[LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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julée
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von julée »

Swann hat geschrieben:Dieser Aufsatz hier schon bekannt?

http://www.zis-online.com/dat/artikel/2012_7_685.pdf

Vielleicht interessanter als CRs Gebrabbel.
Danke für den Link.

Das Argument mit der Religionsfreiheit des Kindes ist natürlich überlegenswert. Wobei ich mich mit Blick auf Sekten u. ä. schwer tue, hier per se jegliche "Stellvertreterentscheidung" der Eltern als gerechtfertigt anzusehen. Damit wäre man aber wohl deutlich im Anwendungsbereich des § 1666 BGB.

Hinsichtlich des Einwands, man könne den Religionsgemeinschaften nicht vorschreiben, wie sie ihre Religion anderweitig ausüben könnten - das ist richtig. Allerdings wird man im Diskurs mit den Relgionsgemeinschaften, die Frage stellen können (und müssen), inwiefern Gebräuche zwingend sind und ob es hierzu nicht Alternativen gibt. Wenn die abschließende Antwort ist "die Beschneidung muss am 8. Tag durchgeführt werden", dann muss man allerdings mit diesem Faktum umgehen und dies in der Abwägung entsprechend berücksichtigen.
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Chefreferendar »

Wenn man sich nicht an einem bestimmten Tag beschneiden lässt, ist man kein Jude (es ist auch jüdische Sache, ob das irgendwie nachvollziehbar ist oder das Gewicht dem Ritual beizumessen.). Man kann das alles nicht mehr organisieren ...

Es gibt auch Laserbeschneidungen, wo alles blutlos verläuft. Daher soll man ständig mit irgendwelche Fanatikern, die Blut saugen, was nicht vorgeschrieben ist, argumentieren. Im Übrigen ist der Schmerz nicht erinnerlich.

Wohl des Kindes ist eine Tatfrage. Man kann eben nicht auf die Meinung von zwei Menschen abstellen, auch dann nicht wenn man diese als wohlherrschende Meinung falsch benennt.

Dass sich die Deutschen fast hysterisch um die Vorhaut der Juden sorgen wollen, ist wohl Witz aller Witze. Die ganze Welt erkennt das unproblematisch.

Im Talmud habe ich einen solchen Satz gelesen:
Liebe deine Nächsten wie dich selbst, kommt dir aber ein Fremder so schlag ihn tot.

Es ging nicht um Ungläubige, aber ... es sind eher Lebensweisheiten, als Ratschläge

Mir scheint das als Schnee vom gestern. Ich verabschiede mich von diesem Thread.
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Ara
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Ara »

Chefreferendar hat geschrieben: Im Übrigen ist der Schmerz nicht erinnerlich.
Was soll das Argument eigentlich?

Man privilegiert doch auch keine Vergewaltigung unter KO-Tropfen und keinen sexuelles Kindesmissbrauch an Säuglingen mit dem Argument, dass das Opfer sich an die Tat nicht mehr erinnert.

Die Wehrlosigkeit wirkt viel mehr grundsätzlich strafschärfend.

Zusätzlich entstehen Traumata trotz Amnesie, da lediglich das Bewusstsein ausgeschaltet ist, jedoch nicht das Unterbewusstsein.

Chefreferendar hat geschrieben:Die ganze Welt erkennt das unproblematisch.
Das ist einfach nicht die Wahrheit. Die Problematik ist bereits in vielen anderen Ländern vorher thematisiert worden. In den Niederlanden fordert die Ärztevereinigung ein Verbot der religiösen Beschneidung (Quelle), in Schweden ist die Beschneidung von Kindern die älter als 2 Monate sind generell verboten (Quelle) und in Norwegen fordern einzelne Politiker das Mindestalter für die Beschneidung auf 15 Jahre zu heben (Quelle (Verwaister Link http://freethinker.co.uk/2012/06/17/religious-leaders-furious-over-norways-proposed-circumcision-ban/ automatisch entfernt)).

Daher ist auch Merkels Aussage, man würde sich in Deutschland zur Witzfigur machen, etwas merkwürdig. Das Thema wurde bereits früher kontrovers in den anderen Ländern diskutiert und nach dem Urteil vom LG Köln wird es dort erneut diskutiert.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Kroate
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Re: AW: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Besc

Beitrag von Kroate »

Der offene Brief zur Beschneidung, unterzeichnet von Juristen und Medizinern, bereits bekannt?

http://www.faz.net/aktuell/politik/inla ... 27590.html
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AdamCarter
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Re: AW: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Besc

Beitrag von AdamCarter »

Kroate hat geschrieben:Der offene Brief zur Beschneidung, unterzeichnet von Juristen und Medizinern, bereits bekannt?

http://www.faz.net/aktuell/politik/inla ... 27590.html
=D>
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Scaevola »

AdamCarter hat geschrieben:
Naja, wenn am intimsten Körperteil herumgeschnitten wird während mehrere Leute um einen herumstehen und religiös dahinbabbeln, dann ist das schon mit einer krassen Herabwürdigung verbunden, der junge Mensch wird zum bloßen Objekt fremder Religionsausübung degradiert und ein Teil seines Körpers wird von anderen Menschen einem Gott geopfert, an den er noch garnicht glauben kann. Die Menschenwürde ist da m.E. wesentlich stärker betroffen als bei einer bloßen Ohrfeige.
Vorweg: Ich habe schon wieder Schwierigkeiten mit Deiner Ausdrucksweise. Es ist ja offenbar ein Thema, das viele von uns leicht zu allzu emotionalen und polemischen Beiträgen verleitet (ich nehme mich da nicht aus), aber wir sollten m.E. hier im Fachforum trotzdem versuchen, sachlich zu bleiben, nicht nur Threadstarter Einwendungsduschgriff wird es uns danken...
Zum Inhalt: ich halte den Versuch (den ich bei Dir zumindest zwischen den Zeilen lese, der aber ansonsten häufig zu beobachten ist), die negative Religionsfreiheit des Kindes gegen die positive der Eltern (und das Elternrecht) in Stellung zu bringen. Denn ist es nicht gerade ein Bestandteil des Elternrechts, über Art und Inhalt der religiösen Erziehung des Kindes (jedenfalls zunächst) zu bestimmen? Konsequenterweise müsste man ja sonst auch das KErzG von 1921 auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand schicken und fragen, ob dort die Zuordnung der grundrechtlich geschützten Positionen richtig erfolgt ist.
Schließlich: Verstehe ich Dich richtig, dass Du in der Jungenbeschneidung nun einen Verstoß gegen die Menschenwürde siehst?
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AdamCarter
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von AdamCarter »

Scaevola hat geschrieben:Verstehe ich Dich richtig, dass Du in der Jungenbeschneidung nun einen Verstoß gegen die Menschenwürde siehst?
Es ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (sollte klar sein), die negative Religionsfreiheit (Unumkehrbarkeit im Gegensatz zur Taufe. Ich messe der negativen Religionsfreiheit allerdings nur eine mindere Bedeutung gegenüber den anderen beiden berührten Rechtsgütern zu.) und in die Menschenwürde (es wird in die sexuelle Selbstbestimmung eingegriffen und das Kind wird zum bloßen Objekt fremder Religionsausübung degradiert indem ohne seinen Willen ein unwiderbringliches Körperteil dem Gott der Eltern geopfert wird).

Wir müssen uns hier mal etwas klar machen: Selbst im "best case scenario", wenn es also nicht zu psychischen Spätfolgen und zu keinen Komplikationen kommt (beides nicht selten), geschieht hier Folgendes: Ein Säugling (!) wird ohne jede medizinische Indikation entweder unter Vollnarkose (nochmal: Ein Säugling wird grundlos unter Narkose gesetzt und operiert) oder unter starken Schmerzen einem erheblichen und irreperablen Eingriff (Video zur Beschneidung lege artis wurde hier schon gepostet) an einem intimen Körperteil, das großen Einfluss auf die sexuelle Identität eines Menschen hat, ausgesetzt, und das alles nur, weil die Eltern glauben, ihr Gott würde es ihnen befehlen.

Es ist mir schlicht unbegreiflich, wie so etwas in einer zivilisierten und aufgeklärten Gesellschaft geduldet werden kann.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Scaevola »

AdamCarter hat geschrieben:
Es ist mir schlicht unbegreiflich, wie so etwas in einer zivilisierten und aufgeklärten Gesellschaft geduldet werden kann.
Ja, AC, das wissen wir ja inzwischen. Auch im Übrigen ist Deine Grundhaltung in dieser Sache längst aktenkundig. Daher kannst Du Deine Beiträge ohne weiteres ihrer Empörungsrhetorik entkleiden. Die stört nämlich beim Lesen und würde in andere Zusammenhänge ("Treffpunkt") besser passen.
Was die Menschenwürde betrifft, so scheint mir Deine Argumentation ein typischer Anschauungsfall des fehlgeleiteten Gebrauchs der "Objektformel" zu sein. Und was heißt hier: "fremde Religionsausübung"? Es ist ja nicht irgend jemand, der das Kind diesem Ritual unterzieht, sondern es sind die zur religiösen Erziehung des Kindes berufenen Eltern. Wer ihnen dieses Recht abspricht, muss auch die Kindstaufe für einen Menschenwürdeverstoß, wenigstens aber für illegal halten.
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daimos
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von daimos »

@Scaevola

Gehst du mit mir soweit d'accord, dass im Falle einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gleichzeitig die Menschenwürde des Betroffenen verletzt ist?
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(Winston Churchill)

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Ara
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Ara »

Ich glaube das Hauptproblem ist schon einfach, dass es für Nichtgläubige etwas schwer zu begreifen ist, dass die Leute zwanghaft jenes Ritual durchführen müssen. So geht es mir zumindest, dass es für mich schwer begreiflich ist, dass ihr ganzer Glaube an sowas hängen soll.

Tut es den Juden wirklich weh, wenn die Kinder erst mit 12 oder 14 Jahren beschnitten werden? Die Moslems haben damit ja kein Problem (zumindest kenne ich mehrere Moslems die im Kindesalter erst beschnitten wurde).

Heißt Religionsfreiheit wirklich, dass wir keine praktische Konkordanz durchführen dürfen? Ich glaube das ist das, was den Beschneidungsskeptikern etwas sauer aufstößt. Es wird so getan, als sei die Religionsfreiheit nicht einschränkbar. Nur weil etwas irgendwo steht, heißt es doch nicht, dass es mit unserer Werteordnung vereinbar ist. Genauso wie es selbstverständlich ist, dass man keine ungläubigen Töten darf, sollte auch jedes andere Ritual auf dem Prüfstand stehen.

Die Befürworter der Beschneidung wollen aber anscheinend keinen Milimeter weichen. Die Religionsfreiheit soll das Recht auf körperliche Unversehrtheit vollständig verdrängen und setzt sich damit auf eine Stufe mit Art. 1.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Samson »

Ara hat geschrieben:Ich glaube das Hauptproblem ist schon einfach, dass es für Nichtgläubige etwas schwer zu begreifen ist, dass die Leute zwanghaft jenes Ritual durchführen müssen. So geht es mir zumindest, dass es für mich schwer begreiflich ist, dass ihr ganzer Glaube an sowas hängen soll.

Tut es den Juden wirklich weh, wenn die Kinder erst mit 12 oder 14 Jahren beschnitten werden? Die Moslems haben damit ja kein Problem (zumindest kenne ich mehrere Moslems die im Kindesalter erst beschnitten wurde).
äh... ja. Jehova sagt am 8. Tag. Wer das nicht tut, bricht den Bund mit Gott, verstößt sich aus dem auserwählten Volk, ist kein richtiger Jude, etc. Die gegenwärtige Debatte bestätigt mich darin, dass der moderne Deutsche (in vieler Hinsicht glücklicherweise) nicht mehr in der Lage ist, sich wirklich in die Mentalität eines ernsthaft religiösen Menschen hineinzuversetzen.
Heißt Religionsfreiheit wirklich, dass wir keine praktische Konkordanz durchführen dürfen? Ich glaube das ist das, was den Beschneidungsskeptikern etwas sauer aufstößt. Es wird so getan, als sei die Religionsfreiheit nicht einschränkbar. Nur weil etwas irgendwo steht, heißt es doch nicht, dass es mit unserer Werteordnung vereinbar ist. Genauso wie es selbstverständlich ist, dass man keine ungläubigen Töten darf, sollte auch jedes andere Ritual auf dem Prüfstand stehen.

Die Befürworter der Beschneidung wollen aber anscheinend keinen Milimeter weichen. Die Religionsfreiheit soll das Recht auf körperliche Unversehrtheit vollständig verdrängen und setzt sich damit auf eine Stufe mit Art. 1.
Tut es doch in der Diskussion auch. ich halte für wesentlich die Frag,e wie stark die medizinischen Folgen der Beschneidung tatsächlich sind. Das ist eine Frage, die aber für einen Laien trotz Netzrecherche nicht so selbstverständlich beantwortbar sind. Handelt es sich bei der Beschneidung wirklich um eine Lappalie, würde ich die Religonsfreiheit, bei einem wirklich riskanten Eingriff mit ernsthaften medizinischen Folgen die körperliche Unversehrtheit für überwiegend halten. Das müssen Mediziner entscheiden. Auch in einem Bauprozess verlasse ich mich auf die Sachverständigen, obwohl ich mir das technische Rüstzeug vielliecht auch selbst anlesen könnte.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Scaevola »

daimos hat geschrieben:@Scaevola

Gehst du mit mir soweit d'accord, dass im Falle einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gleichzeitig die Menschenwürde des Betroffenen verletzt ist?
Nein, gehe ich nicht.

@Ara

Ließe sich nicht aber auch umgekehrt sagen, dass manche "Beschneidungsgegner" ebensowenig kompromißbereit sind, und das Recht auf körperliche Unversehrtheit absolut setzen? Rein formal betrachtet steht Art. 4 ja im Gegensatz zu Art. 2 II nicht unter Gesetzesvorbehalt. Damit will ich natürlich keiner Rangordnung der Grundrechte das Wort reden; eben dies scheinen mir manche Beschneidungsgegner aber umgekehrt zu versuchen, indem sie argumentieren, die staatliche Garantie der körperlichen Unversehrtheit dürfe keinesfalls aus religiösen Gründen eingeschränkt werden, das staatliche Recht sich dem religiösen nicht beugen. Vielmehr ist eben eine Abwägung vorzunehmen.
Vermutlich wird auch der scharfsinnigste Verfassungsjurist ein zwingendes Abwägungsergebnis nicht liefern können; wir wissen: die Beschneidung ist ein Eingriff von einer gewissen Intensität, aber es ist eben schwierig, zu bestimmen, ob er schwerwiegend genug ist, dass in der fraglichen Fallkonstellation eine staatliche Duldung nicht in Betracht kommt. Auch der Rekurs auf andere tatsächliche oder fiktive Beispiele (Tätowierungen an gewissen Stellen, Abtrennen gewisser anderer Körperteile, bis hin zu Hexenverbrennungen und Jungfrauenopfern) hilft nicht entscheidend weiter, da sich verschiedene Eingriffe in die körperliche Integrität nur begrenzt miteinander vergleichen lassen (oder die heutige Rechtsordnung sie bereits aus anderen Gründen nicht erlaubt). Daher mein Plädoyer: status quo beibehalten, rechtsvergleichend (bevorzugt in hinreichend aufgeklärten Rechtsordnungen) die Entwicklung beobachten, den Dialog mit Religionsvertretern führen, und vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal über ein Verbot nachdenken. Ich halte die Beschneidung eben nicht für ein so ein himmelschreiendes, die Menschenwürde verletzendes Unrecht, dass sie von heute auf morgen verboten werden müßte, nachdem jahrzehntelang weder bei uns noch in anderen, durchaus nicht weniger zivilisierteren Ländern daran Anstoß genommen wurde.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Ara »

Status Quo wäre aber ja (erst einmal) ein kompletter Sieg der Religionsfreiheit.

Abgewägt werden muss, wie Samson ja schon festgestellt hat, die Gefahr des Eingriffes und mögliche Spätfolgen (Was nur Mediziner/Psychologen qualifiziert begründen können) gegen die Nachteile die eine späte Beschneidung für die Religionsausübung hat.

Ich denke keiner hier will einem mündigen Kind die Beschneidung aus religiösen Gründen untersagen. Die wenigsten werden wahrscheinlich die Volljährigkeit fordern.

Aber es gibt ja doch viele Ansätze, wie man beiden Interessen gerecht werden kann. Das Beispiel der nordischen Staaten kann man ja aufgreifen, so dass die Beschneidung nur noch von qualifiziertem ärztlichen Personal in steriler Umgebung vorgenommen werden darf. Hier müssen dann aber auch die Religionen einen Schritt auf unsere Wertordnung zu machen und gegebenenfalls auch Regeln ihrer Religion brechen.

Die meisten Skeptiker fordern ja vermutlich auch kein vollständiges Verbot der Beschneidung an Kleinkindern, sondern erst einmal, dass überhaupt eine Diskussion stattfindet. Denn die Empörung im Thread war ja vor allem, dass alle Parteien ohne lange zu diskutieren sofort der Meinung waren das müsste weiter so laufen wie bisher.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von daimos »

Scaevola hat geschrieben:
daimos hat geschrieben:@Scaevola

Gehst du mit mir soweit d'accord, dass im Falle einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gleichzeitig die Menschenwürde des Betroffenen verletzt ist?
Nein, gehe ich nicht.
Dann empfehle ich die Lektüre einiger BVerfG-Entscheidungen. Zum Beispiel diese hier:
  • Das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gestellt. Diese Vorschriften des Grundgesetzes sichern dem Menschen das Recht zu, seine Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen. Er kann sein Verhältnis zur Sexualität einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter auf diese Einstellung hinnehmen will. Wenn aber das Verhältnis des Menschen zum Geschlechtlichen unter verfassungsrechtlichem Schutz steht, dann muß dieses aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Recht auch dem einzelnen Jugendlichen zustehen.
    BVerfGE 47, 46 <73>
  • Einschränkungen in diesem Bereich sind nicht ohne weiteres mit dem Grundgesetz unvereinbar.
    BVerfGE 60, 123, <134>
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Scaevola »

Ara hat geschrieben:Status Quo wäre aber ja (erst einmal) ein kompletter Sieg der Religionsfreiheit.
Wobei ich Kategorisierungen von Abwägungsergebnissen in Sieg oder Niederlage doch etwas zu plakativ finden würde...

Aber es gibt ja doch viele Ansätze, wie man beiden Interessen gerecht werden kann. Das Beispiel der nordischen Staaten kann man ja aufgreifen, so dass die Beschneidung nur noch von qualifiziertem ärztlichen Personal in steriler Umgebung vorgenommen werden darf. Hier müssen dann aber auch die Religionen einen Schritt auf unsere Wertordnung zu machen und gegebenenfalls auch Regeln ihrer Religion brechen.
Das wäre ja schon einmal ein Kompromiss. Ob die religiösen Regeln das ermöglichen würden?
Die meisten Skeptiker fordern ja vermutlich auch kein vollständiges Verbot der Beschneidung an Kleinkindern, sondern erst einmal, dass überhaupt eine Diskussion stattfindet. Denn die Empörung im Thread war ja vor allem, dass alle Parteien ohne lange zu diskutieren sofort der Meinung waren das müsste weiter so laufen wie bisher.
Vielleicht sind "die Parteien" (Ausnahme offenbar: Linke) zu diesem Ergebnis auch intuitiv gekommen...
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