Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Eagnai
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Eagnai »

[enigma] hat geschrieben:Bei Bachmann kommt es darauf an, ob das Wort "Rapefugees" so interpretiert werden kann, dass er es lediglich auf die Vergewaltiger unter den Flüchtlingen bezieht, oder ob er Flüchtlingen pauschal vorwirft, Vergewaltiger zu sein. Für letzteres spricht mE der eindeutige vergleichende Bezug des Wortes "Rapefugees" auf "Refugees".
Das kann ich nicht finden. Warum soll dieses Wortspiel eindeutig darauf schließen lassen, dass die Äußerung sagen will, alle Flüchtlinge seien Vergewaltiger? Genauso gut kann man damit ausdrücken wollen, es seien eben gerade nicht "Refugees" als Gesamtheit unwillkommen, sondern (nur) jene, die gleichzeitig auch "Rapefugees" sind (und damit verbunden dann z.B. die Forderung stellen nach der konsequenten Ausweisung von Flüchtlingen, die solche Taten begehen).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gilt bei der Auslegung von Meinungsäußerungen ja, dass im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden darf, solange andere Deutungsmöglichkeiten nicht "mit tragfähigen Gründen" ausgeschlossen werden können (z.B. BVerfG in 1 BvR 369/04 - hier auch zum Tatbestand des § 130 in einem zumindest grob vergleichbaren Fall).

Für mich lässt die Äußerung durchaus unterschiedliche Interpretationen zu. Wirklich tragfähige Gründe, mit denen man sicher ausschließen könnte, dass sich die Äußerung nur auf diejenigen Flüchtlinge bezieht, die solche schweren Straftaten begehen, sehe ich hier nicht.

Für mich daher Volksverhetzung (-).
Tobias__21
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Tobias__21 »

@Enigma:
Überzeugt mich auf den ersten Blick nicht. Ob der Gesetzgeber gewisse Delikte als Gefährdungs- oder Erfolgsdelikte ausgestaltet, kann doch keinen Einfluss auf die Beurteilung der Zulässigkeit einer Meinung haben, oder?

Die Volksverhetzung hat doch deutlich höhere Anforderungen als die Beleidigung. Ich werde das nachher mal nachlesen und mich nochmal melden :)

Edit:

Ich finde es verfassungsrechtlich sowieso schon mehr als bedenklich wenn man die Meinungsfreiheit über ein abstraktes Gefährdungsgelikt einschränken will, ohne dass es zu einem tatsächlichen Erfolg oder einer konkreten Gefahr kommt. Wenn man dies aber noch als zulässig ansieht, muss man mE damit sehr restriktiv umgehen und hohe Maßstäbe anlegen. Sich darauf zurückzuziehen und zu sagen, ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da brauchen wir weniger strenge Maßstäbe um eine Meinung zu verbieten, überzeugt mich Hinblick auf die Wichtigkeit des Art. 5 nicht.
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[enigma]
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von [enigma] »

@Eagnai: Das kann man sicher so sehen. Wie gesagt hängt es wohl vor allem davon ab, ob man das Wort "Rapefugees" tatsächlich als Unterscheidung zwischen vergewaltigenden Flüchtlingen und der ganzen Gruppe oder doch nicht eher als Verächtlichmachung der ganzen Gruppe ansieht. Ich halte es hier durchaus für vertretbar, dass die Auslegung als Verächtlichmachung derart überwiegt, dass der möglichen "harmlosen" Auslegung kein Gewicht mehr beikommt. Anders rum aber eben auch gut vertretbar.

@Tobias_21: Ich muss das auch nochmal nachlesen, in § 130 StGB fühle ich mich jetzt auch nicht unbedingt zuhause. Deshalb unter Vorbehalt: Wenn für die Volksverhetzung bereits die Gefahr für die Störung des öffentlichen Friedens ausreicht, kann diese eben bereits bei zweideutigen Aussagen vorliegen, wobei auch hier die Meinungsfreiheit zu berücksichtigen ist. In solchen Fällen ist das dann eben eine Abwägungsfrage im Einzelfall.
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Tobias__21
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Tobias__21 »

[enigma] hat geschrieben:@Eagnai: Das kann man sicher so sehen. Wie gesagt hängt es wohl vor allem davon ab, ob man das Wort "Rapefugees" tatsächlich als Unterscheidung zwischen vergewaltigenden Flüchtlingen und der ganzen Gruppe oder doch nicht eher als Verächtlichmachung der ganzen Gruppe ansieht.

@Tobias_21: Ich muss das auch nochmal nachlesen, in § 130 StGB fühle ich mich jetzt auch nicht unbedingt zuhause. Deshalb unter Vorbehalt: Wenn für die Volksverhetzung bereits die Gefahr für die Störung des öffentlichen Friedens ausreicht, kann diese eben bereits bei zweideutigen Aussagen vorliegen, wobei auch hier die Meinungsfreiheit zu berücksichtigen ist. In solchen Fällen ist das dann eben eine Abwägungsfrage im Einzelfall.
Ich würde es genau andersherum sehen :) Wenn bereits eine Gefahr ausreichen soll um eine Strafbarkeit zu begründen, dann muss zumindest die Meinung derartig eindeutig sein, dass eine Auslegung als noch zulässige Meinung gerade nicht in Betracht kommt.

Kenne mich mit dem § 130 StGB aber auch nicht wirklich aus. Mein VPN Client funktioniert im Moment auch nicht und im Joecks steht dazu herzlich wenig (ist ja auch kein Prüfungsstoff).
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JulezLaw
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von JulezLaw »

Tobias__21 hat geschrieben:Die KV muss doch Allgemeininteressen tangieren um sittenwidrig zu sein. Das tut sie in diesem Fall allein mit dem Stechen des Tattoos gerade nicht.
Das ist vermutlich Ansichtssache ;) Das Stechen irgendeines Motivs darf und muss der Allgemeinheit tatsächlich gerade mal egal sein. Aber dieses bestimmte Motiv, mit dem sich offenkundig zum Holocaust bekannt wird, ist da mE ganz anders zu werten. Auch Meinungs- und Kunstfreiheit können beschränkt werden. Bei einem Motiv, mit dem sich der Träger offen gegen unser freiheitlich-demokratisches Rechtssystem stellt und die Ermordung von Millionen Unschuldigen gut heißt, sehe ich das ganz anders.
Und da ist auch schon der Werkvertrag mit dem Tätowierer mE sittenwidrig. Und natürlich: sittenwidrig = Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Das ist für mich hier offensichtlich gegeben (wenngleich aA sicherlich vertretbar ;) )
Zwar sollen die zivilrechtlichen Wertungen letztlich keinen Einfluss auf die strafrechtliche Bewertung haben. Bei dieser Frage käme ich aber tatsächlich zum selben Ergebnis: jemandem ein Motiv zu tätowieren, das geeignet ist, bei Vorzeigen den Tatbestand der Volksverhetzung zu verwirklichen, ist für mich ohne Weiteres sittenwidrig. Da du ja aber schon § 130 in dem Fall ablehnst, siehst du das natürlich an ;)
Eagnai hat geschrieben:Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gilt bei der Auslegung von Meinungsäußerungen ja, dass im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden darf, solange andere Deutungsmöglichkeiten nicht "mit tragfähigen Gründen" ausgeschlossen werden können (z.B. BVerfG in 1 BvR 369/04 - hier auch zum Tatbestand des § 130 in einem zumindest grob vergleichbaren Fall).

Für mich lässt die Äußerung durchaus unterschiedliche Interpretationen zu. Wirklich tragfähige Gründe, mit denen man sicher ausschließen könnte, dass sich die Äußerung nur auf diejenigen Flüchtlinge bezieht, die solche schweren Straftaten begehen, sehe ich hier nicht.

Für mich daher Volksverhetzung (-).


Da würde ich mich [enigma] anschließen. Gerade bei Bachmann und seinen Freunden ist ja bekannt, dass sie im Allgemeinen den Spruch "Refugees not welcome" skandieren. Das allein genügt für mich schon als tragfähiger Grund. Im Übrigen sieht man ja auch an der Verfälschung des Refugee-Bildes, dass hier eine einzelne Frau vor sämtlichen, bewaffneten "Rapefugees" flüchten muss.

So, und jetzt schaue ich mir Videos von niedlichen Katzenbabies an. Diese wandelnden Geschmacklosigkeiten hält ja keiner auf Dauer aus...
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Tobias__21 »

JulezLaw hat geschrieben: So, und jetzt schaue ich mir Videos von niedlichen Katzenbabies an. Diese wandelnden Geschmacklosigkeiten hält ja keiner auf Dauer aus...
Recht hast Du :D . Ist wirklich arg geworden in letzter Zeit.
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Eagnai »

[enigma] hat geschrieben:@Eagnai: Das kann man sicher so sehen. Wie gesagt hängt es wohl vor allem davon ab, ob man das Wort "Rapefugees" tatsächlich als Unterscheidung zwischen vergewaltigenden Flüchtlingen und der ganzen Gruppe oder doch nicht eher als Verächtlichmachung der ganzen Gruppe ansieht. Ich halte es hier durchaus für vertretbar, dass die Auslegung als Verächtlichmachung derart überwiegt, dass der möglichen "harmlosen" Auslegung kein Gewicht mehr beikommt. Anders rum aber eben auch gut vertretbar.
Eben... und solange man beide Interpretationen der Äußerung vertreten kann, wird man schwerlich zu einer Strafbarkeit kommen können.
[enigma] hat geschrieben:@Tobias_21: Ich muss das auch nochmal nachlesen, in § 130 StGB fühle ich mich jetzt auch nicht unbedingt zuhause. Deshalb unter Vorbehalt: Wenn für die Volksverhetzung bereits die Gefahr für die Störung des öffentlichen Friedens ausreicht, kann diese eben bereits bei zweideutigen Aussagen vorliegen, wobei auch hier die Meinungsfreiheit zu berücksichtigen ist. In solchen Fällen ist das dann eben eine Abwägungsfrage im Einzelfall.
Trotzdem muss man (unabhängig davon, ob eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens vorliegt) erstmal eine Äußerung haben, die nur dahingehend interpretiert werden kann, dass sie den in Abs. 1 Nr. 1 oder 2 geforderten Inhalt hat - also z.B. die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Flüchtlinge angreift, indem sie sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Wenn hierbei verschiedene Auslegungen denkbar sind (also auch eine, die den in Nr. 1 oder 2 geforderten Inhalt nicht hat), dann ist man schon an diesem Punkt raus.
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von OJ1988 »

[enigma] hat geschrieben:Bei Bachmann kommt es darauf an, ob das Wort "Rapefugees" so interpretiert werden kann, dass er es lediglich auf die Vergewaltiger unter den Flüchtlingen bezieht, oder ob er Flüchtlingen pauschal vorwirft, Vergewaltiger zu sein. Für letzteres spricht mE der eindeutige vergleichende Bezug des Wortes "Rapefugees" auf "Refugees". Auf subjektiver Tatbestandsseite sehe ich auch keine Probleme.
Und für ersteres spricht Art. 5 I GG. Wie war das nochmal mit der "Kinderfickersekte"? (https://www.lawblog.de/index.php/archiv ... nt-werden/)
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Swann »

[enigma] hat geschrieben:Da geht es aber um eine Beleidigung, nicht um Volksverhetzung, die ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist. Deshalb wird man auch geringere Anforderungen an die Gefahr stellen müssen.
Das ist rechtsirrig:
3. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 II GG findet es seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch 130 II Nr. 1 lit. b StGB gehört.
a) Bei der Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften haben die Gerichte dem eingeschränkten Grundrecht der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 [208f.] = NJW 1958, 257; BVerfGE 94, 1 [8] = NJW 1996, 1529; st. Rspr.). In öffentlichen Angelegenheiten gilt die Vermutung zu Gunsten der freien Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 [208] = NJW 1958, 257; st. Rspr.). Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinanderzusetzen und sie dadurch abzuwehren (vgl. BVerfGK 2, 1 [5] = NVwZ 2004, 90).
aa) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist zum einen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Die Deutung des objektiven Sinngehalts einer Meinungsäußerung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln (vgl. BVerfGE 93, 266 [295] = NJW 1995, 3303; BVerfGE 114, 339 [348] = NJW 2006, 207). Hierbei dürfen die Gerichte der Meinungsäußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben.
BVerfG NJW 2010, 2193, 2194 (Hervorhebung von mir). Eine Strafbarkeit sehe ich daher nicht.
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Tobias__21 »

Strafanzeige gegen Bachmann wurde gestellt

http://www.welt.de/politik/deutschland/ ... ng-an.html
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von [enigma] »

Swann hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Da geht es aber um eine Beleidigung, nicht um Volksverhetzung, die ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist. Deshalb wird man auch geringere Anforderungen an die Gefahr stellen müssen.
Das ist rechtsirrig:
3. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 II GG findet es seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch 130 II Nr. 1 lit. b StGB gehört.
a) Bei der Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften haben die Gerichte dem eingeschränkten Grundrecht der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 [208f.] = NJW 1958, 257; BVerfGE 94, 1 [8] = NJW 1996, 1529; st. Rspr.). In öffentlichen Angelegenheiten gilt die Vermutung zu Gunsten der freien Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 [208] = NJW 1958, 257; st. Rspr.). Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinanderzusetzen und sie dadurch abzuwehren (vgl. BVerfGK 2, 1 [5] = NVwZ 2004, 90).
aa) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist zum einen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Die Deutung des objektiven Sinngehalts einer Meinungsäußerung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln (vgl. BVerfGE 93, 266 [295] = NJW 1995, 3303; BVerfGE 114, 339 [348] = NJW 2006, 207). Hierbei dürfen die Gerichte der Meinungsäußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben.
BVerfG NJW 2010, 2193, 2194 (Hervorhebung von mir). Eine Strafbarkeit sehe ich daher nicht.
Ok, danke. Dann wäre aber die Aussage "Muslime sind Vergewaltiger" - die man entsprechend "Soldaten sind Mörder" auch als erlaubte Meinungsäußerung auslegen kann - auch keine Volksverhetzung?
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Eagnai »

Die beiden Aussagen kann man schon deshalb nicht vergleichen, weil es zum Beruf des Soldaten gehört, erforderlichenfalls Menschen zu töten, aber sicherlich nicht zum gelebten Glauben von Muslimen, andere zu vergewaltigen.

Ob man jemanden, der tatsächlich tötet, als "Mörder" bezeichnet, oder jemanden, der einfach nur einer bestimmten Glaubensrichtung angehört, als "Vergewaltiger", ist doch ein großer Unterschied.
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von [enigma] »

In der Berufung gab es jetzt acht Monate ohne Bewährung. Ich hoffe allerdings, dass die Nichtaussetzung nicht nur mit
Die Strafe sei nicht zur Bewährung auszusetzen, „weil eine staatliche Reaktion aus Gründen der Verteidigung der Rechtsordnung geboten“ sei.
begründet wurde.
http://www.berliner-zeitung.de/panorama/urteil-npd-politiker-soll-wegen-kz-tattoo-ins-gefaengnis-25046456 (Verwaister Link automatisch entfernt)
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von Tobias__21 »

Dabei hätten vor allem "generalpräventive" Gesichtspunkte eine Rolle gespielt, erklärte Gerichtssprecherin Iris le Claire gegenüber LTO.

"In letzter Zeit ist es vermehrt zu fremdenfeindlichen Straftaten gekommen und der Rechtsradikalismus ist auf dem Vormarsch" erläuterte le Claire. Somit sei nach Ansicht des Gerichts auch eine Bewährungsstrafe nicht mehr angemessen gewesen.
http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/l ... ewaehrung/
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Re: Strafbarkeit des KZ-Tattoos?

Beitrag von [enigma] »

Ja, das mag einerseits den hohen Strafausspruch oder andererseits die Nichtaussetzung rechtfertigen, beides zusammen geht aber nicht. Mag aber sein, dass das in den Artikeln nur missverständlich rüberkommt.
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