Straßenrennen und Strafzumessung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Honigkuchenpferd
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Wenn ich mit Leuten diskutiere, die heftige Kritik, fast schon Hass gegenüber der (insbesondere Straf-)Justiz äußern, scheinen die allesamt von einem Verlangen nach Vergeltung motiviert zu sein, der im Strafprozess nunmal aus guten Gründen keine tragende Rolle spielt. In der Gesellschaft scheint das "Auge um Auge" Prinzip ebenso verbreitet zu sein, wie der Irrglaube, man könne mit schematischen Lösungen gerechte Urteile finden und deshalb jedes Urteil anhand von wesentlichen Rahmenpunkten überprüfen. Wenn ein vorbestrafter "Vergewaltiger" (tatsächlich war es sexuelle Nötigung) dann "nur" drei Jahre bekommt, hat die Justiz natürlich versagt. In solchen Fällen kann die Strafe ohnehin nie hoch genug sein, um in den lautesten Teilen der Öffentlichkeit ein Gefühl der Genugtuung zu erreichen, mal ganz abgesehen davon, dass das nicht das Ziel sein darf.
Ich weiß ja nicht, mit wem du diskutierst, aber diesen Eindruck habe ich nicht. Möglicherweise beruht das ja auf Unterstellungen deinerseits?

Nehmen wir doch mal den Kölner Fall als konkretes Beispiel: Entspricht das deinem Gerichtskeitsempfinden?
Und im Vergleich zu wieder anderen, zum Beispiel skandinavischen Rechtsordnungen, sind deutsche Strafurteile bisweilen drakonisch.
Das stimmt (wenn auch nicht in diesem Zusammenhang) und belegt die angesprochene Kontingenz, die es erst recht erforderlich macht, mehr anzugeben als ein: "Machen wir halt so". Die Frage ist nämlich gerade deshalb: Warum entscheidet man sich für das eine oder das andere, und wie kommt es bei den Personen an, deren Verhalten dadurch gesteuert werden soll?
Mein Vertrauen auf den Rechtsstaat wird wie gesagt dadurch gestärkt, dass die Justiz sich wie gesagt nicht von öffentlichen "hängt ihn höher"-Rufen beeinflussen lässt, sondern jeden Einzelfall nach seinen konkreten Umständen beurteilt. Wenn dann im Ergebnis ein Urteil rauskommt, das ich aus der Ferne nicht nachvollziehen kann, ist das ein Preis, den ich gerne zahle.
Ich denke nicht, dass es von "Hängt-ihn-höher-Rufen" zeugt, wenn man Bewährungsstrafen in derartigen Fällen kritisch gegenübersteht oder woher jetzt wieder diese Unterstellungen kommen. Zumal es diese Probleme mit Rasern und Rennen tatsächlich gerade in Köln gibt - auch wenn das Gericht dem KStA-Bericht zufolge selbst das lieber offenlassen wollte.
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Tibor
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

Mich würde mal interessieren, wann in diesen Fällen - Beweisführung der objektiven Tatsachen unterstellt - ein 315b III erfüllt ist. Ein Rennen könnte man doch als Pervertierten Eingriff von Außen auffassen, oder?
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Der Gedanke ist sicher nicht völlig abwegig, aber nach h.A. setzt § 315b StGB insoweit nun einmal (bedingten) Schädigungsvorsatz voraus.
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[enigma]
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Ich weiß ja nicht, mit wem du diskutierst, aber diesen Eindruck habe ich nicht. Möglicherweise beruht das ja auf Unterstellungen deinerseits?
Mit "entfernten", meist deutlich älteren Familienangehörigen, Freunden und sogar Kollegen (also Juristen, dann aber meistens keine Strafrechtler). Teilweise werden natürlich (wie von dir) valide Argumente gebracht, die deutlich über das Verlangen nach Vergeltung hinausgehen. Das sind dann aber nicht die von dir angesprochenen Fälle, in denen die Kritik bis hin zum Hass auf die Justiz geht. Diese Fälle zeichnen sich tatsächlich dadurch aus, dass ihr Unverständnis auf einem völlig falschen Verständnis von einem Rechtsstaat beruht. Solche Stimmen kann man als Richter bei der Urteilsfindung natürlich nicht berücksichtigen.

Wie gesagt halte ich den Fall Tugce diesbezüglich für ein gutes Beispiel. Vor allem die Nichtjuristen, mit denen ich darüber diskutiert habe, sagten immer "die wollte nur helfen und er hat sie getötet, das muss doch Mord sein!". Solche Missverständnisse und Fälle sind tatsächlich dazu geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu erschüttern. Die beseitigt man aber wie gesagt besser durch Aufklärung, nicht durch strengere Urteile.
Nehmen wir doch mal den Kölner Fall als konkretes Beispiel: Entspricht das deinem Gerichtskeitsempfinden?
Wie gesagt, ich kann das anhand der mir zur Verfügung stehenden Informationen nicht sicher genug beantworten, um das Gericht dafür zu kritiseren. Vom Gefühl er: Die Bewährungsstrafe für den einen eher ja, die für den anderen eher nein. Vielleicht hätten aber auch beide Freiheitsstrafen ohne Bewährung verdient, wenn ich als Richter alle Details des Falls kennen würde, vielleicht fände ich das Urteil so aber auch völlig richtig.
Ich denke nicht, dass es von "Hängt-ihn-höher-Rufen" zeugt, wenn man Bewährungsstrafen in derartigen Fällen kritisch gegenübersteht oder woher jetzt wieder diese Unterstellungen kommen. Zumal es diese Probleme mit Rasern und Rennen tatsächlich gerade in Köln gibt - auch wenn das Gericht dem KStA-Bericht zufolge selbst das lieber offenlassen wollte.
Die Unterstellung war nicht auf dich bezogen. Wie gesagt habe ich Verständnis für sachliche Kritik, wenn Entscheidungen nicht nachvollzogen werden können. Daraus alleine würde ich aber noch keinen dramatischen Vertrauensverlust für den Rechtsstaat ableiten. Der ergibt sich für andere, die Strafrecht eben hauptsächlich als Vergeltungsmittel sehen und ohnehin schon zweifelhafte Vorstellungen von Gerechtigkeit haben. Der Vergewaltiger soll am besten lebenslang verurteilt werden, der Vater, der den Vergewaltiger seiner Tochter ermordet, freigesprochen werden. Der von dir angesprochene Hass auf die Justiz und die Gefahr der Selbstjustiz würde ich eher an solchen Fällen festmachen als am Kölner Fall, der in einem Grenzbereich nunmal zugunsten der Bewährung ausgefallen ist. Natürlich muss die Justiz Kritik diesbezüglich zur Kenntnis nehmen und ihre eigene Arbeit kritisch hinterfragen. Wenn sie dann aber zum Ergebnis kommt, dass eine Bewährungsstrafe richtig ist und die Reaktion heirauf Hass ist, hat dieser einfach keine sachliche Grundlage mehr.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

Tibor hat geschrieben:Mich würde mal interessieren, wann in diesen Fällen - Beweisführung der objektiven Tatsachen unterstellt - ein 315b III erfüllt ist. Ein Rennen könnte man doch als Pervertierten Eingriff von Außen auffassen, oder?
Gibt es auch einen pervertierenden verkehrsfremden Eingriff von außen? Die "Pervertierung des Straßenverkehrs" spielt doch eigentlich bei verkehrsinternen Verhaltensweisen eine Rolle und da braucht es aber hinsichtlich der verkehrsfeindlichen Verwendung sogar dolus directus 1 Grades, für den Schädigungsvorsatz reicht allerdings dolus eventualis.

Aber die Frage ob bei einem geplanten Rennen nicht tatsächlich ein exogener Eingriff in den Verkehr vorliegt ist interessant.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Ein geplantes Rennen konnte hier aber gerade nich bewiesen werden, wenn ich die Berichterstattung richtig verfolgt habe. Honigkuchenpferds Ansicht, dass auch spontane Rennen bei tödlichem Ausgang mit mindestens zwei Jahren geahndet werden müssten, teile ich nicht.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Tobias__21 hat geschrieben:
Tibor hat geschrieben:Mich würde mal interessieren, wann in diesen Fällen - Beweisführung der objektiven Tatsachen unterstellt - ein 315b III erfüllt ist. Ein Rennen könnte man doch als Pervertierten Eingriff von Außen auffassen, oder?
Gibt es auch einen pervertierenden verkehrsfremden Eingriff von außen? Die "Pervertierung des Straßenverkehrs" spielt doch eigentlich bei verkehrsinternen Verhaltensweisen eine Rolle und da braucht es aber hinsichtlich der verkehrsfeindlichen Verwendung sogar dolus directus 1 Grades, für den Schädigungsvorsatz reicht allerdings dolus eventualis.

Aber die Frage ob bei einem geplanten Rennen nicht tatsächlich ein exogener Eingriff in den Verkehr vorliegt ist interessant.
Tibor hat sich da wohl etwas unglücklich ausgedrückt und eben das gemeint ;) .

Das Abhalten eines Rennens kann man natürlich aus guten Gründen als Pervertierung eines Verkehrsvorganges ansehen (es ist ja auch nach § 29 I StVO) verboten, aber wir stoßen dann eben auf das Problem, dass es zur Überwinderung der Sperrwirkung des § 315c StGB nach h.A. eines mindestens bedingten Schädigungsvorsatzes bedarf, und den wird man schwerlich bejahen können.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Ein geplantes Rennen konnte hier aber gerade nich bewiesen werden, wenn ich die Berichterstattung richtig verfolgt habe. Honigkuchenpferds Ansicht, dass auch spontane Rennen bei tödlichem Ausgang mit mindestens zwei Jahren geahndet werden müssten, teile ich nicht.
Damit war allerdings gemeint, dass sich "spontan" ein Rennen entwickelte und eben nicht vorher verabredet war. Aber ein Rennen war es eben doch.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

Klar, subjektiv würde das ganze scheitern. Aber ich frage mich gerade, ob man den Inneneingriff u "Pervertierung des Straßenverkehrs" überhaupt bemühen muss, wenn ein geplantes Rennen durchgeführt wird (unabhängig von diesem Fall in Köln). Ich denke man könnte das mit entsprechender Begründung auch als Eingriff von außen ansehen. Bedingten Vorsatz hinsichtlich einer konkreten Gefährdung braucht es aber auch hier.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Ein geplantes Rennen konnte hier aber gerade nich bewiesen werden, wenn ich die Berichterstattung richtig verfolgt habe. Honigkuchenpferds Ansicht, dass auch spontane Rennen bei tödlichem Ausgang mit mindestens zwei Jahren geahndet werden müssten, teile ich nicht.
Damit war allerdings gemeint, dass sich "spontan" ein Rennen entwickelte und eben nicht vorher verabredet war. Aber ein Rennen war es eben doch.
Natürlich. Aber es spielt für das Handlungsunrecht und den Grad der Sorgfaltswidrigkeit und Pflichtverletzung eben eine enorme Rolle, ob man zu einem Treffpunkt fährt, um dort Gleichgesinnte für Rennen zu finden und dann die Straßen unsicher zu machen, oder ob sich ein solches Rennen aus der Situation zB. an einer roten Ampel heraus entwickelt.
Tobias__21 hat geschrieben:Klar, subjektiv würde das ganze scheitern. Aber ich frage mich gerade, ob man den Inneneingriff u "Pervertierung des Straßenverkehrs" überhaupt bemühen muss, wenn ein geplantes Rennen durchgeführt wird (unabhängig von diesem Fall in Köln). Ich denke man könnte das mit entsprechender Begründung auch als Eingriff von außen ansehen. Bedingten Vorsatz hinsichtlich einer konkreten Gefährdung braucht es aber auch hier.
Hier würde es mir am Eingriff von außen fehlen, da ein Straßenrennen nunmal innerhalb des Straßenverkehrs und insbesondere nicht schon mit der Verabredung stattfindet. Ansonsten müsste man jede absichtliche Verletzung der Verkehrsregeln als Außeneingriff bezeichnen.
Zuletzt geändert von [enigma] am Sonntag 17. April 2016, 19:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

@[enigma]

Der Gedanke der Vergeltung kommt mir bei dir allerdings doch etwas zu kurz. Denn er ist eben nicht per se illegitim. Ganz im Gegenteil: Das Verhängen einer Strafe ist im Ausgangspunkt nun einmal eine staatliche Reaktion auf begangenes Unrecht. Durch Übelszufügung soll gegenüber dem (schuldhaft handelnden) Täter dokumentiert werden, dass der Staat dieses Unrecht nicht hinnehmen wird, und damit soll vor allem auch das - empirisch in jeder Gesellschaft belegbare - Bedürfnis nach "Sühne" befriedigt werden (was wiederum nicht zuletzt dem Zweck dient zu verhindern, dass der Einzelne "die Gerechtigkeit" in seine Hand nimmt).

Vor diesem Hintergrund spielt es eben durchaus eine Rolle, welchen Eindruck die Bevölkerung gewinnt, der in der Regel naturgemäß nicht demjenigen eines Juristen entsprechen wird. Und auch abseits von Eiferern kann man feststellen, dass dieser Eindruck regelmäßig ist, dass gerade Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit vielfach nicht ausreichend geahndet werden und dass es zudem ein befremdliches Missverhältnis gibt, wenn man das mit anderen Straftaten vergleicht (wie etwa Steuerhinterziehung).
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:@[enigma]

Der Gedanke der Vergeltung kommt mir bei dir allerdings doch etwas zu kurz. Denn er ist eben nicht per se illegitim. Ganz im Gegenteil: Das Verhängen einer Strafe ist im Ausgangspunkt nun einmal eine staatliche Reaktion auf begangenes Unrecht. Durch Übelszufügung soll gegenüber dem (schuldhaft handelnden) Täter dokumentiert werden, dass der Staat dieses Unrecht nicht hinnehmen wird, und damit soll vor allem auch das - empirisch in jeder Gesellschaft belegbare - Bedürfnis nach "Sühne" befriedigt werden (was wiederum nicht zuletzt dem Zweck dient zu verhindern, dass der Einzelne "die Gerechtigkeit" in seine Hand nimmt).
Klar muss der Sühnegedanke berücksichtigt werden. Aber mit Vergeltung ist ja in der Regel ein vollwertiger Ausgleich des verursachten Schadens gemeint. Bei den Opfern beziehungsweise Angehörigen ist das nachvollziehbar, lässt sich aber nunmal nicht erreichen. Wenn die Tötung des Mörders das Opfer wieder lebendig machen würde, gäbe es wohl überhaupt keine Diskussionen um die Todesstrafe. Aber derartige Verluste können durch noch so hohe Strafen eben nicht ausgeglichen werden. Weil das aber nicht erkannt oder berücksichtigt wird, werden Maximalstrafen gefordert, die irgendwann aber keinen Zweck mehr erfüllen. Deshalb darf man sich mE auch als Richter von solchen Erwartungen nicht treiben lassen, sondern muss die individuelle Schuld des Angeklagten bewerten. Und da kann es nunmal auch in einem solchen Fall unzählige Umstände geben, die für die Angeklagten sprechen. Auch wenn die Angehörigen das nachvollziehbarerweise nicht verstehen. Außerdem stellt der Strafrahmen nunmal einen Spielraum dar, mit dem das Recht alle denkbaren Deliktskonstellationen abdecken muss. Dass ein spontanes Rennen ganz erheblich weniger Unrecht verwirklicht, als ein Steinewerfer auf einer Autobahnbrücke, der aus Langeweile "mal gucken will, was passiert", liegt auf der Hand. Wenn das Rennen also eher im unteren/mittleren Bereich der fahrlässigen Tötung liegt, wird man das nicht stets mit Freiheitsstrafe ohne Bewährung bestrafen können.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Vor diesem Hintergrund spielt es eben durchaus eine Rolle, welchen Eindruck die Bevölkerung gewinnt, der in der Regel naturgemäß nicht demjenigen eines Juristen entsprechen wird. Und auch abseits von Eiferern kann man feststellen, dass dieser Eindruck regelmäßig ist, dass gerade Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit vielfach nicht ausreichend geahndet werden und dass es zudem ein befremdliches Missverhältnis gibt, wenn man das mit anderen Straftaten vergleicht (wie etwa Steuerhinterziehung).
Dem letzten Satz stimme ich zu. Wobei das eben daran liegt, dass man die hohen Strafen bei der Steuerhinterziehung tatsächlich zur Abschreckung braucht, weil Geldstrafen gerade bei erheblichen Wirtschaftsstraftaten in der Regel gar nicht ziehen, da fällt die Risikobewertung eben häufig zugunsten der Straftat aus. In der Öffentlichkeit führt das tatsächlich zu einer Diskrepanz, denn insbesondere Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit werden natürlich eher als Gefahr wahrgenommen ("das hätte auch ich/mein Kind sein können"), als der eher mittelbare und abstrakte Schaden, der durch Steuerdelikte verursacht wird. Allerdings wirken im Bereich der Gewaltdelikte auch geringere Strafandrohungen bereits abschreckend.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Klar muss der Sühnegedanke berücksichtigt werden. Aber mit Vergeltung ist ja in der Regel ein vollwertiger Ausgleich des verursachten Schadens gemeint. Bei den Opfern beziehungsweise Angehörigen ist das nachvollziehbar, lässt sich aber nunmal nicht erreichen. Wenn die Tötung des Mörders das Opfer wieder lebendig machen würde, gäbe es wohl überhaupt keine Diskussionen um die Todesstrafe. Aber derartige Verluste können durch noch so hohe Strafen eben nicht ausgeglichen werden. Weil das aber nicht erkannt oder berücksichtigt wird, werden Maximalstrafen gefordert, die irgendwann aber keinen Zweck mehr erfüllen. Deshalb darf man sich mE auch als Richter von solchen Erwartungen nicht treiben lassen, sondern muss die individuelle Schuld des Angeklagten bewerten. Und da kann es nunmal auch in einem solchen Fall unzählige Umstände geben, die für die Angeklagten sprechen. Auch wenn die Angehörigen das nachvollziehbarerweise nicht verstehen.
Das ist m.E. eben die falsche Prämisse, von der du ausgehst. Die allermeisten Leute wissen, dass man Straftaten nicht durch "Strafe" ungeschehen machen kann. Selbst Angehörigen ist dies zumeist nur allzu schmerzlich bewusst. Entsprechend wird in aller Regel auch nicht ein drakonisches Maximum an Strafe erwartet. Es gibt in diesem Bereich sehr wohl eine gewisse "Toleranz".

Nehmen wir mal diesen Fall als Beispiel: Hier ist eine junge Frau, die sich auf dem Nachhauseweg befand, einfach so getötet worden, weil zwei junge Männer sich das Recht herausnahmen, ein illegales Straßenrennen zu ihrer Belustigung zu veranstalten. Einer davon trat nach der Tat so auf, als habe es sich bei dem Unfallopfer nachgerade um einen Hund im Straßengraben gehandelt. In der Region um Köln gibt es etliche junge Männer, die eine ähnlich rücksichtslose Einstellung an den Tag legen (und auch dementsprechend viele Opfer). Wie reagiert der Staat nun auf das begangene Unrecht? Und wie wirkt das, wenn man es mit anderen Sachverhalten kontrastiert, bei denen Haftstrafen ohne Bewährung verhängt werden?

Für mich ist ganz klar, dass es hier nicht um Maximalstrafen geht, sondern darum, dass allmählich das Minimum des gesellschaftlich Akzeptieren (und Akzeptierbaren) unterschritten wird.
Dem letzten Satz stimme ich zu. Wobei das eben daran liegt, dass man die hohen Strafen bei der Steuerhinterziehung tatsächlich zur Abschreckung braucht, weil Geldstrafen gerade bei erheblichen Wirtschaftsstraftaten in der Regel gar nicht ziehen.
Das halte ich auch für zweifelhaft. M.E. müsste man noch viel stärker an den Geldbeutel der Betreffenden heran.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Außerdem stellt der Strafrahmen nunmal einen Spielraum dar, mit dem das Recht alle denkbaren Deliktskonstellationen abdecken muss. Dass ein spontanes Rennen ganz erheblich weniger Unrecht verwirklicht, als ein Steinewerfer auf einer Autobahnbrücke, der aus Langeweile "mal gucken will, was passiert", liegt auf der Hand. Wenn das Rennen also eher im unteren/mittleren Bereich der fahrlässigen Tötung liegt, wird man das nicht stets mit Freiheitsstrafe ohne Bewährung bestrafen können.
Ich bestreite entschieden, dass Straßenrennen - auch wenn sie spontan zustande kommen und nicht von langer Hand geplant sind - im "unteren/mittleren Bereich der fahrlässigen Tötung" liegen. Der Strafrahmen mag bei § 222 StGB in der Tat zu niedrig sein, gerade um die hier einschlägige Fallgruppe gut zu erfassen, aber er lässt sehr wohl auch ganz andere Differenzierungen zu.

Und das Beispiel eines Steinewerfers von der Autobahnbrücke ist auch nicht besonders glücklich gewählt. In diesem Fall bewegen wir uns nicht nur unfraglich im Bereich von § 315b StGB, sondern rasch auch in demjenigen vorsätzlicher Tötungsdelikte.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

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Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Nehmen wir mal diesen Fall als Beispiel: Hier ist eine junge Frau, die sich auf dem Nachhauseweg befand, einfach so getötet worden, weil zwei junge Männer sich das Recht herausnahmen, ein illegales Straßenrennen zu ihrer Belustigung zu veranstalten. Einer davon trat nach der Tat so auf, als habe es sich bei dem Unfallopfer nachgerade um einen Hund im Straßengraben gehandelt. In der Region um Köln gibt es etliche junge Männer, die eine ähnlich rücksichtslose Einstellung an den Tag legen (und auch dementsprechend viele Opfer). Wie reagiert der Staat nun auf das begangene Unrecht? Und wie wirkt das, wenn man es mit anderen Sachverhalten kontrastiert, bei denen Haftstrafen ohne Bewährung verhängt werden?
Kaum einer dieser Umstände ist ein anerkannter Gesichtspunkt bei der Strafzumessung, und das ist auch gut so. Es kann natürlich keine Rolle spielen, ob es sich beim Opfer um ein junges Mädchen auf dem Heimweg oder um einen Zuhälter auf dem Weg zu seinen Zwangsprostituierten handelte. Jedes Menschenleben ist gleichviel wert. Das finde ich absolut richtig, lässt sich den Eltern des Mädchens aber natürlich nicht vermitteln und ich würde es auch aus Pietätsgründen gar nicht erst versuchen. Das Nachtatverhalten stellt ebenfalls keinen Strafschärfungsumstand dar, da nur das bei der Tat begangene Unrecht bewertet werden kann. Allenfalls kann das reuelose Verhalten des einen Angeklagten deshalb als Argument gegen eine Strafaussetzung zur Bewährung berücksichtigt werden. Ich halte es auch für zweifelhaft, Strafen deshalb zu erhöhen, weil ein bestimmtes Delikt lokal begrenzt gerade "im Trend" ist oder ein akutes Problem darstellt. Zumal das zu einer völlig uneinheitlichen Rechtsanwendung führen würde und ich bereits Zweifel habe, ob höhere Strafen für einen Fall, mit dessen Eintritt die Beteiligten wohl ohnehin nicht rechnen, überhaupt abschrecken würden.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Für mich ist ganz klar, dass es hier nicht um Maximalstrafen geht, sondern darum, dass allmählich das Minimum des gesellschaftlich Akzeptieren (und Akzeptierbaren) unterschritten wird.
Was unterscheidet denn den Rennfall vom tödlichen Unfall, bei dem der Fahrer absichtlich zu schnell gefahren ist? Letztendlich handelt es sich dabei um einen höchst tragischen und verheerenden Unfall, für den die Fahrer natürlich die Verantwortung tragen, aber kaum kriminelle Energie an den Tag gelegt haben. Tatsächlich hätten sowohl das Opfer als auch die Fahrer deine oder meine Kinder sein können. Das sind also keine Schwerkriminellen, die sehenden Auges jemanden getötet haben. Deshalb hält sich das Bedürfnis nach einer sozial vernichtenden Strafe hier mE in Grenzen. Natürlich gibt es Sotuationen, in denen Teilnehmer an illegalen Rennen oder Raser im Allgemeinen ohne Bewährung verurteilt werden müssen. Das ergibt sich für mich aber wender aus dem Rennen selbst, noch aus dem verachtenswerten Verhalten nach dem Unfall.
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