Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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odi_hominem
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Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von odi_hominem »

Hallo zusammen,

neulich haben mein Lernpartner und ich uns mal an ein Prüfungsschema einer Gefahrenabwehrverfügung rangemacht und uns bei jedem einzelnen Tatbestandsmerkmal/Prüfungspunkt gefragt, warum man das eigentlich prüft, ob man das immer prüfen muss und in welchen Konstellationen eine Prüfung entbehrlich sein könnte.

Bei "EGL" und den materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wird man recht fix fündig, gerade wenn man auch noch ein bisschen mit übergeordneten Prinzipen arbeitet oder den speziellen Anordnungen des (in unserem Falle Niedersächsischen) Ordnungsrechts.

Bei den formellen Voraussetzungen taten wir uns schwieriger, insbesondere bei der Zuständigkeit:
1. Verfahren: Hier haben wir uns bei dem Verfahrensverständnis der EU bedient - "richtige"/"gerechte" Entscheidung durch korrektes Verfahren; Möglichkeit zur Äußerung von aus eigener Sicht wichtigen Informationen (Anhörung) und dadurch auch höhere Akzeptanz und Befriedungsfunktion; Sammeln von Materialien/Beratung (im Baurecht), um am Ende eine sachgerechte, ausgewogene Entscheidung stehen zu haben.
2. Form: Beweiszwecke(?); Warn-/Schutzfunktion wie im ZivilR wird es wohl sehr selten sein; kommt hier wohl aber auch sehr auf die Art und das Sachgebiet des Hoheitsakts an...
3. örtliche Zuständigkeit: Eventuell noch am klarsten - wenn nur die Ordnungsbehörde in Niedersachsen durch das niedersächsische Landesvolk legitimiert ist, darf auch nur sie Staatsgewalt ausüben, nicht etwa die Polizei Hessen oder Sachsen.
4. sachliche Zuständigkeit: Will mir nicht ganz in den Kopf - kann mir doch egal sein, ob mir die richtige Behörde krumm kommt oder die falsche, solange sie rechtmäßig handeln. Und der Einwand, das wäre nicht so wichtig wegen der Unbeachtlichkeit greift nicht, weil § 46 VwVfG nur für die örtliche Zuständigkeit gilt.

Übersehen wir hier was?
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Tibor
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Re: Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von Tibor »

Findest du es in Ordnung, wenn dir der Polizeipräsident eine Abrissverfügung für deinen Rohbau zustellt, weil er der Auffassung ist, dass der Bau so nicht richtig ist?
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thryller
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Re: Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von thryller »

Wie Du schon richtig festgestellt hast, erfasst § 46 VwVfG nicht die sachliche Unzuständigkeit. Ergo: VA ist stets rechtswidrig, in Evidenzfällen sogar nach § 44 I VwVfG nichtig. Die Frage nach dem Warum hat mein Vorredner eigentlich schon beantwortet. Kann ja nicht angehen, dass irgendwelche Behörden VAe in Bereichen raushauen, von denen Sie keine Ahnung haben (Stichwort Sachnähe).
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Einwendungsduschgriff
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Re: Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Vorangeschickt: so ganz klar wird mir Eure Herangehenweise nicht. Ihr wollt ein "Prüfungsschema" erstellen - das kann man machen, muss man aber nicht. Mir wäre nur wichtig, dass bei einem positiven Entschluss hierzu dieses Schema auch in der Prüfung verwenden können muss. Selbstverständlich ist es wichtig die Wirkungsgrundlagen des Verwaltungsrechts zu erkennen, bisweilen sollte man sich aber auch bewusst werden, dass es manches Mal angeraten sein kann, die Entscheidung des Gesetzgebers hinreichend zu würdigen.
odi_hominem hat geschrieben:Übersehen wir hier was?
Ja, den Vorrang des Gesetzes.
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Re: Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von odi_hominem »

Danke an alle für die Antworten!

@ Tibor: Ich denke, in den Rechtswissenschaften geht es eher sekundär darum, was ich in Ordnung finde. Ist ja schließlich so formuliert kein rechtliches Argument.

@ thryller: Die Sachnähe ist natürlich wichtig, insbesondere bei ausgefeilten Spezialmaterien. Daher die Einschränkung in meiner Fragestellung ("solange sie [ansonsten] rechtmäßig handeln"). Insofern war die Frage also, ob es nicht bloße Förmelei wäre, einen an sich richtigen VA deswegen durch AK aufzuheben.

@ Einwendungsduschgriff: Wir haben uns kein Prüfungsschema erstellt, sondern ein gängiges genommen und dieses hinterfragt, insbesondere nach dem Sinn und Zweck der Prüfung eines jeweiligen Tatbestandsmerkmals, um die Struktur und das System besser zu verstehen.

Und vielen Dank für den Vorrang des Gesetzes - das ist in der Tat unmittelbar einleuchtend. Dem Wortlaut des § 46 nach bliebe der VA ja wahrscheinlich daher rechtswidrig, er könnte bloß nicht aufgehoben werden. Insofern gilt der Vorrang des Gesetzes zwar, wird aber nicht "durchgesetzt". Die Frage hätte also wahrscheinlich lauten müssen: "Warum gilt § 46 nicht auch für die sachliche Zuständigkeit?"

Und dann schließt sich der Kreis, wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber aufgrund mangelnder Sachnähe quasi von einer unwiderlegbaren Vermutung ausgegangen ist, dass die Unbeachtlichkeit in Fällen sachlicher Zuständigkeit nie gegeben sein kann und sie daher nicht in § 46 aufgenommen hat.
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Einwendungsduschgriff
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Re: Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

odi_hominem hat geschrieben:Dem Wortlaut des § 46 nach bliebe der VA ja wahrscheinlich daher rechtswidrig, er könnte bloß nicht aufgehoben werden. Insofern gilt der Vorrang des Gesetzes zwar, wird aber nicht "durchgesetzt".
Genau, § 46 VwVfG beseitigt nicht die Rechtswidrigkeit, sondern sperrt lediglich den subjektiv-rechtlichen, prozessual fundierten Aufhebungsanspruch. Spannend wird es, wenn man diese gesetzgeberische Entscheidung dann vor der Folie der Aufhebungsvorschriften (§§ 48, 49 VwVfG) betrachtet. Gerade, wenn man § 48 Abs. 5 VwVfG in den Blick nimmt.
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Tibor
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Re: Rechtswidrigkeit eines VA durch mangelnde Zuständigkeit

Beitrag von Tibor »

odi_hominem hat geschrieben:@ Tibor: Ich denke, in den Rechtswissenschaften geht es eher sekundär darum, was ich in Ordnung finde. Ist ja schließlich so formuliert kein rechtliches Argument.
@ thryller: Die Sachnähe ist natürlich wichtig, insbesondere bei ausgefeilten Spezialmaterien. Daher die Einschränkung in meiner Fragestellung ("solange sie [ansonsten] rechtmäßig handeln"). Insofern war die Frage also, ob es nicht bloße Förmelei wäre, einen an sich richtigen VA deswegen durch AK aufzuheben.
Doch, es ist ein rechtliches Argument, vgl. thryller. Die sachliche Zuständigkeit dient immer der Spezialisierung, denn gerade im Verwaltungs- bzw. Ordnungsrecht wird man immer eine "allgemeine" Behörde finden, ob es nun das Ordnungsamt, der Landkreis, der Bürgermeister oder der Innenminister ist. Und ja, die sachliche Zuständigkeit ist gerade deshalb zu wahren, weil der Bürger es bereits in seiner Laiensphäre nicht "in Ordnung finden wird", wenn der von mir bezeichnete Abrissbefehl von der Polizei kommt. Das kann dann bei krassen Verstößen schon in Richtung "Stirntheorie" tendieren.
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