Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

Juratutorium
Power User
Power User
Beiträge: 413
Registriert: Dienstag 28. Januar 2014, 10:43
Ausbildungslevel: RA

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Juratutorium »

Was wir haben, ist ein Stummfilm. Wir sehen wie ein Mensch einen anderen tötet und danach eine Sache mitnimmt. Der Rest ist die Einlassung des Angeklagten. Was er wirklich wollte, wissen wir nicht. Das können wir ihm allenfalls glauben. Das ist der große Unterschied zwischen diesen wunderschönen Uni-Fällen, wo beim Vorsatz immer alles sonnenklar ist, und der Realität.

Der dogmatische Bruch liegt darin, dass Raub ein zusammengesetzes Delikt ist: 240+242.
Diebstahl erfordert einen Gewahrsamsbruch und damit wird die Vollendung schwierig, wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Wegnahme (= Gewahrsamsbruch + Neubegründung) bereits tot ist. Da kann man auch ein versuchtes EQ-Delikt anprüfen und das wollte, dem Zitat zufolge, anscheinend auch der Generalbundesanwalt so tun. Man kann da vieles machen, aber das ist völlig egal, weil in der Praxis ausschließlich zählt, wie es der BGH macht.
Benutzeravatar
Justitian
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 926
Registriert: Mittwoch 20. Februar 2013, 01:09
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Justitian »

Wenn Du Recht hättest, würde die Ansicht der Rechtsprechung von der Literatur heftig kritisiert. Das ist aber nicht der Fall.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tobias__21 »

Ich habe oben schon einmal geschrieben, dass dem Täter der Vorsatz hinsichtlich der Wegnahme im Zeitpunkt der Gewaltanwendung nachgewiesen werden muss. Kann man das nicht, greift eben in dubio pro reo und es ist kein § 249. Wenn der Täter jetzt sagt, dass er den Vorsatz zur Wegnahme erst später gefasst hat, als das Opfer am Boden lag, muss man ihm eben das Gegenteil nachweisen - wie immer also. Gut im "Normfall" sieht das Tatgeschehen so aus, dass wir einen Täter haben, der auf ein Opfer einschlägt, eine Sache wegnimmt und das Opfer später verstirbt. Hier kann der Täter aber genauso sagen, dass er das Opfer nur verprügeln wollte und gar nichts wegnehmen wollte, aber später die günstige Gelegenheit ausgenutzt hat, als das Opfer schon am Boden lag - den Wegnahmevorsatz also erst später gefasst hat. In diesen Fällen hat man auch erstmal ein Problem mit Schutzbehauptungen - Fälle in denen die Gewaltanwendung noch fortwirkt (Gewalt durch Unterlassen; konkludentes Drohen mit weiterer Gewaltanwendung) mal außen vorgelassen.

Wie werden jetzt in unserem Fall bitte Schutzbehauptungen ausgeschalten, wenn man ohnehin den Vorsatz schon zu Beginn der Gewaltanwendung nachweisen muss? Dafür ist es doch völlig irrelevant wann das Opfer stirbt. Es hängt rein vom Zufall ab wann der Tod Eintritt - vor oder nach der Wegnahme. Der Erfolgsunwert ist immer derselbe, deswegen ist es nur konsequent aus der EQ des § 251 zu bestrafen. Auch der Handlungsunwert ist gleich. Wie da Schutzbehauptungen ausgeschalten werden können, erschließt sich mir nicht. Der Täter wird auch beim Grundtatbestand des § 249 immer behaupten, nicht mit der Motivaiton eine Sache wegzunehmen zugeschlagen zu haben. Wenn der BGH also sagt, dass es irrelevant ist, wann das Opfer stirbt wird es nicht leichter einen Wegnahmevorsatz zu bejahen.
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tobias__21 »

Es lässt sich doch auch dogmatisch gut begründen: Durch den Todeseintritt, wird jeglicher Gewahrsam des Opfers aufgehoben, der Tod wurde durch den Täter verursacht -> Gewahrsamsbruch ist ihm also zuzurechnen. Dass der Täter den Gewahrsamsbruch erst später durch eine andere Handlung verursachen wollte und er nun verfrüht eintritt ist mE eine unbeachtliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf. Objektiv liegt jedenfalls mit dem Todeseintritt ein Gewahrsamsbruch vor. Nimmt der Täter die Sache an sich, vollendet er die Wegnahme. Gewahrsamsbruch+Neubegründung müssen doch nicht in einem einzigen Akt zusammenfallen. Jedenfalls wird im Regelfall keine so große Zäsur zwischen Bruch und Neubegründung vorliegen, dass man das ggf. anders sehen muss. Ob der BGH diese Argumentation zu Grund legt weiß ich nicht. Ich hätte auch kein Problem, wenn er sich auf den Standpunkt stellt und sagt "es ist völlig egal, ob der Tod vor oder Wegnahme eintritt, weil es keinen Unterschied für die rechtliche Beurteilung macht".

Ein anderer Ansatz wäre der § 251 selbst. Da steht "wenigstens" leichtfertig. Der Täter kann den Tod als Mittel zur Wegnahme also auch vorsätzlich herbeiführen, so dass es sich schon aus § 251 selbst ergibt, dass es völlig irrelevant ist, wann der Tod eintritt. Oder ist deiner Meinung der § 251 (neben § 211; Tateinheit) nicht einschlägig wenn der Täter sein Opfer bewusst tötet um danach Sachen an sich zu nehmen? Warum sollte es anders sein, verursacht er den Tod fahrlässig oder leichtfertig?
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Juratutorium
Power User
Power User
Beiträge: 413
Registriert: Dienstag 28. Januar 2014, 10:43
Ausbildungslevel: RA

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Juratutorium »

Irgendwie hast du ein Problem damit, zu erkennen, dass es ein Problem gibt.

Es heißt Raub mit Todesfolge.

Eine meiner Lieblingscomedies aus den 60ern ist der Film "What's New Pussycat". Dort trifft ein Patient seinen Psychiater in einer Discothek. Es entwickelte sich folgendes Gespräch:

Patient: What are you doing here?
Psychiater: I decided to follow you here.
Patient: If you followed me here, how did you
contrive to be here before me?
Psychiater: I followed you... very fast.

Zum Vergleich:
Der Täter tötet das Opfer und schlägt der Leiche danach mit einem Hammer auf den Kopf. Vollendete Körperverletzung mit Todesfolge?
Benutzeravatar
Tibor
Fossil
Fossil
Beiträge: 16446
Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tibor »

:alright
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
Samson
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1471
Registriert: Samstag 21. April 2007, 20:20

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Samson »

Juratutorium hat geschrieben:Irgendwie hast du ein Problem damit, zu erkennen, dass es ein Problem gibt.

Es heißt Raub mit Todesfolge.

Eine meiner Lieblingscomedies aus den 60ern ist der Film "What's New Pussycat". Dort trifft ein Patient seinen Psychiater in einer Discothek. Es entwickelte sich folgendes Gespräch:

Patient: What are you doing here?
Psychiater: I decided to follow you here.
Patient: If you followed me here, how did you
contrive to be here before me?
Psychiater: I followed you... very fast.

Zum Vergleich:
Der Täter tötet das Opfer und schlägt der Leiche danach mit einem Hammer auf den Kopf. Vollendete Körperverletzung mit Todesfolge?
Ja sicher.
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tobias__21 »

Ich bin raus.
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Juratutorium
Power User
Power User
Beiträge: 413
Registriert: Dienstag 28. Januar 2014, 10:43
Ausbildungslevel: RA

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Juratutorium »

Da sieht man mal wieder die typische Diskussionskultur auf diesem Forum. Dass eine Todesfolge mit Raub kein Raub mit Todesfolge ist, sollte eigentlich jedem auf Anhieb klar sein. "Folge" heißt, dass etwas hinterher passiert und nicht vorher.

Nun ist es aber so, dass der BGH (apodiktisch) - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts, der anscheinend genauso blöd ist, wie ich - dennoch zur Vollendung kommt und diesen Bruch mit dem Wortlaut der amtlichen Überschrift und allen daraus resultierenden Folgen akzeptiert, weil man so in der Praxis Beweisprobleme zum genauen Ablauf der Tat beseitigt. Darauf habe ich von Anfang an hingewiesen, aber das ist egal, denn letztlich wurde das alles wie immer als lächerlich verrissen.
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tobias__21 »

Dann ist man aber immer noch bei einem versuchten Raub mit Todesfolge (grds. gleiches Strafmaß) und nicht bei § 227 und § 246. Oder geht das deiner Meinung auch nicht, weil er bei einem zusammengesetzten Delikt aus § 242 und § 244 auch zu Wegnahme ansetzen muss um einen strafbaren Versuch zu begründen? :-k
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Juratutorium
Power User
Power User
Beiträge: 413
Registriert: Dienstag 28. Januar 2014, 10:43
Ausbildungslevel: RA

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Juratutorium »

Hier ist der Streit zum Gewahrsamsbruch: https://books.google.de/books?id=gN9kRh ... ng&f=false

Hier ist das Originalurteil (die Fundstelle von oben stimmt nicht): http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/09/5-403-09.php

Hier ist die Kurzfassung mit prägnanter Überschrift: https://www.strafrecht-bundesweit.de/st ... gewahrsam/
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tobias__21 »

In dem Urteil fasst er den Wegnahmevorsatz erst nach dem Tod des Opfers, der lag bei Gewaltanwendung schon gar nicht vor. Insofern bringt uns das Urteil auch nicht weiter. Und Argumente warum man es anders sehen kann und mE auch muss als das RG von annodazumals habe ich dir auch geliefert (es gibt sicher noch weitere). Immerhin hat das RG selbst einen Wandel in der Rspr. eingeleitet und nicht erst der böse BGH um arme unschuldige Angeklagte trotz Beweisschwierigkeiten mit hohen Freiheitsstrafen überziehen zu können.
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Juratutorium
Power User
Power User
Beiträge: 413
Registriert: Dienstag 28. Januar 2014, 10:43
Ausbildungslevel: RA

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Juratutorium »

Du vergisst dabei, dass diese Argumente nicht per se existieren. Im Gesetz steht davon nichts und die Rechtsprechung musste das alles erst entwickeln. Wenn du vom Wortlaut des Gesetzes ausgehst, hast du ein Problem. Da hilft auch die Münchhausennummer nichts, Urteile des BGH durch Urteile des BGH zu stützen. Wir haben eine Rechtsprechung, die in diese Richtung geht. Das habe ich auch nicht bestritten. Diese Rechtsprechung nimmt logische Brüche in Kauf, aber sie macht das - aus meiner Sicht - auch aus gutem Grund.

Dennoch gibt das Argument, dass es früher anders war und heute eben so ist, nichts her. Es gibt keinen Grund, der zu der Annahme berechtigt, dass es früher schlechter gemacht wurde. Die kamen damals über eine andere Interpretation einfach zu anderen Ergebnissen, nicht mehr und nicht weniger.
Juratutorium
Power User
Power User
Beiträge: 413
Registriert: Dienstag 28. Januar 2014, 10:43
Ausbildungslevel: RA

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Juratutorium »

Eine Anmerkung muss ich noch machen: Ich habe das nicht im Kommentar nachgeschaut. Wer das macht, gibt sich sicherlich keine Blöße, das ist aber nicht Ziel der Veranstaltung. Ich habe mir den Wortlaut angeschaut und war der Meinung, dass ein Problem besteht. Deshalb bin ich zumindest insoweit beruhigt, dass es das Reichsgericht über Jahrzehnte ähnlich sah. Soviel zum Thema Problembewusstsein. Wenn du zu dem Problem sogar intuitiv die aktuelle hM produzierst, dann ist das toll. Da muss man auch mal fair bleiben.
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Gewahrsam des bereits toten Raubopfers

Beitrag von Tobias__21 »

Bei mir war es gerade andersherum. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das anders zu sehen. Ich halte auch das Argument mit der amtlichen Überschrift für ein sehr formales. Denn auch wenn die Wegnahme erst nach dem Tod vollendet wird, folgt sie dem Raub nach. §§ 8, 16 StGB: Die Tat ist begangen, wenn der Täter gehandelt hat. Der Raub beginnt also mit der Gewaltanwendung und auf Grund dieser Gewalt folgt der Tod. Der Raub war gewissermaßen zuerst da, dann der Tod. Im § 251 steht nirgendwo dass der Tod einem vollendeten Raub folgen muss.

Der Täter erreicht auch genau das was er will: Er nimmt eine Sache mit Gewalt weg. Den Tod wollte er zu keinem Zeitpunkt, er ist aber nunmal eingetreten. Wann dieser eintritt hängt von Zufälligkeiten ab, Konstitution des Opfers, etc. Es kann ja auch nicht sein, dass das Opfer im Zeitpunkt der Vollendung der Wegnahme (Begründung Tätergewahrsam) noch die berühmte juristische Sekunde lebt, und dann verstirbt und der Täter ist dann wegen §§ 249, 251 strafbar, wohingegen er, würde das Opfer eine Sekunde vor Vollendung der Wegnahme versterben, "nur" wegen § 227 und § 246 strafbar wäre (ich würde hier aber auch zu einem versuchten § 251 kommen). So hängt das Strafmaß von Zufälligkeiten ab, auf die der Täter keinen Einfluß hat und die sich auch nicht mit einem verringerten/gesteigerten Erfolgsunwert begründen lassen. Der Erfolgsunwert ist nämlich in beiden Fällen ein und derselbe.
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Antworten