Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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TanteKäthe
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Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von TanteKäthe »

Hallo liebe Freunde des öffentlichen Rechts!

Was haltet ihr von der heute veröffentlichten Entscheidung des Plenums des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz (BVerfG, 2 PBvU 1/11 vom 3.7.2012)? Das 15-seitige Sondervotum lässt aufhorchen. Eine große Schwäche der Entscheidung liegt meiner Auffassung nach in der Überdehnung des Art. 87a Abs. 2 GG, die zugegebenermaßen nicht zum ersten Mal erfolgt ist. Das macht sie aber in meinen Augen nicht viel besser. Außerdem: Wisst ihr jetzt z.B., wann ein besonders schwerer Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG vorliegt? Das Bild am Ende des Sondervotums vom Berg der kreißt und der Maus, die er gebiert, hat finde ich auch nicht nur Humor für sich.
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Baltar
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Re: Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von Baltar »

Gaiers Votum zeigt die grundsätzliche Problematik sehr gut auf und lässt natürlich den Plenumsbeschluss deutlich beschädigt zurück, denn nichts anderes ist dieser Beschluss als eine Handlung eines Ersatzverfassungsgebers, dessen Kompetenz sich nicht aus dem Grundgesetz ableiten lässt. Wenn sich Bundesorgane und die Parteien nunmal nicht einigen können, dann sollte man lieber den schlechten Zustand belassen als den noch schlechteren Zustand, nämlich den einer "Richterautokratie", dann erst zu etablieren versuchen.

Wie seltsam der Lösungsweg des BVerfG ist, zeigt sich ja auch an die aufgezeigten Pfeiler: Warnschuss ja, Abschuss nein. Was bringt aber ein Warnschuss, wenn der Terrorist weiß, dass die Bundeswehr nicht abschießen darf? Oder der nun erlaubte erweiterte Einsatz der Bundeswehr im Inneren bei Katastrophenfällen: Gegen Demonstrationen und innerstaatliche politische Krisen nein, aber sonst ja. Unbestimmter gehts wohl kaum noch. Da sind mir klare Regelungen ähnlich dem Posse Comitatus Act wesentlich lieber, aber offenbar gab es für klare Antworten des BVerfG auf die Fragen keine Mehrheiten im Plenum...
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Ara
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Re: Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von Ara »

So sehr ich Gaiers politische Motive auch gut heißen mag, juristisch sauber ist das nicht.

Ich verstehe die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts und würde dem im Großen und Ganzen auch so zustimmen, ohne jetzt selbst das historische Material gelesen zu haben.

Merkwürdig finde ich Gaiers Argument, dass ja der Gesetzgeber 2006 mit einer Verfassungsänderung gescheitert sei, bei der der Einsatz der Bundeswehr im Inland geregelt werden sollte. Nun sagt das Bundesverfassungsgericht "Das muss gar nicht geändert werden, das ist bereits so geregelt" und Gaier sieht hier eine Verschmelzung von Legislative und Judikative.

Aber wäre es nicht genau andersherum so? Nur weil 2008 die Legislative mit einer Änderung scheiterte (und damit zum Ausdruck kommt, man will die heutige Auslegung des BverfG nicht), darf doch die Judikative nicht so Interpretieren, wie es der Gesetzgeber gerne hätte. Wenn der Gesetzgeber mit der aktuellen Verfassung unzufrieden ist (und sei es erst nach der Interpretation des BVerfG), dann muss er das Grundgesetz halt ändern. Genau DAS ist doch Trennung der Gewalten. Keiner hält doch heute die Legislative davon ab, dass sie Art. 35 II und III GG so ändern, dass militärische Mittel ausdrücklich untersagt werden.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Baltar
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Re: Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von Baltar »

Das Ganze klingt im verfassungsblog leicht verschwörerisch:
Neu ist, dass der Karlsruher Gestaltungstrieb diesmal auch vor der eigenen Rechtsprechung nicht halt macht. Es geht um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, dem der Erste Senat 2006 in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz enge Grenzen gezogen hat. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Zweiten Senats, hat uns schon vor zwei Jahren wissen lassen, dass er und seine Senatskollegen diese Rechtsprechung bitteschön korrigiert sehen wollen.

Weil die Besetzung des Ersten Senats keine Mehrheit im Plenum versprach, spielte der Zweite Senat erstmal auf Zeit und ließ einen seit 2005 anhängigen Normenkontrollantrag der Länder Bayern und Hessen einfach liegen. Im Februar 2011 änderte sich dann wie erwartet die Richterbank, Gabriele Britz und Susanne Baer kamen anstelle von Brun-Otto Bryde und Christine Hohmann-Dennhardt, und das scheint die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten des Zweiten Senats gedreht zu haben. Drei Monate später jedenfalls schien Voßkuhle und den Seinen der richtige Moment gekommen – und, wie man sieht, ging das Kalkül auf das Schönste auf. (Wobei man mit Oliver García mit gutem Grund bezweifeln kann, ob diese Verzögerungstaktik dem Grundsatz vom gesetzlichen Richter genügt).

Jedenfalls kann von Andreas Voßkuhle, so scheint es, in punkto Machtwille und taktischer Raffinesse selbst Chief Justice John Roberts noch etwas lernen. Kein Wunder, dass der Mann nicht Bundespräsident werden wollte. Hat er doch in Karlsruhe viel mehr Spaß.
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Re: Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von Parabellum »

Baltar hat geschrieben:Das Ganze klingt im verfassungsblog leicht verschwörerisch
Jep. Dass geht dort eigentlich besser. Ich habe tatsächlich den Nachmittag drüber auf den Eintrag gewartet und bin etwas enttäuscht. Ich habe mir deshalb auch erlaubt, dort mal meinen Unmut darüber kundzutun. http://verfassungsblog.de/verfassungsge ... ment-17787
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Re: Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von TanteKäthe »

Juristisch sauber scheint mir die Entscheidung leider nicht. Auch meiner Einschätzung nach handelt es sich um Rechtsfortbildung, die hier wohl ausnahmsweise von Verfassungs wegen ausdrücklich verboten war. Ich bin etwas enttäuscht darüber, dass die scheinbar erste materiellrechtliche Plenarentscheidung so unbefriedigend begründet ist. So gesehen liegt der Gedanke daran, dass die Entscheidung eher politisch gewollt als juristisch geboten war, nahe.
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Re: Plenumsentscheidung zum Luftsicherheitsgesetz

Beitrag von Flash »

Die Kritik, der Beschluss sei "Ersatzverfassungsgebung" oder dergleichen, verfängt m.E. nicht.

Dem Wortlaut des Grundgesetzes lässt sich zum Einsatz militärischer Kampfmittel im Inland nichts entnehmen. Auch in Art. 87a GG steht davon nichts und man muss eine Regelung implizit daraus herauslesen, dass gegen militärisch bewaffnete Aufständische (die organisiert sind) auch der Einsatz spezifisch militärischer Waffen zulässig sein soll.

Die Interpretation von Art. 35 GG durch den 1. Senat 2005 hat die Verfassung in diesem Punkt auch nicht klarer gemacht. Das BVerfG interpretiert die Verfassung nicht authentisch. Und die Entscheidung im Plenum nach § 16 BVerfGG setzt ja gerade voraus, dass das Gericht von früheren Verfassugnsinterpretationen eines Senats transparent abweichen kann.

Wenn das Grundgesetz sich der ausdrücklichen Regelung enthält, ist es (für Juristen) wenig überraschend, dass eine juristische Entscheidung auf die eine oder auf die andere Art ausgehen kann. Man könnte jetzt zwar versuchen, sich auf den Willen des historischen Verfassungsgebers als einzige Richtlinie zu versteifen, aber das ist eine methodische Frage, die hier dahinstehen soll, da das BVerfG keiner Auslegungsmethode den absoluten Vorrang einräumt (und als Gericht - wohl zu Recht und verständlicherweise - auch keine eigene Auslegungstheorie hat).

Kurzum: Ich teile keineswegs alle inhaltlichen Ausführungen des Plenarbeschlusses. Der Vorwurf, der Plenarbeschluss würde i.E. das Grundgesetz "ändern", trifft aber nicht zu. Die Kritik, das BVerfG würde hier mehr Politik betreiben als sonst, ist ihrerseits getragen von einer politischen Ablehnung des Ergebnisses.
Die Beurteilung, ein Antrag im Sinne des § 24 Satz 1 BVerfGG sei offensichtlich unbegründet, setzt nicht voraus, daß seine Unbegründetheit auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein. (BVerfGE 82, 316)
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