Straßenrennen und Strafzumessung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Honigkuchenpferd
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Die relevanten Gesichtspunkte haben wir hier aber sehr wohl diskutiert, und das taucht auch alles in der Begründung des LG Berlin auf.

Daneben halte ich es nach wie vor für keineswegs "absurd", in solchen Fällen wegen versuchten Mordes zu verurteilen, wenn es auch auf den ersten Blick überraschen mag. Die Frage ist eher, welche Voraussetzungen für das unmittelbare Ansetzen gegeben sein müssen.
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[enigma]
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Die relevanten Gesichtspunkte haben wir hier aber sehr wohl diskutiert, und das taucht auch alles in der Begründung des LG Berlin auf.

Daneben halte ich es nach wie vor für keineswegs "absurd", in solchen Fällen wegen versuchten Mordes zu verurteilen, wenn es auch auf den ersten Blick überraschen mag. Die Frage ist eher, welche Voraussetzungen für das unmittelbare Ansetzen gegeben sein müssen.
Das Zufahren auf die erste rote Ampel. Der Beinaheunfall kann keine Voraussetzung sein, weil der Täter darauf überhaupt keinen Einfluss hat und die Schwelle zum Jetzt-geht-es-los hierdurch deshalb nicht bewusst überschreiten kann. Die Hürde liegt also recht niedrig.

Es braucht übrigens nicht einmal eine rote Ampel. Ich habe keinen Zweifel daran, dass das LG auch dann wegen Mordes verurteilt hätte, wenn dem Opfer bei gleicher Geschwindigkeit und Fahrweise im Übrigen lediglich die Vorfahrt genommen worden wäre. Es reicht nach dieser Ansicht also für versuchten Mord aus, bei einem illegalen Rennen mit entsprechender Geschwindigkeit durch die Innenstadt zu fahren.
Zuletzt geändert von [enigma] am Donnerstag 6. Juli 2017, 13:17, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Du musst aber schon auch diesbezüglich die konkreten Umstände berücksichtigen (Geschwindigkeit, Verkehrssituation, Gefahr eines Unfalls durch Position der Ampel usw.) Nach alledem lagen die Hürden im konkreten Fall nicht "recht niedrig".
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Ara
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Ara »

[enigma] hat geschrieben: Im Übrigen setzt sich das LG auch nicht mit dem Problem auseinander, dass es ohne Unfall wegen versuchten Mordes hätte verurteilen müssen, was einigermaßen absurd wäre. Dazu musste sich das LG natürlich nicht äußern. Der Gedanke sollte den Richtern bei der Absetzung des Urteils aber zumindest mal gekommen sein.
Es kommt drauf an wo du das unmittelbare Ansetzen siehst. Dies wird man vermutlich beim Überfahren der konkreten roten Ampel/Kreuzung trotz erkennbaren Querverkehr erblicken müssen. Hier sehe ich aber auch ehrlich kein großes Problem wegen versuchten Tötungsdeliktes zu verurteilen, wenn der Verunfallte nur verletzt worden wäre oder es nur zum "Beinahunfall" gekommen wäre.

Deine Kritik beschränkt sich meines Erachtens auch auf "Wir können nicht in den Kopf schauen". Das Problem hast du aber doch immer? Dann könnten wir auch nen Ladendieb nicht verurteilen, der den Kassenbereich passiert hat. Hier wird auch aus dem äußeren Verhalten auf den Vorsatz geschlossen.

Von daher finde ich es nun nicht so völlig fernliegend, dass wenn jemand wien verrückter ein Autorennen in der Stadt fährt, er einen dolus eventualis haben kann.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Ara hat geschrieben:
Es kommt drauf an wo du das unmittelbare Ansetzen siehst. Dies wird man vermutlich beim Überfahren der konkreten roten Ampel/Kreuzung trotz erkennbaren Querverkehr erblicken müssen. Hier sehe ich aber auch ehrlich kein großes Problem wegen versuchten Tötungsdeliktes zu verurteilen, wenn der Verunfallte nur verletzt worden wäre oder es nur zum "Beinahunfall" gekommen wäre.
Du müsstest dann aber wie gesagt auch ohne Beinaheunfall wegen Versuchs verurteilen. Es genügt die bewusste Überschreitung der Versuchsschwelle durch den Täter (Zufahren auf Kreuzung mit roter Ampel und erkennbarem Querverkehr). Der Querverkehr muss nichtmal tatsächlich in der Sekunde des Überquerens stattfinden. Denn wenn du mit 200 auf ne rote Ampel zurast, wirst du gar nicht erkennen können, ob da nun ein Auto von der Seite kommt oder nicht. Zumal die Versuchsschwelle bereits ab dem Punkt überschritten ist, ab dem der Täter erkennt, dass er nicht mehr vor der Ampel wird bremsen können. Bei derartigen Geschwindigkeiten ist das ne erhebliche Strecke, ab diesem Zeitpunkt hat der Täter also überhaupt keinen Einfluss mehr auf Querverkehr.
Deine Kritik beschränkt sich meines Erachtens auch auf "Wir können nicht in den Kopf schauen". Das Problem hast du aber doch immer? Dann könnten wir auch nen Ladendieb nicht verurteilen, der den Kassenbereich passiert hat. Hier wird auch aus dem äußeren Verhalten auf den Vorsatz geschlossen.
Nein, meine Kritik bezieht sich darauf, dass das LG die Grundsätze der Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und Vorsatz außer Acht lässt. Wer sich selbst ebenso gefährdet wie seine potenziellen Opfer, handelt grundsätzlich nicht vorsätzlich. Dafür, dass hier ein Ausnahmefall in Form eines suizidalen Täters vorliegt, gibt es keinerlei Hinweise. Es spricht dagegen viel dafür, dass die Täter extrem dumm und rücksichtlos waren und sich maßlos selbst überschätzt haben. Das reicht aber nicht für Vorsatz.
Von daher finde ich es nun nicht so völlig fernliegend, dass wenn jemand wien verrückter ein Autorennen in der Stadt fährt, er einen dolus eventualis haben kann.
Klar kann er das. Wurde hier aber nicht bewiesen.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Ara »

[enigma] hat geschrieben: Du müsstest dann aber wie gesagt auch ohne Beinaheunfall wegen Versuchs verurteilen. Es genügt die bewusste Überschreitung der Versuchsschwelle durch den Täter (Zufahren auf Kreuzung mit roter Ampel und erkennbarem Querverkehr). Der Querverkehr muss nichtmal tatsächlich in der Sekunde des Überquerens stattfinden. Denn wenn du mit 200 auf ne rote Ampel zurast, wirst du gar nicht erkennen können, ob da nun ein Auto von der Seite kommt oder nicht.
Und du meinst bei "so schnell auf eine rote Ampel zurasen, dass man Querverkehr nicht mehr sehen (und damit auch nicht ausweichen kann)" ist die Annahme eines "Na wenn schon" statt ein "Das wird schon gut gehen" unvertretbar?

Du musst immer beachten, dass auch wenn du dich der Ansicht des LG nicht anschließt, es nicht automatisch unvertretbar ist.

Ich vermute übrigens, dass der Tötungsvorsatz vom BGH gehalten wird aber möglicherweise die Mordmerkmale ein Problem darstellen werden.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Ara hat geschrieben:
Und du meinst bei "so schnell auf eine rote Ampel zurasen, dass man Querverkehr nicht mehr sehen (und damit auch nicht ausweichen kann)" ist die Annahme eines "Na wenn schon" statt ein "Das wird schon gut gehen" unvertretbar?
Es kommt auf den Einzelfall an. Hier haben wir keine selbstmörderischen Geisterfahrer auf dem Weg zum Mitnahmeselbstmord, sondern bescheuerte Halbstarke, die sich in ihren aufgemotzten Autos wie Könige und die besten Fahrer der Welt fühlen. Die hatten weder Vorsatz bezüglich eines Unfalls - der zur Niederlage im Rennen sowie zum Verlust des Autos geführt hätte - noch zu einer Selbsttötung, die bei der Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers durch Kollision sehr wahrscheinlich gewesen wäre. Die Annahme eines "na wenn schon" aufgrund gefährlichen Verhaltens ist verdammt schwierig, wenn es sich nicht nur auf die Tötung anderer Personen, sondern gleichzeitig auch auf die eigene Tötung bezieht. Das sind krasse Ausnahmefälle, für die konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen. Die sehe ich hier nicht, die legt das LG im Urteil auch nicht dar.
Du musst immer beachten, dass auch wenn du dich der Ansicht des LG nicht anschließt, es nicht automatisch unvertretbar ist.
Das stimmt. Ich halte aber wie gesagt auch die Begründung für nicht überzeugend. Das LG setzt sich nur sehr oberflächlich mit den Umständen auseinander, die hier gegen einen Vorsatz sprechen. Der Schluss vom objektiv gefährlichen auf vorsätzliches Verhalten erfolgt unter Nichtberücksichtigung der dazu vertretenen Grundsätze.
Ara hat geschrieben:Ich vermute übrigens, dass der Tötungsvorsatz vom BGH gehalten wird aber möglicherweise die Mordmerkmale ein Problem darstellen werden.
Das wäre in der Tat eine mögliche - mE aber nicht begrüßenswerte, da nach wie vor falsche - Kompromisslösung. Wobei ich da bei den Mordmerkmalen weniger Probleme hätte.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Es kommt auf den Einzelfall an. Hier haben wir keine selbstmörderischen Geisterfahrer auf dem Weg zum Mitnahmeselbstmord, sondern bescheuerte Halbstarke, die sich in ihren aufgemotzten Autos wie Könige und die besten Fahrer der Welt fühlen. Die hatten weder Vorsatz bezüglich eines Unfalls - der zur Niederlage im Rennen sowie zum Verlust des Autos geführt hätte - noch zu einer Selbsttötung, die bei der Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers durch Kollision sehr wahrscheinlich gewesen wäre. Die Annahme eines "na wenn schon" aufgrund gefährlichen Verhaltens ist verdammt schwierig, wenn es sich nicht nur auf die Tötung anderer Personen, sondern gleichzeitig auch auf die eigene Tötung bezieht.
Auch zu dieser Argumentation hat das Landgericht Stellung genommen und begründet, warum das billigende Inkaufnehmen eines für andere tödlichen Unfall nicht zwingend bedeuten muss, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. (Die Argumentation finde ich übrigens ganz charmant - muss ich mir merken.)

Man muss die Auffassung nicht teilen, und das ist fraglos einer der schwierigsten Punkte, aber ...
[enigma] hat geschrieben:Das sind krasse Ausnahmefälle, für die konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen. Die sehe ich hier nicht, die legt das LG im Urteil auch nicht dar.
... man sollte die Argumentation des Gerichts schon zur Kenntnis nehmen und sich ggf. damit auseinandersetzen.
[enigma] hat geschrieben:Im Übrigen setzt sich das LG auch nicht mit dem Problem auseinander, dass es ohne Unfall wegen versuchten Mordes hätte verurteilen müssen, was einigermaßen absurd wäre. Dazu musste sich das LG natürlich nicht äußern. Der Gedanke sollte den Richtern bei der Absetzung des Urteils aber zumindest mal gekommen sein.
Er kam ihnen auch:
Auch die Argumentation, die hiesige rechtliche Betrachtungsweise mache jeden an einer Kreuzung zu schnell fahrenden Autofahrer zu einem potentiellen Mörder, verfängt nicht. Der Schluss auf einen mutmaßlichen inneren Sachverhalt beruht ebenso wenig wie die Zuschreibung von Vorsatz auf einem Einfaktorenmodell der Erfolgswahrscheinlichkeit. Eine solche Verengung des Sichtfeldes wird weder der Komplexität eines juristischen Wertungsaktes gerecht, noch sind die vielgestaltigen Bedingungen einer inneren Entscheidungsfindung adäquat abgebildet. Beurteilungsgrundlage der Vorsatzannahme ist in jedem Fall der gesamte Geschehensablauf mit all seinen objektiven und subjektiven Facetten (Godenzi / Bächli-Biétry, a.a.O., 622, vgl. auch Preuß, a.a.O.). Inwieweit es im vorgelagerten Rennbereich zu derartig gefahrenträchtigen Situationen wie der an der Unfallkreuzung gekommen ist, hatte offen zu bleiben, da sie nicht Gegenstand der zu beurteilenden Anklage waren. Nur die wenigsten auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführenden tödlich endenden Unfallereignisse werden einem Totschläger oder Mörder zuzurechnen sein, zumal sich auch nicht jeder Täter auf ein Autorennen einlässt. Massive Geschwindigkeitsüberschreitungen allein können auch bei tödlichen Folgen die Vorsatzannahme nicht tragen (Godenz / Bächli-Biétry, a.a.O., 623). Es ist naheliegend, dass in der Anfangsphase des hiesigen Rennens bei noch eingehaltenen Geschwindigkeiten von unter oder um 100 km/h, geradem Straßenverlauf, teilweise vorhandener Einsehbarkeit der querenden Straße, grünem Ampellicht etc. die Gesamtabwägung aller einzubeziehenden objektiven und subjektiven Tatumstände noch ein anderes Ergebnis hätte zeitigen können. Dies stellt jedoch die von der Kammer für den Unfallzeitpunkt und -ort vorgenommene Bewertung nicht in Frage, da sich erst dort die gefahrträchtige Situation in der oben beschriebenen Art und Weise unter Einbeziehung und Bewertung aller relevanten Beweisanzeichen tödlich aktualisiert hat.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Swann »

[enigma] hat geschrieben:Streng genommen wurde es nicht ausdiskutiert, weil das Urteil ja noch nicht vorlag. ;)

Im Übrigen setzt sich das LG auch nicht mit dem Problem auseinander, dass es ohne Unfall wegen versuchten Mordes hätte verurteilen müssen, was einigermaßen absurd wäre. Dazu musste sich das LG natürlich nicht äußern. Der Gedanke sollte den Richtern bei der Absetzung des Urteils aber zumindest mal gekommen sein.
Bist du der Meinung, dass die Annahme von Vorsatz davon abhängig gemacht werden sollte, dass man keine angeblich "absurden" Versuchstaten provoziert? Falls ja, wie fügt sich diese Überlegung in die Vorsatzdogmatik ein?
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von julée »

Swann hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Streng genommen wurde es nicht ausdiskutiert, weil das Urteil ja noch nicht vorlag. ;)

Im Übrigen setzt sich das LG auch nicht mit dem Problem auseinander, dass es ohne Unfall wegen versuchten Mordes hätte verurteilen müssen, was einigermaßen absurd wäre. Dazu musste sich das LG natürlich nicht äußern. Der Gedanke sollte den Richtern bei der Absetzung des Urteils aber zumindest mal gekommen sein.
Bist du der Meinung, dass die Annahme von Vorsatz davon abhängig gemacht werden sollte, dass man keine angeblich "absurden" Versuchstaten provoziert? Falls ja, wie fügt sich diese Überlegung in die Vorsatzdogmatik ein?
Zumal ich es nicht für sonderlich absurd halte, denjenigen, der mit bis zu 160 km/h vom Kudamm kommend die Tauentzienstraße entlangrast, mit zwei bis drei Jahren aufwärts wegen eines versuchten Tötungsdelikts zu bestrafen.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von markus87 »

Auch Enigmas Ausführungen zum Unmittelbaren Ansetzen sind im Vergleich zu dem, an was ich mich noch düster erinnere...wait for it...unterkomplex.

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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Eagnai »

Swann hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Streng genommen wurde es nicht ausdiskutiert, weil das Urteil ja noch nicht vorlag. ;)

Im Übrigen setzt sich das LG auch nicht mit dem Problem auseinander, dass es ohne Unfall wegen versuchten Mordes hätte verurteilen müssen, was einigermaßen absurd wäre. Dazu musste sich das LG natürlich nicht äußern. Der Gedanke sollte den Richtern bei der Absetzung des Urteils aber zumindest mal gekommen sein.
Bist du der Meinung, dass die Annahme von Vorsatz davon abhängig gemacht werden sollte, dass man keine angeblich "absurden" Versuchstaten provoziert? Falls ja, wie fügt sich diese Überlegung in die Vorsatzdogmatik ein?
Man könnte das Ganze auch statt "absurd" schlicht "konsequent" nennen.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Swann hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Streng genommen wurde es nicht ausdiskutiert, weil das Urteil ja noch nicht vorlag. ;)

Im Übrigen setzt sich das LG auch nicht mit dem Problem auseinander, dass es ohne Unfall wegen versuchten Mordes hätte verurteilen müssen, was einigermaßen absurd wäre. Dazu musste sich das LG natürlich nicht äußern. Der Gedanke sollte den Richtern bei der Absetzung des Urteils aber zumindest mal gekommen sein.
Bist du der Meinung, dass die Annahme von Vorsatz davon abhängig gemacht werden sollte, dass man keine angeblich "absurden" Versuchstaten provoziert? Falls ja, wie fügt sich diese Überlegung in die Vorsatzdogmatik ein?
Wenn man die Vorsatzdogmatik bei der Verurteilung wegen Vorsatzdelikten einhält kommt man doch gar nicht in die Situation, absurde Versuchstaten zu schaffen. Das Problem hat man nur dann, wenn man unter dem Eindruck einer den Rechtsfrieden besonders erschütternden Tat nur aufgrund einer Rechtslage verurteilen kann, die dieser Störung nun mal nicht gerecht werden kann und dann ergebnisorientiert die Dinge so hinbiegt, bis sie einen Mord ergeben.
julée hat geschrieben:
Zumal ich es nicht für sonderlich absurd halte, denjenigen, der mit bis zu 160 km/h vom Kudamm kommend die Tauentzienstraße entlangrast, mit zwei bis drei Jahren aufwärts wegen eines versuchten Tötungsdelikts zu bestrafen.
Wegen versuchten Mordes. Und du wärst also nicht nur für die Verurteilung bei illegalen und hochgefährlichen Rennen in der konkreten Situation, sondern bereits bei "normalen" Rasern?
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von julée »

[enigma] hat geschrieben:
="julée"]

Zumal ich es nicht für sonderlich absurd halte, denjenigen, der mit bis zu 160 km/h vom Kudamm kommend die Tauentzienstraße entlangrast, mit zwei bis drei Jahren aufwärts wegen eines versuchten Tötungsdelikts zu bestrafen.

Wegen versuchten Mordes. Und du wärst also nicht nur für die Verurteilung bei illegalen und hochgefährlichen Rennen in der konkreten Situation, sondern bereits bei "normalen" Rasern?
Es dürfte kaum möglich sein, den fraglichen Straßenabschnitt mit an die 160 km/h (statt den erlaubten 50 km/h) zu befahren, ohne dass das für alle Beteiligten und Nebenstehenden, die es dort zu jeder Tag- und Nachtzeit gibt, hochgefährlich ist. Es geht also nicht nur um ein "bisschen" Rasen und Nervenkitzel, sondern darum die Innenstadt zur Autobahn zu machen; insofern hätte ich wenig Probleme damit, auch bei einem "normalen" Raser, der an der Kreuzung Tauentzienstraße / Nürnberger Straße über eine rote Ampel fahrend die 160 km/h knackt, über einen bedingten Tötungsvorsatz nachzudenken. Und wenn man sich die Besonderheiten der hier diskutierten Fallkonstellation vor Augen hält, dann dürfte klar sein, dass das meilenweit von sozialadäquaten bis risikofreudigen Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Verkehrsverstößen entfernt ist.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:Und wenn man sich die Besonderheiten der hier diskutierten Fallkonstellation vor Augen hält, dann dürfte klar sein, dass das meilenweit von sozialadäquaten bis risikofreudigen Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Verkehrsverstößen entfernt ist.
Das bestreitet ja niemand. Abder der Vorsatz schließt eben nicht nahtlos an das Ende der Sozialadäquanz bzw. nachvollziehbaren Risikofreudigkeit an. Auch das Risiko hochgefährlicher Verhaltensweisen kann vom Täter einer Fahrlässigkeitstat völlig ausgeblendet oder verdrängt werden. Das wird einfacher, je häufiger ein bestimmtes Verhalten in der Vergangenheit gut gegangen ist. Wer zum ersten Mal mit 160 durch die Stadt brettert, wird sich vor Angst ans Lenkrad krallen, wer das regelmäßig macht, denkt nicht mehr ans Risiko. Und nur darauf kommt es für den (bedingten) Vorsatz an. Und da überzeugen mich die Ausführungen des LG Berlin eben überhaupt nicht. So verachtenswert ich das Verhalten der Angeklagten und so unzureichend ich die normalen Strafandrohungen auch selbst finde. Klar muss jeder halbwegs normale Mensch erkennen, was er da macht und wie gefährlich das ist. Natürlich "dürfte das klar sein". Das ist aber erstmal nur der Fahrlässigkeitsvorwurf. Bis zum Vorsatz ist es eben noch ein gewaltiger Schritt, den das LG für mich nicht ausreichend und nachvollziehbar begründet.
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