Straßenrennen und Strafzumessung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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[enigma]
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:@[enigma]: Dass ein solches Verhalten am Ende der Prüfung nur in höchstem Maße bewusst fahrlässig gewesen sein kann und in vielen Fällen möglicherweise auch sein wird, schließt eine ergebnisoffene Prüfung eines Vorsatzdelikts mit ein. Mich persönlich stört allenfalls der leicht verharmlosende Ansatz, dem augenscheinlich die Prämisse zugrundeliegt, dass derjenige, der sowas unglaublich Dämliches tut, keinesfalls einen Tötungsvorsatz haben könne..
Das sage ich ja nicht. Aber wenn man ihm bei einem Verhalten im Grenzbereich zur Fahrlässigkeit Tötungsvorsatz unterstellt, sollte man das bitte hieb- und stichfest begründen. Da bietet mir das Urteil viel zu viele angreifbare Punkte, vor allem bei der Würdigung der Einlassungen der Angeklagten. Und nur um das nochmal klarzustellen, weil der Vorwurf zu Beginn der Diskussion ja insbesondere von HKP kommt. Es liegt mir fern, solche Taten zu verharmlosen. Ich finde Raser, die - sei es aus bloßer Dummheit oder Egoismus - Menschenleben gefährden und töten genauso schlecht wie jeder andere vernünftige Mensch. Die stellen für mich persönlich ja auch eine größere Bedrohung dar als Mörder in der Drogenszene oder andere Verbrecher. Ich fände es auch sinnvoll, solche Fälle mit Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren ahnden zu können. Das muss dann aber der Gesetzgeber bewusst entscheiden.
Im Übrigen wäre meinem persönlichen Rechtsempfinden durchaus Genüge getan, wenn man in diesen Fällen den Strafrahmen des § 222 StGB bis an den oberen Rand ausschöpfte, anstatt halb zwanghaft im bewährungsfähigen Bereich zu verbleiben.
Da sind wir uns sogar einig =D> Allerdings finde ich es auch befremdlich, die Nichtaussetzung dann hauptsächlich mit generalpräventiven Gesichtspunkten zu begründen. Insbesondere, wenn es genug andere, "saubere" Argumente gegeben hätte. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Eagnai »

[enigma] hat geschrieben:Allerdings finde ich es auch befremdlich, die Nichtaussetzung dann hauptsächlich mit generalpräventiven Gesichtspunkten zu begründen.
Das hat der BGH im Kölner Fall aber ja nicht getan (aus der Pressemitteilung ergibt sich zumindest, dass vor allem auch die Prüfung der besonderen Umstände i.S.d. Abs. 2 in subjektiver Hinsicht bemängelt wurde), und ich glaube auch nicht, dass in anderen Fällen in der Praxis in erster Linie darauf abgestellt werden würde.

Ganz allgemein würde ich es allerdings für sehr begrüßenswert halten, wenn sich die Gerichte sowohl mit der Prüfung der besonderen Umstände i.S.d. Abs. 2 als auch mit der Prüfung der Erforderlichkeit einer Vollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung etwas mehr Mühe geben würden. In der überwiegenden Mehrheit der hier im Bezirk ergehenden amtsgerichtlichen Urteile, in denen eine Bewährungsstrafe zwischen einem und zwei Jahren verhängt wird, lese ich jedenfalls nur kurze, inhaltsleere Floskeln wie "Besondere Umstände lagen im Hinblick auf die bisherige Unbestraftheit und das Geständnis vor"; oft genug wird die Frage der besonderen Umstände sogar im gesamten Urteil überhaupt nicht erwähnt.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von julée »

@[enigma]: Ich glaube hinsichtlich des konkreter Berliner Falls werden wir uns hinsichtlich der Beweiswürdigung nicht einig werden. m. E. zeichnet sich der Fall durchaus durch einige Spitzen aus, die mir die Annahme, das Verhalten der Angeklagten sei nicht mehr nur bewusst fahrlässig gewesen, mehr als vertretbar scheinen lassen. Mit den zugrunde liegenden Erwägungen wird man sich auf jeden Fall in künftigen Fällen auseinandersetzen müssen.
[enigma] hat geschrieben:Allerdings finde ich es auch befremdlich, die Nichtaussetzung dann hauptsächlich mit generalpräventiven Gesichtspunkten zu begründen. Insbesondere, wenn es genug andere, "saubere" Argumente gegeben hätte. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
In der Tat. Man müsste sich zumindest Gedanken über eine nachvollziehbare Abstufung zu anderen Fällen einer fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr machen.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Tobias__21 »

Verhandlung zum Berliner Raser-Fall BGH zwei­felt am Töt­ungs­vor­satz

https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... ign=buffer
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von UltimaSpes »

"... der Tötungsvorsatz laut Landgericht erst dann sicher festgestellt werden konnte, als die beiden Männer auf die letzte Kreuzung fuhren. `Gleichzeitig schreibt das Landgericht, dass sie in diesem Moment aber einen Unfall gar nicht mehr hätten verhindern können´. Damit gehe das Landgericht von einem nachträglichen Vorsatz (dolus subsequens) aus, der strafrechtlich irrelevant ist."


--> Also der Tötungsvorsatz der beiden Angeklagten hat sich - nach den Feststellungen des LG - vielleicht erst zu einem Zeitpunkt gebildet, als sich das Tatgeschehen nicht mehr beherrschen ließ.

Damit kann man an diesen Punkt hinsichtlich des Tötungsvorsatzes nicht mehr anknüpfen, weil hier bereits kein vom Menschen mehr beherrschbares Verhalten vorliegt, also keine Tathandlung (und Tathandlung und Tötungsvorsatz müssen ja zusammenfallen).

Verstehe ich die Passage des Artikels richtig?
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Tobias__21 »

Kritik an der Konstruktion des nachträglichen Vorsatzes von einer Juniorprofessorin:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... terschaft/
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sai
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von sai »

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ ... e-toetung/

Ich möchte insbesondere auf den zweiten Kommentar unter dem Artikel hinweisen: "Da platzt einem ja der geschwollene Ficker vor Wut!!"
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doctor
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von doctor »

So ein absolut lächerliches Urteil des BGH ... Leider war auch die Begründung des LG Berlin ziemlich schwach.

Das ganze Gelaber dann um die letzte Kreuzung lenkte doch nur vom Offensichtlichen ab. Wer mit 170 durch eine Stadt ballert, der handelt einfach bedingt vorsätzlich, da er jederzeit einen Fußgänger oder Radfahrer plattmachen könnte und dies natürlich auch weiß und einfach so hinnimmt. Oder sind diese komischen Richter alle niemals zu Fuß in einer Stadt unterwegs? Insofern war hier bereits der Tatbestand des versuchten Mordes verwirklicht, ganz ohne auf den tatsächlichen Abschuss des Jeeps abzustellen.

Mein Gott, was haben wir für armselige Gerichte ...
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Kroate »

Die rechtliche Beurteilung des BGH ist doch ziemlich nachvollziehbar wie ich finde.

Da fällt es mir deutlich schwerer, die Ablehnung des Tötungsvorsatzes im folgenden, kürzlich in Frankfurt entschiedenen, Fall nachzuvollziehen:

"Der Angeklagte hatte sich im September 2015 am Rande eines Volksfestes in Kriftel (Main-Taunus-Kreis) darüber geärgert, dass sich die Frau und ihr Lebensgefährte auf dem Zebrastreifen küssten. Der Fahrer beschleunigte, die Frau wurde vom Wagen erfasst und auf die Motorhaube geschleudert. Dann geriet die 41-Jährige unter das Auto und wurde rund 400 Meter mitgeschleift. Sie starb an der Unfallstelle. Ihr damals 38 Jahre alter Lebensgefährte wurde zu Boden geschleudert und verletzt."

http://m.faz.net/aktuell/gesellschaft/k ... 71876.html

Das soll dann "nur" Körperverletzung mit Todesfolge sein.


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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von doctor »

Kroate hat geschrieben:Die rechtliche Beurteilung des BGH ist doch ziemlich nachvollziehbar wie ich finde.

Da fällt es mir deutlich schwerer, die Ablehnung des Tötungsvorsatzes im folgenden, kürzlich in Frankfurt entschiedenen, Fall nachzuvollziehen:

"Der Angeklagte hatte sich im September 2015 am Rande eines Volksfestes in Kriftel (Main-Taunus-Kreis) darüber geärgert, dass sich die Frau und ihr Lebensgefährte auf dem Zebrastreifen küssten. Der Fahrer beschleunigte, die Frau wurde vom Wagen erfasst und auf die Motorhaube geschleudert. Dann geriet die 41-Jährige unter das Auto und wurde rund 400 Meter mitgeschleift. Sie starb an der Unfallstelle. Ihr damals 38 Jahre alter Lebensgefährte wurde zu Boden geschleudert und verletzt."

http://m.faz.net/aktuell/gesellschaft/k ... 71876.html

Das soll dann "nur" Körperverletzung mit Todesfolge sein.


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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Muirne »

Hatte ich erwartet, dass das kassiert würde. Das Argument mit der versuchten Tötung war schon immer ziemlich gut.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von famulus »

doctor hat geschrieben:So ein absolut lächerliches Urteil des BGH ...

[...]

Mein Gott, was haben wir für armselige Gerichte ...
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»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Tobias__21 »

Der Sticker ist nicht aktuell....Da fehlt was zu Diesel PKWen
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Ara
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Ara »

Da hat Enigma wohl den BGH überzeugt :D
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von erudite »

Die Entscheidung war ja irgendwie abzusehen.
Ich denke im Hinblick auf den neuen 315d StGB ist ein "sozial-politisch" orientiertes Urteil zum Zwecke der "Abschreckung" nicht mehr unbedingt nötig. Auch wenn ich persönlich den Herren den Mord gewünscht hätte, so finde ich die Meinung des BGHs dogmatisch richtiger. Das Unrecht wird ja ab sofort auch deutlich härter bestraft. Die hatten leider einfach Glück, dass sie zu früh dran waren.
Fortschritt; nicht Perfektion
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