Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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UltimaSpes
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Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von UltimaSpes »

Hallo Leute,

mal wieder eine Frage. Liegt im folgenden Fall ein (untauglicher) Versuch des T vor?

T will dem O aus Wut eine Abreibung verpassen. Er schleicht sich an sein Haus heran und klingelt. Sofort nach dem Aufmachen will T den O verprügeln. O öffnet aber gar nicht die Tür, weil er im Urlaub auf den Bahamas ist.

Nach überwiegender Auffassung sagt man ja, dass in solchen "Klingel-Fällen" ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen ist.
Aber wie sieht es hier aus? T hat zwar die Schwelle zum "Jetzt gehts los" überschritten, aber er hat ja gar keine Handlungen objektiv vorgenommen, die unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung einmünden könnten, da der O weit entfernt im Urlaub ist. Man könnte höchstens noch einen untauglichen Versuch annehmen, aber auch der geht nicht, weil der Versuch nicht aufgrund der Art des Gegenstandes oder der Art des Mittels untauglich ist (s. § 23 III); sondern aufgrund der Tatsache, dass O im Urlaub ist.

Also geht T straflos aus. Sehe ich das richtig?
Honigkuchenpferd
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Re: Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

UltimaSpes hat geschrieben:Hallo Leute,

mal wieder eine Frage. Liegt im folgenden Fall ein (untauglicher) Versuch des T vor?

T will dem O aus Wut eine Abreibung verpassen. Er schleicht sich an sein Haus heran und klingelt. Sofort nach dem Aufmachen will T den O verprügeln. O öffnet aber gar nicht die Tür, weil er im Urlaub auf den Bahamas ist.

Nach überwiegender Auffassung sagt man ja, dass in solchen "Klingel-Fällen" ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen ist.
Aber wie sieht es hier aus? T hat zwar die Schwelle zum "Jetzt gehts los" überschritten, aber er hat ja gar keine Handlungen objektiv vorgenommen, die unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung einmünden könnten, da der O weit entfernt im Urlaub ist. Man könnte höchstens noch einen untauglichen Versuch annehmen, aber auch der geht nicht, weil der Versuch nicht aufgrund der Art des Gegenstandes oder der Art des Mittels untauglich ist (s. § 23 III); sondern aufgrund der Tatsache, dass O im Urlaub ist.

Also geht T straflos aus. Sehe ich das richtig?
Nein. Es kommt übrigens auch beim unmittelbaren Ansetzen maßgeblich auf das Vorstellungsbild des Täters an. Bejaht man hier mit der h.M. ein unmittelbares Ansetzen, hat T sich wegen Versuchs strafbar gemacht. Dass die Tat nicht vollendet werden konnte, weil O abwesend war, spielt keine Rolle (§ 23 III StGB e contratio). § 23 III StGB definiert nicht abschließend, was ein untauglicher Versuch ist, sondern bennent nur einige Fälle, in denen bei Vorliegen eines untauglichen Versuchs von Strafe abgesehen werden bzw. eine Strafmilderung eintreten kann.
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Re: Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von UltimaSpes »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:§ 23 III StGB definiert nicht abschließend, was ein untauglicher Versuch ist, sondern bennent nur einige Fälle, in denen bei Vorliegen eines untauglichen Versuchs von Strafe abgesehen werden bzw. eine Strafmilderung eintreten kann.
Das ist für mich der Knackpunkt. Nimmt man an, dass § 23 III die Fälle eines untauglichen Versuchs abschließend definiert, kommt man meiner Meinung nach zu dem Ergebnis, dass sich T nicht strafbar gemacht hat.

Woher nimmst du, dass die Auflistung nicht abschließend ist? Aus dem Wortlaut nehme ich eher eine abgeschlossene Auflistung an.

Wenn sie nicht abschließend ist, hat sich T hier also eines untauglichen Versuchs strafbar gemacht, oder?
Honigkuchenpferd
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Re: Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

UltimaSpes hat geschrieben:Das ist für mich der Knackpunkt. Nimmt man an, dass § 23 III die Fälle eines untauglichen Versuchs abschließend definiert, kommt man meiner Meinung nach zu dem Ergebnis, dass sich T nicht strafbar gemacht hat.

Woher nimmst du, dass die Auflistung nicht abschließend ist? Aus dem Wortlaut nehme ich eher eine abgeschlossene Auflistung an.

Wenn sie nicht abschließend ist, hat sich T hier also eines untauglichen Versuchs strafbar gemacht, oder?
Jetzt schauen wir uns noch einmal den Wortlaut an. § 23 III StGB sagt:
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
Dem kann man im Gegenschluss entnehmen, dass der untaugliche Versuch generell strafbar ist. Nur wenn es sich um einen untauglichen Versuch handelt, bei dem der Täter "aus grobem Unverstand" (!) die genannten Umstände verkennt, kann von Strafe abgesehen oder die Strafe gemildert werden. Jedenfalls von "grobem Unverstand" kann man hier aber definitiv nicht ausgehen.

Es ergibt ja auch überhaupt keinen Sinn, warum dein Beispielsfall von einer Strafbarkeit ausgenommen sein sollte. Dass es nicht zur Vollendung kam, hing hier nur vom Zufall ab. Der Täter, der nur verkennt, dass sein Opfer gerade nicht da ist, ist ja keineswegs "ungefährlich".
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Re: Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von UltimaSpes »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: Nur wenn es sich um einen untauglichen Versuch handelt, bei dem der Täter "aus grobem Unverstand" (!) die genannten Umstände verkennt, kann von Strafe abgesehen oder die Strafe gemildert werden. Jedenfalls von "grobem Unverstand" kann man hier aber definitiv nicht ausgehen.

Es ergibt ja auch überhaupt keinen Sinn, warum dein Beispielsfall von einer Strafbarkeit ausgenommen sein sollte. Dass es nicht zur Vollendung kam, hing hier nur vom Zufall ab. Der Täter, der nur verkennt, dass sein Opfer gerade nicht da ist, ist ja keineswegs "ungefährlich".
Danke, deine Erklärung finde ich sehr einleuchtend.
Und dass der T hier nicht "ungefährlich" und daher sein Verhalten strafwürdig ist, sehe ich ganz genauso. Ich bin eben nur wegen einer falschen Interpretation des § 23 III zu einer Straflosigkeit des T gekommen.

Leider habe ich dann noch auf Wikipedia nachgeschaut. Und da stehen zum "untauglichen Versuch" als Fälle auch nur "untaugliches Tatmittel" und "untaugliches Tatobjekt" drin (und "nicht-qualifizierter Täter"). --> https://de.wikipedia.org/wiki/Untauglicher_Versuch
Daher nehme ich mal an, dass der Wikipedia-Artikel diesbezüglich auch falsch ist, oder?
Nächstes Mal schau ich doch lieber wieder in einem Lehrbuch nach. ;)
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Vortex
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Re: Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von Vortex »

Hm, aber dort steht doch:

"Obwohl keine objektive Gefährdung eintritt, ist nach dem Strafgesetzbuch neben dem tauglichen auch der untaugliche Versuch strafbar. Dies wird überwiegend auf einen Umkehrschluss (lat. argumentum e contrario) aus § 23 Abs. 3 StGB gestützt."
Honigkuchenpferd
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Re: Versuch, wenn Opfer gar nicht gefährdet?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

UltimaSpes hat geschrieben:Danke, deine Erklärung finde ich sehr einleuchtend.
Und dass der T hier nicht "ungefährlich" und daher sein Verhalten strafwürdig ist, sehe ich ganz genauso. Ich bin eben nur wegen einer falschen Interpretation des § 23 III zu einer Straflosigkeit des T gekommen.

Leider habe ich dann noch auf Wikipedia nachgeschaut. Und da stehen zum "untauglichen Versuch" als Fälle auch nur "untaugliches Tatmittel" und "untaugliches Tatobjekt" drin (und "nicht-qualifizierter Täter"). --> https://de.wikipedia.org/wiki/Untauglicher_Versuch
Daher nehme ich mal an, dass der Wikipedia-Artikel diesbezüglich auch falsch ist, oder?
Nächstes Mal schau ich doch lieber wieder in einem Lehrbuch nach. ;)
Nun ja, prinzipiell wäre es schon möglich, den Fall hier unter die Kategorie "untaugliches Tatobjekt" zu fassen, nur dass die Untauglichkeit hier eben keine dauerhafte Eigenschaft ist, sondern sich daraus ergibt, dass O gerade nicht da ist. T bildet sich ja ein, hinter der Türe auf O zu treffen. Würde er z.B. durch das milchige Glas der Eingangstür einen Kleiderständer für O halten, hättest du wohl keine Schwierigkeiten, das unter ein "untaugliches Tatobjekt" zu subsumieren. Prinzipiell liegt der Fall hier nicht anders, nur dass der Versuch diesmal völlig ins Leere geht.

Wikipedia-Artikel sind in juristischen Zusammenhängen aber häufig schlecht und zum Lernen in aller Regel unbrauchbar.
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