Mißbrauch des § 192 StGB - Entscheidungserheblichkeit des Wahrheitsbeweises

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

Antworten
Gelöschter Nutzer

Mißbrauch des § 192 StGB - Entscheidungserheblichkeit des Wahrheitsbeweises

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Da ich mich soeben erst registriert habe und das erste mal hier poste, möchte ich mich zunächst kurz vorstellen.

Ich bin kein Volljurist, befasse mich aber als Praktiker seit ca. 30 Jahren mit der "hohen Schule" der Jurisprudenz. Zunächst im Rahmen des Studiums (kleiner BGB-Schein), dann aus beruflichen Gründen (vorwiegend mit Fragen des Arbeitsrechts). Nachdem ich ich den Unterschied zwischen Theorie und Praxis der Rechtsprechung am eigenen Leib erfahren mußte, habe ich vor einigen Jahren ein Internetportal gegründet (vgl. Homepage), das kritisch aber ohne Hass die Mißstände in der Justiz beschreibt und engagiere mich seit einigen Jahren als ehrenamtlicher Geschäftsführer und Redakteur einer gemeinnützigen Bürgerrechtsorganisation.

Nun aber zum eigentlichen Thema: Bei Äusserungsdelikten nach 186, 187 StGB kommt es bekanntlich entscheidend darauf an, ob die inkriminierte Tatsachenbehauptung wahr ist oder nicht. Meine Erfahrung als Prozessbeobachter sowie nicht zuletzt in eigener Sache ist nun, dass StA und Gerichte häufig dazu tendieren, die teilweise abeitsintensive Prüfung des Wahrheitsgehalts dadurch zu umgehen, dass auch bei Äusserungen mit unzweifelhaftem Tatsachenkern entweder Üble Nachrede oder Verleumdung trotz entsprechendem Strafantrag überhaupt nicht angeklagt sind, oder zumindest die Taten (Behauptungen) bei denen das Gelingen des Wahrheitsbeweises nicht opportun eirscheint, spätestens in der Hauptverhandlung nach 154a StPO eingestellt werden, weil man das Problem elegant über 192 StGB lösen will.

Was der juristische Laie zunächst als Vorteil für den Angeklagten empfinden mag, erweist sich für diesen jedoch dann als verhängnisvoll, wenn er in der Lage wäre, die Richtigkeit seiner Tatsachenbehauptungen zu beweisen. Insbesondere wenn sich die Organe der Rechtspflege durch Vorwürfe wie Rechtsbeugung oder Strafvereitelung in ihrer Ehre veletzt fühlen, wird die sachliche Berechtigung der Tatsachenbehauptung überhaupt nicht geprüft. Es wird im engen Sinne des Wortes "kurzer Prozess" gemacht und nach 192 StGB (Formalbeleidung) verurteilt. Man begründet diese Praxis mehr oder weniger offiziell damit, dass insbesondere Richter und Staatsanwälte an das Gesetz gebunden seien und alleine dadurch der behauptete Vorwurf nicht zutreffen könne (Wie realitätsfremd und unsinnig die Annahme ist, Organe der Rechtspflege seien kraft Amtes a priori einer Straftat nicht fähig, muss ich an dieser Stelle sicherlich nicht weiter begründen)

Der BGH hatte in seinem Beschluss Az: 4 StR 686/76 bereits 1977 die Notwendigkeit bejaht, dass auch in solchen Fällen die Wahrheit der Tatsachenbehauptung geprüft werden müsse. Zitat aus den Leitsätzen:

[i]"Im Verfahren wegen übler Nachrede (StGB § 186) darf die Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache auch dann nicht als für die Entscheidung bedeutungslos behandelt werden, wenn der Täter unabhängig vom Gelingen des Wahrheitsbeweises wegen Formalbeleidigung nach StGB §§ 185, 192 bestraft werden muß."[/i]

Der Beschluss mit den Gründen kann unter

http://www.versicherungslobby.de/dahl/M ... beweis.htm (Verwaister Link http://www.versicherungslobby.de/dahl/Meinungsfeiheit_BGH4_beweis.htm automatisch entfernt)

nachgelesen werden.

Man sollte meinen, die im Leitsatz und insbesondere in den Gründen zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht des BGH sei so selbstverständlich, dass auch ohne Bezug auf diesen Beschluss der Wahrheitsgehalt einer als Beleidigung angeklagten Behauptung bei der Urteilsfindung von Bedeutung sein müsse. Wenn allerdings in der Beweisaufnahme ausschließlich auf " 192 StGB abgestellt wird, kann noch nicht einmal bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, ob jemand bewußt die Unwahrheit behauptet oder ob er sich bei einer in der Sache zutreffenden Kritik lediglich im Ton vergriffen hat.

Bei allem Verständnis für die Überlastung von StA und Gerichten, diese Art der Arbeitsentlastung halte ich grundsätzlich für unzulässig und insbesondere in den Fällen, wo ein Gelingen des Wahrheitsbeweises Straftaten des "Geschädigten" aufdecken würde, wie zum Beispiel bei Prozessbetrug oder bei Amtsdelikten nach 331 ff StGB ist diese Praxis mit dem Selbstverständnis eines modernen Rechtsstaats nicht mehr vereinbar.

Meine Fragen an das Forum:

1. Seht Ihr rechtsstaatlich nachvollziehbare Gründe, warum oder in unter welchen Voraussetzungen ein Gericht den zitierten BGH-Beschluss ignorieren darf?

2. Hat jemand zu dieser Frage eigene Erfahrungen gemacht oder kennt er Beispiele dazu?
Gelöschter Nutzer

Re: Mißbrauch des § 192 StGB - Entscheidungserheblichkeit des Wahrheitsbeweises

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Manfred Strack hat geschrieben:Meine Fragen an das Forum:

1. Seht Ihr rechtsstaatlich nachvollziehbare Gründe, warum oder in unter welchen Voraussetzungen ein Gericht den zitierten BGH-Beschluss ignorieren darf?

2. Hat jemand zu dieser Frage eigene Erfahrungen gemacht oder kennt er Beispiele dazu?
Wenn du in deiner ersten Frage die Einschränkung "rechtsstaatlich" weg gelassen hättest, könnte ich dir jede Menge nachvollziehbarer Gründe nennen, warum sich die Justiz nicht für die Wahrheit interessiert. Hast du dir schon mal die Frage gestellt, warum nach 1945 praktisch kein einziger NS-Richter verurteilt wurde?

Habe mir übrigens einige Aufsätze von deiner Homepage mal kurz angesehen. Sind teilweise ziemlich deftig formuliert aber flott geschrieben. Ich weiß zwar nicht, welche Probleme du mit der Justiz hast, ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht sonderlich, aber Mut hast du, das muß man dir lassen #-o
Antworten