Richtlinie zwischen Privaten lehnt der EuGH ab, auch dann, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist. Das Gebot, nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, gilt auch hier.

Bei Grundfreiheiten stellt sich - ähnlich wie bei Grundrechten - die Frage der unmittelbaren/mittelbaren Geltung zwischen Privatrechtssubjekten. In Sachen Kücükdeveci hat der EuGH die unmittelbare Wirkung des Altersdiskriminierungsverbots bejaht (C-555/07). Bezüglich des Verbots der Diskriminierung der Staatsangehörigkeit im Lichte der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der EuGH auch eine unmittelbare Geltung zwischen Privaten bejaht (Angonese, C-281/98, Rn. 30 ff.). Ob man das alles verallgemeinern kann, weiß man nicht.

Nicht verwechselt werden darf die Frage der unmittelbaren Geltung der Grundfreiheit damit, dass auch eine Norm des Privatrechts im Lichte der Grundfreiheiten auszulegen ist oder nicht anzuwenden ist (zur Nichtigkeit zivilrechtlicher Vorschriften wegen Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vgl. z.B. EuGH v. 1.12.2005, C-213/04 - Burtscher / Stauderer).

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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von Butterblume09 »

scndbesthand hat geschrieben: Donnerstag 24. September 2020, 18:56 Die Frage nach dem Verhältnis von EU-Normen zum deutschen Recht ist natürlich berechtigt und spannend, auch außerhalb von Hausarbeiten.

1.
Das BVerfG muss nicht nach Art. 100 GG angerufen werden, wenn ein Gericht eine Norm für inkompatibel mit EU-Recht hält. Die Norm gilt nur dann, wenn das Gericht von einer Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes überzeugt ist. Das ergibt auch deswegen einigermaßen Sinn, weil das BVerfG zur letztverbindlichen Auslegung des AEUV ohnehin nicht zuständig ist. Eine nationale Monopolisierung der Prüfung der EU-Rechts-Konformität gibt es so nicht.

2.
Wenn man sich in einem Streit zwischen Bürger und "Staat", d. h. Verwaltung im weitesten Sinne befindet, gilt die Regel, dass Gerichte (und jeder andere Rechtsanwender) den Vorrang des Unionsrechts zu beachten haben. Verstößt das nationale Recht gegen Unionsrecht, darf das Gericht die nationale Norm nicht anwenden. Das gilt aber nicht uneingeschränkt.

Bezüglich einer Richtlinie setzt der EuGH im Urteil v. 22.06.1989, Rs. 103/88 Rn. 29 (m. w. N.) insoweit voraus, dass die Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist.

Bei den Grundfreiheiten - also auch der Niederlassungsfreiheit - muss der Gewährleistungsgehalt ebenfalls inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sein. Ein Beispiel für fehlende Bestimmtheit mangels EU-Verordnungen, die den Inhalt der Grundfreiheit näher ausprägen, bildete die Sache Middleburgh, EuGH v. 4.10.1991, Rs. C-15/90, BeckRS 2004, 74451, Rn. 14 ff.

Wenn man die Voraussetzung der unmittelbaren Geltung bejahen kann, so ist zu prüfen, ob man das deutsche Recht unionsrechtskonform auslegen kann, siehe Art. 4 (3) EUV, Grabitz Rn. 110. Erst wenn dies nicht möglich erscheint, so gilt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, d. h. das nationale Recht ist insoweit nicht anzuwenden, als dass es gegen Unionsrecht verstößt.


3.
Im Privatrechtsstreit gelten nun einige wichtige Modifikationen.

Die unmittelbare Geltung einer Richtlinie zwischen Privaten lehnt der EuGH ab, auch dann, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist. Das Gebot, nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, gilt auch hier.

Bei Grundfreiheiten stellt sich - ähnlich wie bei Grundrechten - die Frage der unmittelbaren/mittelbaren Geltung zwischen Privatrechtssubjekten. In Sachen Kücükdeveci hat der EuGH die unmittelbare Wirkung des Altersdiskriminierungsverbots bejaht (C-555/07). Bezüglich des Verbots der Diskriminierung der Staatsangehörigkeit im Lichte der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der EuGH auch eine unmittelbare Geltung zwischen Privaten bejaht (Angonese, C-281/98, Rn. 30 ff.). Ob man das alles verallgemeinern kann, weiß man nicht.

Nicht verwechselt werden darf die Frage der unmittelbaren Geltung der Grundfreiheit damit, dass auch eine Norm des Privatrechts im Lichte der Grundfreiheiten auszulegen ist oder nicht anzuwenden ist (zur Nichtigkeit zivilrechtlicher Vorschriften wegen Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vgl. z.B. EuGH v. 1.12.2005, C-213/04 - Burtscher / Stauderer).
Erst einmal vielen lieben Dank für die ausführliche Antwort!
Ich hatte mich jetzt nochmal auseinander gesetzt, dabei haben sich tatsächlich leider nur noch mehr Fragen aufgetan. Freunde haben von einer Anwendung des Art. 267 AEUV gesprochen, wovon ich nicht ganz überzeugt bin, da der Gegenstand dort ja Auslegung des primären und abgeleiteten Unionrecht bzw, AEUV ist und hier ja ein nationales Gesetz lediglich gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.
Deshalb hab ich jetzt auch angenommen gehabt, dass es auf den Anwendungsvorrang ankommt. Das mit der Bestimmtheit wusste ich nicht, danke!
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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von scndbesthand »

Natürlich kann ein Vorabentscheodungsersuchen nach Art. 267 AEUV zum Zuge kommen, wenn ein Gericht meint, dass die Beantwortung der sich stellenden Frage "Verstößt § Z des XY-Gesetzes gegen die Niederlassungsfreiheit und ist es deswegen einschränkend/nicht anzuwenden?" von einer klärungsbedürftigen Auslegungsfrage auf Ebene der Niederlassungsfreiheit abhängt.

Viele vorlegende Gerichte stellen die Frage so, dass der EuGH gleich die gesamte Subsumtion vornehmen und nicht nur abstrakte Vorfragen klären soll, z. B. "Stellt es eine mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbare Beschränkung dar, wenn eine Rechtsvorschrift von einem Rechtsanwalt verlangt, nur eine Kanzlei zu unterhalten?", siehe Klopp, C-107/83, BeckRS 2004, 70683, Rn. 6. Eine solche Frage beinhaltet sozusagen alle europarechtlichen Fragen zugleich: Wirkt die Niederlassungsfreiheit unmittelbar, d. h. ist sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt? Welchen Gehalt hat die Gewährleistung der Freiheit? Aus welchen Gründen kann ich die Freiheit einschränken? Ist die Einschränkung verhältnismäßig?

Verpflichtet zu einem Vorabentscheidungsersuchen ist (nur) das letztinstanzliche Gericht, während Gerichte des Instanzenzugs diese Möglichkeit fakultativ offensteht.
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Re: Deutsche Gerichte x Grundfreiheiten

Beitrag von doohan »

Butterblume09 hat geschrieben: Donnerstag 24. September 2020, 12:48 Meinst du den Art. 267 AEUV?
Ich finde das irritierend, wenn mein Beitrag kommentiert wird, aber kein richtiger Austausch stattfindet.
Wenn die Aufgabe leicht in euren Augen ist, ist es okay, aber ich bin verwirrt und hatte mir, wie gesagt, einen Austausch erhofft.
Jedes andere Kommentar ist wenig hilfreich und sinnstiftend.
Ich meinte zunächst den Art. 100 GG, da das Ausgangsszenario erst mal nur von der Niederlassungsfreiheit spricht. Die Niederlassungsfreiheit ist erst mal nichts anderes als die Freizügigkeit (jedenfalls auf dieser abstrakten Ebene).

Wenn also ein deutsches (!) Gericht feststellt, dass ein Gesetz gegen dieses Grundrecht (Art. 11 GG) verstößt, dann steht in Art. 100 GG klipp und klar die Rechtsfolge drin. Die Rechtsfrage ist dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Erst nach dem Vorlageverfahren ist ggf. ein Verstoß gegen Unionsrecht zu prüfen (was aber dann wieder eine Rechtsfolge des Karlsruher Urteils ist).

Etwas anderes mag nur gelten, wenn aus Sicht des Gerichts das betreffende Gesetz zwar grundgesetzkonform, aber nicht unionrechtskonform ist. Das geht aber aus dem geschilderten Sachverhalt nicht hervor.
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