Hallo,
wie ist es denn zu beurteilen, wenn es eine EuGH-Rechtsprechung gibt, zu welcher eine mitgliedstaatliche Rechtsprechung im Widerspruch steht? Bsp.: Ich habe eine Richtlinie, zu welcher der EuGH geurteilt hat, diese sei als international zwingend umzusetzen (Ingmar-Entscheidung). In Frankreich sagt die Cour de cassation aber, die Umsetzungsnorm sei nicht international zwingend.
Was kann ich aus diesem Widerspruch für Konsequenzen ableiten? Wäre hier ein Vertragsverletzungsverfahren möglich, o.ä.? Staatshaftungsansprüche gegen den französischen Staat scheinen auch unwahrscheinlich, da dieser die RL ja zunächst korrekt umgesetzt hatte, der international zwingende Charakter ergab sich ja erst später aus dem Urteil.
Beste Grüsse
Nationale Rspr im Widerspruch zu europäischem Richterrecht
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Re: Nationale Rspr im Widerspruch zu europäischem Richterrec
Ein Vertragsverletzungsverfahren und Staatshaftungsansprüche wegen judikativen Unrechts sind möglich, sofern die rechtswidrige Auffassung der französischen Gerichte tatsächlich einen Schaden nach sich gezogen hat. Die Auffassung des EuGH gilt dann eben als von Anfang an einzig "richtige". Sollten nationale Gerichte der Rechtsprechung des EuGH bewusst zuwiderhandeln, wird man auch von einem offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß gegen das Unionsrecht ausgehen dürfen.
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Re: Nationale Rspr im Widerspruch zu europäischem Richterrec
Nein! Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie ergibt sich dem Primär- und Sekundärrecht nicht aus dem Urteil des EuGH. Der EuGH schafft kein Recht, er wendet es an. Der französische Staat hat die Richtlinie (und damit zwingendes Recht) schlicht falsch angewendet, wenn er den Anwendungsbereich fehlerhaft verneint hat.shaved-monkey hat geschrieben:Staatshaftungsansprüche gegen den französischen Staat scheinen auch unwahrscheinlich, da dieser die RL ja zunächst korrekt umgesetzt hatte, der international zwingende Charakter ergab sich ja erst später aus dem Urteil.
Insofern ist auch der (leider auch in der Literatur teilweise falsch verwendete) Begriff des "Richterrechts" oder des "Case law" im Kontext des Europarechts irreführend und falsch. Die Urteile des EuG und des EuGH sind anders als im angelsächsischen Rechtskreis keine Rechtsquellen. Sie haben keine Allgemeinverbindlichkeit sondern wirken nur zwischen den Parteien des Verfahrens.
Was mit der Formulierung gemeint ist, ist die Tatsache, dass der EuGH vielfach Rechtsfortbildung betreibt, also das geschriebene und ungeschriebene Europarecht (teilweise recht kreativ) erweiternd auslegt. Aber auch das schafft genau betrachtet kein "neues" Recht, sondern ist nur eine spezifische Auslegung des bestehenden Rechts.