[LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Einwendungsduschgriff
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Verstanden. Mir ging es in der Tat darum, ob Du ein Schwerekriterium mit seinen Untersicherheiten befürwortest. Auf der anderen Seite wirst Du Recht haben: die Unterscheidung wäre nicht so folgenreich wie beim Eigentumsgrundrecht, das ja gerade spezifische Anforderungen an die Enteignungsrechtfertigung aufstellt (Art. 14 Abs. 3 GG).

Ausgestaltungsveränderungen würdest Du dann daran messen, ob sie die Institution des elterlichen Erziehungsrechts wahren und daneben verhältnismäßig sind?
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Flanke
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Flanke »

Wobei hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der ja in der letzten Stufe auf die Zuordnung divergierender Belange angelegt ist, wohl modifiziert werden müsste. Müsste man sich aber noch näher überlegen, bisher habe ich hier nur unqualifiziert etwas in den Raum stellen wollen.
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Einwendungsduschgriff
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Und ich antworte unqualifiziert darauf, das ist ja Sinn und Zweck einer solchen Diskussion "aus dem Stand". Ich bin ja sehr zufrieden darüber, dass der Thread wieder in die Bahnen einer juristischen Argumentation gelenkt wurde.
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julée
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von julée »

+1 sehr lehrreich, danke.

Die Ausgestaltung als fremdnütziges Recht scheint mir plausibel zu sein (wenngleich ich ansonsten Einschränkungen bereits auf der Schutzbereichsebene eher kritisch sehe).

Allerdings beinhaltet Art. 6 II GG m. E. dennoch ein eigennütziges Moment der Eltern, denn der Grundsatz der Erziehung der Kinder durch die Eltern - und nicht durch den Staat - trifft ja letztlich eine Aufgabenverteilung zwischen Eltern und Staat, die der Staat nicht in ungerechtfertigter Weise zu seinen Gunsten verschieben darf. Der Staat darf also den Begriff des Kindeswohls nicht derart überinterpretieren, dass nur noch wenige rechtmäßige Entscheidungsmöglichkeiten für die Eltern verbleiben.

Ich versuche es mal anhand eines konkreten Beispiels nachzuvollziehen, wie die Lösung aussähe:

Die Norm "Medizinisch nicht indizierte Beschneidungen von Minderjährigen sind ausnahmslos verboten." würde den Eltern ja eine bisher bestehende Entscheidungsmöglichkeit nehmen. Das Elternrecht in der geltenden einfachgesetzlichen Ausgestaltung wäre also verletzt. Fraglich wäre also, ob diese neue Norm, eine zulässige Ausgestaltung des Art. 6 II GG wäre.
Hierbei wäre zu bestimmen, was "Kindeswohl" heißt und in welchen Grenzen der Staat die von den Eltern getroffene Entscheidung kontrollieren bzw. sogar verbieten darf.
Und an dieser Stelle kämen dann die Erwägung zu Art. 2 II 1, 6 II und 4 GG zum Tragen. Und selbst wenn man über Art. 4 GG die Kontrollbefugnis des Staates zurücknimmt, so müsste sie m. E. bei eklatanten Verletzungen der Rechte des Kindes aus Art. 2 II 1 GG oder auch aus Art. 2 I GG nicht nur bestehen, sondern auch zugunsten des Kindes genutzt werden.

Ich bleibe also bei meiner These: Ohne schutzrechtliche Aspekte kommt auch eine Ausgestaltungslösung nicht aus.
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Bene1 »

Mal eine andere Frage: Soweit ich das überblicke, scheint der medizinische Nutzen einer Beschneidung ja unter Medizinern umstritten zu sein. Wenn das so ist, stellt sich doch auch auf dieser Ebene die Frage: Wem steht das Recht darüber zu, letztendlich über die medizinische Sinnhaftigkeit zu entscheiden. Und wenn man im Rahmen von Art. 6 GG von einer Einschätzungsprärogative der Eltern ausgeht, muss die Antwort dann nicht lauten: die Eltern und nicht der Staat? Unter dieser Perspektive halte ich Putzkes Behauptung, das AIDS-Risiko sei in Deutschland zu gering, um eine Beschneidung zu rechtfertigen, für verfehlt. Ob dieses Risiko so hoch oder so gering ist, dass ich mein Kind davor schützen möchte, dürfte letzten Endes doch ebenfalls eine primär den Eltern zustehende Entscheidung sein.
1. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Kreditverträgen ist zu bankenfreundlich und für das erkennende Gericht unbeachtlich. - LG Stuttgart - 12.06.1996. -21 O 519/95
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von julée »

Bene1 hat geschrieben:Mal eine andere Frage: Soweit ich das überblicke, scheint der medizinische Nutzen einer Beschneidung ja unter Medizinern umstritten zu sein. Wenn das so ist, stellt sich doch auch auf dieser Ebene die Frage: Wem steht das Recht darüber zu, letztendlich über die medizinische Sinnhaftigkeit zu entscheiden. Und wenn man im Rahmen von Art. 6 GG von einer Einschätzungsprärogative der Eltern ausgeht, muss die Antwort dann nicht lauten: die Eltern und nicht der Staat? Unter dieser Perspektive halte ich Putzkes Behauptung, das AIDS-Risiko sei in Deutschland zu gering, um eine Beschneidung zu rechtfertigen, für verfehlt. Ob dieses Risiko so hoch oder so gering ist, dass ich mein Kind davor schützen möchte, dürfte letzten Endes doch ebenfalls eine primär den Eltern zustehende Entscheidung sein.
Darf man an seinem Kind wirklich wegen eines medizinisch als gering einzustufenden Risikos, das sich zudem aktuell noch gar nicht verwirklichen kann (wenn man mal den Säugling oder das Kleinkind zum Maßstab nimmt), so dass ein Zuwarten durchaus möglich wäre, und das auch auf andere Art und Weise minimierbar ist, einen ansonsten nicht medizinisch indizierten Eingriff vornehmen lassen?

Ich denke, es gibt eine Grenze des medizinisch "Vernünftigen", über die sich die Eltern nur schwerlich hinwegsetzen können. Diese Grenze wird sicherlich nicht beim ärztlichen Standard verlaufen, sondern den Eltern einen erheblichen Entscheidungsspielraum belassen, aber die Freiheit der Eltern, ihr Kind auch vollkommen unausgegorenen und unnötigen Maßnahmen auszusetzen, würde ich dann doch verneinen.
Beispiel unter umgekehrten Vorzeichen: Dürfen Eltern die Einwilligung in eine für das Kind lebensnotwendige Bluttransfusion aus religiösen Gründen versagen? Es spricht wohl einiges dafür, dies zu hinterfragen und als Fall des § 1666 BGB anzusehen.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Bene1 »

julée hat geschrieben:Darf man an seinem Kind wirklich wegen eines medizinisch als gering einzustufenden Risikos, das sich zudem aktuell noch gar nicht verwirklichen kann (wenn man mal den Säugling oder das Kleinkind zum Maßstab nimmt), so dass ein Zuwarten durchaus möglich wäre, und das auch auf andere Art und Weise minimierbar ist, einen ansonsten nicht medizinisch indizierten Eingriff vornehmen lassen?
Zugegeben, bei der Verminderung des HIV-Risikos mag das stimmen. Allerdings gibt des doch (angeblich) auch hygienische Vorteile u.ä. Und muss man nicht auch berücksichtigen, dass die Operation in einem Alter (zumindest, soweit es Säuglinge betrifft) vorgenommen wird, indem man noch nicht allzu viel mitbekommt?
Ich denke, es gibt eine Grenze des medizinisch "Vernünftigen", über die sich die Eltern nur schwerlich hinwegsetzen können. Diese Grenze wird sicherlich nicht beim ärztlichen Standard verlaufen, sondern den Eltern einen erheblichen Entscheidungsspielraum belassen, aber die Freiheit der Eltern, ihr Kind auch vollkommen unausgegorenen und unnötigen Maßnahmen auszusetzen, würde ich dann doch verneinen.
Mir geht es darum, dass hier die Grenze des medizinisch Vernünftigen doch nicht ganz klar zu sein scheint. Zumindest im anglo-amerikanischen Bereich gibt es doch durchaus Ärzte, die hier auch medizinische Vorteile sehen. Und da stellt sich doch die Frage, ob ich bei unterschiedlichen medizinischen Auffassungen den Eltern vorschreiben darf, welcher sie zu folgen haben.
Beispiel unter umgekehrten Vorzeichen: Dürfen Eltern die Einwilligung in eine für das Kind lebensnotwendige Bluttransfusion aus religiösen Gründen versagen? Es spricht wohl einiges dafür, dies zu hinterfragen und als Fall des § 1666 BGB anzusehen.
Mit dem Unterschied - bitte korrigier mich, wenn ich hier falsch liege - dass kein Arzt bestreitet, dass Bluttransfusionen notwendig und deren Versagung medizinisch katastrophal ist. Nochmal: Mir geht es nicht darum, dass ich mich als Elternteil über eine recht klare medizinische Faktenlage hinwegsetzen können soll, sondern um die Frage, wer bei Streitigkeiten in der Medizin letztendlich entscheiden darf, wessen Ansicht zu folgen ist.

Eine abschließende Meinung habe ich da auch nicht, aber mir scheint in der Diskussion (nicht von euch, eher in den Medien) über das Vehikel eines extensiven Kindeswohls das Elternrecht ziemlich vernachlässigt zu werden. Ich sehe da einen (von dieser speziellen Problematik) losgelösten Trend, dass der Staat in letzter Zeit ein bestimmtes Menschenbild normativ festlegen will, nämlich das eines aufgeklärten (im philosophischen Sinne), toleranten, eher a-religiösen, gesundheitsbewussten und nachhaltig agierenden Menschen. So symphatisch mir persönlich Teile dieses Menschenbildes sind, meine ich doch, dass man staatlicherseits damit die ursprüngliche Grundintention des verfassungsrechtlichen Staat-Bürger-Verhältnisses auf den Kopf stellt.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von julée »

Die Frage wäre dann nur bei welchem Grad an medizinischer Uneinigkeit betreffend eine Maßnahme, die Eltern sich über das, was allgemeinhin als medizinisch "richtig" angesehen wird, hinwegsetzen dürfen. Ich sehe das Problem, dass man hier Mindermeinungen schnell aufbauschen kann, d.h. man muss m. E. die Dinge hier ein Stück weit auf eine rationale Basis stellen: Hat das Ganze einen nachweisbaren medizinischen Nutzen? Wie sind die Risiken? Was sind die Alternativen? Ist die Maßnahme aufschiebbar / reversibel?

Natürlich läuft man Gefahr, Entscheidungen, die man für "unvernünftig" hält, als "wie kann man nur" abzustempeln und zu verbieten und damit die Bürger zu bevormunden. Ich denke aber, soweit die Eltern hier ihr Elternrecht letztlich nur zugunsten ihrer Kinder erhalten haben, sind hier Einschränkungen ihrer Entscheidungsfreiheit möglich, soweit es darum geht, ihre Kinder vor den Folgen "irrationaler" Entscheidungen zu bewahren, die das Kindeswohl aus den Augen verlieren. Das ist sicherlich ein schmaler Grad.
Zuletzt geändert von julée am Freitag 27. Juli 2012, 12:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von AdamCarter »

Ist bei der medizinischen Bewertung der Beschneidung nicht so, dass zumindest dahingehend Einigkeit besteht, dass sie im Kindesalter keine Vorteile bringt?
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Chefreferendar »

Wenn es danach ginge, ob es vorteilhaft sei, wären wohl alle christlichen
Ritualen zu verbieten, weil diese nie vorteilhaft sind.

Vor allem erscheint die Taufe sinnlos, weil sie sich auf den Worten des Superlativ-Juden Jesus gründet oder/und auf ihn zurückzuführen ist: keiner kommt ins Paradies oder zum Vater außer durch mich und durch Wasser, oder vielleicht auf die Taufe in Jordan. Allerdings steht Wasser nach dem biblischen Glauben oder diesen Auslegungen aus dem Talmud für theoretisches Wissen und Wein steht für praktisches Wissen. Daher wurde von ihm Wasser in Wein zu Anfang des Weges verwandelt. Danach auch die Worte: Ich bin der Weg. Der Weg ist tatsächlich diese Verwandlung der Theorie in die Praxis. Jeder hat sein Verständnis der Religion, und dass soll bis zu einer Grenze respektiert werden.

Insgesamt kommt es gar nicht auf Vorteile an, sondern nur auf etwaige Schädlichkeit. Diese ist nicht nachgewiesen.

Nach meinem Verständnis der jetzigen Rechtslage ist die Beschneidung strafrechtlich belanglos. Diese Rituale mit Saugen an Genitalien (?) und so weiter, falls diese tatsächlich in DE praktiziert werden, würden ich bestrafen, weil die Grenze der Religionsausübung durch Erfinden eigener Rituale überschritten ist. Ich würde aber nicht sagen, dass diese eine Rolle im religiösen Leben von Juden spielen. Vor allem wenn es tatsächlich so weit kommt, dass ein Kind dadurch Opfer wird, so muss der Täter und die Anstifter bestraft werden, weil keine Einwilligung soweit gehen kann.
Puschkin: "Die Wahrheit ist stärker als Gott".
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von boogienat0r »

Chefreferendar hat geschrieben:Insgesamt kommt es gar nicht auf Vorteile an, sondern nur auf etwaige Schädlichkeit. Diese ist nicht nachgewiesen.
So wie ich das in der ganzen Berichterstattung mitbekommen habe, kann man das so nicht stehen lassen.

Zunächst einmal birgt jeder chirurgische Eingriff das Potential, dass es zu weiteren Komplikationen und Problemen kommt. Wenn ich mich recht erinnere war es ja gerade so, dass in dem Fall, der das ganze ins Rollen brachte, der beschnittene Junge vier (4 !) Nachblutungen unter starken Schmerzen erleiden musste. Im Zuge dieser Berichterstattung wurde auch gesagt, dass solche Nachblutungen eher die Regel als Ausnahme sind. Wie kann man da nicht von einer Schädigung sprechen?

Ferner erleiden auch die ohne Komplikationen Beschnittenen in den ersten Tagen/Wochen nach ihrer Beschneidung - so zumindest hab ich es in der Berichterstattung gehört - mehr oder weniger starke Schmerzen. Wenn dem so ist, dann ruft letztendlich jede Beschneidung Schmerzen hervor - früher oder später - und somit ist eine Schädigung immanent.

Stehen demgegenüber denn Vorteile, die diesen "Nachteil" überwinden und zumindest für eine mutmaßliche Einwilligung des Kindes sprechen würden?

Ich sehe sie nicht.

In der westlichen Welt werden durch die Beschneidung Hygiene- und HIV Risiken minimal vermindert. Die Wahrscheinlichkeit durch den Eingriff an sich erhebliche Komplikationen zu erleiden dürfte demgegenüber weitaus höher sein. Ferner ist der Eingriff mit Schmerzen verbunden, er verletzt elementar das Selbstbestimmungsrecht des Kindes, und soweit das Kind später eine "Wiederherstellung" des Eingriffes verlangt, ist dies nach gegenwärtigem Stand nicht möglich. Ich sehe daher nicht, wie in einer Kollision der betroffenen Grundrechte und einer praktischen Konkordanz, die Beschneidung jenseits von einer medizinischen Indikation in Einzelfällen jemals für verhältnismäßig erachtet werden kann.

Aussagen wie...

Das machen wir seit Jahrtausenden so.
Das ist religiös vorgegeben.
Religiöses Leben wird unmöglich

... sind für mich keine Argumente, sondern lediglich Ausführungen, die man macht, um den Schutzbereich der Religionsfreiheit und ggf. des Elternrechts als eröffnet anzusehen. In der Abwägung können sie keine Rolle spielen, weil wie sich zeigt, diese Aussagen auf JEDE religiös geforderte Handlung zutreffen. Gibt man diesen "Argumenten" statt, muss man letztendlich jeder religiösen Tradition nachgeben - ich geh aber mal davon aus, dass hier niemand Mädchen beschneiden will.

Das jetzt Leute versuchen, irgendwie eine neue "Dogmatik" herbeizureden, mit der man das gewünschte Ergebnis PRO Beschneidung irgendwie argumentativ unterfüttern will, zeigt doch letztendlich, dass man sich hier gewiss ist, dass man über eine bewährte Abwägung der Interessen nicht zum gewünschten Ergebnis kommen kann.
"Ob dagegen aus einer Kreuzung von Mensch und Tier gezeugte Wesen (Chimären) Träger der Menschenwürde sein können , wird man mit Erleichterung als derzeit inaktuell bezeichnen können"
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Baltar »

boogienat0r hat geschrieben: Aussagen wie...

Das machen wir seit Jahrtausenden so.
Das ist religiös vorgegeben.
Religiöses Leben wird unmöglich

... sind für mich keine Argumente, sondern lediglich Ausführungen, die man macht, um den Schutzbereich der Religionsfreiheit und ggf. des Elternrechts als eröffnet anzusehen.
In diesem Zeilen offenbart sich wohl das Grundproblem, denn ich kann einen Rabbiner gut verstehen, dass dieser sich nicht von der Geltung des jung-modernen Rechtsstaats beeindrucken lässt, wenn auf der anderen Seite ein heiliges/göttliches Wort samt sehr langer Tradition besteht. In der kompromißlosen Beibehaltung steckt ja auch ein Selbstschutz. Gerade das Judentum hat doch in seiner Kerngestalt doch nur durch diese Haltung sich selbst erhalten. Wenn man jetzt sich vorstellt, dass jedes Land andere religiöse Regelungen bemängelt, Kippa tragen, Bärte wachsen lassen, Schächten, usw., kann man sich ganz gut vorstellen, wie zersplittert dann die weltweite Religionsausübung wäre.

Für die Juristen hier im Forum mag das keine Rolle spielen, da wir hier ja wie du bereits erwähnst in Kategorien wie Schutzbereich und praktische Konkordanz denken. Dennoch muss man feststellen, dass es offenbar für viele Religiöse offenbar nicht nur das eine Recht gibt, sondern offenbar zwei Rechtsquellen, wobei die des weltlichen Rechts es doch ganz gut verhindert hat, allzusehr mit dem geistlichen Recht in Konflikt zu kommen. Bestes Beispiel ist hier zB die brutale und dem Tierschutz widersprechende Tötung mittels Schächten. Da hat sich der Staat seiner Verantwortung insoweit entledigt, indem er Ausnahmegenehmigungen erteilt, was an natürlich bei dem Umfang der Bevölkerungszahl, die halal bzw. koscher essen müssen, schon reichlich fragwürdig ist (Ausnahmeregelung als Regelfall?).

Das Beispiel zeigt auch gut, dass sich der Staat hier massiv vor der Diskussion drückt. Denn gerade das Schächten wurde für die Moslems nicht vom Parlament erlaubt/eingegrenzt, sondern leider durch die Verfassungskontrolle des BVerfG geregelt. Gesellschaftlicher Diskurs wird so unterdrückt, weil er nicht im Parlament und in der Öffentlichkeit ankommt und vom 8er bzw. 16er Gremium in Karlsruhe diktiert wird. Dabei ist die Frage, ob wir als Gesellschaft wirklich jeden Ritus übernehmen wollen, durchaus eine wichtige Frage. Denn alleine durch das Infragestellen müssen sich die Religionsanhänger selbst dazu äußern und im besten Fall auch damit eingehend befassen, wie man diesen Grundsatzkonflikt zwischen weltlicher und geistiger Rechtsquelle lösen kann.

Dass das natürlich bei so einem Überraschungsurteil mit gigantischer Empörungsreaktion ("Judentum in Deutschland nicht mehr praktizierbar"...) der völlig falsche Weg ist, ist doch offensichtlich. Ebenso die gedankenlose Resolution des Bundestags, die durch die bereits schon heute geäußerten Bedenken aus dem BMJ ja praktisch ins Lächerliche geführt wurde. Gesellschaftlicher Diskurs sieht doch anders aus. Wenn man wirklich einen Reformprozess anstrebt, dann muss man das wohl auf lange Sicht hin durchführen. Einen Kompromiss wie beim Schächten (religiöse Ausnahmeregelung) sehe ich bei der Beschneidung nicht für möglich, insoweit wäre es sinnvoll, bereits heute einen Dialog der Religionsgemeinschaften diesbezüglich zu starten, denn die jetzige Haltung, dass man sich dieser staatlichen Religion durch Umgehung und Illegalität entziehen will, darf ein Rechtsstaat nicht ignorieren.
"Wieso werden Juristen, je weiter sie von ihrer eigenen Studienzeit entfernt sind, eigentlich so scheiss überheblich?!" - Zickeneffi
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Chefreferendar »

Also Schmerzen sind in aller Regel ein Teil der KV. Somit wäre nahezu jede Einwilligung sittenwidrig, folglich auch rechtswidrig, die Schmerzen mit sich bringt. Ist aber nicht so. Es müssen weitere Nachteile vorhanden sein. Diese gibt es nicht.

Die haben einfach Recht.
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

boogienat0r hat geschrieben:
Chefreferendar hat geschrieben:Insgesamt kommt es gar nicht auf Vorteile an, sondern nur auf etwaige Schädlichkeit. Diese ist nicht nachgewiesen.
So wie ich das in der ganzen Berichterstattung mitbekommen habe, kann man das so nicht stehen lassen.

Zunächst einmal birgt jeder chirurgische Eingriff das Potential, dass es zu weiteren Komplikationen und Problemen kommt. Wenn ich mich recht erinnere war es ja gerade so, dass in dem Fall, der das ganze ins Rollen brachte, der beschnittene Junge vier (4 !) Nachblutungen unter starken Schmerzen erleiden musste. Im Zuge dieser Berichterstattung wurde auch gesagt, dass solche Nachblutungen eher die Regel als Ausnahme sind. Wie kann man da nicht von einer Schädigung sprechen?

Ferner erleiden auch die ohne Komplikationen Beschnittenen in den ersten Tagen/Wochen nach ihrer Beschneidung - so zumindest hab ich es in der Berichterstattung gehört - mehr oder weniger starke Schmerzen. Wenn dem so ist, dann ruft letztendlich jede Beschneidung Schmerzen hervor - früher oder später - und somit ist eine Schädigung immanent.

Stehen demgegenüber denn Vorteile, die diesen "Nachteil" überwinden und zumindest für eine mutmaßliche Einwilligung des Kindes sprechen würden?

Ich sehe sie nicht.

In der westlichen Welt werden durch die Beschneidung Hygiene- und HIV Risiken minimal vermindert. Die Wahrscheinlichkeit durch den Eingriff an sich erhebliche Komplikationen zu erleiden dürfte demgegenüber weitaus höher sein. Ferner ist der Eingriff mit Schmerzen verbunden, er verletzt elementar das Selbstbestimmungsrecht des Kindes, und soweit das Kind später eine "Wiederherstellung" des Eingriffes verlangt, ist dies nach gegenwärtigem Stand nicht möglich. Ich sehe daher nicht, wie in einer Kollision der betroffenen Grundrechte und einer praktischen Konkordanz, die Beschneidung jenseits von einer medizinischen Indikation in Einzelfällen jemals für verhältnismäßig erachtet werden kann.

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... sind für mich keine Argumente, sondern lediglich Ausführungen, die man macht, um den Schutzbereich der Religionsfreiheit und ggf. des Elternrechts als eröffnet anzusehen. In der Abwägung können sie keine Rolle spielen, weil wie sich zeigt, diese Aussagen auf JEDE religiös geforderte Handlung zutreffen. Gibt man diesen "Argumenten" statt, muss man letztendlich jeder religiösen Tradition nachgeben - ich geh aber mal davon aus, dass hier niemand Mädchen beschneiden will.

Das jetzt Leute versuchen, irgendwie eine neue "Dogmatik" herbeizureden, mit der man das gewünschte Ergebnis PRO Beschneidung irgendwie argumentativ unterfüttern will, zeigt doch letztendlich, dass man sich hier gewiss ist, dass man über eine bewährte Abwägung der Interessen nicht zum gewünschten Ergebnis kommen kann.
Meinst Du mit Deiner letzten Äußerung uns? Falls ja: dann würde mich interessieren, wie Deine Vorstellung einer tauglichen Dogmatik im Hinblick auf diese Rechtsfrage aussieht. Zudem: wieso muss eine Beschneidung "Vorteile" bringen? Das halte ich schon für den grundlegend falschen Ansatz. Zuletzt: es geht hier in keinem Fall um eine "mutmaßliche Einwilligung".
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boogienat0r
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Re: [LG Köln] Strafbarkeit der religiös motivierten Beschnei

Beitrag von boogienat0r »

Religionsfreiheit und ggf. das elterliche Erziehungsrecht im Sinne einer praktischen Konkordanz (verfassungsgemäß) in Einklang bringen mit dem Recht das Kindes auf Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und negative Religionsfreiheit. Vorbehaltlos (insbesondere im Hinblick auf Art.4) bedeutet eben nicht schrankenlos. Vielleicht war der Begriff "mutmaßliche Einwilligung" eher falsch und zu sehr an das Strafrecht angelehnt. Jedenfalls wird man bei der Abwägung auf die Intensität der Eingriffe in die betroffenen Grundrechte argumentativ eingehen müssen.

Ich habe hier allerdings grundlegend damit Probleme, Argumente FÜR eine Beschneidung zu finden.

Letztlich kann ich keinen qualitativen Unterschied, was die Eingriffsintensität in Art. 4 anbelangt, zwischen den Verboten von unterschiedlichen religiös geforderten Handlungen erkennen. Wenn doch alle religiösen Handlungen von der Religion gefordert werden - und damit der Religiöse diese als unbedingt verpflichtend innerlich erfährt - so ist jeder staatliche Eingriff, der eine von Gott geforderte Handlung verbietet, grundsätzlich erstmal von gleicher Intensität geprägt, egal ob es sich um die Beschneidung von Jungen oder Mädchen handelt. Dass es sich hierbei stets, egal um welche religiös geforderte Handlung es geht, um einen außerordentlich intensiven Eingriff des Staates handelt, kann man an der Tatsache ablesen, dass der Gesetzgeber Art. 4 vorbehaltlos gewährleistet hat. Auf der Seite der Religionsfreiheit steht daher als Argument m.E. einzig und allein der (intensive) Eingriff an sich, dessen Verbot außerordentlich rechtfertigungsbedürftig ist.

Das Ganze ist viel mehr ein Problem auf der anderen Seite, auf der Seite der kollidierenden Grundrechte, die ich hier einerseits in dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes sehe (Recht auf Selbstbestimmung), als auch seiner körperlichen Unversehrtheit und auch seiner negativen Religionsfreiheit. Hier muss man argumentieren - und es ist einfach eine zugegebenermaßen wohl doch offene Wertungsfrage, wann man die Intensität der Eingriffe in die kollidierenden Grundrechte als so hoch anerkennt, dass ein staatliches Verbot zulässig ist. Also ich denke mittlerweile doch, dass man auch i.E. auch eine Abwägung zu Gunsten einer Beschneidung vornehmen kann (insofern Korrektur zum Post oben).

Egal wie: Man wird ausführen müssen, ggf. kasuistisch an Vergleichsfällen zu Verboten/Nichtverboten anderer religiöser Handlungen, warum die Intensität der Eingriffe in die Grundrechte des Kindes angesichts a) sicherer Schmerzen (wenn auch nur temporär) b) des Potenzials für weitere medizinische Komplikationen und der Gefahr eines Traumas bzw. psychologischer Folgen, c) dem Verlust von Körpersubstanz d) der Irreversibilität des Eingriffes e) der Missachtung der Selbstbestimmung des Kindes und f) eines Merkmals, das dem Kind eine bestimmte Religion dauerhaft zuweist (die Beschneidung drückt in Westeuropa primär immer noch die Zugehörigkeit zu einer bestimmen Religion aus), hier nicht intensiv genug sein soll, um die Intensität des Eingriffes in die Religionsfreiheit zu überwinden.
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