Rechtsmittelverzicht und Standesrecht des Verteidigers

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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julée
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von julée »

@Tobias: Aber es ist ja schon ein Unterschied, ob Gericht / StA einen Deal mehr oder weniger von einem Rechtsmittelverzicht abhängig machen oder gar die StA einen Rechtsmittelverzicht ihrerseits in Aussicht stellt oder ob der Verteidiger seine Vorstellungen nennt und anschließend, obwohl er hat durchblicken lassen, dass man mit einem Ergebnis in der Größenordnung X sehr gut leben könnte (ohne in irgendeiner Form einen Rechtsmittelverzicht zu erklären oder in Aussicht zu stellen), Rechtsmittel gegen ein den zuvor geäußerten Vorstellungen entsprechenden Urteil einlegt. Sinn und Zweck derartiger Gespräche (seien es völlig unverbindliche Meinungsaustäusche oder echte Deals) ist ja u. a. eine Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung, die schlichtweg zunichte gemacht wird, wenn Verteidiger Schlitzohr, beim AG einen guten Deal rausschlägt, dagegen Rechtsmittel einlegt und dann erst beim LG so richtig loslegt.
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thh
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von thh »

Tobias__21 hat geschrieben:Legt er nämlich welche ein, kann sich das Urteil sogar verschlechtern, ein Verbot der reformatio in peius gibt es ja hier nicht.
So lange nur der Angeklagte Rechtsmittel einlegt, gilt das Verschlechterungsverbot.

Darauf kommt es aber letztlich alles nicht an. Man kann mit Fug und Recht die Auffassung vertreten, es sei ausgesprochen sinnlos, sich zunächst zu einigen und dann doch Rechtsmittel einzulegen, und es sei daher auch sinnlos, einen Rechtsmittelverzicht zu verbieten, zumal nur ein Rechtsmittelverzicht dem Gericht auch sicher Arbeit erspart (auch das ist ja beim früheren Deal ein unausgesprochener Punkt gewesen). Ich neige ebenfalls dazu - so sehr ich die Argumentation des Gesetzgebers und des BVerfG verstehe -, das Verbot des Rechtsmittelverzichts für wenig gelungen zu halten. Aber wenn nun einmal Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht allen Beteiligten ins Stammbuch schreiben, dass es unzulässig ist, einen Rechtsmittelverzicht im Rahmen des Deals mitzuvereinbaren, dann muss man sich, so ungern man es tut, eben daran halten. It's the law, stupid.

(Jedes Dealgespräch und jeder Deal sind bei den hiesigen Staatsanwaltschaften übrigens mit umfangreichem Formblatt dem Abteilungsleiter zu berichten. Verstöße gegen die gesetzlichen Vorgaben - und dazu zählt sowohl der Deal über einen Rechtsmittelverzicht als auch ein Deal, der "unter der Hand" ausgeführt und nicht protokolliert wird - sind dem Generalstaatsanwalt auf dem Dienstweg zu berichten. Mag sein, dass diese Anordnung nicht überall gelebt wird - sie verdeutlicht aber noch einmal, wie ernst die gesetzlichen Anforderungen zu nehmen sind: nicht zuletzt deshalb, weil es durchaus Grund zu der Annahme gibt, dass sie jedenfalls anfänglich auch in der Justiz und auch durch Gerichte nicht gelebt wurden.)
Zuletzt geändert von thh am Mittwoch 6. September 2017, 23:36, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von thh »

julée hat geschrieben:@Tobias: Aber es ist ja schon ein Unterschied, ob Gericht / StA einen Deal mehr oder weniger von einem Rechtsmittelverzicht abhängig machen oder gar die StA einen Rechtsmittelverzicht ihrerseits in Aussicht stellt oder ob der Verteidiger seine Vorstellungen nennt und anschließend, obwohl er hat durchblicken lassen, dass man mit einem Ergebnis in der Größenordnung X sehr gut leben könnte (ohne in irgendeiner Form einen Rechtsmittelverzicht zu erklären oder in Aussicht zu stellen), Rechtsmittel gegen ein den zuvor geäußerten Vorstellungen entsprechenden Urteil einlegt. Sinn und Zweck derartiger Gespräche (seien es völlig unverbindliche Meinungsaustäusche oder echte Deals) ist ja u. a. eine Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung, die schlichtweg zunichte gemacht wird, wenn Verteidiger Schlitzohr, beim AG einen guten Deal rausschlägt, dagegen Rechtsmittel einlegt und dann erst beim LG so richtig loslegt.
D'accord. Man sollte nur vor Augen haben, wo die Grenzen für Verständigungen und deren Inhalte sind, die nicht zuletzt das BVerfG gezogen hat, und diese peinlich genau beachten. Und da ist ein "unter der Hand" vereinbarter (!) Rechtsmittelverzicht eben ein no go. Freilich kann der Verteidiger erklären, was er will - das darf aber niemals vereinbart werden, nicht offiziell und nicht inoffiziell, und dieses Ansinnen darf bei einer Verständigung weder von Gericht noch von der Staatsanwaltschaft an den Verteidiger oder den Angeklagten herangetragen werden.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Tobias__21 »

Ich denke wir sprechen hier über Rechtsmittelverzichte "unter der Hand"? Da verstehe ich dann schon ein bisschen mehr darunter, als nur Durchblicken zu lassen, dass man mit dem Ergebnis der Verständigung gut leben kann. Das muss ja eigentlich immer so sein, sonst würde man den Deal nicht machen. Gut, es sei denn, man ist wirklich Verteidiger Schlitzohr und hat einen Plan in der Hinterhand. Jedenfalls Gespräche in der Art : " Wenn wir das heute hier beendet kriegen, würden wir auch nochmal 3 Monate runter gehen" halte ich für unzulässig. Die Grenzen zwischen informellen Gesprächen und einem wirklichen Rechtsmittelverzicht sind doch auch einigermaßen fließend. An welchen Kriterien will man das denn festmachen, zumal man ja einen Teufel tun wird das zu protokollieren.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von thh »

Tobias__21 hat geschrieben:An welchen Kriterien will man das denn festmachen, zumal man ja einen Teufel tun wird das zu protokollieren.
Das ist übrigens - bei allem Ärgernis, dass die überzogenen Anforderungen an die Protokollierung darstellen, die oft genug Urteile in Gefahr bringen - eine ganz gute Selbstkontrolle: was man nach dem Gespräch im Beratungszimmer nicht öffentlich verkünden und so wie geschehen protokollieren mag, sollte man schlicht nicht vereinbaren.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Tobias__21 »

Ich war tatsächlich der Überzeugung, dass das Verschlechterungsverbot generell nicht gilt, wenn eine Verfahrensverständigung dem Urteil vorausgegangen ist. Bin gerade etwas erschrocken und überlege grade, wo ich das herhabe. :-k Gut, dass das nur im Forum geblieben ist :D :D
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Ara
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Ara »

Tobias__21 hat geschrieben:
julée hat geschrieben:@Tobias: Ich bin auch kein großer Freund des Deals, aber wenn man schon miteinander spricht, dann vielleicht doch mit offenen Karten und nicht "mal schauen was geht, können wir ja eh noch Rechtsmittel gegen einlegen, aber pssst, dass wir das wahrscheinlich machen werden, egal, wie gut das Ergebnis wird, verraten wir keinem, weil darüber darf man sich ja nicht verständigen".
Aber genau das ist so vom Gesetzgeber gewollt, da er sich der Drucksituation, in der sich der Angeklagte befindet, bewusst war und ihn vor Übereilung schützen will. Wenn man nun offen über Rechtsmittelverzichte spricht wird der Angeklagte / Staatsanwaltschaft irgendetwas dafür tun müssen und meines Erachtens verschärft das diese Drucksituation sogar noch mehr und der Angeklagte ist eher geneigt das mitzunehmen was er kriegt und auf Rechtsmittel wirklich zu verzichten. Legt er nämlich welche ein, kann sich das Urteil sogar verschlechtern, ein Verbot der reformatio in peius gibt es ja hier nicht. Mich als Angeklagten würde es jedenfalls beeindrucken wenn die StA einen Rechtsmittelverzicht in Aussicht stellt, ich drauf einsteige und dann hinterher doch Rechtsmittel einlege. Natürlich war das ja alles unverbindlich und ist ja sowieso verboten, aber Sorge hätte ich schon, ob man bei der StA nicht etwas stinkig auf mich ist und mir in der zweiten Instanz dann richtig Futter gibt. Und hier liegt mE eine große Gefahr, alleine schon wenn man einen Rechtsmittelverzicht unverbindlich in den Raum stellt. Meiner Meinung nach ist das mindestens unseriös von beiden Seiten aus, wenn nicht sogar rechtswidrig. Klar, diese Angst mag unbegründet sein und am Ende entscheidet das Gericht und der StA kann ja eh toben wie er will im Gerichtssaal, aber dennoch wird man sich als Angeklagter diese Gedanken machen und evtl. auf Rechtsmittel verzichten, aber das ist beim Deal ja generell schon die Gefahr. Erhöhen sollte man sie jedenfalls nicht.
Das mag tatsächlich alles so sein, aber im Endeffekt ist es für den Angeklagten doch völlig risikolos? Er erklärt informell, dass man das Urteil akzeptieren will. Selbst wenn er dann übereilt sich dazu hinreißen lassen hat (davor will der Gesetzgeber schützen), kann er aber noch das Rechtsmittel einlegen. Sinn und Zweck des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO ist es alleine dem Verurteilen sein Recht ein Rechtsmittel einzulegen zu bewahren. Es geht NICHT darum, dass kein "Druck" auf ihn ausgeübt wird. Sonst hätte der Gesetzgeber ganz andere Regeln treffen müssen (nicht mal die Sanktionsschere ist ja geregelt). Das BVerfG hat in seiner damaligen Deal-Entscheidung erklärt, dass die Gerichte nicht auf einen Rechtsmittelverzicht hinwirken dürfen. Grund war hier aber tatsächlich, dass das BVerfG weiterhin wollte, dass die höheren Gerichte die Verständigungen prüfen dürfen. Dieses Ziel ist vollständig damit erreicht, dass der Rechtsmittelverzicht nicht wirksam ist.

Auch insgesamt überzeugt das Argument nicht, dass der Verurteilte nach einer Verständigung (der die Strafe schon lange kennt) mehr vor einer übereiligen Verzichtserklärung geschützt werden muss, als jemand der ohne vorherige Verständigung das Urteil bekommt.

Würde man übrigens tatsächlich die Ansicht vertreten, dass ein vom Beschuldigten nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht zur Rechtswidrigkeit der Verständigung führt, dann wäre übrigens folgende Situation möglich (und das Beispiel zeigt auch, dass es nicht die richtige Rechtsfolge sein kann): Der Angeklagte verständigt sich. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung springt er auf und ruft zur Protokollkraft "Ich verzichte auf meine Rechtsmittel". Gleichzeitig ruft das Verteidiger "Ich lege Revision ein" und schreibt nen Tag später in seine Revisionsbegründung, dass das Urteil auf einer rechtswidrigen Verständigung beruht, weil der Angeklagte ja auf Rechtsmittel verzichtet hat.

Was übrigens der BGH in der Praxis billigt ist: Der Verteidiger legt direkt nach dem Urteil die Revision ein. Unmittelbar danach nimmt er seine Revision zurück. Da in der Rücknahme ein Rechtsmittelverzicht steckt und sich aus § 302 Abs. 1 S. 2 StPO aus dem Umkehrschluss ergibt, dass eine Rücknahme auch bei vorheriger Verständigung möglich ist, ist damit wirksam auf das Rechtsmittel verzichtet worden.

Es ist daher absolut nichts anrüchiges im Rahmen einer Verständigung anzukündigen, dass man das Rechtsmittel nicht einlegen wird. Allen Verfahrensbeteiligten muss aber dabei klar sein, dass es keine prozessuale Wirkung entfaltet, sondern eine unverbindliche Zusage ist. Diese Zusage kann aber das Zünglein an der Waage sein, damit die StA sagt "okay, um das Verfahren schnell zu beenden". Unehrenhaft ist es dann aber, wenn man anschließend doch noch das Rechtsmittel einlegt. Als Verteidiger kann man nicht verhindern, dass der Angeklagte es tut, man muss da aber nicht mitmachen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von julée »

thh hat geschrieben:
julée hat geschrieben:@Tobias: Aber es ist ja schon ein Unterschied, ob Gericht / StA einen Deal mehr oder weniger von einem Rechtsmittelverzicht abhängig machen oder gar die StA einen Rechtsmittelverzicht ihrerseits in Aussicht stellt oder ob der Verteidiger seine Vorstellungen nennt und anschließend, obwohl er hat durchblicken lassen, dass man mit einem Ergebnis in der Größenordnung X sehr gut leben könnte (ohne in irgendeiner Form einen Rechtsmittelverzicht zu erklären oder in Aussicht zu stellen), Rechtsmittel gegen ein den zuvor geäußerten Vorstellungen entsprechenden Urteil einlegt. Sinn und Zweck derartiger Gespräche (seien es völlig unverbindliche Meinungsaustäusche oder echte Deals) ist ja u. a. eine Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung, die schlichtweg zunichte gemacht wird, wenn Verteidiger Schlitzohr, beim AG einen guten Deal rausschlägt, dagegen Rechtsmittel einlegt und dann erst beim LG so richtig loslegt.
D'accord. Man sollte nur vor Augen haben, wo die Grenzen für Verständigungen und deren Inhalte sind, die nicht zuletzt das BVerfG gezogen hat, und diese peinlich genau beachten. Und da ist ein "unter der Hand" vereinbarter (!) Rechtsmittelverzicht eben ein no go. Freilich kann der Verteidiger erklären, was er will - das darf aber niemals vereinbart werden, nicht offiziell und nicht inoffiziell, und dieses Ansinnen darf bei einer Verständigung weder von Gericht noch von der Staatsanwaltschaft an den Verteidiger oder den Angeklagten herangetragen werden.
Die gesetzlichen und verfassungsgerichtlichen Anforderungen sind natürlich zu beachten. Aber das ändert ja nichts daran, dass es doch faktische "Erwartungen" an die Konsistenz des Verhaltens von Verteidigung, StA und Gericht gibt.
Zuletzt geändert von julée am Donnerstag 7. September 2017, 00:15, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Muirne »

Ara hat geschrieben:
Was übrigens der BGH in der Praxis billigt ist: Der Verteidiger legt direkt nach dem Urteil die Revision ein. Unmittelbar danach nimmt er seine Revision zurück. Da in der Rücknahme ein Rechtsmittelverzicht steckt und sich aus § 302 Abs. 1 S. 2 StPO aus dem Umkehrschluss ergibt, dass eine Rücknahme auch bei vorheriger Verständigung möglich ist, ist damit wirksam auf das Rechtsmittel verzichtet worden.
wenn das so (von den Beteiligten der Verständigung) forciert wird, gerade um doch den Rechtsmittelverzicht zu erreichen, habe ich im Kopf, dass darin eine Umgehung liegt und das unzulässig ist.
»Natürlich ist das herablassend. Torquemada ist mir gegenüber herablassend, ich bin esprit gegenüber herablassend. So ist die Nahrungskette in diesem Forum nunmal.« - Swann
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Muirne »

http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/10/1-64-10.php
zumindest, wenn das entsprechend mit forciert wird und das nicht auf freier Entscheidung der Verteidigung beruht, ist das jedenfalls so.
Aber ehrlich gesagt kann ich mir eh nur schwer Fälle vorstellen, in denen jmd. Revision einlegt und sie direkt wieder zurücknimmt, ohne, dass das vorher nicht irgendwie Teil der Verständigung war... naja. So viel halt zu den Schlitzohren.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Ara »

Muirne hat geschrieben:http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/10/1-64-10.php
zumindest, wenn das entsprechend mit forciert wird und das nicht auf freier Entscheidung der Verteidigung beruht, ist das jedenfalls so.
Aber ehrlich gesagt kann ich mir eh nur schwer Fälle vorstellen, in denen jmd. Revision einlegt und sie direkt wieder zurücknimmt, ohne, dass das vorher nicht irgendwie Teil der Verständigung war... naja. So viel halt zu den Schlitzohren.
Ja, aber es geht hier ja die gesamte Zeit darum, dass die Verteidigung einseitig erklärt, dass sie keine Rechtsmittel einlegen wird. Dass die StA und das Gericht keinen Rechtsmittelverzicht forcieren darf, war ja schon vor der Einführung von § 302 Abs. 1 S. 2 StPO klar (spätestens seit der BVerfG-Entscheidung).
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Muirne »

Schön, aber gerade in der Praxis dürften die Grenzen dazu ja durchaus fließend sein. Wenn der Verteidiger nicht muss, um von der anderen Seite was zu kriegen, wozu sollte er das dann machen... ich finde das alles absolut nicht trennscharf.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben: Es ist daher absolut nichts anrüchiges im Rahmen einer Verständigung anzukündigen, dass man das Rechtsmittel nicht einlegen wird. Allen Verfahrensbeteiligten muss aber dabei klar sein, dass es keine prozessuale Wirkung entfaltet, sondern eine unverbindliche Zusage ist. Diese Zusage kann aber das Zünglein an der Waage sein, damit die StA sagt "okay, um das Verfahren schnell zu beenden".
Dann ist es aber keine einseitige Ankündigung ins Blaue hinein mehr, sondern Gegenstand der Verständigung. Und eben das ist unzulässig, denn nach dem Gesetz und der Rechtsprechung des BVerfG ist jede Verständigung, die die gesetzlichen Grenzen überschreitet, rechtswidrig. Und wenn ein Verfahrensbeteiligter seine Zustimmung zur Verständigung auf die gesetzlich nicht vorgesehene Ankündigung, keine Rechtsmittel einzulegen, stützt, dann wird ein Verfahrensverhalten vom Angeklagten erwartet, das von ihm nach dem gesetzlichen Regelungskonzept nicht erwartet werden kann. Dass das nicht bindend ist, ist egal, denn nach der Rechtsprechung des BVerfG sind ausdrücklich auch informelle Deals und Gentlemen's Agreement strikt verboten.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Ara »

Muirne hat geschrieben:Schön, aber gerade in der Praxis dürften die Grenzen dazu ja durchaus fließend sein. Wenn der Verteidiger nicht muss, um von der anderen Seite was zu kriegen, wozu sollte er das dann machen... ich finde das alles absolut nicht trennscharf.
Naja die Situation die ich vor Augen hatte war, dass die Staatsanwaltschaft sich noch gegen eine Verständigung etwas sperrt und man dann sowas sagt wie "Naja, sonst gehen wir hier eh gegen jede Verurteilung in die Berufung. Wenn wir aber nun zu einer Bewährungsstrafe komme, werden wir das so akzeptieren und keine Rechtsmittel einlegen".

Das ist in der Praxis halt nicht unüblich... Insbesondere weil es ja in bestimmten Gerichtsbezirken bekannt ist, dass Berufungsverfahren 3 Jahre dauern und man dann sagt "Spätestens in 3 Jahren ist die Tat so lange her und der Mandant hat sich so gut bewährt in dieser Zeit, dass im Berufungsverfahren maximal eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren rauskommt, die zur Bewährung ausgesetzt wird"

Aber klar die Grenze ist fließend... Aber ehrlich gesagt, selbst wenn die Staatsanwaltschaft zu mir sagen würde "Wenn wir uns hier jetzt verständigen, dann hab ich aber nicht nächste Woche ihr Rechtsmittel auf dem Tisch oder?", würde ich doch nicht aufstehen und sagen "SORRY, das ist rechtswidrig! Ich gehe jetzt!"... Wenn man mit dem Mandanten gesprochen hat und es das beste ist was man erreichen kann, dann sagt man natürlich, dass man mit der Verständigung zufrieden ist und das hier zu einem Ende bringt.

Aber das eigene Berufsverständnis ist natürlich sehr subjektiv. Da sehe ich aber nicht den Verteidiger in der Pflicht (zum Nachteil seines Mandanten) dafür zu sorgen, dass die Verständigung so völlig formal richtig erfolgt. Das wollen übrigens auch Richter und Staatsanwälte nicht... Wenn der Verteidiger nämlich tatsächlich darauf achtet, dass im Verfahren die komplette StPO eingehalten wird und jeden kleinen Fehler gerügt wird, hat die "Gegenseite" schnell die Bezeichnung "Konfliktverteidiger" auf der Zunge. Man könnte nämlich in 90% der Verfahren vor dem Amtsgericht den Richter schon bei der Belehrung zur Weißglut bringen, weil die typische Standardbelehrung schlicht nicht korrekt/vollständig ist. Dadurch ist aber nichts gewonnen.
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Re: Rede und antwortpflicht

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben: Aber klar die Grenze ist fließend... Aber ehrlich gesagt, selbst wenn die Staatsanwaltschaft zu mir sagen würde "Wenn wir uns hier jetzt verständigen, dann hab ich aber nicht nächste Woche ihr Rechtsmittel auf dem Tisch oder?", würde ich doch nicht aufstehen und sagen "SORRY, das ist rechtswidrig! Ich gehe jetzt!"... Wenn man mit dem Mandanten gesprochen hat und es das beste ist was man erreichen kann, dann sagt man natürlich, dass man mit der Verständigung zufrieden ist und das hier zu einem Ende bringt.
Das magst du ja so halten, aber du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, dass eine solche Verständigung nicht rechtswidrig wäre.
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