Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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[enigma]
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Wieso sollte Schmähkritik nicht im Schutzbereich der Meinungsfreiheit liegen? Das ist doch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Du - OJ1998 - meinst wohl eher, ob die Meinungsfreiheit nicht doch zwingend zurücktreten muss, wenn es sich bei der geschützten Meinungsäußerung um Schmähkritik handelt. Das ist natürlich eine vertretbare Ansicht, entspricht aber nicht der verfassungsrechtlichen Dogmatik.
Ohne jetzt die Entscheidung gelesen zu haben: Selbst das BVerfG nimmt es zumindest bei den Überschiften zu Pressemeldungen nicht so genau mit den Begrifflichkeiten: https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 4-086.html
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Tobias__21
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

[enigma] hat geschrieben:
Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Wieso sollte Schmähkritik nicht im Schutzbereich der Meinungsfreiheit liegen? Das ist doch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Du - OJ1998 - meinst wohl eher, ob die Meinungsfreiheit nicht doch zwingend zurücktreten muss, wenn es sich bei der geschützten Meinungsäußerung um Schmähkritik handelt. Das ist natürlich eine vertretbare Ansicht, entspricht aber nicht der verfassungsrechtlichen Dogmatik.
Ohne jetzt die Entscheidung gelesen zu haben: Selbst das BVerfG nimmt es zumindest bei den Überschiften zu Pressemeldungen nicht so genau mit den Begrifflichkeiten: https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 4-086.html
Ich lehne mich jetzt auch mal aus dem Fenster: Aber ergibt sich nicht aus der "Soldaten sind Mörder" Entscheidung (schon wieder ;)), dass die Schmähkritik gerade von der Meinungsfreiheit erfasst ist, aber im Rahmen der Abwägung regelmäßig zurücktritt?

Unabhängig davon stellt sich doch immer die Frage, ob man ein Verhalten noch in den Schutzbereich fallen lassen möchte, oder es direkt als nicht vom GG geschützt ausnehmen möchte, bspw: der Auftragskiller bei Art. 12. Die besseren Gründe sprechen wohl für einen weiten Schutzbereich. Jedenfalls kann es nicht darauf ankommen, ob ein Verhalten einfachgesetzlich strafbar, erlaubt, oder was auch immer ist.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von julée »

Es besteht ja auch normalerweise keine Notwendigkeit, die gesamten Abwägungsfragen auf die Schutzbereichsebene hochzuziehen, wenn man wenig schutzwürdige Verhaltensweisen auf der Rechtfertigungsebene relativ schnell bewältigen kann. Und wenn die Voraussetzungen einer echten Schmähkritik vorliegen (keine Auseinandersetzung mehr in der Sache usw.), dann bleibt ja auch nicht mehr viel abzuwägen: ein bisschen Meinungsfreiheit gegen sehr viel verletzte persönlich Ehre. [Aber ich bin da generell Fan eines weiten Schutzbereichs und habe da auch keine Probleme, auch den Auftragskiller nominell den Schutzbereich des Art. 12 GG zuzubilligen.]
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Tobias__21 hat geschrieben:Ich lehne mich jetzt auch mal aus dem Fenster: Aber ergibt sich nicht aus der "Soldaten sind Mörder" Entscheidung (schon wieder ;)), dass die Schmähkritik gerade von der Meinungsfreiheit erfasst ist, aber im Rahmen der Abwägung regelmäßig zurücktritt?
Die Frage, ob "Schmähkritik" bereits aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfällt oder das erst auf Ebene der Abwägung, d.h. bei bei der Rechtfertigung, eine Rolle spielt, ist umstritten. In der Literatur wird zum Teil angenommen, "Schmähkritik" sei schon vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht erfasst. Die Rechtsprechung ist über die Jahre nicht immer ganz eindeutig gewesen, aber in "Soldaten sind Mörder" wird dieser Punkt, wie du sagst, eindeutig als Frage der Abwägung behandelt, was auch sonst jedenfalls überwiegend der Fall ist.

Ich persönlich würde das satirische Schmähgedicht aber ohnehin sogar der Kunstfreiheit nach Art. 5 III 1 Alt. 1 GG zuordnen. Gleichwohl wäre es nach dem m.E. maßgeblichen Maßstab aus BVerfGE 75, 369 wegen der konkreten Form der Einkleidung unzulässig.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

julée hat geschrieben:Es besteht ja auch normalerweise keine Notwendigkeit, die gesamten Abwägungsfragen auf die Schutzbereichsebene hochzuziehen, wenn man wenig schutzwürdige Verhaltensweisen auf der Rechtfertigungsebene relativ schnell bewältigen kann. Und wenn die Voraussetzungen einer echten Schmähkritik vorliegen (keine Auseinandersetzung mehr in der Sache usw.), dann bleibt ja auch nicht mehr viel abzuwägen: ein bisschen Meinungsfreiheit gegen sehr viel verletzte persönlich Ehre. [Aber ich bin da generell Fan eines weiten Schutzbereichs und habe da auch keine Probleme, auch den Auftragskiller nominell den Schutzbereich des Art. 12 GG zuzubilligen.]
Eben :) Aber bei Art. 12 GG halte ich mal lieber noch zurück, da bin ich mir nicht mehr sicher ob das BVerfG hier sogar nicht selbst den Schutzbereich auf "nicht schlechthin sozialschädliche Tätigkeiten" begrenzt hat. Bei Art. 5 GG bin ich mir jedoch einigermaßen sicher, dass die Definition der Schmähkritik auf Ebene der Rechtfertigung vom BVerfG vorgenommen wurde und hier nicht diskutiert wurde, ob überhaupt der Schutzbereich eröffnet ist. Es ging mE immer nur um die Gewichtung iRd. praktischen Konkordanz / Rechtfertigung.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: Ich persönlich würde das satirische Schmähgedicht aber ohnehin sogar der Kunstfreiheit nach Art. 5 III 1 Alt. 1 GG zuordnen. Gleichwohl wäre es nach dem m.E. maßgeblichen Maßstab aus BVerfGE 75, 369 wegen der konkreten Form der Einkleidung unzulässig.
Warum wird das Gedicht wegen der Einkleidung unzulässig? Wenn überhaupt, dann macht doch die Einkleidung (der satirische Kontext) das seinem reinen Inhalt nach strafbare Gedicht hier zur zulässigen Form der Meinungsäußerung/küstlerischen Darstellung.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Die "Einkleidung" in diesem Sinne ist ja nicht die bloße Form eines Gedichts, sondern es sind eben die Schmähungen Erdogans ("Zicken ficken", "Kinderpornos schauen" usw.).

Zur Zulässigkeit kann man m.E. nur kommen, wenn man sich - wie du es getan hast - praktisch ganz von diesem äußeren Gewand löst.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Ich sehe das eher umgekehrt. Das äußere Gewand ist die Satire. Denn es ging ja gerade nicht nur um das Gedicht, es war eine ganze Nummer, in deren Mittelpunkt dann das Gedicht stattfand. Das ist auch durchaus wichtig, denn dieser äußere Rahmen ging in der Debatte und Aufregung dann völlig verloren. Da wurde mE auch sehr deutlich, dass es Böhmermann darum ging, die Grenzen zwischen Satire und Schmähkritik (wohl aber eben im Rahmen der Satire) aufzuzeigen.

Sinn war es wohl einerseits, die typischen, vorhersehbaren Mechanismen und Abläufe, die sich bei jeder auch nur ansatzweise beleidigenden Satire abspielen (Medienecho, Löschung aus der Mediathek, Erdogan dreht am Rad) dadurch lächerlich zu machen, dass er sie ausdrücklich vorhersagt und dann auslöst, indem er einfach völlig absurde, sinnlose Beleidigungen aneinander reiht. Der eigentliche Schaden für Erdogan entsteht dann aber nicht diese kindischen Beleidigungen, sondern durch eben die vorhergesagten Automatismen. Kann man infantil finden (fand ich auch), ist mE aber durchaus legitim. Vor allem ging es auch darum zu zeigen, dass Meinungsfreiheit keinesfalls selbstverständlich ist, wenn selbst ein vergleichsweise harmloser extra3 Beitrag solche Schlagzeilen macht und darüber diskutiert wird.

Zweitens ging es darum, den Streisand-Effekt zu verdeutlichen. Von wegen natürlich wird das Video gelöscht, natürlich regt sich Erdogan auf, umso mehr verbreitet sich aber das Video. Das wurde sowieso nur zum Thema, WEIL sich Erdogan so dünnhäutig gezeigt hat. Das ist halt die typisch böhmermannsche Meta-Medienkritik, die ich mal mehr (Varoufakis) mal weniger (Erdogan-Gedicht) gelungen finde. Das jetzt aber auf die Beleidigungen zu reduzieren, ist mir wie gesagt viel zu einfach.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma], lies dir mal die verlinkte Entscheidung durch. Ich glaube, dir ist der dogmatische Ausgangspunkt zu "Einkleidung" und "Aussagekern" einfach nicht so ganz klar. Man muss den nicht teilen (und er ist auch in der Literatur immer wieder kritisiert worden), aber wenn man von diesem Ansatz ausgeht und ihn ernst nimmt, müsste man m.E. auch heute noch zu dem Ergebnis kommen, dass die entsprechenden Passagen allein der äußeren Form wegen unzulässig sind.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Aber das gilt doch nur unter der Prämisse, dass die Beleidigung das Vehikel für die Satire gewesen sein soll. Hier war es umgekehrt. Böhmermann macht sich die Beleidigung gerade nicht zu eigen, indem er ausdrücklich darauf hinweist, dass dieses Gedicht in Deutschland unzulässig wäre, was gerade sein Thema ist. Und mE übrigens auch, indem die Beleidigungen derart absurd und wahllos aneinandergereiht sind, dass sie niemand ernst nehmen kann.

Das ist - um jetzt mal selbst den mit eigentlich unsympathischen Nazi-Vergleich zu bemühen - wie die Aussage "In Deutschland darf man nicht sagen, dass Juden vergast werden sollten". Auch diese Aussage wäre wohl zulässig. "Juden sollten vergast werden" wäre es aber nicht, man darf den Kontext aber eben nicht weglassen, egal wie unzulässig der Kern ist.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Aber das gilt doch nur unter der Prämisse, dass die Beleidigung das Vehikel für die Satire gewesen sein soll. Hier war es umgekehrt. Böhmermann macht sich die Beleidigung gerade nicht zu eigen, indem er ausdrücklich darauf hinweist, dass dieses Gedicht in Deutschland unzulässig wäre, was gerade sein Thema ist.
Ich habe keine Ahnung, woher du das nimmst.
man darf den Kontext aber eben nicht weglassen, egal wie unzulässig der Kern ist.
Gerade das ist aber eben nicht der Standpunkt aus dem Strauß-Beschluss, und genau deshalb ist dieser Ansatz auch zum Teil kritisiert worden. Hiernach muss man eben Einkleidung und Aussagekern voneinander trennen und beide gesondert auf ihre Zulässigkeit untersuchen, wobei mit Blick auf die Einkleidung ein anderer und weniger strenger Maßstab gelten soll. Aber welche krassere Form der Schmähung sollte eigentlich denkbar sein?

Siehe auch: http://www.dw.com/de/medienanwalt-kompa ... a-19172937
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Gut, aber selbst wenn man beide Teile unabhängig voneinander prüft handelt es sich doch nur dann um Schmähkritik, wenn die Schmähung gegenüber der zulässigen Meinungsäußerung deutlich im Vordergrund steht, oder?

Hier gibt es wie gesagt eine Vielzahl von Umständen außerhalb (!) des eigentlichen Gedichtes, die für eine zulässige Meinungsäußerung streiten und dann eben der (wie gesagt sehr absurden) Beleidigung gegenübergestellt werden müssen. Das Argument, die Schmähung sei nicht nötig gewesen, überzeugt mich nicht, das ist sie natürlich nie. Ich sage wie gesagt nicht, dass ich absolut von der Zulässigkeit überzeugt bin. Aber so deutlich unzulässig wie OJ und du es sehen, ist es wohl auch nicht.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Gut, aber selbst wenn man beide Teile unabhängig voneinander prüft handelt es sich doch nur dann um Schmähkritik, wenn die Schmähung gegenüber der zulässigen Meinungsäußerung deutlich im Vordergrund steht, oder?
Diese Figur stößt bei Satire eben an ihre Grenzen. Wir haben das Problem, dass die besagten Passagen, stellt man auf die äußere Form ab, eben tatsächlich Formalbeleidigungen sind.
Hier gibt es wie gesagt eine Vielzahl von Umständen außerhalb (!) des eigentlichen Gedichtes, die für eine zulässige Meinungsäußerung streiten und dann eben der (wie gesagt sehr absurden) Beleidigung gegenübergestellt werden müssen. Das Argument, die Schmähung sei nicht nötig gewesen, überzeugt mich nicht, das ist sie natürlich nie. Ich sage wie gesagt nicht, dass ich absolut von der Zulässigkeit überzeugt bin. Aber so deutlich unzulässig wie OJ und du es sehen, ist es wohl auch nicht.
Ich halte das Ergebnis vor dem Hintergrund des Strauß-Beschlusses für sehr eindeutig. Wenn man diesen Ansatz nicht teilt und nur auf den Aussagekern abstellt, kann man aber natürlich auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Nur stellt sich dann eben wirklich die Frage, was eigentlich noch unzulässig sein sollte, wenn man es nur selbst mit dem Etikett "Alles nur Spaß" versieht. Im Übrigen wird halt auch das entsprechende Gutachten die Strauß-Rechtsprechung zugrunde gelegt haben.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Mietspantrakt »

[enigma] hat geschrieben:Ich sehe das eher umgekehrt. Das äußere Gewand ist die Satire. Denn es ging ja gerade nicht nur um das Gedicht, es war eine ganze Nummer, in deren Mittelpunkt dann das Gedicht stattfand. Das ist auch durchaus wichtig, denn dieser äußere Rahmen ging in der Debatte und Aufregung dann völlig verloren. Da wurde mE auch sehr deutlich, dass es Böhmermann darum ging, die Grenzen zwischen Satire und Schmähkritik (wohl aber eben im Rahmen der Satire) aufzuzeigen.

Sinn war es wohl einerseits, die typischen, vorhersehbaren Mechanismen und Abläufe, die sich bei jeder auch nur ansatzweise beleidigenden Satire abspielen (Medienecho, Löschung aus der Mediathek, Erdogan dreht am Rad) dadurch lächerlich zu machen, dass er sie ausdrücklich vorhersagt und dann auslöst, indem er einfach völlig absurde, sinnlose Beleidigungen aneinander reiht. Der eigentliche Schaden für Erdogan entsteht dann aber nicht diese kindischen Beleidigungen, sondern durch eben die vorhergesagten Automatismen. Kann man infantil finden (fand ich auch), ist mE aber durchaus legitim. Vor allem ging es auch darum zu zeigen, dass Meinungsfreiheit keinesfalls selbstverständlich ist, wenn selbst ein vergleichsweise harmloser extra3 Beitrag solche Schlagzeilen macht und darüber diskutiert wird.

Zweitens ging es darum, den Streisand-Effekt zu verdeutlichen. Von wegen natürlich wird das Video gelöscht, natürlich regt sich Erdogan auf, umso mehr verbreitet sich aber das Video. Das wurde sowieso nur zum Thema, WEIL sich Erdogan so dünnhäutig gezeigt hat. Das ist halt die typisch böhmermannsche Meta-Medienkritik, die ich mal mehr (Varoufakis) mal weniger (Erdogan-Gedicht) gelungen finde. Das jetzt aber auf die Beleidigungen zu reduzieren, ist mir wie gesagt viel zu einfach.
warum eigentlich die ploetzliche sinnesaenderung zur qualitaet der boehmermann-aktion?
der 1983 geborene klaeger studiert seit dem wintersemester 2003/2004 biologie (diplom) an der beklagten (vg goettingen, urteil vom 2.3.2010 - 4 a 39/07)
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

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Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Wieso sollte Schmähkritik nicht im Schutzbereich der Meinungsfreiheit liegen? Das ist doch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Du - OJ1998 - meinst wohl eher, ob die Meinungsfreiheit nicht doch zwingend zurücktreten muss, wenn es sich bei der geschützten Meinungsäußerung um Schmähkritik handelt. Das ist natürlich eine vertretbare Ansicht, entspricht aber nicht der verfassungsrechtlichen Dogmatik.
Das ist mir anders in Erinnerung (Schmähkritik schon nicht vom Schutzbereich erfasst). Vgl. etwa hier: https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q= ... tVHI3X3TBw.
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