Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

Antworten
Benutzeravatar
Einwendungsduschgriff
Fossil
Fossil
Beiträge: 14744
Registriert: Mittwoch 28. Juni 2006, 19:16
Ausbildungslevel: Doktorand

Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Liebe Mitforisteninnen und Mitforisten,

nachdem ich heute früh in einer längeren Diskussion gefangen war mit gestandenen Praktikern würde mich auch das hiesige Meinungsbild einmal interessieren. Zum einen, ob ich einem Denkfehler unterliege und zum anderen, ob das rechtspolitisch nachvollziehbar ist.

Ein Beispiel - die nunmehr festgestellte partielle Verfassungswidrigkeit des § 20h BKAG außen vor: Das Bundeskriminalamt kommt - unterstellen wir: zutreffend - zu Erkenntnissen, die eine akustische Wohnraumüberwachung nach § 20h BKAG rechtfertigen, weil eine dringende Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, besteht. Namentlich, weil ein terroristischer Anschlag auf ein Fußballländerspiel in Stuttgart unmittelbar bevorsteht. Bei der Wohnraumüberwachung kommt jedoch heraus, dass die Gefahrenbeurteilung falsch war. Jedoch handelt es sich bei A und B - den Adressaten der Maßnahme - um einen Teil einer Bande im Sinne des Strafgesetzbuches. Bei der Wohnraumüberwachung kommt heraus, dass die beiden am selben Abend in Ulm zwei Einbrüche planen, die nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamts unter § 244a StGB fallen werden, was ebenfalls zutrifft. Das Bundeskriminalamt plant nun, die gewonnenen Erkenntnisse aus der Wohnraumüberwachung an die zuständige Landespolizeibehörde zu übermitteln, damit diese diese Taten verhindern kann.

Nach der BKAG-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begegnet das mE durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken: Nach dieser Entscheidung handelt es sich hierbei um eine Zweckänderung, die grundsätzlich an der Idee des hypothetischen Ersatzeingriffes zu messen ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. -, Rn. 276 ff.). Durch den Wechsel der Behörde und den unterschiedlichen Aufgabenansatz (einersets: Bekämpfung des internationalen Terrorismus; andererseits: klassische Gefahrenabwehr) sowie der Betroffenheit des Wohnungsgrundrechts aus Art. 13 GG muss geprüft werden, ob der Übermittlungsadressat diese Maßnahme hätte selbst anordnen können. Wir prüfen also, ob die Voraussetzungen des § 23 PolG BW vorliegen - Idee: die Behörde soll nicht mehr erlangen können als sie selbst erlangen könnte. Notwendig ist danach die "Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person gefährdet oder erheblich erschwert würde". Das sehe ich eben nicht, da nur Vermögenswerte betroffen sind.

Folge: der Übermittlung steht ein rechtliches Hindernis entgegen. (NB: Ob in der Praxis nun dennoch eine Übermittlung erfolgt, soll einmal dahinstehen.) Die Kritik in den Sondervoten bezieht sich nur am Rande auf Art. 13 GG (Eichberger, Rn. 16 f.). Schluckebier nimmt diese Grundrechtsverletzungen von seiner ansonsten deutlichen Kritik an der Linie des Senates komplett aus (vgl. dort, Rn. 20 ff.).

Gerade an die Praktiker unter Euch (thh, Zippocat, ...): wie geht Ihr damit um? Allen anderen sind natürlich an einer Äußerung nicht gehindert.

Vermut
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
Benutzeravatar
[enigma]
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 7600
Registriert: Mittwoch 24. Oktober 2012, 06:39

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von [enigma] »

Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten kann ich leider nichts beitragen, allerdings erscheint es mit bei einem unmittelbar bevorstehenden Wohnungseinbruchsdiebstahl nicht abwegig, eine entsprechende, nicht nur abstrakte Gefahr für Leib und Leben der Hausbewohner anzunehmen. Dass sich die Tat nach dem Tatplan nur gegen Vermögenswerte richten soll, ändert daran mE nichts. Denn wenn die Einbrecher von den Bewohnern (oder Nachbarn) gestellt werden, ist das Risiko körperlicher Auseinandersetzungen doch sehr hoch.
Smooth seas don`t make good sailors
Flanke
Power User
Power User
Beiträge: 625
Registriert: Freitag 26. November 2004, 14:11
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Flanke »

Dann wandeln wir den Fall so ab, dass die beiden einen banden- und gewerbsmäßigen Betrug mit erheblichem Vermögensschaden per Telefon begehen wollen (§ 263 V StGB). Strafrahmen ist derselbe wie bei § 244a StGB. In dem Fall droht keine Gefahr für Leib, Gesundheit oder Freiheit des potenziellen Opfers. Hinzu kommt, dass die Überwachungsergebnisse hier auch nicht nach dem Betrug zur Strafverfolgung genutzt werden dürfen, da § 263 V StGB anders als § 244a StGB im Straftatkatalog von § 100c II StPO nicht vorkommt (das Verwertungsverbot ergibt sich insoweit nicht nur aus Verfassungsrecht, sondern auch aus § 100d V Nr. 3 StPO).

Dasselbe Ergebnis (Unzulässigkeit der Übermittlung) ergäbe sich m.E. in dem Beispielsfall übrigens auch, wenn die Erkenntnisse mit anderen eingriffsintensiven Maßnahmen wie einer TKÜ gewonnen worden wären, weil nach meinem Verständnis des BKAG-Urteils bei solchen Maßnahmen keine Abstriche vom Erfordernis des gleichwertigen Rechtsgüterschutzes gemacht werden, sondern nur keine konkrete Gefahr für diese Rechtsgüter als Übermittlungsanlass gefordert wird.

Überzeugt das rechtspolitisch? Auf den ersten Blick scheint das Quark zu sein. Auf den zweiten Blick geht es bei dieser Rechtsprechung aber nicht um das hier konstruierte Szenario, sondern um - möglicherweise deutlich realitätsnähere - Umgehungsprobleme bei großflächigen proaktiven Ermittlungskonzepten im Bereich der schwer ermittelbaren Kriminalität.
Benutzeravatar
Einwendungsduschgriff
Fossil
Fossil
Beiträge: 14744
Registriert: Mittwoch 28. Juni 2006, 19:16
Ausbildungslevel: Doktorand

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Enigma: gutes Gegenargument. Ich habe eben in meinen Aufzeichnungen noch einmal nachgesehen. Wir hatten vor allem über eine Autodiebstahlsserie diskutiert, bei der nun weitere Taten konkret besprochen wurden und eben tatsächlich auch Delikte mit reinem Vermögensbezug wie zum Beispiel nach § 373 AO.

Flanke: Letztgenanntes habe ich gestern auch versucht stark zu machen. Da spielt natürlich die konkrete Diskussionskultur eine Rolle - bei den anwesenden Strafrichtern war da tatsächlich wenig rechtspolitisch zu holen. Man sah das als regelmäßiges Problem an, das nicht konstruiert sei. Gerade mit Blick auf § 373 AO.

PS @Flanke: Deinen zweiten Absatz habe ich explizit umgehen wollen, da hier die Lesart der BKAG-Entscheidung mE nicht ganz eindeutig ist. Aber ich würde Dir da zustimmen.
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
Flanke
Power User
Power User
Beiträge: 625
Registriert: Freitag 26. November 2004, 14:11
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Flanke »

Ein "regelmäßiges Problem" scheint mir bei Wohnraumüberwachungen angesichts der niedrigen Gesamtzahl kaum denkbar zu sein. Mit wie vielen Wohnraumüberwachungen waren die anwesenden Strafrichter denn dienstlich tatsächlich schon selbst befasst? Und wie viele davon waren auf präventivpolizeilicher Grundlage durchgeführt worden, die sind nämlich noch viel seltener?

Nach meinem Eindruck ärgern die sich darüber, dass § 373 AO nicht in dem Katalog von § 100c II StPO vorkommt und darum Zufallserkenntnisse aus einer Wohnraumüberwachung über eine solche Straftat nach § 100d V Nr. 1 und Nr. 3 StPO nicht verwendet werden dürfen. Das ergibt sich aber aus aktuellem Strafprozessrecht und hat mit dem BKAG-Urteil nichts zu tun. Meinetwegen kommt jetzt noch dazu, dass man § 100d V Nr. 2 StPO hinsichtlich der Schutzgüter verschärfen muss. Die Welt wird davon nicht untergehen.
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5291
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten kann ich leider nichts beitragen, allerdings erscheint es mit bei einem unmittelbar bevorstehenden Wohnungseinbruchsdiebstahl nicht abwegig, eine entsprechende, nicht nur abstrakte Gefahr für Leib und Leben der Hausbewohner anzunehmen. Dass sich die Tat nach dem Tatplan nur gegen Vermögenswerte richten soll, ändert daran mE nichts. Denn wenn die Einbrecher von den Bewohnern (oder Nachbarn) gestellt werden, ist das Risiko körperlicher Auseinandersetzungen doch sehr hoch.
Das kann m.E. nun wirklich keineswegs genügen, um die Voraussetzungen eines präventiven großen Lauschangriffs zu bejahen, sollen die bewusst hohen Anforderungen insoweit nicht völlig leerlaufen - denn bei der Entdeckung einer Straftat kann es immer mal zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen. Man denke nur, es plant jemand gar eine Beleidigung! Spätestens, wenn einiges darauf hindeutet, dass zuvor Alkohol fließen wird, könnte man dann die Wohnung sicherheitshalber vorab verwanzen, falls der Beleidigte dem Beleidiger eine knallt und der zurückhaut? Ich weiß ja nicht ...
Flanke hat geschrieben:Überzeugt das rechtspolitisch? Auf den ersten Blick scheint das Quark zu sein.
Es ist das Bundesverfassungsgericht ...
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
Benutzeravatar
[enigma]
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 7600
Registriert: Mittwoch 24. Oktober 2012, 06:39

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von [enigma] »

thh hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten kann ich leider nichts beitragen, allerdings erscheint es mit bei einem unmittelbar bevorstehenden Wohnungseinbruchsdiebstahl nicht abwegig, eine entsprechende, nicht nur abstrakte Gefahr für Leib und Leben der Hausbewohner anzunehmen. Dass sich die Tat nach dem Tatplan nur gegen Vermögenswerte richten soll, ändert daran mE nichts. Denn wenn die Einbrecher von den Bewohnern (oder Nachbarn) gestellt werden, ist das Risiko körperlicher Auseinandersetzungen doch sehr hoch.
Das kann m.E. nun wirklich keineswegs genügen, um die Voraussetzungen eines präventiven großen Lauschangriffs zu bejahen, sollen die bewusst hohen Anforderungen insoweit nicht völlig leerlaufen - denn bei der Entdeckung einer Straftat kann es immer mal zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen. Man denke nur, es plant jemand gar eine Beleidigung! Spätestens, wenn einiges darauf hindeutet, dass zuvor Alkohol fließen wird, könnte man dann die Wohnung sicherheitshalber vorab verwanzen, falls der Beleidigte dem Beleidiger eine knallt und der zurückhaut? Ich weiß ja nicht ...
Ich würde die Gefahr für Leib und Leben durch eine körperliche Auseinandersetzung bei einem bandenmäßig begangenen Wohnungseinbruchsdiebstahl deutlich höher einschätzen als bei einer geplanten Beleidigung, zumal beim Einbruchsdiebstahl in der Regel auch mindestens gefährliche Werkzeuge im Spiel sind. Und das Opfer sich in solchen Fällen wohl regelmäßig deutlich energischer zur Wehr setzen wird, als bei einer Beleidigung. Gleiches gilt für den Täter. Aber das ist hier ja nicht das Thema ;)
Smooth seas don`t make good sailors
Flanke
Power User
Power User
Beiträge: 625
Registriert: Freitag 26. November 2004, 14:11
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Flanke »

thh hat geschrieben:
Flanke hat geschrieben:Überzeugt das rechtspolitisch? Auf den ersten Blick scheint das Quark zu sein.
Es ist das Bundesverfassungsgericht ...
Hmja, und was sagt mir das jetzt?
Benutzeravatar
Einwendungsduschgriff
Fossil
Fossil
Beiträge: 14744
Registriert: Mittwoch 28. Juni 2006, 19:16
Ausbildungslevel: Doktorand

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Flanke hat geschrieben:Ein "regelmäßiges Problem" scheint mir bei Wohnraumüberwachungen angesichts der niedrigen Gesamtzahl kaum denkbar zu sein. Mit wie vielen Wohnraumüberwachungen waren die anwesenden Strafrichter denn dienstlich tatsächlich schon selbst befasst? Und wie viele davon waren auf präventivpolizeilicher Grundlage durchgeführt worden, die sind nämlich noch viel seltener?
Wie würdest Du dann bei einer TKÜ argumentieren? Die Entscheidung des Ersten Senats stellt ja Art. 10 GG insoweit mit Art. 13 GG gleich.
Nach meinem Eindruck ärgern die sich darüber, dass § 373 AO nicht in dem Katalog von § 100c II StPO vorkommt und darum Zufallserkenntnisse aus einer Wohnraumüberwachung über eine solche Straftat nach § 100d V Nr. 1 und Nr. 3 StPO nicht verwendet werden dürfen. Das ergibt sich aber aus aktuellem Strafprozessrecht und hat mit dem BKAG-Urteil nichts zu tun. Meinetwegen kommt jetzt noch dazu, dass man § 100d V Nr. 2 StPO hinsichtlich der Schutzgüter verschärfen muss. Die Welt wird davon nicht untergehen.
Natürlich geht die Welt davon nicht unter. Deine Vermutung hatte ich aber nicht. Man sah wohl vor allem die Idee, dass "der Staat" "sich nicht absichtlich blind stellen solle".
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
Flanke
Power User
Power User
Beiträge: 625
Registriert: Freitag 26. November 2004, 14:11
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Zweckänderung bei Datenübermittlungen

Beitrag von Flanke »

Bei TKÜ kommt § 373 AO immerhin im Katalog von § 100a II StPO vor, einer repressiven Nutzung stehen also sicher keine verfassungsrechtlichen Hindernisse entgegen, wenn man keine Einwände gegen § 100a II StPO hat.

Bei der präventiven Nutzung müsste man eher nicht fragen, wie der konkrete polizeigesetzliche Überwachungstatbestand zugeschnitten ist, sondern zum Schutz welcher Rechtsgüter eine präventive TKÜ von Verfassungs wegen zugelassen werden dürfte. So verstehe ich das Urteil jedenfalls.
Antworten