Ermessensfehlerlehre

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Gelöschter Nutzer

Ermessensfehlerlehre

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Moin,

ich habe schon ein, zwei hilfreiche Threads hierzu gefunden, aber ein paar Unklarheiten habe ich noch:

Konsens dürfte sein, dass die Verhältnismäßigkeit Teil der gesetzlichen Grenzen des Ermessens ist und deshalb unter "Ermessensüberschreitung" geprüft wird.

Alternativ kann man sie aber wegen ihres besonderen Gewichts auch selbstständig prüfen (also I. Ermessen a-c) Ermessensfehler II. Verhältnismäßigkeit). Habe ich das soweit richtig wiedergegeben?


"Ermessensfehlgebrauch" liegt gem. Maurer vor, wenn zweckfremde Erwägungen zur Ermessensentscheidung führen. Leuchtet mir auch ein, nun habe ich aber in einer Falllösung den Gleichbehandlungsgrundsatz/Selbstbindung der Verwaltung ebenfalls unter "Ermessensfehlgebrauch" geprüft gesehen.

Aber handelt es sich hierbei nicht eindeutig um eine Grenze des Ermessens, müsste also unter "Ermessensüberschreitung" geprüft werden?
Tobias__21
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Re: Ermessensfehlerlehre

Beitrag von Tobias__21 »

In einem allerersten Schritt musst du zwischen äußeren+inneren Grenzen des Ermessens unterscheiden und nicht pauschal von "Grenzen des Ermessens" ausgehen.

Gemeinhin grenzt man dann in einem zweiten Schritt folgendermaßen ab:

Überschreitung der äußeren Grenzen des Ermessens § 40 Alt. 2 VwVfG --> Ermessensüberschreitung
Überschreitung der inneren Grenzen des Ermessens § 40 Alt. 1 VwfG --> Ermessensfehlgebrauch

Bei einer Überschreitung der äußeren Ermessensgrenze wählt die Behörde eine Rechtsfolge, die vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Eine Überschreitung der inneren Grenzen liegt vor, wenn die Behörde nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend handelt. Die Rechtsfolge also grds. vom Gesetz gedeckt ist.

Jetzt kann man trefflich darüber streiten, ob diese Abgrenzung überhaupt trennscharf vorgenommen werden kann, ob es hier nicht in gewissen Fällen zu Überschneidungen kommen kann. Wenn die Behörde sich selbst, etwa durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, Grenzen der Ermessensausübung setzt und dagegen verstößt und die Rechtsfolge aber trotzdem vom Gesetz gedeckt ist, also grds. rechtmäßigerweise hätte ergehen können, liegt wohl eine Verletzung der "inneren Grenzen" des Ermessens vor, also ein Ermessensfehlgebrauch. Dem kann man entgegenhalten, dass sie damit natürlich auch gegen Art. 3 I GG verstößt (äußere Grenze). Es ist aber tatsächlich so, dass das fast immer beim Ermessensfehlgebrauch verortet wird. Kann man m.E. auch wirklich so sehen, denn die Behörde setzt sich die Grenze der Ermessensausübung selbst und nicht das Gesetz. Erst durch die Entscheidung der Behörde zur Selbstbindung der Verwaltung (wenn wir mal von Verwaltungsvorschriften ausgehen) kommt erst der Art. 3 GG ins Spiel. Also quasi nachgeschaltet. Ohne Selbstbindung wäre der ja nicht verletzt und die Behörde hätte auch eine andere Entscheidung rechtmäßigerweise treffen können.

Den Verstoß gegen Grundrechte und Verfassungsprinzipien (Verhältmismäßigkeitsgrundsatz als Ausfluss aus dem Rechtsstaatsprinzip) würde ich persönlich immer bei den äußeren Ermessensgrenzen und bei der Ermessensüberschreitung verorten. Denn das Grundgesetz bildet immer die äußerste Grenze. Ich weiß, dass viele aber die Vhm. separat prüfen. Wurde in den Klausuren, die ich korrigiert habe, auch nie moniert vom Professor.

Im Endeffekt ist das ein dogmatisches Problem und m.E. sind die Grenzen da fließend. In der Praxis wird es nicht drauf ankommen wo man das verortet und auch in der Klausur würde ich dazu max. zwei Sätze schreiben. Wichtig ist aber m.E. dass man erkennen lässt, dass man weiß dass es äußere und innere Ermessensgrenzen gibt und das direkt am Gesetz festmacht. Welchen Ermessensfehler man dann am Ende feststellt, bzw. unter man welcher Fallgruppe den Fehler verortet, dürfte in den Fällen der Selbstbindung dann keine Rolle mehr spielen. Wobei mir wie gesagt der Ermessensfehlgebrauch dogmatisch richtiger erscheint :)
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Gelöschter Nutzer

Re: Ermessensfehlerlehre

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich danke für die ausführliche und hilfreiche Antwort.
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Schnitte
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Re: Ermessensfehlerlehre

Beitrag von Schnitte »

Und im Europarecht ist das alles wieder komplett anders.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

--- Offizialat Freiburg, NJW 1994, 3375
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