Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Honigkuchenpferd
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Re: Fall Niklas P. - Der erste Schlag war schon zu viel?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ara hat geschrieben:Würde man die Vorsatzschwelle für ein Tötungsdelikt so gering ansetzen wie ihr, dann wäre für die Körperverletzung mit Todesfolge gar kein Raum mehr. Die Körperverletzung mit Todesfolge ist hier schon genau der richtige Straftatbestand. Der wollte ihn mal so richtig schön verprügeln und durch unglückliche Umstände ist er gestorben. Wir reden hier übrigens von einem Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren. Es ist ja nun nicht so, dass der Täter nen Verdienstorden bekommt, weil er nicht kräftig genug zugetreten hat. Die Mindeststrafe sinkt lediglich von 5 auf 3 Jahre.
Ja, wenn denn der nach Erwachsenenstrafrecht eröffnete Strafrahmen tatsächlich ausgeschöpft würde... Im Übrigen mag man das ja so sehen, aber das kann man wirklich auch etwas weniger zynisch ausdrücken ("mal so richtig schön verprügeln").

Darüber hinaus bliebe für die Körperverletzung mit Todesfolge natürlich auch dann noch Raum, wenn man in den schon sehr speziell gelagerten Kopftreter-Fällen angesichts der Gefährlichkeit von Tritten gegen den Kopf regelmäßig von Tötungsvorsatz ausgehen würde (was ich persönlich ebenfalls für richtig halten würde). Dazu schon 2009 die FAZ/FAS in Bezug auf eine juristische Dissertation zu diesem Thema:

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft ... 24226.html

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/j ... 26019.html
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Ara
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Re: Fall Niklas P. - Der erste Schlag war schon zu viel?

Beitrag von Ara »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: Darüber hinaus bliebe für die Körperverletzung mit Todesfolge natürlich auch dann noch Raum, wenn man in den schon sehr speziell gelagerten Kopftreter-Fällen angesichts der Gefährlichkeit von Tritten gegen den Kopf regelmäßig von Tötungsvorsatz ausgehen würde (was ich persönlich ebenfalls für richtig halten würde).
Also ich kanns nur noch einmal wiederholen: Du musst doch diesen Tritt gegen den Kopf beweisen? Die rechtsmedizinischen Befunde widersprechen doch der Geschichte vom "massiven Tritt gegen den Kopf". Es sind keine Verletzungen erkennbar, die man erwarten würde, wenn jemand massiv gegen den Kopf getreten hätte.

In diesem speziellen Fall geht es doch gar nicht nur um eine rechtliche Frage, sondern auch um eine tatsächliche Frage. Die Befunde der Rechtsmedizin widersprechen der bisherigen Annahme, dass der Tod durch massive Tritte gegen den Kopf eingetreten sind. Viel mehr sind keine Verletzungen von massiven Tritten feststellbar, sondern die Todesursache war ein Schlag mit der Hand.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Zum konkreten Fall habe ich mich insofern doch auch gar nicht geäußert. Es ist schon möglich, dass es in diesem konkreten Fall gar keine entsprechenden Tritte gab (wobei ich das Erfordernis "massiver Tritte" wiederum für überzogen halten würde).
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Ara
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Ara »

Aber ansonsten wird doch allgemein in der Rechtsprechung und Praxis angenommen, dass beschuhte Tritte gegen den Kopf einen Tötungsvorsatz implizieren? Da besteht doch gar kein Defizit.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ich kann nicht aus eigener Anschauung sprechen. Aber ausweislich der genannten Dissertation und der in den beiden Artikeln angesprochenen Fälle ist (bzw. war) das offensichtlich nicht so.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Parabellum »

Aber Hauptsache mal wieder was rumgemeint.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich kann nicht aus eigener Anschauung sprechen. Aber ausweislich der genannten Dissertation und der in den beiden Artikeln angesprochenen Fälle ist (bzw. war) das offensichtlich nicht so.
Es ist eben kein Automatismus, sondern ein (gewichtiges) Indiz in der Gesamtwürdigung.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von OJ1988 »

Ara hat geschrieben:Aber ansonsten wird doch allgemein in der Rechtsprechung und Praxis angenommen, dass beschuhte Tritte gegen den Kopf einen Tötungsvorsatz implizieren? Da besteht doch gar kein Defizit.
Nein, solche "Erfahrungssätze" gibt es bei der Feststellung eines Tötungsvorsatzes nicht. Es kommt vielmehr auf das konkrete Vorstellungsbild des Täters im jeweiligen Einzelfall an, der sich eben aus all seinen Umständen zusammensetzt, statt von einer aus einer Vielzahl von Fällen abstrahierten Lebenserfahrung determiniert zu werden. Vgl. etwa hier: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/09/3-558-09-1.php
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Ara
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Ara »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich kann nicht aus eigener Anschauung sprechen. Aber ausweislich der genannten Dissertation und der in den beiden Artikeln angesprochenen Fälle ist (bzw. war) das offensichtlich nicht so.
Der BGH erklärt es eigentlich ganz schön in 1 StR 400/11
Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten
dann gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des
Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Dabei
genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt
akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat, mag er
auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben. Hatte der Täter dagegen begründeten
Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht
zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden.
(BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 Rn. 34 mwN).

Bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, muss sowohl
das Wissens- als auch das Willenselement im Rahmen einer Gesamtschau
aller objektiven und subjektiven Umstände geprüft und durch tatsächliche Feststellungen
belegt werden. Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des
Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit
durchführt. Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt
oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung
etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender
Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement
des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH aaO Rn. 35).
Es muss eine ganz normale Vorsatzprüfung erfolgen. Wenn jedoch jemand eine erkennbar lebensgefährliche Handlung (z.B. der Tritt mit dem beschuhten Fuß gegen den Kopf) durchführt, ist dies ein starkes Indiz für einen Tötungsvorsatz. Dieses Indiz kann aber natürlich widerlegt werden, zum Beispiel wie hier, dass festgestellt wurde, dass gar nicht (oder nicht wirklich stark) zugetreten wurde.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von [enigma] »

Allerdings ist doch der beschuhte, einigermaßen heftige Tritt gegen den Kopf des wehrlosen Opfers ein Umstand, der eben für das Vorliegen von Tötungsvorsatz sprechen kann (ihn aber nicht zwingend beweisen muss). Doctor und Honigkuchenpferd scheint es ja eher darum zu gehen, aus Kopftritten generell eine Art Regelbeispiel für den Tötungsvorsatz zu machen.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von akn »

@Admin: Danke für das Anhängen meines Beitrages - ich hatte nicht gesehen, dass es hierzu schon ein Thema gibt.

Mittlerweile hat sich auch ein Autor bei der FAZ mit der Problematik beschäftigt: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft ... 01016.html
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Parabellum hat geschrieben:Aber Hauptsache mal wieder was rumgemeint.
Was meinst du, wie viele Juristen es gibt, die regelmäßig selbst über solche Fälle verhandeln? Es ist schon irgendwo absurd, dass die FAZ sich zweimal auf der Grundlage einer Dissertation mit diesem Problem beschäftigt hat - und dann wieder so etwas kommt.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Allerdings ist doch der beschuhte, einigermaßen heftige Tritt gegen den Kopf des wehrlosen Opfers ein Umstand, der eben für das Vorliegen von Tötungsvorsatz sprechen kann (ihn aber nicht zwingend beweisen muss). Doctor und Honigkuchenpferd scheint es ja eher darum zu gehen, aus Kopftritten generell eine Art Regelbeispiel für den Tötungsvorsatz zu machen.
Ja, dafür wäre ich in der Tat. Sonst schleicht sich nämlich schnell die gegenläufige Tendenz ein, einen Tötungsvorsatz wegen einer angeblich so hohen Hemmschwelle doch zu verneinen. Einen "Automatismus" würde ich daraus aber auch nicht machen wollen.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von [enigma] »

Der Hemmschwellentheorie kommt doch zu Recht kaum noch eine konkrete Bedeutung bei der Beweiswürdigung zum Vorsatz zu. Letztendlich ist und bleibt § 261 StPO der Maßstab, nur dieser erlaubt es, dem Einzelfall hinreichend Rechnung zu tragen. Würde man bei Fußtritten gegen den Kopf generell von Tötungsvorsatz ausgehen, müssten diese Tritte auch stets zu einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags führen, wenn das Opfer überlebt. Das mag bei besonders brutalen Tritten gegen wehrlose Opfer sicher angemessen sein, aber eben nicht bei jedem Tritt gegen den Kopf, damit würdest du jede heftige aber folgenlose Schlägerei zum Tötungsdelikt machen.
Zuletzt geändert von [enigma] am Montag 22. August 2016, 22:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Fall Niklas und fragliche Tritte gegen den Kopf

Beitrag von doctor »

Dito. Regelbeispiel ja, aber immer noch Beachtung der Gesamtumstände der Tat.
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