Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

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Einwendungsduschgriff
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Aber selbstverständlich wird man hier im Vorfeld tätig und das ist jedenfalls staatsorganisationsrechtlich völlig unbedenklich. Dass das gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstößt, ist nun doch wirklich fernliegend. Wie wäre denn die Argumentationslinie überhaupt? Oder siehst Du § 104a StGB tatsächlich als eine Art "Zuständigkeitseröffnungsklausel"?

Zur Sachdiskussion hier entlang: http://forum.jurawelt.com/viewtopic.php?f=44&t=53472
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julée
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von julée »

Also ich kann § 104a StGB auch nicht entnehmen, dass sich die Bundesregierung mit der Frage einer Ermächtigung erst befassen darf, sobald das Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt. Und hier ein Schweigen der Bundesregierung zu fordern, bis ein Strafverlangen vorliegt, geht m. E. völlig an diplomatischen Erfordernissen vorbei.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Das Gutachten ist nach § 104a StGB aber nur nötig, wenn die Bundesregierung anlässlich eines ausländischen Strafverlangens (das hier nicht vorliegt) die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen will. Dass das Gutachten dennoch in Auftrag gegeben wurde und die Kanzlerin sich klar positioniert, ist gerade der mE berechtigte Kritikpunkt von Scherz.
Bei dem erwähnten Gutachten handelt es sich um eine Art "vorläufiges Gutachten". M.E. ist es absolut verständlich, dass das Auswärtige Amt so etwas intern hat erstellen lassen, um auf dieser Grundlage entscheiden zu können, wie man politisch weiter verfährt. Man kann sich auch sicher sein, dass Merkel detailliert über die Ergebnisse unterrichtet worden ist. Zu einem förmlichen Strafverlangen muss man es ja nicht kommen lassen. Auch die öffentliche Mittelung des Ergebnisses ist meiner Meinung nach nicht zu beanstanden. So versteht man das Verhalten der Bundesregierung nämlich besser.
Merkel bezeichnete das Gedicht als bewusst verletzend und wies darauf hin, dass die Meinungsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet sei. Das ist mE eine klare Positionierung in Richtung Schmähkritik und damit strafbarer Beleidigung.
Das halte ich eben keinesfalls für so eindeutig. Eher denke ich, dass der öffentlich kommunizierte Text ein plausibler Kompromiss zwischen den denkbaren Extremen war. Dass der Text "bewusst verletzend" war, kann man ja nicht ernsthaft bestreiten.

§ 104a StGB zeigt, dass außenpolitische Opportunitätserwägungen hier auch rechtlich legitim sind.
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[enigma]
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Aber selbstverständlich wird man hier im Vorfeld tätig und das ist jedenfalls staatsorganisationsrechtlich völlig unbedenklich. Dass das gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstößt, ist nun doch wirklich fernliegend. Wie wäre denn die Argumentationslinie überhaupt?
Ich halte zunächst einmal es nicht für fernliegend, in der juristischen Bewertung einer Meinungsäußerung durch die Bundesregierung einen Eingriff in die Meinungsfreiheit zu sehen, der zumindest dann nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig ist, wenn es einer Ermächtigung nach § 104a StGB gar nicht bedarf.

Ich halte es nicht für einen faktischen und unzulässigen Eingriff in die Gewaltenteilung, da die Justiz immer noch zu einem unabhängigen Ergebnis kommen kann. Ich halte es mit Blick auf die Gewaltenteilung aber zumindest für höchst unglücklich, da zumindest der Anschein einer Einmischung der Exekutive entsteht und die Meinungsfreiheit gerade vor einem solchen Anschein geschützt werden sollte. Sonst überlegt sich der nächste Komiker vorher vielleicht dreimal, was er sagen darf und was nicht.

Wie gesagt hätte ich mir gewünscht, Merkel hätte es beim bloßen Verweis auf die Zuständigkeit der Justiz belassen. Im schlimmsten Fall hätte die Türkei ein Strafersuchen gestellt und die Justiz hätte entweder eingestellt, freigesprochen oder verurteilt. Keine der Möglichkeiten wäre mE derart verheerend, dass man eine Befassung der Justiz mit dem Thema politisch um jeden Preis verhindern müsste. Stattdessen wäre das gerade eine Demonstration der Prinzipien gewesen, auf die die BReg anlässlich des extra3-Beitrages (völlig zu Recht) verwiesen hat. Das war übrigens auch Böhmermanns Ziel. Ich gehe fest davon aus, dass es ihm um eine öffentliche und möglicherweise sogar juristische Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit ging. Gerade deshalb dürfte ihm das Einschreiten der BReg auch eher ungelegen kommen. Das ist natürlich kein Argument gegen das Vorgehen der Regierung, kommt mir in der Debatte um die Bewertung des Gedichts aber viel zu kurz.
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famulus
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von famulus »

Tobias__21 hat geschrieben:Zweck seines Gedichtes war es ja auf satirische Art aufzuzeigen was gerade nicht mehr durch die Meinungsfreiheit geschützt ist und so natürlich auch Kritik an Erdogans Einstellung zur Presse- und Meinungsfreiheit zu üben. Er hat die Beleidigungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Schmähkritik aufgeführt. Von daher kann man sicher sagen, dass es ihm gerade um eine Auseinandersetzung in der Sache ging und nicht um bloße Beleidigungen.
"Zweck der Schläge des Angeklagten war es ja auf satirische Art aufzuzeigen was gerade nicht mehr durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt ist. Er hat die Körperverletzungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Handlung aufgeführt. Von daher kann man sicher sagen, dass es ihm gerade um eine Auseinandersetzung in der Sache ging und nicht um bloße Körperverletzungen."
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

famulus hat geschrieben:
Tobias__21 hat geschrieben:Zweck seines Gedichtes war es ja auf satirische Art aufzuzeigen was gerade nicht mehr durch die Meinungsfreiheit geschützt ist und so natürlich auch Kritik an Erdogans Einstellung zur Presse- und Meinungsfreiheit zu üben. Er hat die Beleidigungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Schmähkritik aufgeführt. Von daher kann man sicher sagen, dass es ihm gerade um eine Auseinandersetzung in der Sache ging und nicht um bloße Beleidigungen.
"Zweck der Schläge des Angeklagten war es ja auf satirische Art aufzuzeigen was gerade nicht mehr durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt ist. Er hat die Körperverletzungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Handlung aufgeführt. Von daher kann man sicher sagen, dass es ihm gerade um eine Auseinandersetzung in der Sache ging und nicht um bloße Körperverletzungen."
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Vortex »

famulus hat geschrieben:"Zweck der Schläge des Angeklagten war es ja auf satirische Art aufzuzeigen was gerade nicht mehr durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt ist. Er hat die Körperverletzungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Handlung aufgeführt. Von daher kann man sicher sagen, dass es ihm gerade um eine Auseinandersetzung in der Sache ging und nicht um bloße Körperverletzungen."
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tibor »

Übersetzt: Eine strafbare Körperverletzung liegt nicht vor, wenn der WissMit des Strafrechtsprofs sich in der Vorlesung zu Vorführungszwecken mit seiner Einwilligung [Tatbestand hier einfügen] lässt. Eine Einwilligung des Beleidigten liegt hier nicht vor, weshalb es kein Vorführungszweck sein kann.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:Und hier ein Schweigen der Bundesregierung zu fordern, bis ein Strafverlangen vorliegt, geht m. E. völlig an diplomatischen Erfordernissen vorbei.
Schweigen verlangt ja niemand. Die Kanzlerin hätte sich vom Inhalt des Gedichts distanzieren können und müssen. Das wurde ja auch aus deutscher Sicht für ausreichend gehalten, als die Kanzlerin in griechischen Medien als Nazi dargestellt wurde. Mehr kann auch die diplomatische Rücksichtnahme nicht erfordern. Die Frage ist doch, ob es wirklich diplomatisch erforderlich war, sich so klar zu positionieren. Wie gesagt lese ich aus der Kombination von "bewusst verletzend" und "Meinungsfreiheit nicht schrankenlos" durchaus heraus, dass die Aktion aus Sicht der BReg nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Damit macht man das wenige Tage zuvor noch gegebene, deutliche Zeichen an Erdogan zunichte und wendet mE auch keine untragbaren Konsequenzen ab. Denn wie gesagt wäre ein Strafverfahren gegen Böhmermann gerade keine Katastrophe für die Meinungsfreiheit, ganz im Gegenteil. Und diplomatische Konsequenzen, die sich aus einem möglichen Freispruch ergeben würden, wären dann ebenso hinzunehmen wie eine Verurteilung.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Tobias__21 hat geschrieben:Er hat die Beleidigungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Schmähkritik aufgeführt.
Überlegen wir doch alle mal gemeinsam:

Ist das eine Schmähkritik?
Unterstellt, es wäre eine solche: warum ist selbige nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt?
Zuletzt geändert von Einwendungsduschgriff am Freitag 8. April 2016, 15:23, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Ryze »

[enigma] hat geschrieben: Ich halte zunächst einmal es nicht für fernliegend, in der juristischen Bewertung einer Meinungsäußerung durch die Bundesregierung einen Eingriff in die Meinungsfreiheit zu sehen, der zumindest dann nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig ist, wenn es einer Ermächtigung nach § 104a StGB gar nicht bedarf.
Ich würde zumindest zwischen der Prüfung an sich und der öffentliche Bekanntgabe der Prüfung und des Ergebnisses der Prüfung unterscheiden.

Im Hinblick auf die Prüfung an sich scheint mir ein Eingriff in den Schutzbereich schon schwierig begründbar zu sein, jedenfalls ist aber der Nutzen solcher Prüfungen nicht allein auf eine Entscheidung über § 104a beschränkt, es kommen ja zahlreiche Gründe in Betracht, die eine Prüfung (in meinen Augen in der Tat unproblematisch) rechtfertigen. So fertigen die Botschaften und das Auswärtige Amt ständig "Gutachten" über diverse öffentliche Belange und Berichterstattungen an. Abhängig von der Situation ist der rechtliche Gesichtspunkt ja ein durchaus gewichtiger Punkt für die Einschätzung möglicher diplomatischer Auswirkungen und Reaktionen anderer Staaten und der eigenen Positionierung, wie etwa das anschauliche und nun vielfach bediente Beispiel der Satire Rudi Carells über Ayatollah Khomeini '87 gezeigt hat. Letztlich könnte das Ergebnis der Prüfung im Einzelfall natürlich auch sein, dass eine Entgegnung unter Rückgriff auf die Unantastbarkeit der Menschenrechte der richtige Ansatz ist, das ungeprüfte Abwiegeln unter Rekurs auf diese dürfte bei diplomatischen Verstimmungen aber als fahrlässig zu bezeichnen sein.

Des Weiteren stoßen wir hier ja bald wieder auf die Diskussion über die Gewaltenzugehörigkeit der Staatsanwaltschaft, die mit Range seinen Lauf genommen hat, denn aus formeller Sicht der Aufsichtsbehörde ergibt sich durchaus auch ein Interesse, das eine Prüfung rechtfertigt; auch wenn die Generalbundesanwaltschaft hier nach § 142a GVG nicht erstinstanzlich zuständig sein kann, da lediglich § 102 und nicht § 103 StGB in § 120 Abs. 1 GVG enthalten ist.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

Vom Schutzbereich ist die Formalbeleidigung (bspw. Z****f***) und die Schmähkritik jedenfalls umfasst, zumindest meiner Auffassung nach. Genauso wie die KV von Art. 2 I, um das Beispiel von famulus aufzugreifen. Was man dann im Wege der Abwägung, bzw. Schrankenregelung macht, steht auf einem anderen Blatt. Und diese ganze Diskussion hatten wir doch auch schon hinsichtlich den "Rapefugees" und einem anderen Thema (was war das noch gleich?). Art. 5 I scheint derzeit schwer in Mode zu sein :)
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Tibor
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:
Tobias__21 hat geschrieben:Er hat die Beleidigungen also quasi als Beispiele für eine unzulässige Schmähkritik aufgeführt.
Überlegen wir doch alle mal gemeinsam:
Ist das eine Schmähkritik?
Unterstellt, es wäre eine solche: warum ist selbige nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt?
Ich lehne mich aus dem Fenster: Ja, Schmähkritik und Beleidigung. Von der Meinungsäußerungsfreiheit ist es nicht mehr gedeckt, denn die Absicht eine Meinung zu äußern trat hier eklatant in den Hintergrund. Auch aus dem Gesamtzusammenhang sieht es für mich - bei der Körperverletzung bleibend - um Nachtreten im Exzess aus.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von julée »

@[enigma]: Und m. E. liegt es im Ermessen der Bundesregierung, in welchen Fällen sie nichts sagt oder sich auf bloße beschwichtigende Formeln zurückzieht, ohne in der Sache irgendwas zu sagen (auch damit sagt sie ja implizit was), oder wann sie auch "inhaltlich" Stellung nimmt. Und die Bezeichnung als "bewusst verletzend" würde ich noch nicht für eine große juristische Bewertung halten (und schon gar nicht für eine besonders kontroverse) - auch nicht, wenn man gleichzeitig das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und ihren Grenzen aufzeigt.

Und der Fall Böhmermann ist durchaus anders gelagert als der Fall extra 3 (nämlich ein bewusstes Nachtreten mit bewusster, wenn auch augenzwinkernder Grenzverletzung /-überschreitung), so dass eine gleichartige Reaktion nicht geboten ist.

Und wenn man künftig weiter miteinander reden möchte, dann ist es vielleicht auch sinnvoller, derartige Grenzverletzung zu benennen (womit ja noch nichts über die spätere Sanktionierung gesagt ist), als das Strafverlangen abzuwarten, dann die Ermächtigung zu erteilen (innenpolitisch vermutlich auch nahe am Super-GAU) und zu hoffen, dass die Justiz das zeitnah bewältigt. Man muss, da stimme ich Dir zu, ein Strafverfahren nicht um jeden Preis vermeiden, aber ich würde da doch einen Spielraum für die Bundesregierung sehen, solche Konflikte anders zu lösen, insbesondere wenn sie auch unmittelbar rechtlich am Verfahren beteiligt ist.

Und das Argument, die Bundeskanzlerin greife in die Meinungsfreiheit ein, wenn sie sich zu einem Satire-Beitrag äußert, halte ich für problematisch. Gewiss, auch staatliche Äußerungen können in Freiheitsrechte eingreifen - gleichwohl: die Bundesregierung muss in irgendeiner Form am demokratischen kommunikativen Prozess teilnehmen und dazu gehört es sicherlich auch, Meinungsäußerungen / Taten Einzelner aufzugreifen und ggf. kritisch zu kommentieren.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Herr Schraeg »

Ich weiss immer noch nicht, was Frau Merkel denn nun genau gesagt hat. Aber für die Diskussion können wir einmal unterstellen, dass sie tatsächlich eine juristische Bewertung vorgenommen hat und meinte, dass das Gedicht eine bewusste Beleidigung und nicht mehr von Art. 5 GG gedeckt sei. Das mag zwar politisch unklug und/oder juristisch fragwürdig sein. Aber warum in aller Welt sollte ihr eine solche Bewertung versagt sein und den Grundsatz der Gewaltenteilung verletzen?

Die politische Arbeit der Exekutive erfordert doch ständig juristische Beurteilungen, nicht zuletzt auch, um Sachverhalte auch juristisch zu regeln. Wenn Gabriel TTIP vorantreibt und das auch damit begründet, dass er Klagen keine Erfolgsaussichten einräumt, nimmt er eine juristische Bewertung vor. Ebenso unser Verkehrsminister, wenn er die PKW-Maut gestalten will. Oder der Finanzminister, wenn er im Rahmen der Griechenlandhilfen auch juristische Überlegungen anstellt. Das ist nicht nur politische Praxis und Realität. Vielmehr erfodert es die Aufgabe der Exekutive auf Regierungsebene tagtäglich gerade Sachverhalte auch juristisch zu bewerten, darauf zu reagieren und ggf. auch eine juristische Gestaltung in die Wege zu leiten.

Tatsächlich erkennst Du, enigma, das eigentlich auch an, wenn Du
[enigma] hat geschrieben:Demonstration der Prinzipien gewesen, auf die die BReg anlässlich des extra3-Beitrages (völlig zu Recht) verwiesen
lobst. Denn auch bei extra3 hatte die Regierung diese juristische Bewertung vorgenommen, nur eben mit einem anderen Ergebnis. Konsequenterweise müsstest Du die Regierung tadeln, weil sie zu extra3 eine Stellungnahme nicht verweigert hat und nicht "Das sollen die Gerichte klären" gesagt hat.
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