Moin,
das größte Problem im Referendariat hab ich tatsächlich mit der Entscheidung ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt. Die theoretischen Grundlagen sind mir mehr oder weniger bekannt (wenn ein auseinanderziehen unnatürlich wirken würde, wenn eine merkbare Zäsur eingetreten ist usw.), ich schaff es trotzdem regelmäßig immer genau die andere Entscheidung zu treffen wie meine Ausbilder. Häufig wenn ich eine Anklage schreibe wechsle ich immer hin und her ob nun Tateinheit oder Tatmehrheit und finde für beides pro und contra Argumente, so dass es am Ende n Glücksspiel ist, was ich nehme.
Zum Beispiel: Jemand beleidigt Polizisten und wehrt sich gegen die Festnahme, wird dann zur Polizeiwache gebracht und begeht einige Zeit später eine Sachbeschädigung an der Zelle. Da hab ich Tatmehrheit zwischen Widerstand/Beleidigung und der Sachbeschädigung angenommen. Meine Ausbilderin meinte, sie hat Tateinheit angeklagt (hielt aber Tatmehrheit noch für vertretbar). In einem anderen Fall hat jemand einen Nachbarn bedroht/beleidigt (der dann die Polizei rief) und sich dann gegen die anschließende Festnahme der Polizei gewehrt. Hier hab ich dann Tateinheit angenommen und meine Ausbilderin Tatmehrheit und hielt Tateinheit für unvertretbar. Ehrlich gesagt finde ich die beiden Sachverhalte hinsichtlich einer Zäsur gar nicht so unterschiedlich...
Gibt es da irgendwie empfehlenswerte vertiefende Literatur oder sonstige Tipps, wie ich da fitter drin werden kann? Kann man das überhaupt tatsächlich "theoretisch durchdringen" oder ist es eher ein "möglichst viele Beispiel wann Tateinheit/Tatmehrheit vorliegt mal gesehen haben und sich daraus dann im konkreten Fall selbst das näherliegende ableiten"?
Danke,
Ara
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Re: AW: Lit-Empfehlung: Tateinheit/Tatmehrheit
Natürlich.Ara hat geschrieben:Zum Beispiel: Jemand beleidigt Polizisten und wehrt sich gegen die Festnahme, wird dann zur Polizeiwache gebracht und begeht einige Zeit später eine Sachbeschädigung an der Zelle. Da hab ich Tatmehrheit zwischen Widerstand/Beleidigung und der Sachbeschädigung angenommen.
Die Annahme von Tateinheit verstehe ich da nicht ganz. Erst Beleidigung gegen A, die endet. Erst danach wird überhaupt die Polizei verständigt, die dann eintrifft, und dann kommt es zum Widerstand: andere Tat, andere Opfer, Tat 2 beginnt erst mit deutlichen zeitlichen Abstand zu Rat 1 ...In einem anderen Fall hat jemand einen Nachbarn bedroht/beleidigt (der dann die Polizei rief) und sich dann gegen die anschließende Festnahme der Polizei gewehrt. Hier hab ich dann Tateinheit angenommen und meine Ausbilderin Tatmehrheit und hielt Tateinheit für unvertretbar.
Anders wäre es m.E. denkbar, wenn er in einem fort beleidigt, vor dem Notruf, während der Anfahrt und dann weiter nach dem Eintreffen.
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Re: Lit-Empfehlung: Tateinheit/Tatmehrheit
Ja rückblickend halte ich die Tatmehrheit im zweiten Fall auch für sinnvoller... Nur dachte ich mir halt, wenn man schon in Fall 1 anscheinend Tateinheit annimmt, dann müsste es ja erst Recht auch... Ich denke ich hab mich dahingehend dann auch verwirren lassen... Daher will ichs ja nun etwas vertiefen.
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Re: Lit-Empfehlung: Tateinheit/Tatmehrheit
Auch in Fall 1 besteht m. E. keine Tateinheit. Es sind drei Willensentschlüsse: Beleidigen, Wehren und Beschädigen.
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Re: AW: Lit-Empfehlung: Tateinheit/Tatmehrheit
Zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten, ohne dass irgendein "fortlaufendes" Delikt sie miteinander verbindet, ja.Sebast1an hat geschrieben:Auch in Fall 1 besteht m. E. keine Tateinheit. Es sind drei Willensentschlüsse: Beleidigen, Wehren und Beschädigen.
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Re: Lit-Empfehlung: Tateinheit/Tatmehrheit
Ich bin mit folgender Daumenregel ganz gut gefahren:
Alles, was im 1. Examen ein eigener Tatkomplex gewesen wäre, steht in Tatmehrheit.
Das setzt natürlich voraus, dass man im Studium halbweg schon halbwegs ein Gespür dafür entwickelt hat. Wobei man da die Tatkomplexe auch ganz gut durch Absätze im Aufgabentext erkennen konnte.
Für Deinen konkreten Fall hätte ich mir also vorgestellt, wie der Sachverhalt in einer Klausur im Studium ausgesehen hätte. Und da wäre für mich zwischen "Die Polizisten haben A festgenommen und zur Wache gebracht." und "Auf der Wache hat A dann ..." ein Absatz gewesen.
Alles, was im 1. Examen ein eigener Tatkomplex gewesen wäre, steht in Tatmehrheit.
Das setzt natürlich voraus, dass man im Studium halbweg schon halbwegs ein Gespür dafür entwickelt hat. Wobei man da die Tatkomplexe auch ganz gut durch Absätze im Aufgabentext erkennen konnte.
Für Deinen konkreten Fall hätte ich mir also vorgestellt, wie der Sachverhalt in einer Klausur im Studium ausgesehen hätte. Und da wäre für mich zwischen "Die Polizisten haben A festgenommen und zur Wache gebracht." und "Auf der Wache hat A dann ..." ein Absatz gewesen.
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Re: Lit-Empfehlung: Tateinheit/Tatmehrheit
Klingt tatsächlich nach ner ganz guten Daumenregel.in dubio hat geschrieben:Ich bin mit folgender Daumenregel ganz gut gefahren:
Alles, was im 1. Examen ein eigener Tatkomplex gewesen wäre, steht in Tatmehrheit.
Das setzt natürlich voraus, dass man im Studium halbweg schon halbwegs ein Gespür dafür entwickelt hat. Wobei man da die Tatkomplexe auch ganz gut durch Absätze im Aufgabentext erkennen konnte.
Für Deinen konkreten Fall hätte ich mir also vorgestellt, wie der Sachverhalt in einer Klausur im Studium ausgesehen hätte. Und da wäre für mich zwischen "Die Polizisten haben A festgenommen und zur Wache gebracht." und "Auf der Wache hat A dann ..." ein Absatz gewesen.
Wobei die wohl in dem Fall hier auch versagt hätte den ich hatte:
T schlängelt sich durch den Verkehr. Er sieht auf seiner rechten Spur ein stehender Fahrzeug und überholt daher mit überhöhter Geschwindigkeit den linksfahrenden O rechts und versucht noch vor dem stehenden Fahrzeug vor O auf die linke Spur zu fahren. Der Platz reicht nicht und nur durch das Bremsen von O und T kam es glücklicherweise nicht zu einem Unfall (§ 315c). T fährt anschließend wieder neben O auf gleiche Höhe, beschimpft ihn und zeigt den Mittelfinger aus der Seitenscheiben (§ 185). Daraufhin schert er vor O auf die linke Spur und bremst ihn bis zum Stillstand aus (§ 240). T steigt aus und fordert O auch zum aussteigen aus, damit er ihn verprügeln kann. O legt den Rückwärtsgang ein und will wegfahren, daraufhin schlägt und tritt T gegen den Wagen und Beschädigt ihn (§ 303).
Ich hatte hier (nach langem hin und her) Tateinheit von allem. Meine Ausbilderin hatte eine Zäsur beim Ausbremsen und zwar mit dem Argument "Wenn schon ein Unfall eine Zäsur ist, dann ja auch das komplette Ausbremsen"...
Im 1. Examen hätte ich die Tatkomplexe aber wohl nicht getrennt.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11