Straßenrennen und Strafzumessung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Honigkuchenpferd
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Nein, das möchte ich nicht. Ich wehre mich nur dagegen, grundsätzliche Pauschallösungen für Fälle aufzustellen, bei denen es - wie immer im Strafrecht - auf den konkreten Einzelfall ankommt. Ich denke jedenfalls nicht, dass sich das Unrecht eines tödlichen Straßenrennens mit Verbrechen vergleichen lässt, bei denen eine grundsätzlich unbedingte Freiheitsstrafe der Regelfall ist und bei denen eine Bewährungsstrafe schlechthin nicht mehr nachvollziehbar wäre.
Ich denke sehr wohl, dass in der Regel eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung angezeigt wäre. Und im Übrigen sind das keine "Pauschallösungen", sondern es geht ja gerade darum, sich über Maßstäbe klarzuwerden, an denen man sich orientiert, wenn der Gesetzgeber keine genaueren Vorgaben gemacht hat, damit Entscheidungen nachvollziehbar sind und auch auf Akzeptanz stoßen. Natürlich kann man auch sagen: "Macht, wie ihr wollt" und auf die Entrüstung mit Achselzucken reagieren, wenn dann etwas menschlich kaum mehr Einsichtiges herauskommt.
Das Verhalten direkt nach der Tat mag in dem einen Fall gegen die Unrechtseinsicht sprechen, kann aber ebenso an der Schocksituation gelegen haben. Überhaupt bieten objektive Indizien insbesondere bei Feststellung fehlender Unrechtseinsicht kaum zuverlässige Anhaltspunkte. Deshalb sind Strafrichter bei der Auslegung solcher Anzeichen zurecht vorsichtig. In den Berichten wird hervorgehoben, wie einer der Angeklagten (der nette) mit gesenktem Kopf auf die Verteidigerunterlagen starrt, der andere (der böse) sitzt breitbeinig mit verschränkten Armen auf der Anklagebank. Die Wirkung solcher Schilderungen ist klar, über die tatsächliche Unrechtseinsicht sagt das wenig aus.
Ich weiß wirklich nicht, wie du zu einer solchen Behauptung kommst. In einer "Schocksituation" ermahnt man doch wohl kaum den Polizisten am Tatort, er solle aufpassen, dass den teuren Felgen nichts passiert, jedenfalls lehnt man es, wenn so etwas nur dem Schock geschuldet sein sollte, nicht bis zuletzt ab, auch nur irgendwie Reue zu zeigen.
Ich halte die Begründung für meine Behauptung für schlüssig. Überhaupt sehe ich eher dich in der Beweispflicht für die Abschreckungswirkung von hohen Strafen für erfolgsqualifizierte Fahrlässigkeitsdelikte, immerhin forderst du ja eine deutliche Erhöhung der hierfür verhängten Strafen. Ich bagatellisiere auch nicht, ich wehre mich gegen Übertreibungen.
Mal abgesehen, dass es mir nicht so sehr um die Abschreckung ging wie dir, geht der Gesetzgeber offenbar selbst davon aus, dass das so funktioniert, oder nicht? Mir erscheint das schon naheliegend. Warum sollte ich dann für irgendetwas "in der Beweispflicht" sein, und wie sollte ich dir das "beweisen"? Durch Experimente mit und ohne erfolgsqualifizierte Delikte?
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von OJ1988 »

Zum Thema "Abschreckung": Dass strafrechtliche Sanktionen überhaupt abschreckend wirken, ist in dieser Pauschalität auch für Vorsatztaten kriminologisch ungesichert.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich denke sehr wohl, dass in der Regel eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung angezeigt wäre. Und im Übrigen sind das keine "Pauschallösungen", sondern es geht ja gerade darum, sich über Maßstäbe klarzuwerden, an denen man sich orientiert, wenn der Gesetzgeber keine genaueren Vorgaben gemacht hat, damit Entscheidungen nachvollziehbar sind und auch auf Akzeptanz stoßen. Natürlich kann man auch sagen: "Macht, wie ihr wollt" und auf die Entrüstung mit Achselzucken reagieren, wenn dann etwas menschlich kaum mehr Einsichtiges herauskommt.
Ich halte das Urteil nicht für "menschlich kaum mehr Einsichtig". Du wirst mir nun wieder Bagetellisierung vorwerfen, aber ebenso wie ich als Vater des getöteten Mädchens eine harte Strafe erwarten würde, würde ich als Vater eines der Unfallfahrer auf Milde hoffen. Hier geht es wie gesagt nicht um eine absichtliche Straftat gegen ein menschliches Leben, sondern um eine (absolut strafwürdige) Dummheit mit verheerenden Konsequenzen. Das Strafrecht würdigt eben nicht nur die Folgen der Tat, sondern auch den in der Tat selbst zum Vorschein tretenden Unwert. Und da kann es auch bei illegalen Rennen mit tödlichem Ausgang zu erheblichen Unterschieden im Handlungsunrecht kommen. Wie konkret und vorhersehbar die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war, wie rücksichtslos das jeweilige Verhalten war, etc. pp. Das sind alles Umstände, die man nur im konkreten Einzelfall wird berücksichtigen können und dazu fehlen mir hier die Informationen.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Das Verhalten direkt nach der Tat mag in dem einen Fall gegen die Unrechtseinsicht sprechen, kann aber ebenso an der Schocksituation gelegen haben. Überhaupt bieten objektive Indizien insbesondere bei Feststellung fehlender Unrechtseinsicht kaum zuverlässige Anhaltspunkte. Deshalb sind Strafrichter bei der Auslegung solcher Anzeichen zurecht vorsichtig. In den Berichten wird hervorgehoben, wie einer der Angeklagten (der nette) mit gesenktem Kopf auf die Verteidigerunterlagen starrt, der andere (der böse) sitzt breitbeinig mit verschränkten Armen auf der Anklagebank. Die Wirkung solcher Schilderungen ist klar, über die tatsächliche Unrechtseinsicht sagt das wenig aus.
Ich weiß wirklich nicht, wie du zu einer solchen Behauptung kommst. In einer "Schocksituation" ermahnt man doch wohl kaum den Polizisten am Tatort, er solle aufpassen, dass den teuren Felgen nichts passiert, jedenfalls lehnt man es, wenn so etwas nur dem Schock geschuldet sein sollte, nicht bis zuletzt ab, auch nur irgendwie Reue zu zeigen.
Meine Schwester ist Rettungssanitäterin. Bei einem Verkehrsunfall, bei dem der Fahrer durch die Windschutzscheibe und mehrere Meter aus dem Fahrzeug geschleudert wurde, wurde sie von dessen Ehefrau (sass auf dem Beifahrersitz) im Krankenwagen gefragt, ob sie bei ihrer Zahnärztin anrufen und den Termin absagen könne. Solche extrem unterkühlten Reaktionen in Schocksituationen sind nicht ungewöhnlich, habe ich im Zivi auch selbst (wenn auch weniger krass) erlebt. Dass der Täter bis heute keine Reue gezeigt hat, spricht natürlich dagegen, seine Unrechtseinsicht strafmildernd zu berückischtigen. Spricht aber nicht für eine Strafschärfung.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Ich halte die Begründung für meine Behauptung für schlüssig. Überhaupt sehe ich eher dich in der Beweispflicht für die Abschreckungswirkung von hohen Strafen für erfolgsqualifizierte Fahrlässigkeitsdelikte, immerhin forderst du ja eine deutliche Erhöhung der hierfür verhängten Strafen. Ich bagatellisiere auch nicht, ich wehre mich gegen Übertreibungen.
Mal abgesehen, dass es mir nicht so sehr um die Abschreckung ging wie dir, geht der Gesetzgeber offenbar selbst davon aus, dass das so funktioniert, oder nicht? Mir erscheint das schon naheliegend. Warum sollte ich dann für irgendetwas "in der Beweispflicht" sein, und wie sollte ich dir das "beweisen"? Durch Experimente mit und ohne erfolgsqualifizierte Delikte?
Ich lege keinen Wert auf den Beweis deinerseits, denn er kann dir ohnehin nicht gelingen. Der abschreckende Nutzen von Strafrahmenerhöhungen oder höheren Einzelstrafen ist heillos umstritten, insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte. Es ging mir eher darum, dass du einen Beweis für meine Behauptung verlangt hast, die Straferhöhung wirke nicht abschreckend. Ich habe meine Meinung dargelegt und begründet, warum das meiner Ansicht nach nciht so ist. Mehr kann ich auch nicht machen, aber du willst ja anscheinend mehr, wenn du immer behauptest, ich hätte trotz meiner Argumentation nichts belegt. Wenn du jedenfalls forderst, Täter müssten unter anderem deshalb härter bestraft werden, weil dies generalpräventiv wirke, müsstest eigentlich eher du das beweisen.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Ich halte das Urteil nicht für "menschlich kaum mehr Einsichtig". Du wirst mir nun wieder Bagetellisierung vorwerfen, aber ebenso wie ich als Vater des getöteten Mädchens eine harte Strafe erwarten würde, würde ich als Vater eines der Unfallfahrer auf Milde hoffen. Hier geht es wie gesagt nicht um eine absichtliche Straftat gegen ein menschliches Leben, sondern um eine (absolut strafwürdige) Dummheit mit verheerenden Konsequenzen. Das Strafrecht würdigt eben nicht nur die Folgen der Tat, sondern auch den in der Tat selbst zum Vorschein tretenden Unwert. Und da kann es auch bei illegalen Rennen mit tödlichem Ausgang zu erheblichen Unterschieden im Handlungsunrecht kommen. Wie konkret und vorhersehbar die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war, wie rücksichtslos das jeweilige Verhalten war, etc. pp. Das sind alles Umstände, die man nur im konkreten Einzelfall wird berücksichtigen können und dazu fehlen mir hier die Informationen.
Bei einer absichtlichen Tötung ginge es jedoch um §§ 211 ff. StGB - mit deren Strafrahmen bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe. Im Übrigen habe ich stillschweigend vorausgesetzt, dass es um Straßenrennen im normalen Straßenverkehr geht, die immer ein erhebliches Gefährdungspotential haben. Das war auch hier erkennbar der Fall. Vor diesem Hintergrund halte ich das Urteil in der Tat für menschlich nicht mehr nachvollziehbar, und es reiht sich ein in eine Reihe von anderen gleichgelagerten Entscheidungen, die - so viel kann man wohl sagen - bei der Bevölkerung ganz überwiegend keine Akzeptanz mehr finden.

Ja, der Strafrahmen von § 222 StGB ist vergleichsweise niedrig, wenn man bedenkt, dass es auch dort um die Vernichtung von Leben geht, und das macht es besonders schwierig, Entscheidungen zu treffen, die der Wertigkeit menschlichen Lebens gerecht werden. Ich will auch nicht ausschließen, dass ich den Richtern im konkreten Fall etwas unrecht tue. Aber auch § 222 StGB würde es allemal ermöglichen, in solchen Fällen ganz andere Strafen zu verhängen. Da sollte man sich nicht in die Tasche lügen.

Wenn ich - als fiktives Beispiel - zu meiner persönlichen "Bespaßung" an einem Autorennen teile und dadurch einen Unbeteiligten töte, ist das z.B. etwas völlig anderes, als wenn ein überarbeiteter Arzt durch leichte Fahrlässigkeit den Tod eines Patienten verschuldet. Es steht eben nirgendwo in Stein geschrieben, dass die Hürden wirklich allgemein so hoch zu legen sind. Und es wird ja auch bundesweit bekanntermaßen sehr unterschiedlich geurteilt.

Wenn man nun im erstgenannten Fall - ohne dass besondere Umstände vorliegen - zu einer Freheitsstrafe mit Bewährung kommt, sollte man auch guten Gewissens sagen können, dass man das im vom Gesetzgeber gesteckten Rahmen für "gerecht", angemessen und sozial wirksam hält. Aber offensichtlich gehen regelmäßig nicht einmal diejenigen, die solche Urteile sprechen, davon aus.
Ich lege keinen Wert auf den Beweis deinerseits, denn er kann dir ohnehin nicht gelingen. Der abschreckende Nutzen von Strafrahmenerhöhungen oder höheren Einzelstrafen ist heillos umstritten, insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte. Es ging mir eher darum, dass du einen Beweis für meine Behauptung verlangt hast, die Straferhöhung wirke nicht abschreckend. Ich habe meine Meinung dargelegt und begründet, warum das meiner Ansicht nach nciht so ist. Mehr kann ich auch nicht machen, aber du willst ja anscheinend mehr, wenn du immer behauptest, ich hätte trotz meiner Argumentation nichts belegt.
Ich sprach von "durch nichts belegt", wobei ich zugebe, dass auch du dazu nur mehr oder weniger stichhaltige Vermutungen äußern kannst. Nur: Es entspricht eben dem Konzept unseres Strafrechts, dass Strafen abschreckend wirken und umso mehr, je höher sie sind. Wer dieses Konzept anzweifelt, ist deshalb in der Pflicht, nicht umgekehrt.

Letztlich können wir ja nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob es "individuelle Schuld" in dem Sinne, wie wir sie uns vorstellen, überhaupt gibt, so dass das ganze Schuldprinzip Unfug sein könnte. Trotzdem behandeln wir es - m.E. aus gutem Grund - als (soziale) Realität.

Und das ist wohl auch der Knackpunkt hier: Strafen, die den Menschen zum Großteil völlig unverständlich sind, sind Unsinn.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Ja, der Strafrahmen von § 222 StGB ist vergleichsweise niedrig, wenn man bedenkt, dass es auch dort um die Vernichtung von Leben geht, und das macht es besonders schwierig, Entscheidungen zu treffen, die der Wertigkeit menschlichen Lebens gerecht werden.
Eine Strafe für ein Tötungsdelikt kann dem menschlichen Leben niemals gerecht werden. Der Strafrahmen von § 222 ist im Vergleich zu § 212 gerade wegen des erheblich verminderten Handlungsunrechts so gering. Wer ein menschliches Leben gezielt vernichtet, begeht ein ungleich höheres Unrecht als jemand, der den Tod durch ein fahrlässiges, und mag es noch so rücksichtslos sein, Verhalten verursacht. Auch die Gesinnung des Täters ist eine ganz andere. Das ist den Angehörigen des Opfers und auch großen Teilen der Öffentlichkeit nur schwer, teilweise auch gar nicht zu vermitteln. Es ist aber dennoch richtig.
Wenn ich - als fiktives Beispiel - zu meiner persönlichen "Bespaßung" an einem Autorennen teile und dadurch einen Unbeteiligten töte, ist das z.B. etwas völlig anderes, als wenn ein überarbeiteter Arzt durch leichte Fahrlässigkeit den Tod eines Patienten verschuldet. Es steht eben nirgendwo in Stein geschrieben, dass die Hürden wirklich allgemein so hoch zu legen sind. Und es wird ja auch bundesweit bekanntermaßen sehr unterschiedlich geurteilt.
Klar ist das was anderes. Aber wenn du zu deiner Bespaßung an einem geplanten Autorennen teilnimmst, und "just for the thrill of it" tagsüber über Fußgängerkreuzungen heizt, ist das auch was anderes, als wenn dein Kollege nachts auf einer leeren Straße an der roten Ampel neben dir steht, den Motor heulen lässt und ihr testen wollt, wer zuerst an der nächsten Ampel ist. Beides kann zu tödlichen Unfällen führen und ist absolut inakzeptabel und sollte mE bereits unabhängig von einem Unfall zumindest mit einem mehrjährigen Fahrverbot und anderen Sanktionen geahndet werden. Aber die Qualität des Handlungsunrechts ist grundverschieden. Trotzdem würde ein tödlicher Unfall in beiden Situationen zum gleichen öffentlichen Aufschrei führen. Ich verurteile das auch nicht, ich kann es ja nachvollziehen. Nur darf sich das Gericht davon eben nicht beeindrucken lassen.
Wenn man nun im erstgenannten Fall - ohne dass besondere Umstände vorliegen - zu einer Freheitsstrafe mit Bewährung kommt, sollte man auch guten Gewissens sagen können, dass man das im vom Gesetzgeber gesteckten Rahmen für "gerecht", angemessen und sozial wirksam hält. Aber offensichtlich gehen regelmäßig nicht einmal diejenigen, die solche Urteile sprechen, davon aus.
Die soziale Wirksamkeit von Urteilen, insbesondere bei Fahrlässigkeitsdelikten, kann schon mit Blick auf Art. 1 GG kein maßgeblicher Gesichtspunkt der Strafzumessung sein, da wären wir nämlich wieder beim Exempel. Natürlich soll die Existenz des Strafrechts und die Funktionsfähigkeit der Justiz, also die Absehbarkeit von strafrechtlichen Sanktionen für strafwürdiges Fehlverhalten, abschreckend wirken. Das kann aber nicht der Leitfaden für das Urteil im Einzelfall sein.
Und das ist wohl auch der Knackpunkt hier: Strafen, die den Menschen zum Großteil völlig unverständlich sind, sind Unsinn.
Das würde ich so pauschal nicht unterschreiben. Eine Verurteilung Böhmermanns wäre nicht schon deshalb unsinnig, weil die absolute Mehrheit der Deutschen (ob Fan oder nicht) gegen eine Verurteilung wäre. Und das teilweise aus völlig unsachlichen Gründen. Dass die öffentliche Meinung zum Kriterium für die "Richtigkeit" eines Urteils wird, setzt natürlich voraus, dass die öffentliche Meinung den Zweck und die Möglichkeiten des Strafrechts überhaupt richtig begreift. Das ist gerade bei emotional aufgeladenen Verfahren eher selten der Fall. Das Strafverfahren muss natürlich die berechtigten Interessen der Gesellschaft würdigen, aber frei von öffentlichen Stimmungen sein. Deshalb habe ich auch großen Respekt vor Richtern, die straffällige Flüchtlinge (oder auch Nazis!) nicht härter bestrafen, als sie es ohne die öffentliche Aufmerksamkeit tun und für richtig halten würden. Das mag der Öffentlichkeit nicht passen, aber "im Namen des Volkes" meint eben mehr als ein kurzfristiges Stimmungsbild. Dazu gehört auch das Interesse des Volkes an Rechtsstaatlichkeit und elementaren Prinzipien wie dem Schuldprinzip, selbst wenn es das angesichts kurzfristiger Empörungen in solchen Fällen vielleicht gar nciht merkt.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Koala_Desperado »

[enigma] hat geschrieben:
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Wenn ich - als fiktives Beispiel - zu meiner persönlichen "Bespaßung" an einem Autorennen teile und dadurch einen Unbeteiligten töte, ist das z.B. etwas völlig anderes, als wenn ein überarbeiteter Arzt durch leichte Fahrlässigkeit den Tod eines Patienten verschuldet. Es steht eben nirgendwo in Stein geschrieben, dass die Hürden wirklich allgemein so hoch zu legen sind. Und es wird ja auch bundesweit bekanntermaßen sehr unterschiedlich geurteilt.
Klar ist das was anderes. Aber wenn du zu deiner Bespaßung an einem geplanten Autorennen teilnimmst, und "just for the thrill of it" tagsüber über Fußgängerkreuzungen heizt, ist das auch was anderes, als wenn dein Kollege nachts auf einer leeren Straße an der roten Ampel neben dir steht, den Motor heulen lässt und ihr testen wollt, wer zuerst an der nächsten Ampel ist.
Und erst recht ist es etwas anderes, als wenn Du jemanden vorsätzlich töten würdest.
Denn selbst, wenn Du aus noch so eigensüchtigen und vorsätzlichen Motiven an einem hochgefährlichen Straßenrennen teilnimmst - das wird nicht über das Tötungsstrafrecht, sonden über andere Delikte erfasst - so möchtest Du jedenfalls nicht vorsätzlich töten. Die Tötung bleibt ein "Versehen", eine nicht bedachte und nicht gewollte Folge. Und hier muss in der strafrechtlichen Sanktion ein deutlicher Unterschied zur vorsätzlichen Tötung bestehen.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Wobei das eben daran liegt, dass man die hohen Strafen bei der Steuerhinterziehung tatsächlich zur Abschreckung braucht,
Welche "hohen Strafen" denn? :-O

Gerade die Steuerhinterziehung ist doch ein Paradebeispiel für unvertretbar niedrige Strafen, die sich in revisionrechtlich bedeutsamer Weise von einem gerechten Schuldausgleich nach unten entfernen. Nicht umsonst gibt es - m.W. nur - dort BGH-Rechtsprechung zu der Frage, ab welchem Schadensbetrag die Verhängung einer bewährungsfähigen Strafe nicht mehr in Betracht kommt, oder obskure Konstellationen wie "2 Jahre mit bewährung und daneben 360 Tagessätze Geldstrafe".

Abgesehen davon sollte man nicht den Fehler machen, die Bedeutung von Vermögensdelikten mit dem Spruch "ist doch alles nur Geld" zu unterschätzen. Zwar ist es nicht mehr so, dass der, der sein Geld durch Diebstahl, Unterschlagung, Betrug oder Untreue verliert, möglicherweise auch um Haus und Hof gebracht wird und am Ende buchstäblich verhungert, aber daran hängen durchaus Existenzen.

Und schließlich - auch das darf man nicht ausblenden - stellt das deutsche Recht weniger auf die tatsächlichen Tatfolgen als auf die Vorstellung des Täters ab: es wird nicht bestraft, weil etwas Schlimmes passiert ist, sondern weil jemand etwas Böses getan hat. Insofern ist der Vergleich von Fahrlässigkeitsdelikten mit Vermögensdelikten weitgehend verfehlt; denn fahrlässiges Handeln ist bei Eigentums- und Vermögensdelikten regelmäßig bereits gar nicht strafbar. Wer hingegen - auch nur bedingt - vorsätzlich einen Menschen totfährt, muss sich um die Frage der Bewährungsfähigkeit der Strafe regelmäßig keinerlei Gedanken machen.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich bestreite entschieden, dass Straßenrennen - auch wenn sie spontan zustande kommen und nicht von langer Hand geplant sind - im "unteren/mittleren Bereich der fahrlässigen Tötung" liegen. Der Strafrahmen mag bei § 222 StGB in der Tat zu niedrig sein, gerade um die hier einschlägige Fallgruppe gut zu erfassen, aber er lässt sehr wohl auch ganz andere Differenzierungen zu.
Bitte nicht vergessen, dass der Strafrahmen auch den besoffenen Autofahrer noch erfassen können muss, der in diesem Zustand ein Rennen fährt und in einer Wandergruppe von Jugendlichen landet, wobei er ein halbes Dutzend tötet, ein Dutzend verstümmelt und weitere schwer verletzt, von psychischen Folgen gar nicht zu sprechen ...
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

thh hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Wobei das eben daran liegt, dass man die hohen Strafen bei der Steuerhinterziehung tatsächlich zur Abschreckung braucht,
Welche "hohen Strafen" denn? :-O

Gerade die Steuerhinterziehung ist doch ein Paradebeispiel für unvertretbar niedrige Strafen, die sich in revisionrechtlich bedeutsamer Weise von einem gerechten Schuldausgleich nach unten entfernen. Nicht umsonst gibt es - m.W. nur - dort BGH-Rechtsprechung zu der Frage, ab welchem Schadensbetrag die Verhängung einer bewährungsfähigen Strafe nicht mehr in Betracht kommt, oder obskure Konstellationen wie "2 Jahre mit bewährung und daneben 360 Tagessätze Geldstrafe".
Wenn ich mich recht erinnere, ging es Honigkuchenpferd darum, die Strafen zB. im Fall Hoeneß mit Bewährungsstrafen für tödliche Straßenrennen zu vergleichen und damit zu belegen, dass letztere viel zu milde bestraft werden, immerhin geht es ja um Menschenleben. Aber der Vergleich hinkt eben, weil die Aussicht auf eine nicht bewährungsfähige Freiheitsstrafe bei der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (die ja zumindest bei sehr hohen Beträgen nicht unwahrscheinlich ist) eben viel abschreckender wirkt, als eine hohe Strafe für den Eintritt eines fahrlässig herbeigeführten Erfolgs, mit dessen Eintrittsmöglichkeit sich der Täter gar nicht auseinandersetzt. Mit den hohen Strafen bei Steuerhinterziehung waren also die Fälle gemeint, in denen tatsächlich ohne Bewährung verurteilt wird, nicht die gängige Praxis bei geringen und mittleren Beträgen.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Tobias__21 »

In Berlin kam man heute zu einer Veurteilung wegen Mordes:
http://www.morgenpost.de/berlin/article ... teilt.html
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von doctor »

Zu Recht!
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von [enigma] »

Mal abwarten, was der BGH damit macht. Wobei die Argumentation, die Täter gingen davon aus alles unter Kontrolle zu haben bei 200 Sachen in der Stadt natürlich auch etwas fernliegender sein dürfte, als bei einem "gesitteten" Straßenrennen. ;)
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von Mr_Black »

Welches Mordmerkmal? Gemeingefährlichkeit?
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von spotlessmind »

Mr_Black hat geschrieben:Welches Mordmerkmal? Gemeingefährlichkeit?
Ja, "Als juristisches Mordmerkmal erkannte das Gericht, dass in diesem Fall die Autos als gemeingefährliche Mittel gedient hätten. Es sah im Falle der Angeklagten einen bedingten Vorsatz bei der Tat erfüllt. Wenn man über mehrere rote Ampeln auf einer Straße in einer Großstadt fahre, mit nicht einsehbaren Querstraßen, dann nehme man den Tod von anderen billigend in Kauf, hieß es in der Urteilsbegründung."

Die StA hatte es wohl auch noch auf niedere Beweggründe gestützt.
Zuletzt geändert von spotlessmind am Montag 27. Februar 2017, 14:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Straßenrennen und Strafzumessung

Beitrag von immer locker bleiben »

Tobias__21 hat geschrieben:In Berlin kam man heute zu einer Veurteilung wegen Mordes:
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