ArbG Berlin - Kopftuch

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Tobias__21
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ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von Tobias__21 »

Hallo,

das ArbG Berlin hat in einer neuerlichen Entscheidung die einschlägigen Bestimmungen hinsichtlich eines pauschalen Verbots von Glaubenssymbolen im Unterricht für verfassungsgemäß gehalten.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/musli ... 48156.html
§ 2
Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.
VerfArt29G BE 2005
Das BVerfG hat 2015 ( 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) entschieden, dass eine bloße abstrakte Gefahr für den Schulfrieden und / oder die staatliche Neutralitätspflicht nicht ausreicht Glaubenssymbole pauschal zu verbieten und eine konkrete Gefahr gefordert. Wird allerdings in bestimmten Schulbezirken die Schwelle zu einer konkreten Gefahr erreicht, kann der Gesetzgeber religiöse Bekundungen für bestimmte Schulen / Schulbezirke auch schon im Vorfeld (allgemeiner) unterbinden, bspw. im Wege einer Verordnungsermächtigung.

Wie verträgt sich das mit dem Urteil des ArbG Berlin? Der oben zitierte § 2 gilt ja im gesamten Bundesland Berlin und ist gerade nicht auf bestimmte Schulen / Schulbezirke beschränkt. Müsste man hier eigentlich nicht nachweisen, dass im gesamten Bundesland Berlin in der Vergangenheit Konfliktfälle vorgefallen sind, die eine konkrete Gefahr begründet haben? Verhältnismäßiger wäre es doch hier auch sicher den § 2 mit einer Verordnungsermächtigung zu versehen, so dass punktuell in bestimmten besonders gefährdeten Schulbezirken reagiert werden kann. Sicher hat der Landesgesetzgeber nochmal einen anderen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum als die Verwaltung und Berlin ist ein relativ kleines Bundesland, aber der § 2 scheint mir doch etwas weit zu gehen, wenn man die Maßstäbe des BVerfG anlegt. Es geht hier ja auch nicht um unbestimmte Rechtsbegriffe, sondern um die Frage der Verhältnismäßigkeit des § 2, welche gerichtlich voll überprüfbar ist.

Der Volltext der Entscheidung liegt noch nicht vor, aber gibt es schon erste Meinungen dazu?
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lucidum_intervallum
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Re: ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von lucidum_intervallum »

Zunächst konnte das Arbeitsgericht Berlin von den von dir zitierten Entscheidungen des BVerfG formal abweichen, da diese Entscheidungen das Landesrecht in NRW betrafen und eine Bindung an die Entscheidungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG für das Arbeitsgericht Berlin somit nicht bestand (zumal die Entscheidungen des BVerfG nur letztinstanzliche Arbeitsgerichtsentscheidungen betrafen und obendrein die betreffenden Normen des Schulgesetzes NRW nicht für nichtig erklärt wurden, sondern nur eine verfassungskonforme Auslegung durch das BVerfG gefordert wurde).

Andererseits erscheint es in der Tat fraglich, ob die Entscheidung des Arbeitsgerichts bei Berücksichtigung der nunmehr geltenden Maßstäbe des BVerfG zur Zulässigkeit des Verbotes von Glaubensbekenntnissen von Lehrerinnen bestand haben kann. Zwar unterscheidet sich das Schulgesetz Berlins von dem Schulgesetz NRW unter anderem darin, dass eine ausdrückliche Privilegierung des christlichen Glaubens nicht vorgesehen ist. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG dürfte damit beim Berliner Gesetz zumindest nicht gegeben sein.

Gleichwohl dürfte auch § 2 des Berliner Schulgesetzes in die Glaubensfreiheit betroffener Lehrerinnen eingreifen, der unter Zugrundelegung der Entscheidungen des BVerfG nur dann durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt ist, wenn eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens nachweisbar ist. Dass von diesen Maßstäben in Berlin einzig aufgrund der speziellen Situation als Stadtstaat abgewichen werden darf, halte ich für fernliegend. Schließlich gibt es auch in Berlin Schulen in denen eine Konfliktlage im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht vorliegt, und andere, in denen dies womöglich der Fall ist. Auch hier wäre also eine differenzierende Regelung des Gesetzgebers zu fordern, zumindest jedoch eine Delegierung in Wege der Verordnungsermächtigung.
Tobias__21
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Re: ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von Tobias__21 »

http://www.taz.de/Kommentar-Kopftuchurt ... /!5292673/
Das Bundesverfassungsgericht erlaubt seit seinem Urteil vom Januar 2015 diese Benachteiligung nur, wenn eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden vorliegt oder wenn die Schule in einem sehr mit Religionskonflikten belasteten Gebiet liegt.

Das Arbeitsgericht hat nun philosophiert, dass ja ganz Berlin so ein Gebiet sein könnte, weshalb das Berliner Neutralitätsgesetz, das LehrerInnen alle religiösen Bekundungen verbietet, gerechtfertigt sein könnte
Laut der Taz hat sich das Gericht wohl mit dem Erfordernis einer konkreten Gefahr beschäftigt. Ich bin wirklich auf den Volltext gespannt. Bis jetzt scheint mir das so, als hätte man es sich ein bisschen einfach gemacht. Man liest auch immer, dass das hier nicht mit dem Fall aus NRW vergleichbar sei, weil das Gesetz christliche Glaubenssymbole nicht privilegiere, also Art. 3 nicht tangiert ist. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Das mag vielleicht ein Aspekt sein, aber alleine weil alles gleich behandelt wird, ist das Gesetz noch lange nicht verfassungskonform, bzw. verfassungskonform ausgelegt und angewandt worden, da das BVerfG explizit eine konkrete Gefahr gefordert hat. Und diese konkrete Gefahr müsste das ArbG wohl auch auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen und diese belegen. Die bloße Behauptung einer Gefährdung wird hier sicher nicht ausreichen
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Re: ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von Tibor »

Angesichts der konkreten Ausgestaltung des verfahrensgegenständlichen Verbots kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen vorliegend ein derart überwiegendes Gewicht zu, das verfassungsrechtlich dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren.
https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 33317.html
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Re: ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von Flanke »

Das hilft jetzt aber für den Fall, auf den sich das Ausgangsposting bezog, nicht so richtig weiter, dort ging es um Schule, hier (primär) um Justiz, und gerade darauf hat das BVerfG auch abgestellt - sonst hätte der zweite Senat wohl das Plenum anrufen müssen.
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Re: ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von Tibor »

Ja, du hast Recht. Ich hab nur noch "Kopftuch" gesucht...
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Re: ArbG Berlin - Kopftuch

Beitrag von Sektnase »

Wollte grade fragen, ob du alle Threads auswendig kennst..
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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