Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Honigkuchenpferd
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ich verstehe nicht so ganz, was dieser Link zur Diskussion beitragen soll. In dem Artikel geht es um das Strafbefehlsverfahren in der Schweiz. Das hat mit der hier diskutierten Thematik doch allenfalls ganz am Rande zu tun. Das Strafbefehlsverfahren existiert im Übrigen grundsätzlich auch in Deutschland, wenngleich mit einigen Unterschieden. So erlassen die Staatsanwaltschaften in der Schweiz ihre Strafbefehle selbst, während in Deutschland lediglich ein entsprechender Antrag gestellt werden kann, über den dann das Gericht entscheidet (vgl. § 408 StPO).
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Da diese auch über die Polizei delegiert werden, hat es meiner Meinung nach schon mit der Besorgnis zu tun, die Enigma hier vorbringt. Eine Verschlankung des Rechts, was die Effizienz erhöht und die Kosten senkt für den Staat, aber eben auch bedenkliche Rechtsunsicherheiten schafft.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

Nein, Enigma geht es um die Aufrechterhaltung des Status Quo teilweise aus einem diffusen Misstrauen gegenüber der Polizei, teilweise aus (berechtigter) Sorge um rechtlich fehlerträchtige Fälle (insoweit sei aber auf den geplanten § 163 Abs. 4 StPO hingewiesen), teilweise aus Gründen der "Einfachheit" für Zeugen ohne Zeugnisverweigerungsrecht, weil die künftig möglicherweise auch in Bagatellfällen bei der Polizei aussagen müssen, in denen bislang der StA lieber wegen Geringfügigkeit eingestellt hat, als selber Zeugen zu vernehmen.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:Nein, Enigma geht es um die Aufrechterhaltung des Status Quo teilweise aus einem diffusen Misstrauen gegenüber der Polizei
Ich halte mein Misstrauen gegenüber der Polizei nicht für diffus. Grundsätzliches Misstrauen gegenüber Polizei und anderen Autoritäten ist auch in einer Demokratie absolut vernünftig. Und zwar nicht, weil Polizisten insgeheim böse Faschisten wären, die Bürgern Schaden zufügen wollten. Sondern weil sie davon überzeugt sind, das Richtige zu tun und dabei nun mal hin und wieder gebremst werden müssen. Man sieht ja in der Praxis, wie häufig zB. willkürlich ohne richterlichen Beschluss wegen Gefahr im Verzug durchsucht oder in Vernehmungen unzulässiger Druck auf Zeugen und Beschuldigte aufgebaut wird. Das betrifft natürlich nicht alle Polizisten. Es handelt sich dabei aber auch nicht um derart krasse Einzelfälle, dass man sie ignorieren könnte.

Und da man das hier wohl ausdrücklich betonen muss: Natürlich halte ich die Polizei für eine absolut notwendige Institution und in der absoluten Mehrheit der Fälle gibt es an der Arbeit der Polizei überhaupt nichts auszusetzen. Ich persönlich habe als Bürger bisher immer nur positive Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Ich war allerdings auch noch nie Beschuldigter in einem Strafverfahren. Und als solcher würde ich mich gerade nicht darauf verlassen, von der Polizei fair behandelt zu werden.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

Es ist allerdings bemerkenswert, dass Du - wie auch in der Paralleldiskussion - die bestehenden Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Polizei nicht als ausreichend erachtest, sondern vielmehr dem Bürger das "Recht" geben möchtest, selbst zu entscheiden, ob er staatliche Maßnahmen für gerechtfertigt erachtet bzw. diese unterstützen möchte. So wichtig autoritätskritisches Denken auch sein mag, führt das doch recht schnell zu einer individuellen Beliebigkeit der Geltung der Rechtsordnung.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich sehe es ähnlich wie Enigma, weil ich eine fortgeschrittene parallele Entwicklung dazu in der Schweiz beobachte, wenn das Recht "vereinfacht" wird mit einer bedenklichen Einseitigkeit zugunsten der Justiz.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:Es ist allerdings bemerkenswert, dass Du - wie auch in der Paralleldiskussion - die bestehenden Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Polizei nicht als ausreichend erachtest, sondern vielmehr dem Bürger das "Recht" geben möchtest, selbst zu entscheiden, ob er staatliche Maßnahmen für gerechtfertigt erachtet bzw. diese unterstützen möchte.
So stimmt das ja nun grundsätzlich nicht. Der Bürger muss bei staatlichen Maßnahmen, die ihn zu einer bestimmten Handlung verpflichten, natürlich mitwirken und hat kein eigenes Prüfungsrecht. Hier geht es aber gerade um die Frage, ob die Tatsache, dass die Polizei einen Bürger vernehmen möchte, völlig ungeachtet von der Bedeutung der Sache oder des Zeugen für die Sache eine solche Pflicht begründen sollte. Da meine ich grundsätzlich nein. Es ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte des Bürgers, der gerechtfertigt sein muss. Die Entscheidung über die Begründung einer solchen Pflicht sollte bei der StA liegen und auf Fälle beschränkt sein, in denen das zur Aufklärung des Falls tatsächlich erforderlich ist. Das erkennt das Gesetz ja auch ausdrücklich an, indem es einen Auftrag der StA voraussetzt. Ich gehe nur wie gesagt davon aus, dass die Entscheidung in der Praxis dennoch faktisch auf die Polizei delegiert wird, weil dieser Antrag ein völlig nutzloser Formalismus ist.

Ich sehe übrigens ein, dass das nicht das stärkste Argument gegen die Neuregelung ist. Es ist ja aber auch nur eines von vielen ;)
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thh
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Das ist zumindest mein Hauptproblem. Eagnai dürfte Recht haben, dass die Polizei kein Interesse daran hat, wahllos Zeugen vorzuladen. Wenn die Polizei aber vorlädt und der Zeuge nicht erscheint, dürfte bereits das in der Regel ausreichen, um das Erscheinen durch die StA anordnen zu lassen und ich rechne wie gesagt nicht damit, dass die StA das dann noch großartig überprüft.
Nur im Hinblick darauf, ob es sich um eine "problematische" Vernehmung handelt, bei der besondere Rechtskenntnisse - bspw. im Hinblick auf bestehende Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrechte - bestehen oder sonst die Leitungsfunktion unmittelbar ausgeübt werden muss. In den Fällen erfolgt die Vernehmung dann durch die StA.

Das ist aber auch der Sinn der Sache - es gibt kein Recht des Zeugen, anhand der Bedeutung der Sache zu entscheiden, ob er sich vernehmen lassen will oder nicht.
[enigma] hat geschrieben:Denn ob es eine Pflicht gibt, in jedem Straf- oder Owi-Verfahren vor der Polizei auszusagen, hängt doch nur davon ab, ob das Gesetz eine solche Pflicht vorsieht oder nicht. Das Gesetz tat das bisher nicht und das hatte mE auch gute Gründe. Es gibt wie gesagt viele berechtigte und nachvollziehbare Interessen, die einen Zeugen davon abhalten können, zur polizeilichen Vernehmung zu gehen. Die Gefahr der Selbstbelastung, die Belastung nahestehender Personen, Verdienstausfall, etc. pp.
Das alles sind apokryphe Gründe ohne Relevant für das Strafverfahren. Und ja: gerade diesen soll die Neuregelung entgegenwirken. Das ist der explizite und begrüßenswerte Zweck.

Die Auffassung, es sei wünschenswert, dem Aufwand des Zeugen einen entsprechenden justiziellen Aufwand gegenüberzustellen, damit eine Zeugenvernehmung und damit die Aufklärung des Sachverhalts in Fällen unterhalb der mittleren Kriminalität vom guten Willen des Zeugen abhängt, finde ich - ehrlich gesagt - einigermaßen skurril.
[enigma] hat geschrieben:Dazu sitzt der Zeuge in der Vernehmung einem Profi gegenüber und wird gerade bei kleineren Sachen wohl nicht anwaltlich vertreten sein. Die Gefahr, dass die Zeugenaussage entweder falsch und für diesen äußerst ungünstig protokolliert oder unzulässig und schwer nachweisbar auf den Zeugen eingewirkt wird, besteht in der polizeilichen Vernehmung nun mal eher, als in der staatsanwaltlichen oder richterlichen Vernehmung, bei der halbwegs vernünftige Zeugen, für die irgend etwas auf dem Spiel steht, ohnehin einen Anwalt nehmen werden.
Zugestanden. Der Gesetzgeber geht aber davon aus, dass die Polizei grundsätzlich ihre Arbeit ebenso korrekt und rechtmäßig erledigt wie alle anderen Beteiligten auch. Täte er das nicht, wäre die Lösung auch kaum, die Teilnahme an Zeugenvernehmungen anders zu regeln, sondern vielmehr eine tiefgreifende Polizeireform.

Wenn es Dich beruhigt: nach meiner Erfahrung sind richterliche Protokolle häufiger sehr viel schlechter als polizeiliche, jedenfalls selten besser. Nicht jeder Richter kann (geschickt) vernehmen, und für die meisten ist eine richterliche Vernehmung offenbar (nachvollziehbarerweise) eher eine lästige Pflicht als Kern der Tätigkeit.
[enigma] hat geschrieben:Dass es Zeugen gibt, die kein derartiges Interesse haben und ihr Recht, nicht zu erscheinen dennoch wahrnehmen, muss man mE hinnehmen.
Ein solches - generelles - Recht gibt es nicht, und die (bislang) fehlende Pflicht, zu polizeilichen Vernehmungen zu erscheinen, hat nun wirklich nicht den Grund, dem Zeugen im Regelfall freizustellen, ob er aussagen möchte oder nicht.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben: Wie soll man da als Jugendlicher überhaupt noch Freundschaften aufbauen können? ;)
Der Gedanke, man könne als Jugendlicher nur Freundschaften aufbauen, wenn man Straftaten deckt, ist mir bisher - ehrlich gesagt - ebenfalls nicht gekommen.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von non-liquet »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich verstehe nicht so ganz, was dieser Link zur Diskussion beitragen soll. In dem Artikel geht es um das Strafbefehlsverfahren in der Schweiz. Das hat mit der hier diskutierten Thematik doch allenfalls ganz am Rande zu tun. Das Strafbefehlsverfahren existiert im Übrigen grundsätzlich auch in Deutschland, wenngleich mit einigen Unterschieden. So erlassen die Staatsanwaltschaften in der Schweiz ihre Strafbefehle selbst, während in Deutschland lediglich ein entsprechender Antrag gestellt werden kann, über den dann das Gericht entscheidet (vgl. § 408 StPO).
Jo, und in der Schweiz hat man auch das Unmittelbarkeitsprinzip im Hauptverfahren (bzw. dem dortigen Gegenstück) zurückgedrängt und legt das Ergebnis des Vorverfahrens zugrunde. Ebenso in den Niederlanden oder - wenn nicht gerade die Geschworenengerichte zuständig sind - in Frankreich. Das sind sicher alles voll die Unrechtsstaaten.
[enigma] hat geschrieben:
julée hat geschrieben:Es ist allerdings bemerkenswert, dass Du - wie auch in der Paralleldiskussion - die bestehenden Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Polizei nicht als ausreichend erachtest, sondern vielmehr dem Bürger das "Recht" geben möchtest, selbst zu entscheiden, ob er staatliche Maßnahmen für gerechtfertigt erachtet bzw. diese unterstützen möchte.
So stimmt das ja nun grundsätzlich nicht.
Dann interessiert es mich, was bitte das hier nach Deiner Meinung sein soll. Auch wieder eine begrüßenswerte Manifestation von Zivilcourage?
Der Bürger muss bei staatlichen Maßnahmen, die ihn zu einer bestimmten Handlung verpflichten, natürlich mitwirken und hat kein eigenes Prüfungsrecht. Hier geht es aber gerade um die Frage, ob die Tatsache, dass die Polizei einen Bürger vernehmen möchte, völlig ungeachtet von der Bedeutung der Sache oder des Zeugen für die Sache eine solche Pflicht begründen sollte.
Die Pflicht, als Zeuge in einem Strafverfahren auszusagen, ist jetzt aber nicht erst neu erfunden worden, sondern besteht seit Jahr und Tag - der Brennpunkt hier ist allein, dass sie auf die Vernehmung durch die Polizei erstreckt wird. Und es ist auch anders, als das hier zuweilen geglaubt zu werden scheint, keine freche Anmaßung der Polizei, an Zeugen heranzutreten und sie zur Aussage aufzufordern. Vielmehr ist sie dazu sogar gesetzlich verpflichtet (§ 163 I StPO).
Da meine ich grundsätzlich nein. Es ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte des Bürgers, der gerechtfertigt sein muss.
Diese Rechtfertigung heißt Zeugenpflicht, siehe oben. Davon gibt es in umgrenzten Fällen Ausnahmen, die der Gesetzgeber zum Schutz der Familie, der Religions- oder Berufsausübung oder der Selbstbelastungsfreiheit vorgesehen hat. Aus diesen rechtlichen Schutzräumen folgt aber kein Anspruch darauf, ansonsten Ermittlungsverfahren nach eigenem Gutdünken zu sabotieren, indem man sich weigert, der Aussagepflicht nachzukommen, weil gerade schönes Wetter ist o. ä. Das hat der Gesetzgeber hier verdeutlicht - was auch bitter nötig war, u. a., weil diese Verweigerungshaltung zusehends auch auf gerichtliche Ladungen überzugreifen beginnt.
Ich gehe nur wie gesagt davon aus, dass die Entscheidung in der Praxis dennoch faktisch auf die Polizei delegiert wird, weil dieser Antrag ein völlig nutzloser Formalismus ist.
Was hauptsächlich daran liegt, dass Du bar jeglicher Kenntnis der Realitäten sämtliche bislang angeführten Hinweise darauf, weshalb das gerade nicht so ist, schlicht ignorierst oder sie aufgrund von wild herbeiphantasierten Szenarien beiseiteschiebst. Ersteres hält Dir keiner vor, beim Rest brauchst Du Dich nicht darüber zu wundern, wenn da der Eindruck diffusen Misstrauens entsteht (das ist eher noch eine vorsichtige Umschreibung).
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Ich halte mein Misstrauen gegenüber der Polizei nicht für diffus. Grundsätzliches Misstrauen gegenüber Polizei und anderen Autoritäten ist auch in einer Demokratie absolut vernünftig.
Grundsätzliches Misstrauen (!) gegenüber anderen Menschen ist nie vernünftig, und ggü. "Autoritäten" ist es das noch weniger.
[enigma] hat geschrieben:Es handelt sich dabei aber auch nicht um derart krasse Einzelfälle, dass man sie ignorieren könnte.
Freilich. Auch die Begehung von Straftaten und das Hintergehen von Freunden sind aber alles andere als "krasse Einzelfälle".

Hältst Du ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen Menschen - Mitbürgern, Freunden, Familie - denn ernsthaft für sinnvoll?
[enigma] hat geschrieben:Und da man das hier wohl ausdrücklich betonen muss: Natürlich halte ich die Polizei für eine absolut notwendige Institution und in der absoluten Mehrheit der Fälle gibt es an der Arbeit der Polizei überhaupt nichts auszusetzen. Ich persönlich habe als Bürger bisher immer nur positive Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Ich war allerdings auch noch nie Beschuldigter in einem Strafverfahren. Und als solcher würde ich mich gerade nicht darauf verlassen, von der Polizei fair behandelt zu werden.
Seltsam. Ich schon. Ich würde auch grundsätzlich von einem Richter erwarten, dass er das Recht nicht beugt, von einem Strafverteidiger, dass er nicht mit der Mafia gemeinsame Sache macht, von einem Arzt, dass er keine Menschenversuche an mir durchführt ... bis zu Anhaltspunkten für das Gegenteil.

Ich halte diese Herangehensweise ehrlich gesagt auch für weitaus vernünftiger.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Wenn die Gesetzesänderung nun dazu führt, dass die Polizei bzw. StA zwar wichtige Zeugen bei nicht unerheblichen Straftaten zum Erscheinen zwingen, ansonsten aber sparsam mit dieser neuen Möglichkeit umgehen, habe ich damit weniger Probleme. Ich befürchte aber, dass es anders kommt und zukünftig schlichtweg jeder polizeilichen Vorladung nachgekommen werden muss.
Jeder berechtigten - natürlich! Genau das ist der Zweck der Neuregelung.
[enigma] hat geschrieben: Es ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte des Bürgers, der gerechtfertigt sein muss. Die Entscheidung über die Begründung einer solchen Pflicht sollte bei der StA liegen und auf Fälle beschränkt sein, in denen das zur Aufklärung des Falls tatsächlich erforderlich ist.
Freilich. Da sind wir uns einig.

Aber es geht Dir ja eigentlich nicht um die Frage, ob die Zeugenvernehmung zur Aufklärung des Falls erforderlich ist, sondern um eine Abwägung, sozusagen eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob eine erforderliche (!) Zeugenvernehmung angesichts der Bedeutung der Sache einer- und der Unannehmlichkeiten für den Zeugen andererseits durchgeführt werden soll oder nicht. Und eine solche Prüfung gibt es - jedenfalls außerhalb von solchen Bagatellen, dass ohnehin keine Ermittlungen erfolgen, wenn es denn solche Bagatellen gibt - eben nicht. Der Eingriff in die Freiheitsrechte des Bürgers rechtfertigt sich aus der Notwendigkeit, eine Tat aufzuklären, die so schwerwiegend ist, dass der Gesetzgeber sie mit Kriminalstrafe bedroht hat.

(Freilich gibt es auch da Ausnahmefälle - man wird kaum einen Zeugen aus Hamburg in München antanzen lassen, weil er etwas zu einem Graffitto mit Schaden von ein paar Euro sagen kann. Den vernimmt man im Gegenteil schon jetzt dann eben in Hamburg.)
Zuletzt geändert von thh am Montag 26. Juni 2017, 19:08, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

thh hat geschrieben:Ich würde auch grundsätzlich von einem Richter erwarten, dass er das Recht nicht beugt, von einem Strafverteidiger, dass er nicht mit der Mafia gemeinsame Sache macht, von einem Arzt, dass er keine Menschenversuche an mir durchführt ... bis zu Anhaltspunkten für das Gegenteil.
Vielleicht sind weniger diese krassen Dinge zu befürchten als die Möglichkeit, einer alltäglichen Nachlässigkeit oder einem Fehlverhalten aus Bequemlichkeit oder Unverstand zum Opfer zu fallen.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

Urs Blank hat geschrieben:
thh hat geschrieben:Ich würde auch grundsätzlich von einem Richter erwarten, dass er das Recht nicht beugt, von einem Strafverteidiger, dass er nicht mit der Mafia gemeinsame Sache macht, von einem Arzt, dass er keine Menschenversuche an mir durchführt ... bis zu Anhaltspunkten für das Gegenteil.
Vielleicht sind weniger diese krassen Dinge zu befürchten als die Möglichkeit, einer alltäglichen Nachlässigkeit oder einem Fehlverhalten aus Bequemlichkeit oder Unverstand zum Opfer zu fallen.
Einverstanden.

Dennoch gehe ich auch nicht grundsätzlich von vornherein davon aus, dass mein Gegenüber nachlässig, bequem oder unverständig sein wird.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

thh hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Ich halte mein Misstrauen gegenüber der Polizei nicht für diffus. Grundsätzliches Misstrauen gegenüber Polizei und anderen Autoritäten ist auch in einer Demokratie absolut vernünftig.
Grundsätzliches Misstrauen (!) gegenüber anderen Menschen ist nie vernünftig, und ggü. "Autoritäten" ist es das noch weniger.
Da unterscheiden wir uns wohl tatsächlich ganz gewaltig. Misstrauen ist gegenüber Fremden (und natürlich auch Autoritäten) der ganz normale Ausgangszustand. Das Gegenteil (Vertrauen) muss erstmal erarbeitet werden. Deshalb braucht man ja auch Verträge, Türschlösser und geheime PIN Nummern. Das bedeutet natürlich nicht, dass man fremden Menschen (und Autoritäten) keinen Respekt entgegen bringen kann und sollte.
[enigma] hat geschrieben:Es handelt sich dabei aber auch nicht um derart krasse Einzelfälle, dass man sie ignorieren könnte.
Freilich. Auch die Begehung von Straftaten und das Hintergehen von Freunden sind aber alles andere als "krasse Einzelfälle".

Hältst Du ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen Menschen - Mitbürgern, Freunden, Familie - denn ernsthaft für sinnvoll?
Gegenüber Freunden und Familie natürlich nicht, in diesen Beziehungen existiert ja dezidiertes Vertrauen, also das Gegenteil von Misstrauen. Ich vertraue der Polizei auch insofern, dass sie ihre Macht als Institution nicht bewusst zum eigenen Vorteil missbraucht, tatsächlich leben wir diesbezüglich in Deutschland in einem sehr freien und fortschrittlichen Staat. Ich traue der Polizei aber absolut zu, bei der Verfolgung von Straftaten gerne mal die gebotene Objektivität zu verlieren und die berechtigten Interessen von Zeugen oder Beschuldigten nicht zu beachten. Ich behaupte auch nicht mal, dass mir das als Polizist nicht auch passieren würde. Deshalb braucht man aber Regeln und klar definierte Befugnisse für die Polizei. Und ich halte eben nichts davon, diese Befugnisse zu erweitern, nur weil die Justiz gerade überlastet ist.
[enigma] hat geschrieben:
Seltsam. Ich schon. Ich würde auch grundsätzlich von einem Richter erwarten, dass er das Recht nicht beugt, von einem Strafverteidiger, dass er nicht mit der Mafia gemeinsame Sache macht, von einem Arzt, dass er keine Menschenversuche an mir durchführt ... bis zu Anhaltspunkten für das Gegenteil.

Ich halte diese Herangehensweise ehrlich gesagt auch für weitaus vernünftiger.
Ein Richter wird in der Regel wissen, wo die Grenze zur Rechtsbeugung liegt. Vor allem wird er erkennen, dass sich ein Fehlverhalten nachteilig auf den Prozessverlauf auswirken kann. Einem Polizisten geht es erstmal nur um die Ermittlung bzw. Überführung des Beschuldigten. Der spult inklusive Belehrungspflichten das Programm ab, das er auf der Polizeischule gelernt hat und setzt die Häkchen an der entsprechenden Stelle im Formular. Zumindest die Polizisten, mit denen ich bisher gesprochen habe, könnten aber auch ganz gut ohne diesen formalen Kram leben.
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