[enigma] hat geschrieben:Dass Zeugen von Anwälten regelmäßig dazu geraten wurde, nicht zur polizeilichen Vernehmung zu gehen, kam ja nicht von ungefähr. Ich verfüge zugegebenermaßen nur über geringe Berufs- bzw. Ausbildungserfahrung im Strafrecht, habe in den Stationen bei Gericht, Strafverteidiger und StA aber mehrere Fälle mitbekommen, in denen die Polizei extremen Druck auf unerfahrene und nicht anwaltlich vertretene Zeugen aufgebaut hat und in denen die Zeugen am Ende hoch und heilig geschworen haben, dass der Inhalt des Protokolls kaum etwas mit ihrer Aussage zu tun hatte.
Ja, das hatte ich auch schon. Bei Vernehmungen, bei denen ich durchgehend anwesend war und die ich im Wesentlichen selbst geführt und protokolliert habe. - Insofern stellt sich dann eben die Frage, ob die Darstellung des Zeugen, der nicht gelten lassen will, was er gesagt haben soll, stimmt oder nicht.
(Oh, und ich kenne freilich auch einige Fälle - und Beamte -, bei denen ich ganz Deiner Meinung bin.)
[enigma] hat geschrieben:Ich verstehe auch nicht, warum die Tatsache, dass Zeugen von ihrem Recht Gebrauch machen, nicht zur polizeilichen Vernehmung zu erscheinen, dafür sprechen sollte, ihnen dieses Recht zu nehmen.
Weil sie dann staatsanwaltschaftlich - oder gar richterlich - zu vernehmen sind und das in der Regel, wenn eine auch nur geringe Relevanz besteht, auch geschieht.
Es ist aber weder bezahlbar noch sinnvoll, auch nur einen wesentlichen Anteil von Zeugenvernehmungen durch Staatsanwälte statt Polizeibeamte durchführen zu lassen. Nicht bezahlbar, weil zu den bereits jetzt fehlenden mehreren hundert Stellen bei den Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet nochmal etliche hundert fehlende Stellen hinzukommen würden - nicht sinnvoll, weil die Kernkompetenz eines Juristen gewisslich nicht das Führen von Vernehmungen ist (manche können das, weil sie es sich beigebracht haben, aber es ist nun einmal kein Bestandteil der Ausbildung).
Nur in seltenen Ausnahmefällen ist es tatsächlich zielführend, dass einen Vernehmung durch den Staatsanwalt oder Richter geführt wird, nämlich vor allem dann, wenn sich schwierige(re) Rechtsfragen, namentlich um Auskunftss- und Zeugnisverweigerungsrechte herum, stellen. Das ist in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle aber nicht so, weshalb der Gesetzentwurf ja auch vorsieht, dass nur eine auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgte Ladung erzwungen werden kann. Die staatsanwaltschaftliche Vernehmung wird also durch die staatsanwaltschaftlich
veranlasste Vernehmung ersetzt. Das ist konsequent und folgerichtig.
An dem Recht, sich eines Beistands zu bedienen, ändert sich dadurch ja nichts.
[enigma] hat geschrieben:Es ist im Übrigen auch gerade nicht der Fall, dass die StA bisher einfach alle Zeugen geladen hat, die nicht zur Polizei gekommen sind und man nur diesen Weg verkürzt.
Das mag regional - und sachlich - unterschiedlich sein.
[enigma] hat geschrieben:Gerade die angespannte Personalsituation in der Justiz hatte ja den ungewollten aber nicht unbedingt verkehrten Nebeneffekt, dass man sich vor der Ladung durch die StA eher zweimal überlegt hat, ob man den Zeugen denn nun braucht oder nicht.
Fehlende Ressourcen - die der Staat aber zur Verfügung bereitzustellen verpflichtet wäre - können kein Argument sein. Ansonsten müsste man auch dafür plädieren, die Verteidigervergütung mit der Länge der Hauptverhandlung nicht steigen, sondern sinken zu lassen, um dann den (ungewollten, aber nicht verkehrten
) Effekt zu erhalten, dass die Hauptverhandlung plötzlich viel zügiger verläuft.
Im übrigen steht eine solche ressourcenorientierte Entscheidungsweise dem grundsätzlichen Aufklärungsgrundsatz entgegen - was sich insbesondere dann negativ auswirken kann, wenn potentiell entlastende Zeugen nicht erscheinen, zumal die Frage, ob man den Zeugen "braucht" oder nicht, da vermutlich tendentiell eher verneint wird.