Aufbau Fahrerfluchtfall

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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UltimaSpes
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Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von UltimaSpes »

Hallo Leute,

ich habe zwei Aufbaufragen zu folgendem, eigentlich klassischem Fall.

Sportwagenfahrer F fährt viel zu schnell und fährt daher den Passanten P an. Obwohl F erkennt, dass P lebensgefährlich verletzt ist, fährt F davon. P stirbt kurze Zeit später. Das Herbeiholen eines Notarztes hätte das Leben des P mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich gerettet.

Wie hat sich F strafbar gemacht?


1. Ergibt es eurer Meinung nach Sinn, den Sachverhalt in zwei Handlungsabschnitte zu unterteilen? (1. Unfall; 2. Fahrerflucht)

2. Muss man möglicherweise als Erstes "fahrlässige Tötung" des F durch das fahrlässige Anfahren des P prüfen? Oder prüft man sofort "Totschlag/Mord durch Unterlassen"?

Ich bin deswegen verwirrt, weil meiner Meinung nach klar "Totschlag durch Unterlassen" gegeben ist (mglw. auch Mord), weil F mit dolus eventualis handelt. Aber würde man zunächst an die erste Handlung (Anfahren des P) anknüpfen, könnte man auch erstmal "fahrlässige Tötung" prüfen. Vor allem, da ich gelesen habe, dass man immer Tun vor Unterlassen prüft.
Honigkuchenpferd
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von Honigkuchenpferd »

UltimaSpes hat geschrieben:1. Ergibt es eurer Meinung nach Sinn, den Sachverhalt in zwei Handlungsabschnitte zu unterteilen? (1. Unfall; 2. Fahrerflucht)
Das kann man machen, ich würde es aber nicht tun. Am Ende könnte es auch dazu führen, dass man bei den Konkurrenzen zu falschen Schlüssen kommt.
2. Muss man möglicherweise als Erstes "fahrlässige Tötung" des F durch das fahrlässige Anfahren des P prüfen? Oder prüft man sofort "Totschlag/Mord durch Unterlassen"?
Beides geht. Wenn man darauf abstellt, dass man das schwerste Delikt zuerst prüfen sollte, beginnt man mit Totschlag/Mord durch Unterlassen. Es ist aber auch gut vertretbar, m.E. sogar sinnvoller, andersherum vorzugehen. Schließlich muss die Garantenstellung aus Ingerenz ja irgendwie begründet werden, und dabei hilft es durchaus, wenn man § 222 StGB schon geprüft hat.
Vor allem, da ich gelesen habe, dass man immer Tun vor Unterlassen prüft.
Das gilt aber eigentlich auch nur, wenn es um diese Handlung geht.
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UltimaSpes
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von UltimaSpes »

Dankeschön!
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Das gilt aber eigentlich auch nur, wenn es um diese Handlung geht
Welche Handlung meinst du mit "diese Handlung"?


Was mir an dem Fall aber noch Bauchschmerzen bereitet, dass man fahrlässige Tötung und Totschlag durch Unterlassen bejaht. Schließt das eine nicht das andere aus?
Hier hat F doch vorsätzlich gehandelt und daher auch vorsätzlich den Tod des P durch Unterlassen herbeigeführt. Dann ist es doch ein Widerspruch, gleichzeitig "fahrlässige Tötung" anzunehmen, auch wenn diese dann zurücktreten würde.
Honigkuchenpferd
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von Honigkuchenpferd »

UltimaSpes hat geschrieben:Welche Handlung meinst du mit "diese Handlung"?
Sorry, es sollte "dieselbe" heißen. Beim Unterlassen würdest du ja vorrangig daran anknüpfen, dass er die Rettungsmaßnahmen nicht vorgenommen hat.
Was mir an dem Fall aber noch Bauchschmerzen bereitet, dass man fahrlässige Tötung und Totschlag durch Unterlassen bejaht. Schließt das eine nicht das andere aus?
Hier hat F doch vorsätzlich gehandelt und daher auch vorsätzlich den Tod des P durch Unterlassen herbeigeführt. Dann ist es doch ein Widerspruch gleichzeitig "fahrlässige Tötung" anzunehmen, auch wenn diese dann zurücktreten würde.
Das Problem wird manchmal beim Zurechnungszusammenhang mit Blick auf das Fahrlässigkeitsdelikt thematisiert (was wiederum ein Argument wäre, die fahrlässige Tötung erst hinterher zu prüfen). Die ganz h.M. hat hier aber kein Problem, sowohl Totschlag bzw. Mord durch Unterlassen als auch fahrlässige Tötung zu bejahen, die dann auch noch in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) stehen sollen.

Letztlich ist das Ergebnis aber nicht so abwegig: Ginge es nicht um ein und denselben Täter, würden wir ja nicht das geringste Problem sehen, beide Tötungsdelikte zu bejahen und auch beide für (quasi-)kausal zu erklären.
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von UltimaSpes »

Dass fahrlässige Tötung und Totschlag/Mord durch Unterlassen in Tateinheit stehen sollen, leuchtet mir ehrlich gesagt nicht ein.
Ich würde eher zwei verschiedene Handlungen annehmen. Zunächst das Anfahren des P, wodurch sich F einer fahrlässigen Tötung strafbar gemacht hat.
Dann eine zweite Handlung (Wegfahren), da F den neuen Willensentschluss fasst, den P liegen zu lassen. Dadurch hat sich F dann eines Totschlags/Mords durch Unterlassen strafbar gemacht.

Und dann wäre für mich die Frage, ob man fahrlässige Tötung zurücktreten lassen kann. Bin noch nicht so fit bei den Konkurrenzen...
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von Honigkuchenpferd »

UltimaSpes hat geschrieben:Dass fahrlässige Tötung und Totschlag/Mord durch Unterlassen in Tateinheit stehen sollen, leuchtet mir ehrlich gesagt nicht ein.
Ich würde eher zwei verschiedene Handlungen annehmen. Zunächst das Anfahren des P, wodurch sich F einer fahrlässigen Tötung strafbar gemacht hat.
Dann eine zweite Handlung (Wegfahren), da F den neuen Willensentschluss fasst, den P liegen zu lassen. Dadurch hat sich F dann eines Totschlags/Mords durch Unterlassen strafbar gemacht.

Und dann wäre für mich die Frage, ob man fahrlässige Tötung zurücktreten lassen kann. Bin noch nicht so fit bei den Konkurrenzen...
Wie gesagt: Nach dem, was überwiegend vertreten wird, kein Zurücktreten, außerdem Idealkonkurrenz. Aber hier kann man definitiv auch vieles andere vertreten, auch Tatmehrheit und mitbestrafte Vortrat.

Bei den Konkurrenzen lässt sich mit entsprechender Begründung häufig sehr viel hören...
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von UltimaSpes »

Alles klar, vielen Dank für deine schnelle Hilfe!
cad
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von cad »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
UltimaSpes hat geschrieben:Dass fahrlässige Tötung und Totschlag/Mord durch Unterlassen in Tateinheit stehen sollen, leuchtet mir ehrlich gesagt nicht ein.
Ich würde eher zwei verschiedene Handlungen annehmen. Zunächst das Anfahren des P, wodurch sich F einer fahrlässigen Tötung strafbar gemacht hat.
Dann eine zweite Handlung (Wegfahren), da F den neuen Willensentschluss fasst, den P liegen zu lassen. Dadurch hat sich F dann eines Totschlags/Mords durch Unterlassen strafbar gemacht.

Und dann wäre für mich die Frage, ob man fahrlässige Tötung zurücktreten lassen kann. Bin noch nicht so fit bei den Konkurrenzen...
Wie gesagt: Nach dem, was überwiegend vertreten wird, kein Zurücktreten, außerdem Idealkonkurrenz. Aber hier kann man definitiv auch vieles andere vertreten, auch Tatmehrheit und mitbestrafte Vortrat.

Bei den Konkurrenzen lässt sich mit entsprechender Begründung häufig sehr viel hören...
Kannst du das irgendwie belegen? Finde hier alles andere als Gesetzeskonkurrenz nicht vertretbar und die schnelle Lektüre bestätigt dies.
Honigkuchenpferd
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Re: Aufbau Fahrerfluchtfall

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ja, z.B. Krey, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 2, 3. Aufl. 2008, Rn. 350. Nach Durchsicht der ersten Google-Treffer ("Fahrlässige Tötung", "Toschlag durch Unterlassen" und "Tateinheit" eingeben) nehme ich aber zurück, dass es sich im Hinblick auf die Idealkonkurrenz um die überwiegende Meinung handelt.

Gleichwohl trifft es definitiv nicht zu, dass lediglich Gesetzeskonkurrenz vertretbar ist.
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