Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 StGB?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Gelöschter Nutzer

Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 StGB?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Stellt Chirurgenbesteck, also beispielsweise ein scharfes Messer, mit dem bei Operationen der Körper geöffnet wird, eine Waffe i.S.d. § 224 StGB dar?

Nach dem mechanischen Waffenbegriff ist eine Waffe im Sinne dieser Norm eine Waffe im technischen Sinne, also ein Gegenstand, der seiner Art nach dazu bestimmt ist, Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen. Ein solches Messer ist gerade dazu bestimmt, die Hautschicht zu durchtrennen, was erstmal ja erhebliche Verletzungen hervorruft.

Wird dies dann dadurch relativiert, dass die Operation durchgeführt wird, um einen krankhaften Zustand wieder zu beseitigen, so dass letztendlich keine Waffe vorliegt, sondern "nur" ein gefährliches Werkzeug, oder liegt tatsächlich eine "Waffe" vor? Laut Vorlesung handelt es sich hier um ein gefährliches Werkzeug, jedoch erschließt sich dies mir nicht ganz.
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Honigkuchenpferd
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Nach ganz h.M. handelt es sich bei einem Skalpell, das von einem Chirurgen im Rahmen einer indizierten und de lege artis durchgeführten Operation eingesetzt wird, nicht um ein "gefährliches Werkzeug" i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und erst recht nicht um eine "Waffe" i.S.d. Alt. 1 (was ja voraussetzen würde, dass der Einsatz als "Angriffsmittel" bestimmungsgemäß ist).

Letztlich geht es hier um eine teleologische Auslegung der Tatbestandsmerkmale. Siehe dazu:

http://www.hemmer-club.de/index.php?hp=40&a=74&rb=3
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Tobias__21
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von Tobias__21 »

Es sind nur Waffen im technischen Sinne gemeint. Das heisst der "Waffe" muss bestimmungsgemäß eine Funktion als Angriffs- oder Verteidigungsmittel zukommen. Da würdest Du dann beim Chirurgenbesteck rausfliegen.
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Ara
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von Ara »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Nach ganz h.M. handelt es sich bei einem Skalpell, das von einem Chirurgen im Rahmen einer indizierten und de lege artis durchgeführten Operation eingesetzt wird, nicht um ein "gefährliches Werkzeug" i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB und erst recht nicht um eine "Waffe" i.S.d. Alt. 1 (was ja voraussetzen würde, dass der Einsatz als "Angriffsmittel" bestimmungsgemäß ist).

Letztlich geht es hier um eine teleologische Auslegung der Tatbestandsmerkmale. Siehe dazu:

http://www.hemmer-club.de/index.php?hp=40&a=74&rb=3
Ich glaube das "herrschende Ansicht" hat Hemmer sich schlicht ausgedacht. Es ist tatsächlich eher sehr umstritten (und die Rsp. macht es mal so und mal so) und die Ansicht die es ausschließt überzeugt meines Erachtens wenig bis gar nicht. Die Ansicht die Hemmer da als herrschend Verkauft argumentiert nämlich damit, dass der Eingriff lege artis erfolgt und daher den "Gesamtgesundheitszustand" verbessert. Die gleichen Leute bejahen aber zum größten Teil den Grundtatbestand und lassen ihn lediglich wegen Einwilligung ausscheiden (nur eine absolute mM hält den TB der KV für nicht einschlägig bei ärztlichen Eingriffen).

Das führt zu absolut kuriosen Ergebnissen. Wenn die Behandlung nämlich nicht lege artis erfolgt, dann soll auf einmal ein gefährliches Werkzeug vorliegen. Gestritten wird sich bei der Ansicht dann darüber, ob der fehlerhafte ärztliche Eingriff vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt sein muss. Das zeigt aber schon, dass es hier völlig unnötig zu einer Vermengung von objektivem Tatbestand und Verschulden kommt.

Noch verrückter wird es, wenn ein Einwilligungsmangel vorliegt. Dann bejaht die Ansicht den Grundtatbestand, aber nicht die Qualifikation. Für diese Unterscheidung gibt es aber gar keinen Grund mehr. Warum sollte man einen Arzt privilegieren, der ohne Einwilligung einfach Leute lege artis aufschneidet? Konsequenterweise müsste man hier entweder beides ablehnen oder beides bejahen.

Von daher kann diese Ansicht konsequent eigentlich nur von den Leuten vertreten werden, die sagen, dass bei ärztlichen Heileingriffen schon der Tatbestand der KV ausgeschlossen ist.

Überzeugender ist natürlich, dass man alles auf der Einwilligungsebene löst und nach den konkreten Umständen ganz normal schaut ob es ein gefährliches Werkzeug ist.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ara hat geschrieben:Ich glaube das "herrschende Ansicht" hat Hemmer sich schlicht ausgedacht.
Nein, das dürfte wirklich ganz h.M. sein. Jedenfalls ist das auch mein Eindruck.
Es ist tatsächlich eher sehr umstritten (und die Rsp. macht es mal so und mal so) und die Ansicht die es ausschließt überzeugt meines Erachtens wenig bis gar nicht.
Das kann man in der Sache ja so sehen. Aber kannst du irgendwelche Beispiele nennen, bei denen die Rspr. das angeblich anders handhabt? Es ist dort völlig üblich, § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB eben mit diesem Argument scheitern zu lassen (während der Tatbestand von § 223 I StGB als gegeben angesehen wird).
Die Ansicht die Hemmer da als herrschend Verkauft argumentiert nämlich damit, dass der Eingriff lege artis erfolgt und daher den "Gesamtgesundheitszustand" verbessert. Die gleichen Leute bejahen aber zum größten Teil den Grundtatbestand und lassen ihn lediglich wegen Einwilligung ausscheiden (nur eine absolute mM hält den TB der KV für nicht einschlägig bei ärztlichen Eingriffen).
Man kann natürlich auch bereits beim Tatbestand des Grunddelikts aussteigen oder das Problem erst einmal bei § 223 I StGB auf Ebene der Rechtfertigung behandeln. Auch dann kommt man ggf. gar nicht mehr zu § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB. Aber es ist wirklich völlig üblich, das so zu machen, wie Hemmer es vorschlägt.

Abgesehen davon kann man denjenigen, die bei fehlender Einwilligung "nur" § 223 I StGB bejahen, nicht aber § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, schon eine gewisse Widersprüchlichkeit vorwerfen. Es ist aber auch irgendwo sachgerecht, diese Differenzierung bei einem Chirurgen vorzunehmen, wenn man den Zweck vor allem darin sieht, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu schützen. Dann scheint § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB schon etwas weitgehend.
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von thh »

Ara hat geschrieben:Ich glaube das "herrschende Ansicht" hat Hemmer sich schlicht ausgedacht.
Naja, es ist jedenfalls ganz herrschende Praxis und Rspr. - auch des BGH.

Dogmatisch lässt sich das natürlich nicht wirklich begründen, sondern ist m.E. schlicht zielorientiert.
Ara hat geschrieben:Es ist tatsächlich eher sehr umstritten (und die Rsp. macht es mal so und mal so)
Tatsächlich? Wann hat denn die Rspr. mal bei fehlender Einwilligung - bspw. wegen Aufklärungsmängeln - oder meinetwegen auch einem behandlungsfehlerhaften Eingriff wegen gef. KV verurteilt?
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von Ara »

Ich hab jetzt auch mal die Kommentare bemüht. Es scheint wohl tatsächlich hM zu sein, obwohl die "prominenteren Kommentare" der Mindermeinung folgen

Als gegenteilige Entscheidung in der Rechtsprechung wird BGH NStZ 87, 174 genannt. Hier hat der der Senat die Einschränkung dann nämlich auf einmal abgelehnt, weil die fachlich-rechtliche Befugnis fehlte.

Darum schreibt Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben § 224 Rn. 8 auch im Brustton der Überzeugung von "Im Hinblick auf medizinische Instrumente gelten keine Besonderheiten" und speist die Gegenansicht mit "so noch BGH NJW 78, 120" ab. Wobei ich nicht glaube, dass BGH NStZ 87, 174 tatsächlich ne Abkehr der bisherigen Rechtsprechung war, so wie es Sch/Sch andeutet.

BeckOK STGB/Eschelbach § 244 Rn. 28-32 thematisiert es sehr umfangreich und spricht von "inkonsequenter Rechtsprechung", hat aber bis auf BGH NStZ 87, 174 auch nichts zu liefern.

Daher war ich wohl etwas voreilig... Ich vermute der Satz in Sch/Sch mit "so noch..." hat man auf den Irrweg gebracht, dass es frühere Rsp. war.
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von julée »

Natürlich ist das dogmatisch inkonsequent (m. W. n. nimmt man die Ärzte auch mit ergebnisorientierter Argumentation von § 340 StGB aus). Es fehlt insoweit schlichtweg an einem Sonderstrafrecht der Ärzte, das einerseits sinnvolle Sanktionen vorsieht, andererseits aber auch nicht gleich ein erhöhtes Strafmaß zur Folge hat.
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Re: Chirurgenbesteck als Waffe i.S.d. §224 I Nr. 2 Var. 1 St

Beitrag von thh »

julée hat geschrieben:Natürlich ist das dogmatisch inkonsequent (m. W. n. nimmt man die Ärzte auch mit ergebnisorientierter Argumentation von § 340 StGB aus). Es fehlt insoweit schlichtweg an einem Sonderstrafrecht der Ärzte, das einerseits sinnvolle Sanktionen vorsieht, andererseits aber auch nicht gleich ein erhöhtes Strafmaß zur Folge hat.
So ist es.

Die Lösung über die Rechtfertigungsnotwendigkeit der tatbestandlichen Körperverletzung funktioniert im Übrigen sehr gut, wenn auch es auch dogmatisch vielleicht etwas ungewohnt ist, dass in diesem Fall nicht primär die körperliche Unversehrtheit, sondern vor allem das Selbstbestimmungsrecht des Patienten geschützt wird. Sie versagt aber im Hinblick auf die gef. KV/KV im Amt, deren erhöhte Strafdrohungen eben aufgrund dieses Umstands verfehlt sind.

Denn es ist fraglich richtig, Körperverletzungen mit einem Skalpell - außerhalb ärztlicher Eingriffe - als hochgefährlich mit erhöhter Strafe zu bedrohen. Es ist aber ebenso fraglos verfehlt, dies bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Operation zu tun, bei der nur ein Einwilligungsmangel (i.d.R. aufgrund fehlerhafter Aufklärung) vorliegt, denn da verwirklicht sich diese besondere Gefahr ja nun gerade nicht, weil es eigentlich auch gar nicht um das Aufschneiden des Körpers an sich geht, sondern um die fehlende Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.

Man könnte das vermutlich ziemlich einfach sauber regeln, aber nachdem der Gesetzgeber - jedenfalls derzeit - in der Regel mit Neuregelungen alles nur noch schlimmer macht, sicherlich nicht zuletzt, weil weniger praxisrelevante Klarstellungen als die Befriedigung aller politischen Interessen und Lobbygruppen im Vordergrund stehen, ist es am besten, wenn die Rechtslage einfach so bleibt, wie sie ist.
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