Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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julée
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

"Äußerer Ablauf" dürfte aber auch beinhalten, wann welcher Zeuge gehört wird usw. Selbst wenn das Gericht in der Frage das letzte Wort behält, kann man es vermutlich als Konfliktverteidiger bereits in dem Stadium latent wahnsinnig machen, um damit auch gleich die erste Runde Befangenheitsanträge eröffnen zu können. Und "abstimmen" ist doch mehr als "Gelegenheit zur Stellungnahme" oder "Berücksichtigung" der Interessen und Anregungen der Verfahrensbeteiligten.

Jedenfalls in Zivilsachen ist es äußerst nützlich bei langwierigen Terminsfindungsschwierigkeiten ("in den nächsten 3 Monaten nur am (Nichtsitzungstag) zwischen 11 und 12 Uhr."), irgendwann doch den § 227 Abs. 2 ZPO bemühen und für vorgebliche Verhinderungen eine Glaubhaftmachung fordern zu können; das erhöht die Verfügbarkeit meist drastisch.
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Eagnai
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Eagnai »

Urs Blank hat geschrieben:
Eagnai hat geschrieben:Wobei es hier am LG ohnehin relativ üblich ist, die Verhandlungstermine in längeren Verfahren im Vorfeld mit dem Beteiligten insoweit abzustimmen, als dass der Vorsitzende im Vorfeld um Mitteilung der Verhinderungen bittet und entsprechend terminiert.
Sicherlich, das ist üblich und sinnvoll. § 213 Abs. 2 StPO geht aber darüber hinaus, soll etwa (auch) auf den Umfang der Beweisaufnahme bezogen sein.
Ja, aber auch insoweit ist es ja durchaus nicht unüblich, dass der Vorsitzende im Vorfeld zum Beispiel nachfühlt, ob und in welchem Umfang ein Geständnis erfolgen soll, um den Umfang der Beweisaufnahme abschätzen zu können. Mal abwarten, ob und was genau sich in der Praxis nun tatsächlich ändert...
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non-liquet
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von non-liquet »

julée hat geschrieben:"Äußerer Ablauf" dürfte aber auch beinhalten, wann welcher Zeuge gehört wird usw. Selbst wenn das Gericht in der Frage das letzte Wort behält, kann man es vermutlich als Konfliktverteidiger bereits in dem Stadium latent wahnsinnig machen, um damit auch gleich die erste Runde Befangenheitsanträge eröffnen zu können.
Diese Möglichkeiten gab es bisher aber auch schon zur Genüge (z. B. Ablehnung der Berufsrichter als befangen, weil sie den Eröffnungsbeschluss erlassen haben usw.).
Und "abstimmen" ist doch mehr als "Gelegenheit zur Stellungnahme" oder "Berücksichtigung" der Interessen und Anregungen der Verfahrensbeteiligten.
Nach der oben zitierten Gesetzesbegründung nicht (da ist von "besprechen" die Rede). Und dass an der Befugnis des Vorsitzenden, die Terminierung und den Ablauf der Hauptverhandlung zu bestimmen, etwas geändert werden sollte, hat sich auch an anderer Stelle nicht im Gesetzeswortlaut niedergeschlagen. Wie Eagnai das beschrieben hat, sind solche Abstimmungen bis jetzt schon üblich. In aller Regel finden sich dann auch sinnvolle Lösungen.
Jedenfalls in Zivilsachen ist es äußerst nützlich bei langwierigen Terminsfindungsschwierigkeiten ("in den nächsten 3 Monaten nur am (Nichtsitzungstag) zwischen 11 und 12 Uhr."), irgendwann doch den § 227 Abs. 2 ZPO bemühen und für vorgebliche Verhinderungen eine Glaubhaftmachung fordern zu können; das erhöht die Verfügbarkeit meist drastisch.
Ähnliche Möglichkeiten gibt es im Strafverfahren durchaus auch. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen macht es möglich... :-w
julée
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

non-liquet hat geschrieben:
Und "abstimmen" ist doch mehr als "Gelegenheit zur Stellungnahme" oder "Berücksichtigung" der Interessen und Anregungen der Verfahrensbeteiligten.
Nach der oben zitierten Gesetzesbegründung nicht (da ist von "besprechen" die Rede). Und dass an der Befugnis des Vorsitzenden, die Terminierung und den Ablauf der Hauptverhandlung zu bestimmen, etwas geändert werden sollte, hat sich auch an anderer Stelle nicht im Gesetzeswortlaut niedergeschlagen. Wie Eagnai das beschrieben hat, sind solche Abstimmungen bis jetzt schon üblich. In aller Regel finden sich dann auch sinnvolle Lösungen.
Sinnvoll und üblich ist das eine, das andere ist die Frage, wie man sowas praxistauglich normiert, und dazu gehört m. E. auch die Störfallvorsorge: Was ist, wenn das Gericht schlichtweg macht, was es möchte? Und was ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter eher querulatorisch an die Sache herangeht? Die Gewichte verschieben sich jedenfalls, wenn das Gericht etwas machen "soll" und es nicht nur aus Gründen der Sachdienlichkeit und allgemeiner Nettigkeit macht.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von non-liquet »

julée hat geschrieben:Sinnvoll und üblich ist das eine, das andere ist die Frage, wie man sowas praxistauglich normiert, und dazu gehört m. E. auch die Störfallvorsorge: Was ist, wenn das Gericht schlichtweg macht, was es möchte? Und was ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter eher querulatorisch an die Sache herangeht? Die Gewichte verschieben sich jedenfalls, wenn das Gericht etwas machen "soll" und es nicht nur aus Gründen der Sachdienlichkeit und allgemeiner Nettigkeit macht.
In beiden Fällen beschreitet man eben einen steinigeren Weg zum Ziel, als es nötig wäre. Wer's braucht... Und wie gesagt, wenn jemand auf Biegen und Brechen stören will, dann hatte er gerade auch im Zusammenhang mit Fragen der Terminierung auch bislang schon mehr als genug Möglichkeiten dazu. Worin hier eine Verschiebung der Gewichte liegen soll, erschließt sich mir weiterhin nicht. Wenn da etwas Bedeutsames hätte geändert werden sollen, dann gäbe es andere Stellschrauben (durchaus auch außerhalb der StPO), an denen man hätte drehen müssen.
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Urs Blank
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

non-liquet hat geschrieben:Worin hier eine Verschiebung der Gewichte liegen soll, erschließt sich mir weiterhin nicht.
Letztlich darin, dass der Gesetzgeber ohne Not ein weiteres Einfallstor für Rügen aller Art geschaffen hat. Und vor allem entsteht ein nicht unerheblicher zeitlicher Aufwand, wenn in Großverfahren (sehr oft ja mit mehreren Angeklagten, zahlreichen Verteidigern, bisweilen etlichen Nebenklägern) nicht mehr nur die Terminierung, sondern auch noch der äußere Ablauf der Hauptverhandlung "abgestimmt" werden soll. Ohne (zusätzlichen) Erörterungstermin wird es wohl kaum gehen. Ja, es gibt Schlimmeres. Aber ärgerlich ist diese Neuregelung m. E. trotzdem.
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batman
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von batman »

Ich sehe nicht die Gefahr zusätzlicher revisibler Rechtsfehler und auch nicht die Notwendigkeit eines der Hauptverhandlung vorgeschaltenen Erörterungstermins. Ob der Gesetzgeber den Kammervorsitzenden unbedingt an etwas erinnern muss, was in Verfahren dieser Art ohnehin gang und gäbe ist, mag man diskutieren. Die Soll-Vorschrift hat ungefähr die Qualität des § 278 I ZPO im Zivilprozess.
julée
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von julée »

non-liquet hat geschrieben:
julée hat geschrieben:Sinnvoll und üblich ist das eine, das andere ist die Frage, wie man sowas praxistauglich normiert, und dazu gehört m. E. auch die Störfallvorsorge: Was ist, wenn das Gericht schlichtweg macht, was es möchte? Und was ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter eher querulatorisch an die Sache herangeht? Die Gewichte verschieben sich jedenfalls, wenn das Gericht etwas machen "soll" und es nicht nur aus Gründen der Sachdienlichkeit und allgemeiner Nettigkeit macht.
In beiden Fällen beschreitet man eben einen steinigeren Weg zum Ziel, als es nötig wäre. Wer's braucht... Und wie gesagt, wenn jemand auf Biegen und Brechen stören will, dann hatte er gerade auch im Zusammenhang mit Fragen der Terminierung auch bislang schon mehr als genug Möglichkeiten dazu. Worin hier eine Verschiebung der Gewichte liegen soll, erschließt sich mir weiterhin nicht. Wenn da etwas Bedeutsames hätte geändert werden sollen, dann gäbe es andere Stellschrauben (durchaus auch außerhalb der StPO), an denen man hätte drehen müssen.
Gewiss, wer unkooperativ sein möchte, findet immer einen Weg. Allerdings muss man Normen immer im Gesamtzusammenhang sehen und m. E. bleibt es nicht ohne Auswirkung auf die bisher geltenden Vorschriften, wenn jetzt ein bestimmtes Verhalten des Gerichts zum "Soll" erhoben wird. Und aus einem "Soll" fließt im Zweifelsfall auch ein korrespondierender "Anspruch" der Beteiligten, mag für das Gericht auch weiterhin ein weiter Gestaltungsspielraum bestehen. m. E. hätte man schlichtweg im Gesetzeswortlaut klarer herausstellen sollen, was daraus denn nun wirklich folgen soll.

@Batman: Der Vergleich mit § 278 Abs. 1 ZPO dürfte insoweit nicht passen, weil das Konfliktpotential der Frage, ob und wann ein Zivilgericht eine gütliche Einigung vorschlägt, minimal sein dürfte. Normalerweise hören sich Parteien im Zivilprozess Vergleichsvorschläge des Gerichts an und erklären ggf., weshalb sowas auf gar keinen Fall in Betracht kommt, oder bitten explizit um einen Vergleichsvorschlag des Gerichts, dem sich das Gericht normalerweise schon im Eigeninteresse nicht verwehren wird.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

batman hat geschrieben:was in Verfahren dieser Art ohnehin gang und gäbe ist
Natürlich werden Termine abgesprochen, natürlich wird erfragt, ob und in welcher Weise sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung einlassen wird, falls dies nicht ohnehin aus einer Stellungnahme im Zwischenverfahren ersichtlich ist. Den Ablauf der Hauptverhandlung aber en detail zu erörtern, ist - soweit ich es überblicke - allerdings eher nicht üblich.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von wololo »

§ 44 StGB (Fahrverbot) ist nun auch geändert ... bis zu sechs Monate Fahrverbot und Anordnung u.U. auch bei Taten, die nicht im Straßenverkehr begangen wurden.
Ich bin gespannt, wie viel Anwendung das in der Praxis finden wird ... und ob das nicht eher zu einer Zunahme von Berufungen führt.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Gerade ein Nachlieferung vom Beck Shop erhalten. Ich will sie gar nicht aufmachen. :--
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von wololo »

So ein Abo hat auch Nachteile ... als während meines Studiums mal eine umfangreiche (und auch nicht günstige) Ergänzungslieferung rauskam, hab ich schlicht einen neuen Schönfelder gekauft. War besser für die Nerven.

Seit dem 2. Examen hab ich gar keine Gesetzessammlungen mehr \:D/
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Jetzt werden die Kleinen gehängt. Ob schon einmal jemand ohne Vorstrafen für nen Flaschenwurf auf nen Polizisten der sich nicht wirklich verletzt hat 2 Jahre und 7 Monate kassiert hat? http://www.mopo.de/hamburg/zwei-jahre-und-sieben-monate-hammer-urteil-fuer-g20-randalierer-28237036 (Verwaister Link automatisch entfernt)

Die StA forderte übrigens 1 Jahr und 9 Monate, als Abschreckung für weitere Täter...
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Ara hat geschrieben:Jetzt werden die Kleinen gehängt. Ob schon einmal jemand ohne Vorstrafen für nen Flaschenwurf auf nen Polizisten der sich nicht wirklich verletzt hat 2 Jahre und 7 Monate kassiert hat? http://www.mopo.de/hamburg/zwei-jahre-und-sieben-monate-hammer-urteil-fuer-g20-randalierer-28237036 (Verwaister Link automatisch entfernt)

Die StA forderte übrigens 1 Jahr und 9 Monate, als Abschreckung für weitere Täter...
Murine hats auch schon im Treffpunkt gemeldet. Die spinnen, die Hamburger :)
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

OLG Stuttgart vs. OLG Stuttgart - falsche Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft bei Selbstbezichtigung eines Dritten ggü. der Bußgeldbehörde (-)
1 Ws 42/17 = NJW 2017, 1971 und JuS 8/17, 795.

Wir hatten die gegenteilige Entscheidung eines anderen Senats des OLG hier mal diskutiert, ich finde den Thread leider nicht mehr. Könnte mir jedenfalls gut vorstellen, dass das bald im Examen läuft!
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