Straßenrennen und Strafzumessung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Swann
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

Tobias__21 hat geschrieben:
Ara hat geschrieben:Wenn ihr den "Ne bis in idem" zum Prozessrecht zählt, dann ist das sicher ein Beispiel, wo der Beschuldigte wohl nach überwiegender Ansicht aktuell deutlich zu umfangreich geschützt wird.

Vor allem hinsichtlich neuerlicher DNA-Beweise ist es für die wenigsten Bürger (und wohl auch Juristen) verständlich, dass ein freigesprochener Mörder nicht mehr strafrechtlich belangt werden kann, obwohl seine Täterschaft nachträglich als nahezu bewiesen gilt.
Aber "ne bis in idem" als Strafklageverbrauch greift doch als Prozesshindernis nur, wenn der Täter (wegen einer anderen Tat im materiellen Sinne) verurteilt wurde, oder? Eine Doppelbestrafung läge doch bei einem Freispruch gerade nicht vor und man könnte, sofern die Vrs. des § 362 StPO, eine Wiederaufnahme des Verfahrens anstrengen. Oder hab ich das jetzt falsch in Erinnerung?

Ja, in mehrfacher Hinsicht. Der verfassungsrechtliche Schutz des ne bis in idem greift bei jeder Aburteilung, sei sie verurteilend oder freisprechend. Dieses Prinzip wird durch die überkommenen Ausnahmen des § 362 StPO durchbrochen, der in § 362 Nr. 4 StPO einen eigenen Wiederaufnahmegrund nur bei Freisprüchen vorsieht. Keiner der geltenden Wiederaufnahmegründe greift aber bei DNA-Tests o.ä., die gegen die Richtigkeit eines früheren Urteils sprechen.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Tobias__21 hat geschrieben:
Ara hat geschrieben:Wenn ihr den "Ne bis in idem" zum Prozessrecht zählt, dann ist das sicher ein Beispiel, wo der Beschuldigte wohl nach überwiegender Ansicht aktuell deutlich zu umfangreich geschützt wird.

Vor allem hinsichtlich neuerlicher DNA-Beweise ist es für die wenigsten Bürger (und wohl auch Juristen) verständlich, dass ein freigesprochener Mörder nicht mehr strafrechtlich belangt werden kann, obwohl seine Täterschaft nachträglich als nahezu bewiesen gilt.
Aber "ne bis in idem" als Strafklageverbrauch greift doch als Prozesshindernis nur, wenn der Täter (wegen einer anderen Tat im materiellen Sinne) verurteilt wurde, oder? Eine Doppelbestrafung läge doch bei einem Freispruch gerade nicht vor und man könnte, sofern die Vrs. des § 362 StPO, eine Wiederaufnahme des Verfahrens anstrengen. Oder hab ich das jetzt falsch in Erinnerung?
Ja, auch ein Freispruch ist ein Sachurteil mit materieller Rechtskraft.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben:Wenn ihr den "Ne bis in idem" zum Prozessrecht zählt, dann ist das sicher ein Beispiel, wo der Beschuldigte wohl nach überwiegender Ansicht aktuell deutlich zu umfangreich geschützt wird.

Vor allem hinsichtlich neuerlicher DNA-Beweise ist es für die wenigsten Bürger (und wohl auch Juristen) verständlich, dass ein freigesprochener Mörder nicht mehr strafrechtlich belangt werden kann, obwohl seine Täterschaft nachträglich als nahezu bewiesen gilt.
Ich hoffe, dass wenigstens die Mehrheit der Juristen eine positivere Einstellung zum Doppelbestrafungsverbot hat.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

Ok, muss ich nochmal nachlesen. Danke Euch!
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Swann hat geschrieben:
Ara hat geschrieben:Wenn ihr den "Ne bis in idem" zum Prozessrecht zählt, dann ist das sicher ein Beispiel, wo der Beschuldigte wohl nach überwiegender Ansicht aktuell deutlich zu umfangreich geschützt wird.

Vor allem hinsichtlich neuerlicher DNA-Beweise ist es für die wenigsten Bürger (und wohl auch Juristen) verständlich, dass ein freigesprochener Mörder nicht mehr strafrechtlich belangt werden kann, obwohl seine Täterschaft nachträglich als nahezu bewiesen gilt.
Ich hoffe, dass wenigstens die Mehrheit der Juristen eine positivere Einstellung zum Doppelbestrafungsverbot hat.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde das Thema doch erst jüngt von Gisela Friedrichsen aufgekocht, zumindest die juristischen Wortmeldungen, die ich danach mitbekommen habe, waren eindeutig dagegen.

EDIT: Hatten wir auch schon hier im Forum: http://forum.jurawelt.com/viewtopic.php ... 01#p706401
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Swann hat geschrieben:
Ara hat geschrieben:Wenn ihr den "Ne bis in idem" zum Prozessrecht zählt, dann ist das sicher ein Beispiel, wo der Beschuldigte wohl nach überwiegender Ansicht aktuell deutlich zu umfangreich geschützt wird.

Vor allem hinsichtlich neuerlicher DNA-Beweise ist es für die wenigsten Bürger (und wohl auch Juristen) verständlich, dass ein freigesprochener Mörder nicht mehr strafrechtlich belangt werden kann, obwohl seine Täterschaft nachträglich als nahezu bewiesen gilt.
Ich hoffe, dass wenigstens die Mehrheit der Juristen eine positivere Einstellung zum Doppelbestrafungsverbot hat.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

thh hat geschrieben:Das glaube ich kaum. Jedenfalls habe ich bisher selten bis nie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Fragen der Strafzumessung in der Berichterstattung erlebt; über ein "es kann doch nicht sein, dass da jetzt ein Mensch tot ist und noch nicht mal jemand ins Gefängnis muss" geht das nicht hinaus.

Insofern lässt sich auf dieser Basis weder beurteilen, ob die Entscheidung vertretbar ist, noch ob sie plausibel begründet wurde. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich irgendwo in der Berichterstattung auch nur die wesentlichen Punkte des festgestellten Sachverhalts oder der Strafzumessung finden - und lasse mich gerne eines Besseren belehren. Klar, das liegt in der Natur der Sache, soviel Platz ist nicht - daraus erschließt sich aber auch, dass eine eigene Bewertung nicht möglich ist. Und der Bewertung durch einen Journalisten würde ich aus eigener Erfahrung nur trauen, wenn ich aufgrund längerer Beobachtung weiß, dass seine Prozessberichte in der Regel fundiert sind - was in der Praxis selten möglich ist.
Du kannst dir ja mal die Berichterstattung zu dem Fall im KStA anschauen, der recht ausführlich durch unterschiedliche Korrespondenten zu dem Fall berichtet hat. Diese Berichte greifen das Thema "Strafzumessung" durchaus auf:

http://www.ksta.de/koeln/urteil-bewaehr ... g-23885872

http://www.ksta.de/koeln/kommentar-zum- ... t-23889670

Unabhängig von der Frage nach der "Vertretbarkeit" gibt es jedenfalls Urteile, deren Wirkung verheerend ist - und die im vom Gesetzgeber gewählten Rahmen durchaus auch anders hätten ausfallen können. Man kann dann versuchen, sich entsprechender Kritik gerade auch am Ergebnis zu entziehen, indem man (wohlfeil) so tut, als seien einem die Hände gebunden, oder man kann solche Kritik an einem offensichtlich kontingenten Ergebnis abtun, indem man unterstellt, sie sei halt mindestens in Zweifel mangelnder Kenntnis und/oder Populismus geschuldet. Naheliegender erscheint mir, dass der Justiz mancherorts in Deutschland schlicht die Maßstäbe verrutscht sind.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Unabhängig von der Frage nach der "Vertretbarkeit" gibt es jedenfalls Urteile, deren Wirkung verheerend ist - und die im vom Gesetzgeber gewählten Rahmen durchaus auch anders hätten ausfallen können.
Dass ein "mildes" Urteil wegen dem Spielraum des Gerichts bei der Strafzumessung hätte anders ausfallen können und verheerend (lies: nicht abschreckend genug?) ausfällt, ist doch kein Anlass für Kritik. Generalpräventive Überlegungen spielen in der Strafzumessung im Vergleich zur individuellen Schuld des Täters nunmal eine untergeordnete Rolle. Solange der Richter die Grenzen der vertretbaren Strafzumessung nicht eindeutig zugunsten des Angeklagten verlässt, macht er dabei doch keinen Fehler, wenn er darauf verzichtet, ein Exempel zu statuieren. Insbesondere bezweifle ich, dass höhere Strafen bei Fahrlässigkeitsdelikten überhaupt eine abschreckende Wirkung haben. Wer sein eigenes Leben und das Leben anderer Menschen durch illegale Straßenrennen gefährdet, wird sich auch von der Aussicht, bei einem tödlichen Unfall nciht mehr mit Bewährung rechnen zu können, nicht abschrecken lassen.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Dass ein "mildes" Urteil wegen dem Spielraum des Gerichts bei der Strafzumessung hätte anders ausfallen können und verheerend (lies: nicht abschreckend genug?) ausfällt, ist doch kein Anlass für Kritik. Generalpräventive Überlegungen spielen in der Strafzumessung im Vergleich zur individuellen Schuld des Täters nunmal eine untergeordnete Rolle. Solange der Richter die Grenzen der vertretbaren Strafzumessung nicht eindeutig zugunsten des Angeklagten verlässt, macht er dabei doch keinen Fehler, wenn er darauf verzichtet, ein Exempel zu statuieren.
Es geht dabei ja nicht nur um Generalprävention (ein stets in höchstem Maße spekulativer Aspekt), sondern unter anderem auch darum, dass ein solches Urteil offensichtlich seine Befriedungsfunktion verfehlt. Darüber hinaus ist die Gewichtung unterschiedlicher Aspekte bei der Strafzumessung nun einmal ziemlich kontingent. Deswegen erscheint es mir ja auch so wohlfeil, so zu tun, als bleibe einem (praktisch) keine andere Wahl.

Es gibt unter Juristen eine Neigung, den Gesetzgeber für alles verantwortlich zu machen. Natürlich könnte er den Strafrahmen für fahrlässige Tötung anheben, könnte einen eigenen Tatbestand schaffen, wenn Unbeteiligte bei Autorennen zu Tode kommen usw. Aber man sollte sich schon auch mal an die eigene Nase fassen, und das bedeutet, dass man Kritik auch (und vielleicht sogar erst recht) ernst nehmen sollte, wenn es nicht darum geht, ob eine Entscheidung bereits unvertretbar ist.

Im Übrigen ist es m.E. auch völliger Quatsch, der Bevölkerung reflexhaft zu unterstellen, sie wolle, dass ein "Exempel" statuiert wird o.Ä. Darum geht es doch gar nicht. Es geht um angemessene Strafen, die dem Gerichtigkeitsempfinden der meisten Menschen nicht völlig zuwiderlaufen und die vor allem den Einduck erwecken, das begangene Unrecht (auch in Relation zu anderen Begebenheiten) ernst zu nehmen.
Insbesondere bezweifle ich, dass höhere Strafen bei Fahrlässigkeitsdelikten überhaupt eine abschreckende Wirkung haben. Wer sein eigenes Leben und das Leben anderer Menschen durch illegale Straßenrennen gefährdet, wird sich auch von der Aussicht, bei einem tödlichen Unfall nciht mehr mit Bewährung rechnen zu können, nicht abschrecken lassen.
Das halte ich für durchaus fragwürdig. Der gegebene Fall belegt ja, dass die Sorge um sich selbst bzw. eigene Besitztümer durchaus vorhanden ist. Aber dieser Aspekt ist m.E. auch zu vernachlässigen. In jedem Fall sendet das so ein gesellschaftlich verheerendes Signal aus, das weit über den Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte hinausreicht.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Es geht dabei ja nicht nur um Generalprävention (ein stets in höchstem Maße spekulativer Aspekt), sondern unter anderem auch darum, dass ein solches Urteil offensichtlich seine Befriedungsfunktion verfehlt. Darüber hinaus ist die Gewichtung unterschiedlicher Aspekte bei der Strafzumessung nun einmal ziemlich kontingent. Deswegen erscheint es mir ja auch so wohlfeil, so zu tun, als bleibe einem (praktisch) keine andere Wahl.
Das bezweifelt wohl niemand, ich zumindest bezweifle es nicht. Die Frage ist aber, ob die andere Wahl besser oder richtiger wäre.
Es gibt unter Juristen eine Neigung, den Gesetzgeber für alles verantwortlich zu machen. Natürlich könnte er den Strafrahmen für fahrlässige Tötung anheben, könnte einen eigenen Tatbestand schaffen, wenn Unbeteiligte bei Autorennen zu Tode kommen usw. Aber man sollte sich schon auch mal an die eigene Nase fassen, und das bedeutet, dass man Kritik auch (und vielleicht sogar erst recht) ernst nehmen sollte, wenn es nicht darum geht, ob eine Entscheidung bereits unvertretbar ist.
Die Kritik an zu geringen Strafen wird von der Justiz soweit ich das beurteilen kann durchaus ernst genommen. Aber es führt eben nicht zwangsläufig zur Erkenntnis, dass dieser Kritik unbedingt nachzugeben ist. Tatsächlich zeichnet sich eine unabhängige Justiz doch gerade dadurch aus, dass sie sich bei der Urteilsfindung nicht von Erwägungen bezüglich der Popularität einer Entscheidung leiten lässt. Natürlich ist die öffentliche Akzeptanz einer Entscheidung wichtig für das Vertrauen in den Rechtsstaat. Diese muss aber die Reaktion auf das Urteil sein, nicht umgekehrt. Fälle, in denen das Urteil der öffentlichen Erwartung nicht gerecht wird, sind zumindest dann hinzunehmen, wenn das Urteil nicht offensichtlich falsch ist. Dazu gehören auch "noch vertretbare" Urteile. Ich weiss nicht, ob das Urteil im konkreten Fall noch vertretbar ist, ich habe weder die Hauptverhandlung verfolgt, noch war ich bei der Urteilsberatung anwesend, die Entscheidungsgründe habe ich auch nicht gelesen. Ich halte es aber für durchaus denkbar und sogar wahrscheinlich, dass es Umstände gab, die das Gericht vertretbar zu einer Bewährungsstrafe gebracht haben, die in der Berichterstattung vielleicht keine Rolle gespielt haben.

Insbesondere halte ich die Bewährungsstrafe für den einen Täter, der glaubhafte Reue gezeigt, erste Hilfe geleistet und seine Schuld eingeräumt hat bereits aufgrund der Berichterstattung für nachvollziehbar, die Bewährungsstrafe des anderen Täters aber nicht. Das bedeutet aber nicht, dass das Gericht bezüglich des anderen Täters aber nicht möglicherweise Umstände berücksichtigt hat, die ich nicht kenne.
Im Übrigen ist es m.E. auch völliger Quatsch, der Bevölkerung reflexhaft zu unterstellen, sie wolle, dass ein "Exempel" statuiert wird o.Ä. Darum geht es doch gar nicht. Es geht um angemessene Strafen, die dem Gerichtigkeitsempfinden der meisten Menschen nicht völlig zuwiderlaufen und die vor allem den Einduck erwecken, das begangene Unrecht (auch in Relation zu anderen Begebenheiten) ernst zu nehmen.
So habe ich deine Aussage zur "verheerenden Wirkung" verstanden. Was denn nun eine "angemessene" Strafe ist, lässt sich doch kaum absolut bestimmen. Insbesondere ist die "angemessene Strafe" nicht zwangsläufig die, die von der Öffentlichkeit für richtig gehalten wird. Speziell im Bereich der fahrlässigen Tötung hat man nunmal die Kombination aus sehr hohem Erfolgsunrecht und sehr beschränktem Handlungsunrecht. Da bewegt man sich zwangsläufig im Bereich einer noch bewährungsfähigen Freiheitsstrafe. Was letztendlich den Ausschlag gibt, sind dann oft Details in der Persönlichkeit der Täter oder der Gestalt der konkreten Tat, diese Details kann man mE alleine über die Berichterstattung nicht in der gleichen Weise erfassen und würdigen, wie es das Gericht kann.
Zuletzt geändert von [enigma] am Sonntag 17. April 2016, 18:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Sollte man vor dieser Folie nicht in die Überlegung gehen, die Gerichtsverhandlungen in Deutschland medienöffentlich zu machen? Stichwort: der Bürger soll sich ein eigenes Bild machen können. Grundidee: Abschaffung des § 169 Satz 2 GVG. Mittlerweile war ich auf ver Veranstaltungen, die das in unterschiedlicher Gestalt und mit unterschiedlichem Ergebnis diskutiert haben. Vielleicht lagere ich das aber gleich nachher noch aus. Das erhöht nur wieder die Komplexität des Treffpunkts.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Sollte man vor dieser Folie nicht in die Überlegung gehen, die Gerichtsverhandlungen in Deutschland medienöffentlich zu machen? Stichwort: der Bürger soll sich ein eigenes Bild machen können. Grundidee: Abschaffung des § 169 Satz 2 GVG. Mittlerweile war ich auf ver Veranstaltungen, die das in unterschiedlicher Gestalt und mit unterschiedlichem Ergebnis diskutiert haben. Vielleicht lagere ich das aber gleich nachher noch aus. Das erhöht nur wieder die Komplexität des Treffpunkts.
Mach das mal, ich finde die Diskussion sehr interessant. Wenn ich das richtig sehe, wird diese Form der Öffentlichkeit aber nur für höchstrichterliche Urteilsbegründungen bzw. teilweise auch Verhandlungen diskutiert, oder?
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Nein, das ist nur der erste Schritt. Der zweite wird dann wahrscheinlich folgen.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Die Kritik an zu geringen Strafen wird von der Justiz soweit ich das beurteilen kann durchaus ernst genommen. Aber es führt eben nicht zwangsläufig zur Erkenntnis, dass dieser Kritik unbedingt nachzugeben ist. Tatsächlich zeichnet sich eine unabhängige Justiz doch gerade dadurch aus, dass sie sich bei der Urteilsfindung nicht von Erwägungen bezüglich der Popularität einer Entscheidung leiten lässt. Natürlich ist die öffentliche Akzeptanz einer Entscheidung wichtig für das Vertrauen in den Rechtsstaat. Diese muss aber die Reaktion auf das Urteil sein, nicht umgekehrt. Fälle, in denen das Urteil der öffentlichen Erwartung nicht gerecht wird, sind zumindest dann hinzunehmen, wenn das Urteil nicht offensichtlich falsch ist. Dazu gehören auch "noch vertretbare" Urteile.
Die Unabhängigkeit der Justiz ins Feld zu führen erscheint mir nun aber als Popanz. Die hat niemand infrage gestellt. Die Justiz hat jedoch verantwortungsvoll mit dem Strafrahmen umzugehen, den der Gesetzgeber eröffnet hat, und dabei die gesellschaftlichen Auswirkungen umfassend zu berücksichtigen. Notfalls kann sie auch selbst auf Änderungen der gesetzlichen Grundlagen dringen.

Dass die genannte Kritik, die sich zum Teil schon zu offenem Hass steigert, weithin wirklich ernst genommen wird, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Gerade auch dieser Fall suggeriert eher das Gegenteil. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass entsprechende Urteile praktisch immer aus der Defensive heraus verteidigt werden, man mache das eben so, weil man es halt so mache - ohne den angelegten Maßstab in der Sache nachvollziehbar zu begründen. Dann kann man aber auch kaum jemandem von der "Richtigkeit" des eigenen Ergebnisses überzeugen.
So habe ich deine Aussage zur "verheerenden Wirkung" verstanden. Was denn nun eine "angemessene" Strafe ist, lässt sich doch kaum absolut bestimmen. Insbesondere ist die "angemessene Strafe" nicht zwangsläufig die, die von der Öffentlichkeit für richtig gehalten wird. Speziell im Bereich der fahrlässigen Tötung hat man nunmal die Kombination aus sehr hohem Erfolgsunrecht und sehr beschränktem Handlungsunrecht. Da bewegt man sich zwangsläufig im Bereich einer noch bewährungsfähigen Freiheitsstrafe. Was letztendlich den Ausschlag gibt, sind dann oft Details in der Persönlichkeit der Täter oder der Gestalt der konkreten Tat, diese Details kann man mE alleine über die Berichterstattung nicht in der gleichen Weise erfassen und würdigen, wie es das Gericht kann.
Ja, sicher. Aber es gibt schon gewisse "Untergrenzen", die in einer Gesellschaft als weithin konsensfähig gelten können. Darüber hinaus verfängt das Argument "sehr beschränktes Handlungsunrecht" im hier gegebenen Fall m.E. gerade nicht. Wie gesagt: In anderen Rechtsordnungen wären hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit völlig andere Strafen herausgekommen, gerade weil auch das Handlungsunrecht nicht gering ist.

Unterm Strich bin ich persönlich jedenfalls auch der Meinung, dass solche Strafen nicht mehr sachgerecht sind und das Vertrauen in den Rechtsstaat zerstören, möglicherweise bis hin zur Selbstjustiz - auch wenn das Urteil sich noch in dem Rahmen bewegen mag, der im rein fachlichen Sinne als "vertretbar" angesehen wird.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Die Unabhängigkeit der Justiz ins Feld zu führen erscheint mir nun aber als Popanz. Die hat niemand infrage gestellt. Die Justiz hat jedoch verantwortungsvoll mit dem Strafrahmen umzugehen, den der Gesetzgeber eröffnet hat, und dabei die gesellschaftlichen Auswirkungen umfassend zu berücksichtigen. Notfalls kann sie auch selbst auf Änderungen der gesetzlichen Grundlagen dringen.

Dass die genannte Kritik, die sich zum Teil schon zu offenem Hass steigert, weithin wirklich ernst genommen wird, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Gerade auch dieser Fall suggeriert eher das Gegenteil. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass entsprechende Urteile praktisch immer aus der Defensive heraus verteidigt werden, man mache das eben so, weil man es halt so mache - ohne den angelegten Maßstab in der Sache nachvollziehbar zu begründen. Dann kann man aber auch kaum jemandem von der "Richtigkeit" des eigenen Ergebnisses überzeugen.
Wenn ich mit Leuten diskutiere, die heftige Kritik, fast schon Hass gegenüber der (insbesondere Straf-)Justiz äußern, scheinen die allesamt von einem Verlangen nach Vergeltung motiviert zu sein, der im Strafprozess nunmal aus guten Gründen keine tragende Rolle spielt. In der Gesellschaft scheint das "Auge um Auge" Prinzip ebenso verbreitet zu sein, wie der Irrglaube, man könne mit schematischen Lösungen gerechte Urteile finden und deshalb jedes Urteil anhand von wesentlichen Rahmenpunkten überprüfen. Wenn ein vorbestrafter (wegen Exhibitionismus) "Vergewaltiger" (tatsächlich war es sexuelle Nötigung) dann "nur" drei Jahre bekommt, hat die Justiz natürlich versagt und dem Opfer seine Verachtung ins Gesicht geschlagen. In solchen Fällen kann die Strafe ohnehin nie hoch genug sein, um in den lautesten Teilen der Öffentlichkeit ein Gefühl der Genugtuung zu erreichen, mal ganz abgesehen davon, dass das nicht das Ziel sein darf. Ein besonders eindringliches Beispiel hierfür war übrigens auch der Tugce-Prozess.
Ja, sicher. Aber es gibt schon gewisse "Untergrenzen", die in einer Gesellschaft als weithin konsensfähig gelten können. Darüber hinaus verfängt das Argument "sehr beschränktes Handlungsunrecht" im hier gegebenen Fall m.E. gerade nicht. Wie gesagt: In anderen Rechtsordnungen wären hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit völlig andere Strafen herausgekommen, gerade weil auch das Handlungsunrecht nicht gering ist.
Und im Vergleich zu wieder anderen, zum Beispiel skandinavischen Rechtsordnungen, sind deutsche Strafurteile bisweilen drakonisch.
Unterm Strich bin ich persönlich jedenfalls auch der Meinung, dass solche Strafen nicht mehr sachgerecht sind und das Vertrauen in den Rechtsstaat zerstören, möglicherweise bis hin zur Selbstjustiz - auch wenn das Urteil sich noch in dem Rahmen bewegen mag, der im rein fachlichen Sinne als "vertretbar" angesehen wird.
Mein Vertrauen auf den Rechtsstaat wird wie gesagt dadurch gestärkt, dass die Justiz sich grundsätzlich nicht von öffentlichen "hängt ihn höher"-Rufen beeinflussen lässt, sondern jeden Einzelfall nach seinen konkreten Umständen beurteilt. Wenn dann im Ergebnis ein Urteil rauskommt, das ich aus der Ferne nicht nachvollziehen kann, ist das ein Preis, den ich gerne zahle. Das mag ja daran liegen, dass ich als Jurist weiß, welche Details bei Erwägungen der Gerichte und Urteilen eine Rolle spielen können. Das spricht dann mE aber eher dafür, das Verständnis in der Öffentlichkeit für die Arbeit der Justiz zu fördern, nicht für grundsätzlich höhere Strafen.
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