Und auch wenn ich nicht vertieft mit in die Diskussion um das Berliner Urteil einsteigen möchte, will ich doch zwei Kommentare abgeben:
- Enigmas Argumentation ist mit Sicherheit weder "unterkomplex" noch "laienhaft/gefühlsbetont" noch "ignorant", sondern durchaus sehr gut nachvollziehbar und gut begründet. Man muss sie ja nicht teilen (ich tue es dennoch zumindest teilweise) aber diese Spitzen sind völlig unangebracht und stören die sonst gute Diskussion.
- thh gratuliere ich zu seinen ersten drei Posts in diesem Fred. Ich finde sie sensationell gut und es sehr beruhigend, dass wir solche Richter haben.
Natürlich muss das de lege lata berücksichtigt werden. Gleichwohl halte ich den Aufhebungsgrund angesichts des derzeit in der Bevölkerung vorherrschenden Hangs zu immer härteren Strafen in vielen Bereichen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts und konkret in den Raserfällen für schwierig. Polemisch ausgedrückt will der BGH hier den Blutdurst des Mistgabel-Mobs befriedigen (das sieht § 56 Abs. 3 ja irgendwie gerade auch vor). Schlimm genug, dass der Gesetzgeber diesem Drang - bedingt durch die zunehmende Bedeutung von Populismus in allen politischen Lagern - immer mehr nachgibt (siehe die Strafrechtsreformen der vergangenen zwei Jahre). Das ist aber ein Feuer, das m.E. im Moment ohnehin sehr heiß brennt und das keines weiteren Brandbeschleunigers bedarf. Natürlich darf und soll dieser Fehler der Gerichte benennen und korrigieren - auch wenn sie § 56 Abs. 3 betreffen. Im vorliegenden Fall riecht das aber ein wenig komisch. Der BGH war hierbei sicherlich geleitet vom großen Medien- und Bevölkerungsecho zum konkreten Fall aber auch zu den anderen prominent behandelten Raserfällen in jüngster Zeit (siehe Gesetzesänderung). Glücklicherweise greifen die Medien das Urteil soweit ersichtlich überraschend differenziert auf, selbst die Bild verzichtet bei der Meldung weitgehend auf Überspitzung. Auch hat der BGH das Bedürfnis hier nicht von sich aus bejaht, sondern zur näheren Prüfung zurückverwiesen - insofern alles gut. Ich bin mir gleichwohl noch nicht sicher, was ich davon halten soll.BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16 hat geschrieben:Angesichts der vom Landgericht festgestellten Häufung von Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang aufgrund überhöhter Geschwindigkeit in Köln und an anderen Orten fehlte es bei der Bewährungsentscheidung zudem an einer ausreichenden Erörterung der Frage, wie sich unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) eine Strafaussetzung zur Bewährung auf das allgemeine Rechtsempfinden und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts auswirken würde.
Dabei darf nicht übersehen werden, dass § 56 Abs. 3 erfordert, dass ein unabweisbares Bedürfnis für die Vollstreckung besteht. Es genügt gerade nicht, dass die Vollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung bloß "erforderlich" ist.
Wie steht ihr allgemein zu diesem Erwägungsgrund? Das Thema ist aktuell, da es auch im U-Bahn-Treter-Fall, der ja ebenfalls gestern abgeurteilt wurde, sicherlich eine erhebliche Rolle gespielt hat.