Nachträgliche Gesamtstrafe und Widerruf der Strafaussetzung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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11 Freunde
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Nachträgliche Gesamtstrafe und Widerruf der Strafaussetzung

Beitrag von 11 Freunde »

Hallo,

ich habe eine Frage zum Verhältnis zwischen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung und dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f StGB.

Beispiel:
A wird vom AG 2016 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. 2017 wird er erneut wegen Diebstahls vor dem AG angeklagt wegen einer Tat, die er vor der ersten Verurteilung begangen hat. A ist geständig und wird unter Einbeziehung des Urteils des AG von 2016 zu einer Gesamtstrafe von 9 Monaten verurteilt. Gegen das Urteil legt der A das Rechtsmittel der Berufung ein.

Folgende Konstellation stellt sich in der Praxis nicht, da mit einem etwaigen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung jedenfalls in aller Regel zugewartet wird, bis ein zeitlich späteres Urteil rechtskräftig ist. Aber was ist, wenn die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall entgegen aller praktischen Gepflogenheiten einen Widerrufsantrag im Verfahren zum Urteil aus 2016 stellen würde? Der Fall macht nur dann Sinn, wenn der A im Bewährungsverfahren gegen Auflagen/Weisungen verstoßen hätte, da ein Fall des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB hier nicht gegeben ist (keine neue Tat in der Bewährungszeit).

Nehmen wir also einfach an, dass A nicht die ihm auferlegten gemeinnützigen Stunden gearbeitet hat. Deswegen beantragt die zuständige StA den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in Bezug auf das Urteil aus 2016. Der Antrag geht ins Leere und wird unzulässig, sobald das Urteil aus 2017 rechtskräftig wird. Denn dann verliert die Entscheidung aus 2016 ihre Eigenständigkeit und geht im Urteil aus 2017 auf.

Aber was ist, solange die zweite Entscheidung nicht rechtskräftig ist? Man könnte nun argumentieren, dass die Entscheidung aus 2016 noch nicht rechtskräftig in einer anderen Entscheidung aufgegangen ist, damit noch ihre Eigenständigkeit inne hat und daher noch bewährungsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden können. Dagegen spricht - zumindest bei einem geständigen Angeklagten -, dass auch das Landgericht zwingend eine nachträgliche Gesamtstrafe wird bilden müssen, es sei denn, es stellt auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf das Urteil aus 2016 ein. Gleichwohl macht es aus meiner Sicht wenig Sinn über einen Widerrufsantrag zu entscheiden, solange im Hintergrund die dringende Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung existiert. Jedoch finde ich keinen Anknüpfungspunkt in auf Tatbestandsseite des § 56f StGB - und auf Tatbestandsseite müsste der Anknüpfungspunkt sein, da bei Vorliegen von Widerrufsgründen das Gericht auf Rechtsfolgenseite kein Ermessen hat.

Bin auf andere Meinungen gespannt.
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Ara
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Re: Nachträgliche Gesamtstrafe und Widerruf der Strafaussetz

Beitrag von Ara »

OLG Hamm NStZ-RR 2015, 241 hat zwar nicht exakt deine Konstellation (da es um § 460 StPO geht), aber ich denke die Grundidee wird gleich sein. Demnach wäre es zwar prozessökonomisch nicht sinnvoll den Widerruf auszusprechen, aber es wäre zumindest nicht rechtswidrig.
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