Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Ich glaub ich hab ein neues Lieblingsurteil, was zwar nicht mehr ganz frisch ist, aber irgendwie von mir nicht beachtet wurde: BGH 3 StR 447/16

Es fängt schön gut an, wobei das sicher mal häufiger vorkommt:

Der Verteidiger beantragt eine Fristverlängerung für die Revisionsbegründung beim Vorsitzenden Richter am Landgericht . Soweit mag man noch darüber schmunzeln.

Das Besondere: Der Vertreter des Vorsitzenden Richter am Landgericht hat tatsächlich eine Fristverlängerung gewährt.

Komischerweise, man kann es sich kaum erklären, hat der zuständige Richter die Revision dann aber verworfen hat, da keine rechtzeitig Begründung erfolgte.

Es gab aber ein Happy End: Wie immer im Strafrecht, wird das Verteidigerverhalten nicht zugerechnet. Oder wie der BGH es formuliert: "Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der "Rechtsschein" der unzulässigen Verlängerung durch das an den rechtskundigen Verteidiger gerichtete Schreiben beseitigt wurde und dieser nicht weiter hätte belehrt werden müssen: Denn damit würde dem Angeklagten zu seinen Lasten zugerechnet, dass die Rechtskenntnisse seines Verteidigers nicht besser waren als die des zur Vertretung des Vorsitzenden eingesetzten Richters am Landgericht"

Mich würde ja mal interessieren, wie so das Gespräch aussah, als der Richter seine Urlaubsvertretung drauf angesprochen hatte...
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
markus87
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von markus87 »

"Aber ich sollte doch Ihre Post unterschreiben, haben Sie gesagt "

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Urs Blank
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

Der Bundeswahlleiter erstattet Anzeige wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses. Es droht sogar Gefängnis, im Fall von Micaela Schäfer wohl der sog. Frauenknast:

https://www.welt.de/politik/deutschland ... isses.html

Was aber den § 107c StGB angeht, sehe ich Raum für saftige Meinungsstreits (vgl. Zimmermann, ZIS 2011, 982, 990).
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Salisa »

Urs Blank hat geschrieben:Der Bundeswahlleiter erstattet Anzeige wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses. Es droht sogar Gefängnis, im Fall von Micaela Schäfer wohl der sog. Frauenknast:

https://www.welt.de/politik/deutschland ... isses.html

Was aber den § 107c StGB angeht, sehe ich Raum für saftige Meinungsstreits (vgl. Zimmermann, ZIS 2011, 982, 990).
Was ist der Schutzzweck von § 56 II 2 BWG? Vielleicht sollte ich mal in die Drucksache schauen.
Ich verstehe und befürworte das Recht auf geheime Wahl. Aber die Pflicht?

Wo ist der Unterschied, ob ich ein Bild davon in der Kabine mache oder davor mit der Unterschrift"Habe 2x CDU gewählt".
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Ohne den Aufsatz gelesen zu haben: Meines Erachtens ist der Straftatbestand schon nach dem Wortlaut nicht erfüllt, weil „wie jemand gewählt hat“ nicht durch das Foto eines Wahlzettels zur Kenntnis gelangen kann. „Wählen“ ist nicht das Ankreuzen, sondern das Einwerfen/Abschicken. Niemand weiß, ob der Wahlzettel überhaupt abgeschickt wurde.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Justitian
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Justitian »

Das ist ja eher eine tatsächliche Frage, die es dann in der Hauptverhandlung zu klären gilt.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Justitian hat geschrieben:Das ist ja eher eine tatsächliche Frage, die es dann in der Hauptverhandlung zu klären gilt.
Naja es ist ein Umstand der unaufklärbar scheint und daher es gar nicht zu einer Hauptverhandlung kommen kann.

Selbst wenn ich nachschaue, ob die eidesstattliche Versicherung abgegeben wurde (wo man erstmal klären muss, ob man die Information überhaupt verwerten darf oder ob sie nicht auch unter Wahlgeheimnis fällt, ich vermute Letzteres), ist noch immer nicht gesagt, dass der Wahlumschlag nicht leer war.

Von daher scheint mir das Ganze relativ erfolglos zu sein.
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Justitian
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Justitian »

Warum sollte der Wahlumschlag leer sein?
Ich halte es für gut möglich, dass das Gericht auch so zu der Überzeugung kommt, dass gewählt wurde. Warum sollte jemand, der öffentlich die Bedeutung der Wahl betont, Wahlunterlagen bestellen, diese ausfüllen und dann nicht absenden?

Ich frage mich gerade, was wäre, wenn die Beschuldigte glaubhaft ausführen würde, sie habe CDU wieder wegradiert und dann doch FDP gewählt. Würde das den Tatbestand entfallen lassen? "Wie jemand gewählt hat" spricht wohl eher dagegen.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Justitian hat geschrieben:Warum sollte der Wahlumschlag leer sein?
Ich halte es für gut möglich, dass das Gericht auch so zu der Überzeugung kommt, dass gewählt wurde. Warum sollte jemand, der öffentlich die Bedeutung der Wahl betont, Wahlunterlagen bestellen, diese ausfüllen und dann nicht absenden?
Das ist aber doch unter keinem Umstand irgendwie revisionsfest zu begründen? Zumindest nicht bei nem schweigenden Angeklagten. Das Abschicken eines leeren Wahlumschlages ist eine denkbare und nicht fernliegende Alternative. Insbesondere, wenn jemand bedroht wurde und deswegen ein Foto gemacht hat.

Aber wie gesagt, ich gehe schon davon aus, dass ein Zugriff auf die eidesstattliche Versicherungen/Wahlregister nicht erfolgen darf. Von daher kann gar nicht festgestellt werden, ob überhaupt irgendwas (ob leer oder nicht) zurückgeschickt wurde.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ara hat geschrieben:Ohne den Aufsatz gelesen zu haben: Meines Erachtens ist der Straftatbestand schon nach dem Wortlaut nicht erfüllt, weil „wie jemand gewählt hat“ nicht durch das Foto eines Wahlzettels zur Kenntnis gelangen kann. „Wählen“ ist nicht das Ankreuzen, sondern das Einwerfen/Abschicken. Niemand weiß, ob der Wahlzettel überhaupt abgeschickt wurde.
Und was ist, wenn die Aufsichtsperson an der Urne, nachdem ich auf meinem Stimmzettel das bzw die Kreuzchen gemacht habe, mal eben den Wahlzettel zur "Nachschau" haben möchte? Vielleicht sagt sie mir auch, sie möchte nur sicherstellen, dass der Stimmzettel auch wirksam ist? Ist der Tatbestand dann auch nicht verwirklicht, weil ich ja noch gar nicht gewählt habe? Hängt die Tatbestandsmäßigkeit davon ab, ob ich den Stimmzettel später noch einwerfe?

Insofern dürfte doch wohl eher der gesamte Wahlvorgang erfasst sein (der natürlich auch das Ausfüllen des Stimmzettels umfasst), und die Frage ist nur, an wen sich § 107c StGB richtet und wessen Interessen die Norm dient.
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tibor »

Welche den Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift des BWahlG soll denn verletzt sein, wenn ich mich bei der Briefwahl fotografieren lasse? Oder soll sich das aus Art 38 GG (geheim) unmittelbar ergeben? Aber das ist ja das Wahlgeheimnis selbst und keine Vorschrift zum Schutz des Wahlgeheimnisses.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Die Diskussion geht hier mE ohnehin ziemlich am eigentlichen Punkt vorbei. Das maßgebliche Verbot, das zu einer Strafbarkeit nach § 107c StGB führen könnte, findet sich in der Bundeswahlordnung (§ 56 II 2) und bezieht sich nur auf die Stimmabgabe in der Kabine. Für die Briefwahl gibt es eine entsprechende Regelung nicht.
§ 56 Stimmabgabe

(2) Der Wähler begibt sich in die Wahlkabine, kennzeichnet dort seinen Stimmzettel und faltet ihn dort in der Weise, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist. In der Wahlkabine darf nicht fotografiert oder gefilmt werden. Der Wahlvorstand achtet darauf, dass sich immer nur ein Wähler und dieser nur so lange wie notwendig in der Wahlkabine aufhält.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Honigkuchenpferd »

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Tobias__21
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Salisa hat geschrieben:
Urs Blank hat geschrieben:Der Bundeswahlleiter erstattet Anzeige wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses. Es droht sogar Gefängnis, im Fall von Micaela Schäfer wohl der sog. Frauenknast:

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Die Geheimheit der Wahl ist nicht nur ein Recht, sondern ein umfassendes Gebot. Es MUSS also geheim gewählt werden. Erfasst ist davon nicht nur die Stimmabgabe selbst, sondern auch die Vorbereitung der Stimmabgabe.
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tibor »

Habs: § 66 Abs 3 BWO!
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