Noch ein Garant? (§ 221)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Gelöschter Nutzer

Noch ein Garant? (§ 221)

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Hallo zusammen,

ich möchte mal etwas Gundsätzliches erfragen, um mich zu vergewissern, ob ich noch klar denke, oder ob mich das Studium bereits verblödet hat. ;-)

Die Frage lautet: Kann jemand einen anderen aussetzen, obwohl dieser nach dem potentiellen Aussetzungsakt gar nicht allein ist?

Bsp: Autounfall, A fährt das Auto des B an. B wird schwer verletzt, A begeht Fahrerflucht. Im Auto des B sitzt auch noch dessen Mutter M, die mit dem Schrecken davon kommt. A weiß nicht, dass die M mit im Auto saß. B stirbt, weil M ihrem Sohn nicht helfen will (z.B. wegen religiöser Motive).

Ich diskutiere schon seit Wochen mit einem Komilitonen darüber, ob hier überhaupt 221 I tatbestandlich erfüllt ist. Er meint, hier sei Vollendung gar nicht möglich, weil B niemals hilflos war (Grund: B war nicht allein). Er kommt also zu straflosem Versuch (bzw. zu strafbaren qualifizierten Versuch mit einer aA, aber soll jetzt mal egal sein).

Ich meine, Aussetzung setzt voraus, dass das Opfer über keine Hilfe verfügen kann. Und die hatte er nicht - weil Mutti nichts tat. Reicht denn echt schon die Anwesenheit eines anderen (hier sogar Garanten) aus, um den Täter zu entlasten? Zumal der von der Anwesenheit nichts wusste?

*grübel*

Help! :D

Viele liebe Grüße von der schönen Insel Föhr!
Jacky No
BlaBla
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Beitrag von BlaBla »

Viele liebe Grüße von der schönen Insel Föhr!
Seit wann gibts denn hier eine Uni ? HA im Urlaub am Strand ?

-> Das Problem, ob ein tatbestandliches Im Stich lassen im Sinne ein räumliches Verlassen durch den Täter voraussetzt, steht wirklich in jedem Standard Lehrbuch. Nimm z. B. Joecks.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

BlaBla hat geschrieben: -> Das Problem, ob ein tatbestandliches Im Stich lassen im Sinne ein räumliches Verlassen durch den Täter voraussetzt, steht wirklich in jedem Standard Lehrbuch. Nimm z. B. Joecks.
Darum geht es doch gar nicht: Die Frage ist, ob eine hilflose Situation auch vorliegt, wenn Dritte anwesend sind. Welche zudem Garanten sind (seinen können).
BlaBla
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Beitrag von BlaBla »

Das ist objektiv 221 I Nr. 2. Mit h. M. ganz einfach und eindeutig.
Welche zudem Garanten sind (seinen können
Die eigene Mutter ist doch schlechthin der typische Fall einer Obhutsgarantenstellung aufgrund familiärer Verbundenheit. Wer den sonst noch ?

Die interessantere Frage ist, ob nicht 212, 13 oder so was vorliegt.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

BlaBla hat geschrieben: Die eigene Mutter ist doch schlechthin der typische Fall einer Obhutsgarantenstellung aufgrund familiärer Verbundenheit. Wer den sonst noch ?
Bei volljährigen Kindern schon nicht mehr eindeutig. Die ganze Konstruktion der Garantenpflichten (bloß) aus Verwandschaft ist in der Auflösung begriffen.

§ 221 würde ich hier auch erfüllt sehen, wenn die Dritte Person tatsächlich nicht fähig ist dem Opfer zu helfen, war es in einer hilflosen Situation. Allerdings könnte man zu einer Unterbrechung der objektiven Zurechnung durch ein Eingreifen Dritter kommen, wenn ein Garant vorliegt, der expliziet das Opfer nicht rettet. Dann ist der Todeserfolg dem Täter nicht mehr als eigener Erfolg zurechenbar. An § 221 I würde das allerdings tatsächlich nichts ändern. An § 221 III wahrscheinlich sogar auch nicht, weil da ja nur Fahrlässigkeit bezüglich der Folge nötig ist; § 18.

Eine Strafbarkeit des Fahrerflüchtigen nach § 212, 13 wird wohl am fehlenden Vorsatz scheitern.

Eine Strafbarkeit der Mutter nach §§ 212, 13 ist mE gegeben, auch wenn das hier nicht ganz klar ist.
BlaBla
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Beitrag von BlaBla »

Der Hinweis zu 212, 13 bezog sich nur auf die Mutter, nicht auf den Fahrer. Vermutlich zu prüfen, ob nicht 211 vorliegt (niedrige Bewegg., m. A. aber -)

221 I Nr. 2 +, das ist ja im Prinzip nix anderes wie 323c) + Obhutsgarantenstellung. Und das läßt sich super begründen. Unfall=Unglücksfall, Mutter=Obhutsgarant
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Kiesela
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Beitrag von Kiesela »

Wenn ich mich richtig erinnere, ist die Definition für hilflos in 221 doch: wenn das Opfer sich drohender Gefahren für Leib und/oder Leben nicht mehr ohne fremde Hilfe erwehren kann. Und das kann unabhängig davon der Fall sein, ob es sich auf einer einsamen Insel befindet oder in einer Menschenmenge.
BlaBla
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Beitrag von BlaBla »

Die hilflose Lage ist doch unproblematisch. Gut das Ganze mal komplett...

Tatobjekt: anderer Mensch (+)
Hilflose Lage: "nicht in der Lage, sich vor den Gefahren des Lebens zu schützen" (o. ä.) (+, siehe Unfallfolge "schwer verletzt")
Tathandlung: hier wohl "im Stich lassen"
trotz Beistandspflicht: (+, als Mutter)
Konkrete Gefahr (unstr. +, a) es tritt sogar der Tod ein)

Vorsatz Obj TB (hier sogar bezügl. Konkrete Gefahr)
RW +
Sch +

-> wg. Kenntnis Quali prüfen (!)

Der 221 I Nr. 2 liegt unproblematisch vor. Die Frage ist, ob nicht 212, bzw. sogar 211, 212 vorliegt, der den 221 verdrängt

-> Beim Fahrer geht 212 sowie 223, 227 nicht mangels Vorsatz. Ob da 222 vorliegen kann ist eine andere Frage
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ist es richtig, dass auch A gem. § 221 strafbar ist (durch das Wegfahren= im Stich lassen in hilfloser Lage)? Dabei spielt es doch überhaupt keine Rolle, ob M Garant ist, weil hilflose Lage bedeutet, dass das Opfer sich nicht mehr selbst vor Lebens- oder Leibesgefaht schützen kann, richtig? Also bräuchte man bei dieser Prüfung (Strafbarkeit des A gem. § 221 durch das Wegfahren) auf die M überhaupt nicht einzugehen bzw. sie gar nicht zu problematisieren,oder?
BlaBla
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Beitrag von BlaBla »

m. A, Vorsatz des A (-) zu 221 I Nr. 1 (Nr. II kann schon wegen fehlender Garantenstellung nicht eingreifen)

-> aus Joeks in Kürze:
bezogen auf konkrete Gefährdung dolus eventualis (wohl unstr.)
bezogen auf Versetzen str. Jocks "Versetzen indiziert besondere subj. Beziehung, quasi ein finales Element,...." i. E. sagt er dolus II (sicheres Wissen)

Wenn ich einen Unfall baue und abdampfe, dürfte es wohl daran fehlen. Bleibt im Zweifel 323c) für A (anders wenn SV was hergibt, z. B. der Täter sieht, dass das Opfer schwer verletzt ist dem nicht hilft, weil der ihn als Zeuge belasten kann - allerdings ist man dann schnell im Bereich des 212, 13)

-> ich gebe aber zu, dass dies eines der sehr wenigen Probleme des BT ist, an dem noch am rumdoktern bin. Es geht darum z. B. um folgende Frage: kann sich der vorsätzlich handelnde Täter durch das Verlassen des Tatorts nach 221 I starfbar machen ?
Bsp: der Täter kloppt das Opfer im kalten Winter nieder und raubt es anschließend aus. Anschließend nimmt er noch die Kleidung und entfernt sich vom Unfallort. Das O wird fast erforen in die Klinik gebracht, überlebt aber. Problem liegt hier im 221 I Nr. 1
-> m. A. nein, z. B. wegen nemur temur Grundsatz ("niemand muss sich selbst ans Messer liefern"), aber die absolut "treffende" Begründung hab ich noch nicht. Ich hab auch in der Lit noch nicht viel gefunden.
Vielleicht hat da ja jemand einen tollen Aufsatz, den ich übersehen hab (dann bitte die Fundstelle nennen)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Versuchte Aussetzung ?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

BlaBla hat geschrieben: -> m. A. nein, z. B. wegen nemur temur Grundsatz ("niemand muss sich selbst ans Messer liefern"), aber die absolut "treffende" Begründung hab ich noch nicht.
Der nemo tenetur Grundsatz gilt zwar grundsätzlich, aber es gibt durchaus Fälle in denen er nicht richtig stimmt, und zwar bei Verdeckungsmord durch Unterlassen etwa.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Also erstmal danke für die zahlreichen Antworten! Wie man sieht, ist es wirklich ein spannendes Feld und so unproblematisch ist es alles nicht.

Mir ging und geht es aber vor allem um den Fahrer, der sich aus dem Staub macht.

Wenn ich eure Postings so verstanden habe, dann ist bei der hilflosen Lage einzig darauf abzustellen, dass B schwer verletzt (im Sinne von handlungsunfähig) ist und sich gemäß der Def. nicht mehr selbst helfen kann.

Ob jemand da ist, der prinzipiell in der Lage wäre, ihm zu helfen, soll also egal sein? Ich meine, dreht man den Fall um, fängt es doch an, merkwürdig zu werden: Gleiche Situation, gleicher Unfall, A haut ab, B wieder genauso schwer verletzt, Mutter im Auto, aber diesmal hilft sie ihrem Sohn. Wie kann einer hilflos sein, wenn ihm geholfen wird? Er selbst ist zwar hilfsbedürftig, aber es wird ihm doch Hilfe zuteil. Kann man denn hier wirklich nur auf die Verletzung abheben?

Nochmal viele Grüße, diesmal aber nicht von der Insel (wo ich herkomme, und die ich vor ein paar Tagen besucht habe, Hr. blabla ;-))

jacky no
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Beitrag von BlaBla »

Ich sachte ja, die Begründung, mit ich mich zufrieden gebe, hab ich auch noch nicht. Das fatale ist ja an dem 221, dass der nach dem 6. StRG quasi so alles umfassen kann (hatte irgendwo mal sinngemäß gelesen "umfassender Auffangtatbestand für alle lebensbedrohlichen Situationen").
Von der Logik her kann es nicht sein, dass sich ein vorsätzlich handelnder Täter (der z. B. 249 begeht) durch das anschließende Verlassen des Opfers nach der Tat "automatisch" aus 221 strafbar macht.
Wie gesagt, die "richtige" Begründung suche ich noch. Ist vermutlich recht einfach, wenn ich die mal habe.
-> die trashigste Nummer im STR BT find ich ja immer noch den "Irrtum über den Verzicht auf Feststellung" im Rahmen des 142. So schlimm kann das gar nicht sein mit dem 221, bin wohl nur zu blöd, das richtige Buch aufzuschlagen
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