Fahrlässige Tötung + Zäsur = …

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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dosenbaer
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Fahrlässige Tötung + Zäsur = …

Beitrag von dosenbaer »

Ich bin nun über folgenden Fall in zwei Varianten gestolpert und jedesmal hinterließen die Lösungsskizzen einen faden Beigeschmack:

Folgender Fall:
T fährt mit seinem PKW mit zulässiger Geschwindigkeit auf einer Straße, ist mit dem Smartphone abgelenkt. Dadurch übersieht T den Radfahrer O, rammt diesen, wodurch der O von der Straße abkommt. O lebt zunächst noch.
Variante 1: Hätte T den Notruf betätigt, hätte O gerettet werden können.
Variante 2: O ist bereits unrettbar verletzt.

T, der den Unfall erst nach dem Aufprall mitbekommen hat, geht durchaus davon aus, eine Person gerammt zu haben. Er sieht es auch als möglich an, dass diese schwer verletzt ist und Hilfe benötigt. Dennoch fährt T einfach weiter, da er strafrechtliche Verfolgung fürchtet. O verstirbt.


Die Lösung ist zunächst unproblematisch:

A. Tatkomplex 1: Anfahren mit dem PKW:
I. fahrlässige Tötung, § 222 StGB (+),
- denn durch den Aufprall und dessen bedingten Verletzungen verstarb der O
- Vorsatz fehlt ersichtlich, T nahm den O ja überhaupt nicht wahr
II. fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB (+),
- geht jedoch im § 222 StGB als Durchgangsstadium voll auf


Fraglich ist nun, wie mit dem Verhalten nach der Zäsur umzugehen ist:

Für Variante 1 sah ich folgende Lösungsskizze:

B. Tatkomplex 2: Weiterfahrt
I. Totschlag (bzw. Mord) durch Unterlassen (+)
- hätte T den Notruf gewählt, hätte O gerettet werden können.
II. Aussetzung mit Todesfolge (+)
- tritt hinter dem Totschlag zurück
III. § 142 (+)
IV. § 323c (+) tritt zurück

Problem ist nun, dass T sich in Tatmehrheit wegen fahrlässiger Tötung und Totschlag/Mord durch Unterlassen gegenüber DERSELBEN Person strafbar gemacht haben soll.

Gelöst wird dieser Widerspruch in den Konkurrenzen, indem die Zäsur samt neuen Tatentschluss und damit Tatmehrheit entfällt und eine Tateinheit konstruiert wird, in der die fahrlässige Tötung zurücktritt. Sodass der Totschlag durch Unterlassen (und Fahrerflucht) übrig bleiben.


Diese Lösung finde ich sehr widersprüchlich:
Sie geht einfach über die Tatmehrheit hinweg, womit sie aber letztlich sich selbst den Boden entzieht. Denn wenn ich die Unfallzäsur samt neuen Tatentschluss entfallen lasse, entziehe ich ja dem Totschlag durch Unterlassen den Vorsatz, sodass letztlich nur die fahrlässige Tötung übrig bleiben würde (ggfs. mit Aussetzung und Fahrerflucht). Denn diese kann egal wie nicht weggedacht werden, ohne dass der Todeseintritt entfiele.


Für Variante 2 sah ich folgende Lösungsskizze:

A. Tatkomplex 1 [wie oben]
B. Tatkomplex 2: Weiterfahrt
I. Totschlag durch Unterlassen (-)
- keine Kausalität der Pflichtverletzung, O war bereits unrettbar dem Tod geweiht, jegliche Rettungsbemühungen wären ohne Erfolg geblieben
II. versuchter Totschlag durch Unterlassen, § 212, 13, 22, 23 (+)
- hier stellt sich das Problem der Nichtvollendung, denn O ist ja bereits dem Tod geweiht, daher ja auch die Bejahung der fahrlässigen Tötung, der Taterfolg tritt ja ein
- dies umgeht die Skizze, indem sie auf den untauglichen Versuch abstellt
III. versuchter Mord durch Unterlassen, § 211, 13, 22, 23 (+)
- wegen Verdeckungsabsicht bzgl. A I, (II): § 222 StGB
IV. § 142 I 2 StGB (+)
V. § 323c StGB (+)
- tritt hinter dem gleichzeitig begangenen versuchten unechten Unterlassungsdelikt zurück
VI. § 221 StGB war laut Vermerk erlassen

Konkurrenzen:
Tatkomplex 1 und Tatkomplex 2 stehen wegen Unfall und dessen Zäsur in Tatmehrheit zueinander. D.h. fahrlässige Tötung in Tatmehrheit mit (untauglichem) versuchtem Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit § 142 StGB.


Diese Lösung klingt sinnvoller, macht aber auch Probleme. Insbesondere beißt es sich auch in der Tenorierung, von einer fahrlässigen Tötung und versuchtem Mord zu Lasten derselben Person zu sprechen, zumal die Untauglichkeit keine Erwähnung findet? Es klingt dann eher so, als habe T irgendwann mal versucht den O zu töten, dann aber später ohne Vorsatz ihn zufällig getötet.
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Re: Fahrlässige Tötung + Zäsur = …

Beitrag von Kezzlerinho »

Moin

Bzgl. Variante 1:

Dass diese Variante über die Konkurrenzen gelöst werden muss, halte ich für zwingend. Wir sind uns ja einig, dass der T nicht wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung an der selben Person verurteilt werden kann.

Diese LS hier (http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2015_3_909.pdf) lässt auf S. 287 den § 222 StGB als mitbestrafte Vortat hinter §§ 211,13 StGB zurücktreten. Finde ich zumindest überzeugender als deine LS, denn dann wird der Zäsur aufgrund des neuen Tatentschlusses und der daraus resultierenden Tatmehrheit Rechnung getragen.

Bzgl Variante 2 sehe ich das Problem nicht. Die zugegeben etwas verwirrende Tenorierung erschließt sich ja durch das Lesen der Urteilsgründe...
dosenbaer
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Re: Fahrlässige Tötung + Zäsur = …

Beitrag von dosenbaer »

Kezzlerinho hat geschrieben:Diese LS hier (http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2015_3_909.pdf) lässt auf S. 287 den § 222 StGB als mitbestrafte Vortat hinter §§ 211,13 StGB zurücktreten. Finde ich zumindest überzeugender als deine LS, denn dann wird der Zäsur aufgrund des neuen Tatentschlusses und der daraus resultierenden Tatmehrheit Rechnung getragen.
Toll, danke! Das ist doch deutlich sauberer.
Kezzlerinho hat geschrieben:Bzgl Variante 2 sehe ich das Problem nicht. Die zugegeben etwas verwirrende Tenorierung erschließt sich ja durch das Lesen der Urteilsgründe...
Wie gesagt, mich "stört" halt diese sprachliche Doppelberücksichtigung des fahrlässig unumkehrbar in Bewegung gesetzten Todes. Zumal durch § 222 in Tatmerheit mit § 221 und 142 StGB sowieso ein Strafrahmen mit erheblicher Höhe zur Verfügung stünde. Gut, der Unrechtsgehalt würde im Tenor abgeschwächt, dafür halt die Urteilsgründe.

Andererseits würde man dann den Sorgfaltsverstoß mit der heftigeren direkten Auswirkung privilegieren... also bleibt wohl nix Anderes üblich.
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Re: Fahrlässige Tötung + Zäsur = …

Beitrag von Ingerenz »

Beachte, dass im Fall der fahrlässigen Tötung/Körperverletzung mit anschließendem Unterlassen von Rettungsmaßnahmen das Vorliegen eines Verdeckungsmordes ziemlich umstritten ist (BGHSt 7, 287 = NJW 1955, 876; Schneider in MüKo StGB § 211 Rn. 242 mit weiteren Nachweisen).
dosenbaer
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Re: Fahrlässige Tötung + Zäsur = …

Beitrag von dosenbaer »

Danke, mir bekannt, wollte die Sache nur nicht mit noch mehr Problemen anfüttern.
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