Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Pippen
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Pippen »

julée hat geschrieben:Definitiv nein. Da verkommt die Menschenwürde doch arg zur kleinen Münze, wollte man nun jede Bezeichnung als "Schwein", "Dumme Kuh / Ziege" oder gar "Bullenschwein" für eine Verletzung der Menschenwürde halten.
Dieses Argument ist schon deshalb unbrauchbar, weil es vom Ergebnis her plädiert (was natürlich die Praxis nicht abhält, es oft genau so zu tun). Wenn ich jmd. als Kuh, Ziege oder A-loch bezeichne, dann erkläre ich ihn zu etwas Nicht-Menschlichem und verletze daher seinen Wert (Würde) als Mensch, es sei denn ich meine es nicht so, wie es sich anhört, das wäre dann Beweisfrage und ich gebe zu, dass gerade o.g. Beschimpfungen häufig eher lax und metaphorisch gebraucht werden. Also OK. Aber Böhmermann setzt eben noch eine ganze Schippe drauf! Er betitelt E. nicht nur als Tier, er suhlt sich geradezu darin, diese Beschimpfung auszuführen und zu vertiefen. Da kann man aus der Sicht eines verständigen Menschen schon mal auf die Idee kommen, dass das GENAUSO gemeint wie gesagt ist, zumal er es ja selbst noch so ankündigt. Zumindest würde es alles vereinfachen: Böhmermann wäre strafbar, da jeder RFG an Art. 1 GG scheitern muss (um auch mal vom Ergebnis her zu argumentieren). Vllt. merken dann auch mehr Menschen, wie dümmlich unsere relative Meinungs- und Kunstfreiheit ist und schließen sich der Bewegung an, die auch für Deutschlanf den Meinungsfreiheitsstandard wie in den USA fordert.
Flanke
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Flanke »

So wenig ich hier den Pippen-Apologeten geben will, würde ich denjenigen, die seine Ausführungen in diesem Thread als von vornherein komplett abwegig bezeichnen, eine Lektüre von BVerfGE 75, 369 ans Herz legen. Übrigens m.E. eine Fehlentscheidung, die heute so kaum noch getroffen würde (zumal wenn man die Zeichnungen mal gesehen hat). Aber trotzdem in der amtlichen Sammlung.
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Tibor
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tibor »

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Flanke
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Flanke »

Genau. Sind doch eher niedlich, die Schweine.
julée
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von julée »

Flanke hat geschrieben:So wenig ich hier den Pippen-Apologeten geben will, würde ich denjenigen, die seine Ausführungen in diesem Thread als von vornherein komplett abwegig bezeichnen, eine Lektüre von BVerfGE 75, 369 ans Herz legen. Übrigens m.E. eine Fehlentscheidung, die heute so kaum noch getroffen würde (zumal wenn man die Zeichnungen mal gesehen hat). Aber trotzdem in der amtlichen Sammlung.
Da sieht man mal wieder: das Tragen einer roten Robe macht nicht unfehlbar.
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von julée »

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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Herr Schraeg »

Ich bin mir nicht sicher, ob mich die hier wieder gegebene Argumentation des VG überzeugt. Erstaunlicher finde ich aber, dass sich vier Juristen aus verschiedenen Ministerien zusammensetzen und dann die Strafbarkeit von B. in insgesamt 9 (!) Zeilen erörtern. Bei allem Respekt vor Kürze und Präzision, da waren wir ja im Forum in 10 Minuten tiefschürfender.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von julée »

Ich bin da bislang auch nur so mittelmäßig überzeugt. Man mag zwar im Hinblick auf die Ermächtigung durch die Bundesregierung eine gedankliche Parallele zu § 353d StGB ziehen und deshalb eine Veröffentlichung jedenfalls derzeit für problematisch halten. Allerdings dürfte es dann weniger um die Frage gehen, was die Bundesregierung möglicherweise in für den internen Gebrauch bestimmten Vermerken schreiben darf, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzungen sie - ggf dauerhaft - die Herausgabe derartiger Vermerke verweigern darf.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

*lach* Verfahren nach § 170 II StPO eingestellt. Monatelanger Aufriss und dann das. I like! Wann ist mit ersten Reaktionen aus der Türkei zu rechnen? :)
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Tobias__21 hat geschrieben:*lach* Verfahren nach § 170 II StPO eingestellt. Monatelanger Aufriss und dann das. I like! Wann ist mit ersten Reaktionen aus der Türkei zu rechnen? :)
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Justitian »

Den Vorsatz mal beiseite gelassen: wenn sich die StA nicht sicher ist, wie die Grundrechtsprüfung ausfällt, sie also aus Rechtsgründen Zweifel an der Wahrscheinlichkeit der Verurteilung hat, muss sie doch eher anklagen, damit die Frage von den dazu berufenen Gerichten geklärt werden kann, oder?
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Juratutorium »

Wenn "Ziegenficker" und "stinkt wie Schweinefurz" in einem Satz keine Beleidigung mehr darstellt, dann dürfte § 185 StGB faktisch keinen Anwendungsbereich mehr haben.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Justitian hat geschrieben:Den Vorsatz mal beiseite gelassen: wenn sich die StA nicht sicher ist, wie die Grundrechtsprüfung ausfällt, sie also aus Rechtsgründen Zweifel an der Wahrscheinlichkeit der Verurteilung hat, muss sie doch eher anklagen, damit die Frage von den dazu berufenen Gerichten geklärt werden kann, oder?
Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist m.E. zwar nicht unvertretbar, aber doch unglücklich. Insbesondere wenn man die bisherige Rechtsprechung auch des BVerfG berücksichtigt, ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Äußerungen dem Grunde nach strafbar waren.

Immerhin dürfte man sich bei Erdogan darauf verlassen können, dass er gegen die Entscheidung ggf. auch gem. § 172 II 1 StPO vorgeht (was dazu führen kann, dass der Fall viel schneller, als gedacht, beim BVerfG landen wird).
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Immerhin dürfte man sich bei Erdogan darauf verlassen können, dass er gegen die Entscheidung ggf. auch gem. § 172 II 1 StPO vorgeht (was dazu führen kann, dass der Fall viel schneller, als gedacht, beim BVerfG landen wird).
Dann im Zweifel aber im "falschen" Senat mit den "falschen" Rechtsfragen.
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Juratutorium »

julée hat geschrieben:
Flanke hat geschrieben:So wenig ich hier den Pippen-Apologeten geben will, würde ich denjenigen, die seine Ausführungen in diesem Thread als von vornherein komplett abwegig bezeichnen, eine Lektüre von BVerfGE 75, 369 ans Herz legen. Übrigens m.E. eine Fehlentscheidung, die heute so kaum noch getroffen würde (zumal wenn man die Zeichnungen mal gesehen hat). Aber trotzdem in der amtlichen Sammlung.
Da sieht man mal wieder: das Tragen einer roten Robe macht nicht unfehlbar.
Faszinierend, aber ich halte die Entscheidung - auch in Anbetracht der Bilder - für völlig in Ordnung. Ich finde auch, dass Erdogan evident beleidigt wurde. Deutlicher geht es kaum, so dass sogar der Strafrahmen an der Obergrenze anzusiedeln wäre. Bei mir als Strafrichter wären das für Böhmermann 1 Jahr und 11 Monate auf Bewährung gewesen.

Auf der anderen Seite bin ich auch dafür, die Beleidigung zur Ordnungswidrigkeit herunterzustufen. Dieser Tatbestand hat für mich im StGB schon lange nichts mehr zu suchen.
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