Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Nimm2
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Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Nimm2 »

Arbeitshypothese ist, dass nach deutschem Strafrecht Herr Pistorius sich in jedem Fall strafbar gemacht hätte, gerade auf Grundlage seiner Einlassung.

Folgender verkürzter SV:

P war seit Herbst 2012 mit dem Model R liiert. R wurde in jener Nacht in Ps' Haus durch die geschlossene Badezimmertür hindurch erschossen. P beteuert seine Unschuld und gibt an, seine Freundin versehentlich erschossen zu haben, da er sie für einen Einbrecher gehalten habe.

Strafbarkeit nach den §§ 212 StGB.

I. OT
- Erfolg +

II. ST
- Vorsatz? Hier jedenfalls unbeachtlicher error in persona, er wollte einen Menschen töten, und hat dies auch getan.

III. Rechtfertigung

- Erlaubnistatbestandsirrtum? Dann müsste sich P an die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes auf Grundlage seiner Vorstellung gehalten haben. Grundsätzlich ist bei Schusswaffengebrauch die drei Stufen Lehre zu beachten, daher hier wohl -, a.A. vertretbar, Knackpunkt des Falls. Entscheidend ist, wie sich P die konkrete Kampflage vorstellte.

- § 32 StGB. Objektiv keine Notwehrlage.

IV. Schuld +

also § 212 StGB +

Zusammenfassung: In Deutschland müsste man über die Mordmerkmalde diskutieren, oder ob ein Erlaubnistatbestandsirrtum vorliegt. Der ganze Fall erinnert mich wegen des Erlaubnistatbestandsirrtums an den Fall des Hells Angels, der den Polizeibeamten durch die Tür erschoss, weil er glaubte, er sei ein feindliches Gangmitglied. http://dejure.org/dienste/vernetzung/re ... R%20375/11

Ergänzungen und Meinungen?
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Nimm2 hat geschrieben:Grundsätzlich ist bei Schusswaffengebrauch die drei Stufen Lehre zu beachten, daher hier wohl -, a.A. vertretbar, Knackpunkt des Falls. Entscheidend ist, wie sich P die konkrete Kampflage vorstellte.
Im Tatsächlichen sollte man aber schon berücksichtigen, dass der Fall sich eben nicht in Deutschland, sondern in Südafrika zutrug, wo man jederzeit damit rechnen muss, dass Einbrecher bewaffnet sind (ggf. auch mit großkalibrigen Schusswaffen) und keinerlei Skrupel haben werden, tödliche Gewalt einzusetzen. Insofern wäre ein Vorstellungsbild, nach dem der Schusswaffengebrauch - Pistorius' Einlassungen als wahr unterstellt - selbst in dieser Form erforderlich gewesen wäre, sehr viel naheliegender.

Ich teile die Einschätzung, dass Pistorius sich nach deutschem Recht auf Grundlage seiner eigenen Einlassungen auf jeden Fall strafbar gemacht hätte - insbesondere mit Blick auf § 212 I StGB - daher eher nicht.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Bevor das jemand irritiert:

Im Gutachten müsste § 32 StGB natürlich auch vor dem Erlaubnistatumstandsirrtum geprüft werden (Abschnitt ist wohl an der falschen Stelle eingefügt worden).
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Nimm2 »

Auszug aus dem BGH-Urteil aus dem besagten Hells Angels Fall:
Die Voraussetzungen eines Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes liegen vor. Dies führt entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Ausschluss der Vorsatzschuld.

Der Angeklagte ging nach den Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Hinweise vom Vortag durch die Zeugen L. und Le. von einem Überfall durch ein Rollkommando der verfeindeten "Bandidos" aus. Er schloss einen "normalen Einbruch" angesichts des Vorgehens der Angreifer, die sich auch durch Einschalten der Beleuchtung im Haus und den Ruf "verpisst euch" nicht aufhalten ließen, aus. Die Bedrohung war aus seiner Sicht akut, da die Angreifer die Haustür bereits weitgehend aufgebrochen hatten und das Eindringen unmittelbar bevorstand, weil er mit einer nicht abschätzbaren Zahl von Angreifern mit unbekannter Bewaffnung und Ausrüstung und mit einem besonders aggressiven Vorgehen rechnete. Wenn diese irrtümliche Annahme des Angeklagten zutreffend gewesen wäre, wäre der sogleich auf eine Person gerichtete Schusswaffeneinsatz als erforderliche Notwehrhandlung gerechtfertigt gewesen.
Quelle: http://openjur.de/u/266053.html

Wendet man nun die Anforderungen des BGH auf den Fall Pistorius an, wäre ein Erlaubnistatbestandsirrtum nicht gegeben, wenn P von einem "normalen Einbruch" ausging.

Zuzugeben ist, dass sich ein "normalen Einbruch" in Deutschland vielleicht von einem "normalen Einbruch" in Südafrika dahingehend unterscheidet, dass in Südafrika ein normaler Einbruch einem Rollkommando gleichkommt. ;)
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Nimm2 »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Bevor das jemand irritiert:

Im Gutachten müsste § 32 StGB natürlich auch vor dem Erlaubnistatumstandsirrtum geprüft werden (Abschnitt ist wohl an der falschen Stelle eingefügt worden).
Stimmt. Ich habe meinen Gedanken einfach freien Lauf gelassen, daher der Flüchtigkeitsfehler. Aber das Aufbauschema ist nicht zwangsläufig.
Manche prüfen:
I. OT
II. ST
III. Erlaubnistatbestandsirrtum (als eigenen Prüfungspunkt)
IV. Rechtswidrigkeit
V. Schuld
Zuletzt geändert von Nimm2 am Dienstag 4. März 2014, 11:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Bei näherem Hinsehen erscheint mir übrigens auch der Begriff "Drei-Stufen-Lehre" in diesem Kontext nicht ganz glücklich. Soweit mir bekannt, wird dieser Begriff nämlich in aller Regel nicht gebraucht, um die Verpflichtung zu bezeichnen, einen Schusswaffeneinsatz grundsätzlich vorher anzudrohen und ggf. auch zunächst nicht tödliche Schüsse abzugeben. Vielmehr bezeichnet er in aller Regel namentlich Fälle der Notwehr-Provokation, bei denen der Angegriffene zunächst aufs Ausweichen und anschließend auf die Schutzwehr verwiesen wird.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Nimm2 »

Stimmt.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Nimm2 hat geschrieben:Zuzugeben ist, dass sich ein "normalen Einbruch" in Deutschland vielleicht von einem "normalen Einbruch" in Südafrika dahingehend unterscheidet, dass in Südafrika ein normaler Einbruch einem Rollkommando gleichkommt. ;)
Ich halte das wirklich für recht realistisch. Immerhin ist es in Südafrika durchaus nicht fernliegend, dass derjenige auf der anderen Seite der Türe auch bei einem "normalen" Einbruch eine Schrotflinte oder sogar eine automatische Waffe bei sich haben und sofort seinerseits das Feuer eröffnen könnte, sobald man ihm auch nur (durch die geschlossene Türe hindurch) droht.

Für Leute, die deutsche Verhältnisse gewohnt sind, mag das in der Tat eher schwer nachzuvollziehen sein, aber stark abgeschirmte Anlagen wie die, in der Pistorius lebt(e), wären in Deutschland ja auch sehr ungewöhnlich:

Secu­rity

The estate is enclosed with a solid, elec­tri­fied secu­rity wall with strict access con­trol uti­liz­ing the lat­est secu­rity mea­sures through­out the estate. Regard­ing secu­rity as a high pri­or­ity, the ser­vices of a spe­cial­ist secu­rity con­sul­tant have been used to ensure the use of the lat­est technology.


http://www.silverwoods.co.za/
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Nimm2 hat geschrieben:
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Bevor das jemand irritiert:

Im Gutachten müsste § 32 StGB natürlich auch vor dem Erlaubnistatumstandsirrtum geprüft werden (Abschnitt ist wohl an der falschen Stelle eingefügt worden).
Stimmt. Ich habe meinen Gedanken einfach freien Lauf gelassen, daher der Flüchtigkeitsfehler. Aber das Aufbauschema ist nicht zwangsläufig.
Manche prüfen:
I. OT
II. ST
III. Erlaubnistatbestandsirrtum (als eigenen Prüfungspunkt)
IV. Rechtswidrigkeit
V. Schuld
Habe ich, ehrlich gesagt, so noch nie gesehen und erschiene mir auch nicht plausibel. Selbst wenn man der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen folgt (was eine Prüfung im Tatbestand implizieren würde), müsste man die Frage, ob (in der Sache) eine Rechtfertigung objektiv gegeben ist, doch wohl (logisch vorrangig) vor dem Vorstellungsbild des Täters prüfen. Im Übrigen wird ja zur Stellung des Erlaubnistatumstandsirrtums nahezu alles vertreten (in der Rechtswidrigkeit, danach als eigener Gliederungspunkt, als Frage der Schuld...).
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Nimm2 hat geschrieben:Zuzugeben ist, dass sich ein "normalen Einbruch" in Deutschland vielleicht von einem "normalen Einbruch" in Südafrika dahingehend unterscheidet, dass in Südafrika ein normaler Einbruch einem Rollkommando gleichkommt. ;)
Ich halte das wirklich für recht realistisch. Immerhin ist es in Südafrika durchaus nicht fernliegend, dass derjenige auf der anderen Seite der Türe auch bei einem "normalen" Einbruch eine Schrotflinte oder sogar eine automatische Waffe bei sich haben und sofort seinerseits das Feuer eröffnen könnte, sobald man ihm auch nur (durch die geschlossene Türe hindurch) droht.

Für Leute, die deutsche Verhältnisse gewohnt sind, mag das in der Tat eher schwer nachzuvollziehen sein, aber stark abgeschirmte Anlagen wie die, in der Pistorius lebt(e), wären in Deutschland ja auch sehr ungewöhnlich:
Das ist in der Tat so. In den letzten Tagen habe ich immer wieder Interviews mit Johannesburgern gesehen und gelesen, die allesamt berichteten, dass Einbrüche in dieser Gegend immer mit akuter Todesgefahr für die Anwesenden verbunden sind. Deshalb gerät man schon bei Geräuschen am Fenster oder erst Recht in der Wohnung in Todesangst. Dennoch würde ich sowohl eine Rechtfertigung von Pistorius als auch einen ETBI verneinen wollen. Selbst wenn sich hinter der Tür tatsächlich ein Einbrecher befunden hatte, war Pistorius doch in einer überlegenen Position. Schüsse auf eine geschlossene Tür, hinter der sich eine unbekannte Person befindet, dürften hier jedenfalls nicht erforderlich sein.

Mit dem Hells Angel Fall ist das nur bedingt vergleichbar. Dort musste der Täter von einem bewaffneten Überfall ausgehen, weil die Polizisten in zivil gekleidet waren und sich nicht zu erkennen gaben, ihr Auftreten viel mehr dem von feindlichen Bandenmitgliedern entsprach. Bei Pistorius geht es um Geräusche im Badezimmer. Besondere Gefährdungslage in Südafrika hin oder her, wenn man sich schon zum eigenen Schutz bewaffnet, sind eben auch erhöhte Anforderungen an die Verantwortung des Waffenbesitzers in Verteidigungssituationen zu stellen.

Auch ein (vorzeitiger) extensiver Notwehrexzess würde ihn nicht entschuldigen.

Zumindest auf Grundlage der Informationen, die man der Presse zu dem Fall entnehmen kann, würde ich deshalb sagen § 212 (+).
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Schüsse auf eine geschlossene Tür, hinter der sich eine unbekannte Person befindet, dürften hier jedenfalls nicht erforderlich sein.
Ich möchte jetzt keine Grundsatzdiskussion über das deutsche Notwehrrecht führen, aber kann man in der Situation, die Pistorius sich angeblich vorstellte, wirklich erwarten, dass der Hausinhaber sich auf das durchaus nicht fernliegende Risiko einlässt, dass der (vermeintliche) Angreifer seinerseits durch die Tür hindurch feuert (und durch ein etwaiges Drohen auch noch ziemlich genau weiß, wo der Hausinhaber sich befindet)?

Es bereitet sicher Unbehagen, jemandem das Recht zu gewähren, durch eine Tür hindruch Schüsse auf einen (vermeintlichen) Eindringling abzugeben, ohne sicher zu wissen, dass dieser bewaffnet ist; aber gerade vor dem Hintergrund südafrikanischer Verhältnisse (neben "normaler" Kriminalität spielt hier unter Umständen auch ethnische Gewalt eine Rolle) macht man es sich m.E. mit einem "nicht erforderlich" doch etwas leicht - zumal, wenn wenn man nicht näher darlegt, was der Hausinhaber denn stattdessen tun könnte und sollte, um den (vermeintlichen) Angriff "sicher zu beenden".

Zudem impliziert der Fall, mit dem wir uns auf Grundlage von Pistorius' Einlassungen beschäftigen, ja auch, dass dieser Eindringling trotz aller Sicherheitsvorkehrungen bereits in das Haus vorgedrungen ist. (Wir lassen ferner außen vor, dass es auch sehr wahrscheinlich wäre, dass ein Einbruch nicht von einer einzelnen Person verübt wird, so dass für das Schießen noch etwas mehr spricht...)

Dass all das ein katastrophales Risiko birgt, Menschen zu treffen, die man gar nicht treffen will, versteht sich. Gleichwohl erscheint mir vor diesem Hintergrund - wenn schon - eine Strafbarkeit gem. § 222 StGB deutlich naheliegender.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Survivor »

SV-Ergänzung: Gestern wurde berichtet, eine Zeugin habe Schreie der Erschossenen gehört. Ich weiß allerdings nicht mehr, ob das vor oder nach Abgabe der Schüsse war und unklar ist wohl auch, ob sie sofort tödlich getroffen wurde oder erst später ihren Verletzungen erlegen ist. Die Aussage der Zeugin habe Pistorius jedenfalls schwer belastet. Wenn das zutreffen sollte, dürfte es schwer werden anzunehmen, er habe seine Freundin tatsächlich für Einbrecher gehalten.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Es bereitet sicher Unbehagen, jemandem das Recht zu gewähren, durch eine Tür hindruch Schüsse auf einen (vermeintlichen) Eindringling abzugeben, ohne sicher zu wissen, dass dieser bewaffnet ist; aber gerade vor dem Hintergrund südafrikanischer Verhältnisse (neben "normaler" Kriminalität spielt hier unter Umständen auch ethnische Gewalt eine Rolle) macht man es sich m.E. mit einem "nicht erforderlich" doch etwas leicht - zumal, wenn wenn man nicht näher darlegt, was der Hausinhaber denn stattdessen tun könnte und sollte, um den (vermeintlichen) Angriff "sicher zu beenden".
Es wäre beispielsweise möglich gewesen, die Polizei zu rufen oder - falls Pistorius das wie er sagte nicht konnte - seine Freundin, die er ja im Haus vermutete. Oder er hätte warten können, bis die Badezimmer Tür geöffnet wird oder die Person auch zum Verlassen des Badezimmers auffordern können. Dass die Person dann von Innen das Feuer eröffnet, ist natürlich möglich. Es dürfte aber wesentlich unwahrscheinlicher sein, aus einem geschlossenen Zimmer heraus eine Person ausserhalb des Zimmers zu treffen, als umgekehrt. Aber das ist nun zugegebenermaßen Spekulation und hängt auch von mir unbekannten Faktoren ab wie etwa der Größe des Badezimmers und des Flures. Pistorius hätte die Schüsse auch tiefer ansetzen können, um zum Beispiel die Beine oder den Unterleib zu treffen.

Ich muss auch zugeben, dass meine Meinung natürlich stark von meiner Lebenserfahrung in einer sehr sicheren Umgebung geprägt ist. Allerdings führt das Abstellen auf die latente Gefährdung in Südafrika oder einigen Teilen der USA in der Realität auch dazu, dass Waffengewalt viel zu exzessiv und selbstverständlich eingesetzt wird und es dadurch immer wieder zu tödlichen Verwechslungen und "Unfällen" kommt. Meiner Meinung nach kann eine solche Umgebung den Einsatz tödlicher Gewalt zwar eher rechtfertigen als eine sichere Umgebung, sie entbindet den Waffenträger jedoch grundsätzlich nicht von seiner höheren Verantwortung. Und bei Geräuschen im Bad (wie gesagt, ich kann das nur aus europäischer Sicht beurteilen) ist die Rechtfertigungsschwelle für mich selbst in gefährlichen Gegenden noch nicht überschritten. Dass ich das als Südafrikaner, insbesondere als Johannesburger anders sehen würde, mag sein, kann ich aber nicht sicher beurteilen.
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von [enigma] »

Survivor hat geschrieben:SV-Ergänzung: Gestern wurde berichtet, eine Zeugin habe Schreie der Erschossenen gehört. Ich weiß allerdings nicht mehr, ob das vor oder nach Abgabe der Schüsse war und unklar ist wohl auch, ob sie sofort tödlich getroffen wurde oder erst später ihren Verletzungen erlegen ist. Die Aussage der Zeugin habe Pistorius jedenfalls schwer belastet. Wenn das zutreffen sollte, dürfte es schwer werden anzunehmen, er habe seine Freundin tatsächlich für Einbrecher gehalten.
Laut Verteidigung klingt Pistorius wie eine Frau, wenn er Angst hat. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/m ... 56817.html
Klingt für mich erstmal nach einer sehr verzweifelten Verteidigungsstrategie. Wobei es natürlich nicht völlig unmöglich ist ;)
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Re: Lösung des Fall Pistorius nach deutschem Strafrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Es wäre beispielsweise möglich gewesen, die Polizei zu rufen oder - falls Pistorius das wie er sagte nicht konnte - seine Freundin, die er ja im Haus vermutete.
Hältst du das denn tatsächlich für eine erfolgversprechende Möglichkeit, den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff, den Pistorius sich angeblich vorstellte, "sicher zu beenden"? Die Polizei wäre bestenfalls nach einiger Zeit dort gewesen. Reeva Steenkamp hätte Pistorius gegen Angreifer wohl kaum helfen können. Und zur Flucht wäre er auch nach deutschem Recht nicht gehalten gewesen.
[enigma] hat geschrieben:Oder er hätte warten können, bis die Badezimmer Tür geöffnet wird oder die Person auch zum Verlassen des Badezimmers auffordern können.
Ja, und genau durch eine solche Aufforderung hätte er seine Lage im Raum preisgeben und sich der Gefahr ausgesetzt, beschossen zu werden. Hätte er gewartet, bis die Tür geöffnet wird, hätte er sich, noch schlimmer, möglicherweise mehreren bewaffneten Angreifern gegenüber gesehen. Bei einem Einbruch in eine Anlage, wie Pistorius sie bewohnte, würde ich auch nicht darauf wetten wollen, dass die Eindringlinge nicht vielleicht beschusshemmende Westen tragen.

Nun stell dir mal vor diesem Hintergrund vor: Du bist gerade aufgewacht und hörst Geräusche, die auf Einbrecher schließen lassen. Vielleicht kannst du mit deiner Waffe, deren Magazin nur eine begrenzte Kapazität hat, selbst mehr schlecht als recht umgehen; wie Robocop kannst du jedenfalls nicht mehrere Angreifer ausschalten: Würdest du nun tatsächlich ganz cool abwarten? Bzw. denkst du, dass man das ohne weiteres erwarten kann?
[enigma] hat geschrieben:Ich muss auch zugeben, dass meine Meinung natürlich stark von meiner Lebenserfahrung in einer sehr sicheren Umgebung geprägt ist. Allerdings führt das Abstellen auf die latente Gefährdung in Südafrika oder einigen Teilen der USA in der Realität auch dazu, dass Waffengewalt viel zu exzessiv und selbstverständlich eingesetzt wird und es dadurch immer wieder zu tödlichen Verwechslungen und "Unfällen" kommt. Meiner Meinung nach kann eine solche Umgebung den Einsatz tödlicher Gewalt zwar eher rechtfertigen als eine sichere Umgebung, sie entbindet den Waffenträger jedoch grundsätzlich nicht von seiner höheren Verantwortung. Und bei Geräuschen im Bad (wie gesagt, ich kann das nur aus europäischer Sicht beurteilen) ist die Rechtfertigungsschwelle für mich selbst in gefährlichen Gegenden noch nicht überschritten. Dass ich das als Südafrikaner, insbesondere als Johannesburger anders sehen würde, mag sein, kann ich aber nicht sicher beurteilen.
Wir diskutierten hier aber, soweit es das Tatsächliche angeht, eben schon auch über die südafrikanische Situation, und dann muss man sich auch bemühen, sich in sie hineinzuversetzen. Es hat schon seinen Grund, warum südafrikanische Gerichte ihr eigenes Notwehrrecht sehr weit auslegen: Sie wollen den Menschen nicht zumuten, beständig Gefahr zu laufen, sich entweder umbringen zu lassen oder möglicherweise lebenslang ins Gefängnis zu kommen, und zwar, weil sie selbst angegriffen wurden (oder eben glaubten, angegriffen zu werden). Wobei das Schießen durch die Tür sicher auch in Südafrika schon als Grenzfall bewertet wird.

Insofern ist deine Argumentation übrigens auch typisch "deutsch" und geprägt von deiner persönlichen Einstellung zum Waffenbesitz. In Südafrika sind diese Waffen aber nun einmal im Umlauf. Man wird sie auf absehbare Zeit auch nicht loswerden, und es gibt zahlreiche Menschen, die sie, ohne mit der Wimper zu zucken, einsetzen. Wenn die Verhältnisse in Deutschland ebenso wären, könnte die Rechtsprechung auch hier nicht anders, als dem Rechnung zu tragen.
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