Revision eigene Entscheidung des Revisionsgericht

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Tobias__21
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Revision eigene Entscheidung des Revisionsgericht

Beitrag von Tobias__21 »

Hallo,

mal was für Kenner und Genießer der StPO:

Verfahrensfehler: Verstoß gegen 193 GVG. Student war bei Urteilsberatung. Urteil beruht darauf. Die Feststellungen wurden aber vollständig u fehlerfrei getroffen. Nach diesen Feststellungen kommt nur ein Freispruch in Betracht.

Wenn der Verteidiger diesen Verfahrensfehler in der Revisionsbegründung neben der Sachrüge rügt, aber Entscheidung des Revisionsgericht nach § 354 I beantragt, verweist das Revisionsgericht dann trotzdem zurück? § 354 I ist ja eigentlich nicht erfüllt "Aufhebung nur wegen Gesetzesverletzung", so dass wohl zurückzuverweisen wäre.

Aber: Die Feststellungen sind i.O. das Revisionsgericht kann den Fall entscheiden. Wäre eine Zurückverweisung nicht ein unnötiges hin und her?

Klar ist, dass der Verteidiger in diesen Fällen, wenn er will dass das Revisionsgericht wirklich selber entscheidet eben nur die Sachrüge erheben darf. Mir gehts aber um den Fall, dass er auch den Verfahrensfehler gerügt hat und Entscheidung nach § 354 I StPO beantragt hat. Ich meine, dass es auch ohne Beschränkung auf die Sachrüge geht. Denn der Verfahrensfehler (Verstoß gegen 193 GVG) berührt die tatsächlichen Feststellungen nicht und es wäre im Ergebnis auch prozessökonomischer . Klar, dem steht der Wortlaut des § 354 I entgegen, aber wenn sich der Fehler gar nicht auf die Feststellungen ausgewirkt hat und die im Übrigen auch korrekt sind und keine anderen Feststellungen zu erwarten sind, dann dürfte es doch dem Sinn und Zweck des § 354 I entsprechen, wenn das Revisionsgericht selbst entscheidet?
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Ara
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Re: Revision eigene Entscheidung des Revisionsgericht

Beitrag von Ara »

Deine Frage zielt darauf ab, wie man das Verhältnis zwischen Verfahrens- und Sachrügen sieht.

Früher sah man einen Vorrang von Verfahrensrügen vor Sachrügen. Das heißt früher wurde die Sachrüge gar nicht mehr geprüft vom Revisionsgericht, wenn eine Verfahrensrüge bejaht wurde (mit der Begründung, dass eine materielle Prüfung nicht möglich sei, solange der Sachverhalt nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt wurde).

Mit BGHSt 17, 253 hat der BGH sich dann von dieser strikten Reihenfolge verabschiedet. Das Revisionsgericht kann sich aussuchen welche Rüge sie zuerst prüft. Wenn die Sachrüge durchgreift, müssen die Verfahrensrügen nicht weiter beachtet werden. Darum steht auch der Wortlaut von § 354 I StPO nicht entgegen, denn § 354 I StPO sagt nicht "wenn Rügen nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes erhoben wurden", sondern "wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes erfolgt". Das ist in diesen Fällen so, denn einzig und alleine die Sachrüge reicht für die Aufhebung und daher ist § 354 I StPO anwendbar.

Daher gilt wohl heute "Vorrang des weitestreichenden Revisionsgrundes" und das ist immer der Freispruch. Ein Recht (oder gar eine Pflicht) alle Rügen durchzuprüfen besteht nicht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Tobias__21
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Re: Revision eigene Entscheidung des Revisionsgericht

Beitrag von Tobias__21 »

Danke! Das hört sich fundiert an :D
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