nach Putativnotwehrexzess § 229 (nach C. Jäger) warum?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Freedom
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nach Putativnotwehrexzess § 229 (nach C. Jäger) warum?

Beitrag von Freedom »

Hey Leute,
eine Frage zum sogenannten Putativnotwehrexzess, Fall aus dem Jäger AT Examinatorium:

Fall: A glaubt sich von B angegriffen und sticht daher den B nieder. In seiner Angst vor B überschreitet er dabei das Maß der erforderlichen Verteidigung, das bei einem wirklichen Angriff zulässig gewesen wäre, kein Tötungsvorsatz.

Falllösung:
§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 (-) weil er sich in einem ETBI befand, sodass analog § 16 nur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht kommt.

§ 229 → (P) § 33 anwendbar? (-) weil Wortlaut § 33, „Grenzen der Notwehr“ → Notwehrlage muss bestehen / bestanden haben.

Frage:
Wieso wird hier ein ETBI bejaht und dann eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit geprüft? Muss der Täter sich nicht Umstände vorstellen, bei deren tatsächlichen Vorliegen eine Notwehrlage bestünde UND er in einer solchen Lage eine erforderliche und angemessene Verteidigungshandlung vornehmen? Hier FEHLT es aber an der Erforderlichkeit.

Ein klassischer Doppelirrtum liegt hier nicht vor, klar, weil der Täter nicht über die rechtlichen Grenzen irrt sondern diese aus Angst überschreitet.

a) ich komme hier aber trotzdem zum Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die objektiv (?!) zu bewertende Erforderlichkeit vorliegt, sodass ein ETBI in der Vorsatzstrafbarkeit ausscheidet und würde § 33 direkt hier prüfen, ablehnen und käme dann garnicht mehr zu einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit.

b) Wie ist die Vorgehensweise von Jäger zu erklären? Argumente dafür? Versuchter Erklärungsansatz: Es ist etwas fundamental anderes, ob der Täter neben dem Vorstellen einer Notwehrlage die Grenzen überschreitet („Doppelirrtum“) oder ob er die Grenzen aus asthenischen Affekten überschreitet. Aber warum?
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Tobias__21
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Re: nach Putativnotwehrexzess § 229 (nach C. Jäger) warum?

Beitrag von Tobias__21 »

Das ist Rn. 221, oder? Das ist falsch. Es ist kein ETBI
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mea parvitas
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Re: nach Putativnotwehrexzess § 229 (nach C. Jäger) warum?

Beitrag von mea parvitas »

Zur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit: Nach der eingeschränkten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie entfällt nicht der Vorsatz, sondern der Vorsatzschuldvorwurf analog § 16. Der Täter handelt also vorsätzlich, so dass man meinen könne, eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sei ausgeschlossen. Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit ist nicht die vorsätzliche Handlung, die unmittelbar zum Erfolg geführt hat, sondern die (vermeidbare) Irrtumslage.

Das Problem mit § 33 kenne ich ehrlich gesagt nicht. Das Argument, es bestehe keine wirkliche Notwehrlage, so dass § 33 nicht anwendbar ist, lässt sich aber gut hören (Wortlautargumentation kommt im Str immer gut). Und warum soll derjenige besser stehen, der nicht nur das Vorliegen einer Notwehrlage verkennt, sondern auch die Erforderlichkeitsgrenze überschreitet?
Tobias__21
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Re: nach Putativnotwehrexzess § 229 (nach C. Jäger) warum?

Beitrag von Tobias__21 »

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Gelöschter Nutzer

Re: nach Putativnotwehrexzess § 229 (nach C. Jäger) warum?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Das kommt mir eindeutig "falsch" (nach hM) vor.

1. § 229 StGB setzt einen ETBI voraus.

2. Ein ETBI setzt voraus, dass der Täter bei Zutreffen seiner tatsächlichen Vorstellungen gerechtfertigt wäre. Hier hätte sich T aber nur in einem Zustand des § 33 StGB befunden, wäre also "nur" entschuldigt und nicht gerechtfertigt. Ein ETBI liegt nicht vor.

3. Eine direkte Anwendung des § 33 StGB fällt ohnehin flach, da die Norm nach ihrem klaren Wortlaut eine (jedenfalls irgendwann) tatsächlich bestehende Notwehrlage voraussetzt.

4. § 33 analog erscheint mir angesichts der Auffangfunktion des § 17 StGB (keine Lücke) äußerst fragwürdig. Zumal es sich bei § 33 StGB ausweislich des Wortlauts der Norm (klare, enumerative Auflistung der Vss.; kein allgemeines Rechtsprinzip, sondern eine sehr täterfreundliche Privilegierung) um eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift handelt.

--> Doppelirrtum, § 17 StGB, vermeidbar (idR), Schuld (+), Strafbarkeit nach dem Vorsatzdelikt, § 229 (-).
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