Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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thh
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Ein Richter wird in der Regel wissen, wo die Grenze zur Rechtsbeugung liegt. Vor allem wird er erkennen, dass sich ein Fehlverhalten nachteilig auf den Prozessverlauf auswirken kann. Einem Polizisten geht es erstmal nur um die Ermittlung bzw. Überführung des Beschuldigten. Der spult inklusive Belehrungspflichten das Programm ab, das er auf der Polizeischule gelernt hat und setzt die Häkchen an der entsprechenden Stelle im Formular. Zumindest die Polizisten, mit denen ich bisher gesprochen habe, könnten aber auch ganz gut ohne diesen formalen Kram leben.
Nun ja, bei den meisten Polizeibeamten - manche Länder stellen ja sogar nur noch in den gehobenen Dienst ein - ist die "Polizeischule" ein Studium und insofern nicht wesensmäßig anders als die "Richterschule". :) Und wer weiß wie viele Richter auch ganz gut ohne formalen Kram nur nach ihrem Judiz entscheiden könnten, wenn sie denn nur dürften ... ;)
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[enigma]
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

Ja, der Richter muss sich dann aber in den meisten Fällen immerhin noch mit einem Verteidiger auseinandersetzen, der Polizist in der Regel nicht.

Jedenfalls bin ich von der StPO-Reform ja auch ganz grundsätzlich enttäuscht, die Vorladungssache ist da mit Abstand noch das geringste Problem. Es geht fast ausschließlich um die Erweiterung von Befugnissen des Gerichts oder der StA, teilweise auf möglicherweise verfassungswidrige Weise (zB. Staatstrojaner). Verteidigungsrechte, für die schon seit Jahren geworben wird, werden entweder nur halbherzig (opening statement) oder gar nicht (eigenes Antragsrecht bei §§ 140 ff. StPO) umgesetzt.
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Tibor
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Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tibor »

[enigma] hat geschrieben: Da unterscheiden wir uns wohl tatsächlich ganz gewaltig. Misstrauen ist gegenüber Fremden (und natürlich auch Autoritäten) der ganz normale Ausgangszustand. Das Gegenteil (Vertrauen) muss erstmal erarbeitet werden.
Besser konntest du es nicht zusammenfassen; freilich gibt's du hier zu erkennen, dass dir wesentliche Aspekte einer Sozialgesellschaft abgehen. Es gehört zu den Grundfesten einer Gesellschaft, dass man grds darauf vertraut, dass die anderen sich entsprechend der vereinbarten Normen verhalten. Es gibt leider immer wieder Ausnahmen, deshalb ja eben auch Strafandrohungen und Verfolgungsauftrag. Gerade eine funktionierende Polizei und Justiz sind Grundfeste dieses Vertrauens. Die ganze Gesellschaft beruht eben darauf, dass man von grds Rechtstreue aller anderen ausgeht. Ich fahre bspw im Verkehr nie mit generellem Misstrauen, dass jederzeit mir ein Geisterfahrer entgegenkommt oder ein Abbieger die Vorfahrt missachtet. Das wäre Irrsinn, denn der gesamte Verkehr käme zum Erliegen, wenn jeder dem anderen Teilnehmer mit Argwohn begegnen würde. Auch gehe ich nicht davon aus, dass jede mir entgegenkommende Jugendgruppe am Bahnhof gleich mit dem Messer die Kehle durchschneiden will; selbst wenn ich angesprochen werde, gehe ich grds davon aus, dass ich von Touristen nach dem Weg gefragt werde o.ä.; läufst du etwa immer mit griffbereitem Butterfly in der Hosentasche rum? Wenn ja, solche Leute wie du, vor denen muss die Gesellschaft Angst haben. Worin liegt diese Einstellung begründet? In der Kenntnisnahme singulärer Fälle? Man stelle sich nur vor, jeder Polizist, Staatsanwalt Strafrichter würde wegen seinen täglichen Erfahrungen von Rechtsbruch mit der Erwartung durch den Tag gehen, dass überall Rechtsbrecher auflauern. Ein beängstigendes Bild. Achso, und die Tür schließen wir zu, weil der Schaden, den ein einzelner Rechtsbrecher verursachen kann, immens ist. Aus diesem Grund haben wir auch Versicherungen gegen Autounfälle und Diebstahl. Aus dem Grund des grundsätzlichen Vertrauens heraus wohnen bei uns aber auch die wenigsten Menschen in gated communities, haben Mauern ums Haus, Videokameras und Dobermänner im Garten oder gleich einen Muskelmann hinter der Gartenpforte.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Wie sagt man so schön: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. So viel gesundes Misstrauen sollte jeder mündige Bürger haben, dass er auch Kontrollorgane kontrolliert haben will. Ich finde Enigmas Haltung nicht nur verständlich, sondern ubabdingbar. Mein Respekt vor so viel Scharfsinn!
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[enigma]
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

Tibor hat geschrieben: Ich fahre bspw im Verkehr nie mit generellem Misstrauen, dass jederzeit mir ein Geisterfahrer entgegenkommt oder ein Abbieger die Vorfahrt missachtet.
Ein guter Autofahrer fährt so, dass er nach Möglichkeit ständig auf ein Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer reagieren kann. Gesundes Misstrauen im Sinne von Vorsicht bedeutet nicht Angst und bedeutet wie gesagt auch nicht Respektlosigkeit.
Tibor hat geschrieben: Das wäre Irrsinn, denn der gesamte Verkehr käme zum Erliegen, wenn jeder dem anderen Teilnehmer mit Argwohn begegnen würde. Auch gehe ich nicht davon aus, dass jede mir entgegenkommende Jugendgruppe am Bahnhof gleich mit dem Messer die Kehle durchschneiden will; selbst wenn ich angesprochen werde, gehe ich grds davon aus, dass ich von Touristen nach dem Weg gefragt werde o.ä.; läufst du etwa immer mit griffbereitem Butterfly in der Hosentasche rum? Wenn ja, solche Leute wie du, vor denen muss die Gesellschaft Angst haben. Worin liegt diese Einstellung begründet? In der Kenntnisnahme singulärer Fälle? Man stelle sich nur vor, jeder Polizist, Staatsanwalt Strafrichter würde wegen seinen täglichen Erfahrungen von Rechtsbruch mit der Erwartung durch den Tag gehen, dass überall Rechtsbrecher auflauern. Ein beängstigendes Bild. Achso, und die Tür schließen wir zu, weil der Schaden, den ein einzelner Rechtsbrecher verursachen kann, immens ist. Aus diesem Grund haben wir auch Versicherungen gegen Autounfälle und Diebstahl. Aus dem Grund des grundsätzlichen Vertrauens heraus wohnen bei uns aber auch die wenigsten Menschen in gated communities, haben Mauern ums Haus, Videokameras und Dobermänner im Garten oder gleich einen Muskelmann hinter der Gartenpforte.
Du hast mich offensichtlich missverstanden. Die Bereitschaft, anderen Menschen Vertrauen entgegen zu bringen ist geringer, je wichtiger und potenziell gefährlicher die Situation für mich selbst ist. Wenn mich jemand auf der Straße anspricht, mache ich natürlich nicht das Butterfly Messer auf, ich habe nichtmal eins, keine Sorge ;) Ich würde aber auch einem guten Freund nicht meine Kontodaten mitsamt PIN überlassen oder Blankovollmachten geben.

Und um wieder auf den Punkt zurückzukommen, um den es eigentlich geht: Ich würde mich als Beschuldigter ganz sicher nicht darauf verlassen, dass mich die Polizei in meiner Vernehmung fair und unvoreingenommen vernimmt und sich im Protokoll - auf welche Weise auch immer - keine Unrichtigkeiten einschleichen können, die mir später schaden. Ich werde mich auch ganz sicher nicht darauf verlassen, dass ich zB. vor einem Bundestrojaner sicher bin, weil ich nichts zu verbergen habe. Wer das macht, ist in meinen Augen völlig naiv. Dann bräuchte man übrigens keine Strafverteidiger mehr. Denn der Richter ist ja bekanntlich unabhängig und die StA die objektivste Behörde der Welt. Was kann dem Angeklagten, insbesondere dem Unschuldigen, also schon großartig passieren?
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Nicht nur dem Fremden sollte ein gesundes Misstrauen entgegen gebracht werden, der Missbrauch fängt schon in der Familie an, wo man es nicht erwartet. Deshalb braucht es darüber Kontrollorgane, die eine Schutzfunktion einnehmen (z. B. Lehrer). Dasselbe gilt für den Staat: Wir wissen alle, dass gerade die Justiz anfällig ist für Ideologien aller Art. Ein gesundes Misstrauen sorgt für gegenseitige Kontrolle und Optimierung.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

Candor hat geschrieben:Wie sagt man so schön: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. So viel gesundes Misstrauen sollte jeder mündige Bürger haben, dass er auch Kontrollorgane kontrolliert haben will. Ich finde Enigmas Haltung nicht nur verständlich, sondern ubabdingbar. Mein Respekt vor so viel Scharfsinn!
Nein, Enigma will nicht allein Kontrollorgane kontrolliert haben (dass dies geschehen muss, stellt hier sicherlich niemand in Abrede), sondern er will diese "Kontrolle" dem einzelnen Bürger überlassen, der nach Belieben entscheiden können soll, ob er es für richtig hält, was der Staat und insbesondere die Polizei so treibt.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von non-liquet »

Candor hat geschrieben:Wie sagt man so schön: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. So viel gesundes Misstrauen sollte jeder mündige Bürger haben, dass er auch Kontrollorgane kontrolliert haben will.
Gute Idee! Wir müssen unbedingt Gerichte einführen! Ach so, die gibt es ja schon...
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tibor »

[enigma] hat geschrieben: Und um wieder auf den Punkt zurückzukommen, um den es eigentlich geht: Ich würde mich als Beschuldigter ganz sicher nicht darauf verlassen, dass mich die Polizei in meiner Vernehmung fair und unvoreingenommen vernimmt und sich im Protokoll - auf welche Weise auch immer - keine Unrichtigkeiten einschleichen können, die mir später schaden. ...
Wir reden schon über Zeugenvernehmungen, oder? Und ja, ich habe schon mindestens zwei Zeugenvernehmungen bei der Polizei gehabt, ich hatte nicht das Gefühl, das mich jemand in die Pfanne hauen wollte oder mir sonst was in den Mund legen wollte. Und solche Protokolle kann man i.d.R. lesen, bevor man sie unterschreibt. Oder man unterschreibt sie nicht. Oder man korrigiert sie.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:
Candor hat geschrieben:Wie sagt man so schön: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. So viel gesundes Misstrauen sollte jeder mündige Bürger haben, dass er auch Kontrollorgane kontrolliert haben will. Ich finde Enigmas Haltung nicht nur verständlich, sondern ubabdingbar. Mein Respekt vor so viel Scharfsinn!
Nein, Enigma will nicht allein Kontrollorgane kontrolliert haben (dass dies geschehen muss, stellt hier sicherlich niemand in Abrede), sondern er will diese "Kontrolle" dem einzelnen Bürger überlassen, der nach Belieben entscheiden können soll, ob er es für richtig hält, was der Staat und insbesondere die Polizei so treibt.
Nein, die Pflichten der Bürger müssen klar und eindeutig geregelt sein und diesen Pflichten müssen die Bürger auch dann nachkommen, wenn sie das nicht für richtig halten. Hier geht es aber um die Frage, in welchem Umfang solche Pflichten bestehen sollten, das ist doch ein ganz anderes Thema.

Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das hier mal klarstellen müsste, aber ich bin sehr froh darüber, in einem Rechtsstaat und insbesondere Deutschland zu leben. Im Verglich zu vielen anderen, auch europäischen Ländern, funktionieren Justiz und Polizei hier sehr gut und es gibt nur wenig Willkür und Machtmissbrauch. Das liegt mE aber gerade auch an dem ausdifferenzierten System und der Kompetenzverteilung auf verschiedene Behörden, auch im Strafverfahren. Das sollte bitte auch so bleiben, beziehungsweise die dennoch bestehenden Unzulänglichkeiten sollten nach Möglichkeit beseitigt werden. Außerhalb der Gefahrenabwehr hat die Polizei nur sehr stark beschränkte Befugnisse gegenüber den Bürgern, und das aus gutem Grund. Ich halte es für falsch, diese Befugnisse nach und nach zu erweitern, weil die Justiz überlastet ist. Von der Vorladungssache geht jetzt die Welt nicht unter, aber es ist ein Beispiel für eine grundsätzlich falsche Entwicklung.
Zuletzt geändert von [enigma] am Montag 26. Juni 2017, 22:16, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

Candor hat geschrieben:Wie sagt man so schön: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. So viel gesundes Misstrauen sollte jeder mündige Bürger haben, dass er auch Kontrollorgane kontrolliert haben will.
Das ist einerseits völlig unstrittig und andererseits nicht das Thema.

Woher kommen eigentlich immer diese Platitüden und Allgemeinplätze, die wenig zur Sache beitragen?
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

Tibor hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben: Und um wieder auf den Punkt zurückzukommen, um den es eigentlich geht: Ich würde mich als Beschuldigter ganz sicher nicht darauf verlassen, dass mich die Polizei in meiner Vernehmung fair und unvoreingenommen vernimmt und sich im Protokoll - auf welche Weise auch immer - keine Unrichtigkeiten einschleichen können, die mir später schaden. ...
Wir reden schon über Zeugenvernehmungen, oder? Und ja, ich habe schon mindestens zwei Zeugenvernehmungen bei der Polizei gehabt, ich hatte nicht das Gefühl, das mich jemand in die Pfanne hauen wollte oder mir sonst was in den Mund legen wollte. Und solche Protokolle kann man i.d.R. lesen, bevor man sie unterschreibt. Oder man unterschreibt sie nicht. Oder man korrigiert sie.
Meine ursprüngliche Aussage, mit der wir zum Thema Vertrauen/Misstrauen kamen war, dass ich als Beschuldigter nicht auf die Unvoreingenommenheit der Polizei vertrauen würde. Als Zeuge habe ich selbst schon bei der Polizei wegen eines Verkehrsunfalls ausgesagt. Die Wahrscheinlichkeit, hier unfair behandelt zu werden, ist bei tatsächlich nicht in die Sache involvierten Zeugen natürlich sehr viel geringer als bei Beschuldigten. Und die "unfaire Behandlung" von Beschuldigten muss ja nicht mal einer bösen Absicht geschuldet sein. Polizisten erliegen nun mal hin und wieder einem gewissen Ermittlungseifer, der gebremst werden muss. Und das funktioniert nicht, indem man die Aufsicht der StA über die Polizei auf einen reinen Formalismus beschränkt.

Und klar kann man das Protokoll lesen und ggfs. korrigieren. Die wenigsten von der Polizei vernommenen Zeugen haben aber Jura studiert oder auch nur Abitur bzw. Geld, einen Anwalt zu bezahlen.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das hier mal klarstellen müsste, aber ich bin sehr froh darüber, in einem Rechtsstaat und insbesondere Deutschland zu leben. Im Verglich zu vielen anderen, auch europäischen Ländern, funktionieren Justiz und Polizei hier sehr gut und es gibt nur wenig Willkür und Machtmissbrauch.
Und ich hätte nicht mehr gedacht, dass ich einmal so vollumfänglich mit Dir einer Meinung sein würde. :-)
[enigma] hat geschrieben:Das liegt mE aber gerade auch an dem ausdifferenzierten System und der Kompetenzverteilung auf verschiedene Behörden, auch im Strafverfahren. Das sollte bitte auch so bleiben. Außerhalb der Gefahrenabwehr hat die Polizei nur sehr stark beschränkte Befugnisse gegenüber den Bürgern, und das aus gutem Grund. Ich halte es für falsch, diese Befugnisse nach und nach zu erweitern, weil die Justiz überlastet ist.
Auch da sind wir uns einig.

Ich stand der Möglichkeit, eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung quasi auf die Polizei zu delegieren, lange zwiespältig gegenüber. Einerseits lässt es die Arbeitsbelastung kaum zu, regelmäßig irgendwelche Vernehmungen selbst zu führen, insbesondere dann, wenn es dafür keinen Sachgrund gibt (so gerne ich das inzwischen mache). Andererseits möchte ich nicht Hinz und Kunz (ja, ich habe da sehr konkrete Personen im Auge) die Möglichkeit geben, nach Belieben Vernehmungen zu erzwingen - mit der Befugnis, verbindlich zu laden, ist ja immer auch die Befugnis verbunden, beim Nichterscheinen zum nächsten Termin vorzuführen (was gerne übersehen wird und deutlich relevanter ist als die Verhängung eines Ordnungsgeldes, auf die ich dann immer verzichtet habe). Damit ist durchaus eine besondere Verantwortung verbunden.

Die jetzige Regelung finde ich daher ganz gut gelungen, weil die Kontrolle über die Erscheinens- und Aussagepflicht mit allen Konsequenzen bei der Staatsanwaltschaft bleibt und davon - hoffentlich - entsprechend zurückhaltend und mit Augenma0 Gebrauch gemacht wird. Die Möglichkeit, in geeigneten Fällen die Polizei mit einer Vernehmung zu beauftragen, bei der dann eine Pflicht zum Erscheinen und zur Aussage besteht, finde ich in der Praxis jedenfalls sehr wichtig.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von [enigma] »

thh hat geschrieben:
Ich stand der Möglichkeit, eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung quasi auf die Polizei zu delegieren, lange zwiespältig gegenüber. Einerseits lässt es die Arbeitsbelastung kaum zu, regelmäßig irgendwelche Vernehmungen selbst zu führen, insbesondere dann, wenn es dafür keinen Sachgrund gibt (so gerne ich das inzwischen mache). Andererseits möchte ich nicht Hinz und Kunz (ja, ich habe da sehr konkrete Personen im Auge) die Möglichkeit geben, nach Belieben Vernehmungen zu erzwingen - mit der Befugnis, verbindlich zu laden, ist ja immer auch die Befugnis verbunden, beim Nichterscheinen zum nächsten Termin vorzuführen (was gerne übersehen wird und deutlich relevanter ist als die Verhängung eines Ordnungsgeldes, auf die ich dann immer verzichtet habe). Damit ist durchaus eine besondere Verantwortung verbunden.
Da sind wir uns tatsächlich einig ;) Und auch wenn es zu Beginn vielleicht so klang, habe ich als Bürger natürlich auch kein Interesse an einer überlasteten und nicht funktionsfähigen Justiz. Wenn für erforderlich gehaltene Ermittlungsmaßnahmen aus personellen Gründen nicht durchgeführt werden können, ist das ein Problem. Aber dann muss man halt aufstocken. Und dafür müsste man nicht mal die Notenanforderungen senken und jeden einstellen, der irgendwie das Examen schafft. Es würde schon reichen, den Staatsdienst generell attraktiver für die guten Juristen zu machen.
thh hat geschrieben:Die jetzige Regelung finde ich daher ganz gut gelungen, weil die Kontrolle über die Erscheinens- und Aussagepflicht mit allen Konsequenzen bei der Staatsanwaltschaft bleibt und davon - hoffentlich - entsprechend zurückhaltend und mit Augenma0 Gebrauch gemacht wird. Die Möglichkeit, in geeigneten Fällen die Polizei mit einer Vernehmung zu beauftragen, bei der dann eine Pflicht zum Erscheinen und zur Aussage besteht, finde ich in der Praxis jedenfalls sehr wichtig.
Solange sich die Praxis dann tatsächlich auf die geeigneten Fälle beschränkt, hätte ich damit auch kein Problem. Ich sehe wie gesagt nur das Risiko, dass die Initiative dann in den meisten Fällen von der Polizei ausgeht und die StA nur noch abnickt.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

[enigma] hat geschrieben:Solange sich die Praxis dann tatsächlich auf die geeigneten Fälle beschränkt, hätte ich damit wie gesagt auch kein Problem. Ich sehe wie gesagt nur das Risiko, dass die Initiative dann in den meisten Fällen von der Polizei ausgeht und die StA nur noch abnickt.
Für die wirklich problematischen Fälle lohnt sich der Blick in § 163 IV StPO n. F. - und im Übrigen ist es doch unerheblich, ob die Polizei irgendetwas vorschlägt, solange die StA die Sachentscheidung zu verantworten hat - was sicherlich mehr als ein reines Abnicken voraussetzt, insbesondere mit auf die Prüfung nach § 163 IV.
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