Woraus schließt Du das? Ich habe beim schnellen Überfliegen nur gefunden, dass in der Entscheidung zum Asylbewerbungsleistungsgesetz hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 des Tenors das Stimmenverhältnis mitgeteilt wird. In der Entscheidung zum Regelsatz kann ich gar keine Mitteilung entdecken.JS hat geschrieben:Soweit von Belang sind diese beiden Entscheidungen einstmmig ergangen.
Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Moderator: Verwaltung
- Einwendungsduschgriff
- Fossil
- Beiträge: 14744
- Registriert: Mittwoch 28. Juni 2006, 19:16
- Ausbildungslevel: Doktorand
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
- JS
- Mega Power User
- Beiträge: 2344
- Registriert: Mittwoch 24. Dezember 2003, 18:20
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Du hast recht, dass man das nicht mit Sicherheit sagen kann, da es eine Pflicht zur Mitteilung des Stimmenverhältnisses der Senatsentscheidungen nicht gibt. Allerdings scheint es mir üblich zu sein, dass dies bei Nichteinstimmigkeit erfolgt.
Was das Asylbewerberleistungsgesetzurteil angeht ist zwar nur für Nr. 2 und Nr. 3 des Tenors das Stimmenverhältnis mitgeteilt worden. Es liegt allerdings nah, dass daraus, dass für Nr. 1 des Tenors dieses nicht benannt worden ist, gefolgert werden kann, dass die Entscheidung insoweit einstimmig erfolgt ist. Welchen anderen Grund sollte es geben, das Stimmenverhältnis nur für diesen Tenorierungspunkt nicht zu benennen? Darüber hinaus wollten zwei Verfassungsrichter dem Gesetzgeber eine Frist für eine verfassungsgemäße Neuregelung auferlegen, wovon der Senat abgesehen hat. Das wäre unlogisch, wenn diese beiden Richter den Ausspruch der Unvereinbarkeit der dort benannten Normen mit dem Grundgesetz in Nr. 1 des Tenors nicht geteilt haben sollten.
Was das Asylbewerberleistungsgesetzurteil angeht ist zwar nur für Nr. 2 und Nr. 3 des Tenors das Stimmenverhältnis mitgeteilt worden. Es liegt allerdings nah, dass daraus, dass für Nr. 1 des Tenors dieses nicht benannt worden ist, gefolgert werden kann, dass die Entscheidung insoweit einstimmig erfolgt ist. Welchen anderen Grund sollte es geben, das Stimmenverhältnis nur für diesen Tenorierungspunkt nicht zu benennen? Darüber hinaus wollten zwei Verfassungsrichter dem Gesetzgeber eine Frist für eine verfassungsgemäße Neuregelung auferlegen, wovon der Senat abgesehen hat. Das wäre unlogisch, wenn diese beiden Richter den Ausspruch der Unvereinbarkeit der dort benannten Normen mit dem Grundgesetz in Nr. 1 des Tenors nicht geteilt haben sollten.
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." - Konrad Adenauer
-
- Fleissige(r) Schreiber(in)
- Beiträge: 240
- Registriert: Mittwoch 12. November 2014, 14:34
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Sehr interessante Diskussion hier! Und wir haben Hoffnung, dass - über den Umweg Gotha (oder Dresden) - Karlsruhe den "Hartz-IVern" zur Hilfe eilt!
Wäre eigentlich das bedingungslose Grundeinkommen verfassungsmäßig oder könnte man auch da Zweifel bekommen?
Wäre eigentlich das bedingungslose Grundeinkommen verfassungsmäßig oder könnte man auch da Zweifel bekommen?
- JS
- Mega Power User
- Beiträge: 2344
- Registriert: Mittwoch 24. Dezember 2003, 18:20
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Das Bundesverfassungsgericht beabsichtigt über 1 BvL 7/16 2017 zu entscheiden.
Siehe hier Nr. 25: http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... _node.html
Siehe hier Nr. 25: http://www.bundesverfassungsgericht.de/ ... _node.html
Kann man so pauschal nicht beantworten, das kommt auf die konkrete Ausgestaltung an.StudiVader315226 hat geschrieben:Wäre eigentlich das bedingungslose Grundeinkommen verfassungsmäßig oder könnte man auch da Zweifel bekommen?
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." - Konrad Adenauer
-
- Fleissige(r) Schreiber(in)
- Beiträge: 240
- Registriert: Mittwoch 12. November 2014, 14:34
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Welche Konkrete(n) Ausgestaltung(en) wären denn wohl verfassungswidrig?JS hat geschrieben:Kann man so pauschal nicht beantworten, das kommt auf die konkrete Ausgestaltung an.StudiVader315226 hat geschrieben:Wäre eigentlich das bedingungslose Grundeinkommen verfassungsmäßig oder könnte man auch da Zweifel bekommen?
- JS
- Mega Power User
- Beiträge: 2344
- Registriert: Mittwoch 24. Dezember 2003, 18:20
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Das ist schwer zu sagen. Denkbar sind Verstöße gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Denkbar sind auch Verstöße gegen das Verbot der übermäßigen Besteuerung. Zu hoch dürfte das BGE demnach nicht sein. Des Weiteren müsste das menschenwürdige Existenzminimum für alle gewährleistet sein. Insoweit dies durch das BGE nicht erreicht würde, müsste es für Bedürftige zusätzliche Leistungen geben.StudiVader315226 hat geschrieben:Welche Konkrete(n) Ausgestaltung(en) wären denn wohl verfassungswidrig?JS hat geschrieben:Kann man so pauschal nicht beantworten, das kommt auf die konkrete Ausgestaltung an.StudiVader315226 hat geschrieben:Wäre eigentlich das bedingungslose Grundeinkommen verfassungsmäßig oder könnte man auch da Zweifel bekommen?
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." - Konrad Adenauer
- JS
- Mega Power User
- Beiträge: 2344
- Registriert: Mittwoch 24. Dezember 2003, 18:20
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Stellungnahme des Tacheles e.V. an das Bundesverfassungsgericht: http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aktuelles/Tacheles_Stellungnahme_an_BVerfG_25.02.2017.pdf (Verwaister Link automatisch entfernt)
Nur mal einen Punkt rausgegriffen:
Nur mal einen Punkt rausgegriffen:
Ich finde, dass diejenigen, die das verteidigen, sich schämen sollten.Vor allem im Zusammenhang mit Totalsanktionen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass
erwerbsfähige Hilfebedürftige von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind. Auch wenn das
Phänomen hinlänglich bekannt ist, werden von der Bundesagentur für Arbeit noch immer keine
Daten diesbezüglich erhoben. Während bei Kürzung und Wegfall der Leistungen zum Lebensunterhalt
die Unterkunft wenigstens durch eine Direktzahlung an den Vermieter gesichert werden
soll, entfällt diese Möglichkeiten bei Totalsanktionen oder Kürzungen in den Bereich der
Unterkunftskosten hinein. Die einzige Möglichkeit für den betroffenen Leistungsberechtigten den
Wohnungsverlust selbst abzuwenden, ist sich an anderer Stelle privat zu verschulden oder im
Nachgang solcher Sanktionen eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Vermieter abzuschließen
und die Mietschulden abzustottern.
Kommt Selbsthilfe nicht in Betracht oder ist diese schlichtweg unmöglich, stehen sozialrechtliche
Instrumente zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit zur Verfügung (§ 22 Abs. 8/9 SGB II).
Erfahrungen aus der Sozialberatung und der bundesweiten Fortbildungstätigkeit belegen aber,
dass diese letzte sozialstaatliche Sicherung oft versagt oder durch die zuständigen Stellen
bewusst versagt wird. In der erstgenannten Fallkonstellation ist die Gewährungspraxis der
darlehensweisen Übernahme von Mietschulden zur Wohnraumsicherung oft so träge oder derart
restriktiv ausgestaltet, dass die zögerliche Leistungsgewährung den Wohnungsverlust oder die
Räumungsklage nicht verhindern kann: Das Darlehen zur Wohnraumsicherung kommt entweder
zu spät, um den Verlust der Wohnung zu verhindern, oder es wird erst gezahlt, nachdem die
Räumungsklage durch den Vermieter eingereicht wurde und zusätzliche Klagekosten auf die von
der Sanktion betroffene mittellose Person zukommen. In der zweiten Fallkonstellation werden die
Leistungen bewusst versagt, weil die Jobcenter die Auffassung vertreten, dass der erwerbsfähige
Leistungsberechtigte die Notlage durch sozialwidriges Verhalten selbst herbeigeführt und
infolgedessen den Anspruch auf Übernahme der Mietschulden verwirkt habe. Diese Auslegung,
der wir nicht folgen, führt in der Praxis dazu, dass infolge der SGB-II-Sanktionen der
sozialrechtliche Schutz vor Obdachlosigkeit nahezu ausgehöhlt wird. Leistungsberechtigten bliebe
nur der sozialgerichtliche Eilrechtschutz, um ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Hier
wiederum vertreten einige Kammern und Senate die Auffassung, dass ein Anordnungsgrund erst
vorliegt, wenn die Wohnung fristlos gekündigt wurde, oder andere Kammern und Senate sogar
erst, wenn Räumungsklage eingelegt wurde. Mit dieser Position ist effektiver Rechtsschutz zum
Schutz vor Wohnungslosigkeit faktisch abgeschafft.
Dieser Exkurs zeigt, wie prekär der sozialrechtliche Schutz der Wohnung werden kann, wenn der
Wohnungsverlust im Zusammenhang mit einer Sanktionen steht. Und ist die Wohnung erst
verloren, werden Leistungsberechtigte mit Folgeproblemen konfrontiert, die hier kurz erwähnt
werden müssen. Insbesondere in zunehmend angespannten Wohnungsmärkten wird es immer
schwieriger mit negativer SCHUFA-Auskunft eine Wohnung neu anzumieten. Da Mietrückstände
häufig zu negativen SCHUFA-Einträgen führen, haben erwerbsfähige Hilfebedürftige, die ihre
Wohnung aufgrund von Mietrückständen verloren haben, große Nachteile bei der
Wohnungssuche. Insbesondere größere Wohnungsgesellschaften gehen vermehrt dazu über,
Wohnungen nicht mehr an unter-25-jährige SGB-II-Leistungsberechtigte zu vermieten, da sie
fürchten, aufgrund von Sanktionen könnten Mietschulden auflaufen. SGB-II-Sanktionen führen
hier indirekt zu Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." - Konrad Adenauer
- Tibor
- Fossil
- Beiträge: 16442
- Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
- Ausbildungslevel: Ass. iur.
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Gibt es irgendwo einen Katalog, für was es Sanktionen gibt? Geht es um Verschulden?
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
- daimos
- Super Power User
- Beiträge: 880
- Registriert: Donnerstag 27. August 2009, 22:30
- Ausbildungslevel: Interessierter Laie
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
§§ 31 ff SGB II.
The farther backward you look, the farther forward you can see.
(Winston Churchill)
Im Konjunktiv ist alles möglich.
(Winston Churchill)
Im Konjunktiv ist alles möglich.
- Tibor
- Fossil
- Beiträge: 16442
- Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
- Ausbildungslevel: Ass. iur.
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Ich kenne jetzt nicht die Jobcenter-Praxis, aber wie soll denn das Amt sonst dafür sorgen, dass der Leistungsempfänger nicht einfach zurücklehnt? Problematisch dürften aber mE die starren Minderungssätze (30% und 60%) sein. Warum gibt man den Behörden hier kein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite?
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
-
- Fossil
- Beiträge: 13077
- Registriert: Freitag 2. April 2004, 18:13
- Ausbildungslevel: Au-was?
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Ich bin mir nicht sicher, ob das - in der real existierenden Sozialverwaltung - zu praktisch besseren Ergebnissen führte, allenfalls zu mehr Ungleichheit und mehr Verfahren vorm SG. Viele Verstöße lassen sich ja letztlich doch relativ schematisch erfassen. Das Augenmerk wäre m. E. eher darauf zu richten, ob das, was nach der Kürzung noch übrig bleibt, tatsächlich noch zur Gewährleistung des Existenzminimums ausreichend ist bzw. inwieweit etwa Geldleistungen durch Sachleistungen ersetzt werden können / müssen.Tibor hat geschrieben:Ich kenne jetzt nicht die Jobcenter-Praxis, aber wie soll denn das Amt sonst dafür sorgen, dass der Leistungsempfänger nicht einfach zurücklehnt? Problematisch dürften aber mE die starren Minderungssätze (30% und 60%) sein. Warum gibt man den Behörden hier kein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite?
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
-
- Fleissige(r) Schreiber(in)
- Beiträge: 240
- Registriert: Mittwoch 12. November 2014, 14:34
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Einfach mal gefragt:Tibor hat geschrieben:Ich kenne jetzt nicht die Jobcenter-Praxis, aber wie soll denn das Amt sonst dafür sorgen, dass der Leistungsempfänger nicht einfach zurücklehnt? Problematisch dürften aber mE die starren Minderungssätze (30% und 60%) sein. Warum gibt man den Behörden hier kein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite?
Warum muss man denn verhindern, dass sich "der Leistungsempfänger....einfach zurücklehnt"? Muss man diesen Fall überhaupt gesetzlich verhindern?
- Tibor
- Fossil
- Beiträge: 16442
- Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
- Ausbildungslevel: Ass. iur.
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Weil das Geld von Vater Staat nicht auf dem Baum wächst, sondern von anderen Steuerzahlern verdient wird. Wenn aber Leistungsfähigkeit beim Steuerzahler dazu führt, dass er abdrücken muss, darf mE Bedürftigkeit nur in geringem Maße selbstverschuldet sein. Insbesondere muss mE erwartet werden können, dass der Bedürftige mitwirkt, den Zustand der Bedürftigkeit zu überwinden, soweit es möglich ist. Man erwartet vom leistungsfähigen Steuerzahler ja auch, dass er immer weiter Leistung zeigt, obwohl er weiß, dass er immer wieder zahlen muss.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
- Tibor
- Fossil
- Beiträge: 16442
- Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
- Ausbildungslevel: Ass. iur.
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
aA die Grundeinkommens-Fans.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
- JS
- Mega Power User
- Beiträge: 2344
- Registriert: Mittwoch 24. Dezember 2003, 18:20
Re: Hartz IV Sanktionen und die Verfassung
Abgesehen davon, dass ich diese Denkweise für falsch halte, da sie nach meiner Auffassung insgesamt betrachtet zu schlechteren Ergebnissen führt, ist das, wenn eine Kürzung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist, egal. Dies ist nach meiner Überzeugung derzeit der Fall, da gegenwärtig nur das Existenzminimum gezahlt wird.Tibor hat geschrieben:Ich kenne jetzt nicht die Jobcenter-Praxis, aber wie soll denn das Amt sonst dafür sorgen, dass der Leistungsempfänger nicht einfach zurücklehnt?
Es wäre aber sehr einfach: Man müsste nur auf das Existenzminimum etwas drauflegen. Als Beispiel 10 %. Die könnte man dann gegebenenfalls kürzen.
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." - Konrad Adenauer