[enigma] hat geschrieben:Da liegt ein Missverständnis vor, denn genau das ist mein Punkt. Ich halte es nicht für problematisch, wenn die Gerichte die Einschätzung nicht teilen. Das wäre tatsächlich ein Zeichen für eine gesunde Demokratie. Ich halte es für problematisch, wenn die Bundesregierung erklärt, dass sie ein Verhalten für strafbar hält, gleichzeitig aber ein Strafverfahren verhindert, zum Beispiel indem sie diplomatisch darauf hinwirkt, dass kein Strafersuchen gestellt wird. Der abschreckende Effekt ist natürlich trotzdem in der Welt. Und das ist eben dann problematisch, wenn es gar nciht zu einer juristischen Entscheidung kommt, gerade in einem derartigen Grenzfall. Selbstverständlich hätte Böhmermann der Meinungsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, wenn er verurteilt würde. Der Abschreckungseffekt wäre der gleiche. Aber dann eben im dafür vorgesehenen Verfahren ergangen.
Wobei es ja durchaus diplomatisch sein kann, zu sagen "das ist echt nicht okay, vermutlich sogar strafbar, aber wollen wir es nicht auf sich beruhen lassen?". Ich denke, da kann man das eine (das verbale Zugeständnis "(vermutlich) strafbar/-würdig") nicht ohne das andere (faktische Schadensbegrenzung) beurteilen, wenn man sich überlegt, ob man sich künftig an einer solchen Satire versuchen möchte. Sicherlich wäre eine Klärung durch die Gerichte vorzugswürdig, aber dass derartige Äußerungen zumindest grenzwertig sind und jeder künftige Fall einer individuellen Bewertung zu unterziehen ist, dürfte jedem klar sein, der sich auf dem Gebiet bewegt. Egal, wer oder was, das für strafbar oder auch nicht hält.
Die Rolle der Bundesregierung ist ja aufgrund des § 104a StGB so oder so schwierig, da sie ja die Erteilung der Ermächtigung auch irgendwie begründen müsste und ein blasses "das sollen die Gerichte entscheiden, deshalb stimmen wir zu" auch kein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit wäre und von der Türkei als "Unterstützung" aufgefasst würde.
Ich muss zugeben, dass ich die Ansicht, die Bundeskanzlerin habe keine juristische Bewertung getroffen, mittlerweile für vertretbar halte. Ich habe mich da zu sehr auf die Kombination aus "bewusst verletzend" und "Grenzen der Meinungsfreiheit" versteift. Ich vermisse dabei die Einsicht, dass auch bewusst verletzende Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sein können. Aber zugegeben, ich kenne den vollständigen Inhalt des Gesprächs nicht, also interpretiere ich da vielleicht zu viel rein.
Vermutlich ja.
edit: typo
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)