Tun/Unterlassen

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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avid
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Tun/Unterlassen

Beitrag von avid »

Meine Frage ist wahrscheinlich ganz einfach; Ich seh nur mal wieder den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Wenn ein Arzt lebenserhaltende Maßnehmen abbricht (z. B. Abschalten eines Beatmungsgeräts, Entfernen einer Magensonde, Zuführen von Tee o. ä. ) und die Voraussetzungen des Behandlungsabbruchs erfüllt sind, ist dieses Abschalten zweifellos ein Unterlassen.

Wenn jetzt jedoch der Arzt lebenserhaltende Maßnahmen abbricht und die Voraussetzungen eines Behandlungsabbruchs nicht erfüllt sind, ist dann dann auch ein Unterlassen?
( hat vielleicht irgend jemand einen Literaturtipp? )
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BuggerT
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Beitrag von BuggerT »

Ich bin jetzt nicht sicher, ob ich deine Frage verstanden habe.

Aber die Abgrenzung Tun/Unterlassen nimmst du ja als Vorprüfung vor, jedenfalls dann, wenn du im Ergebnis ein Unterlassen annimmst. Ansonsten halt einfach bei der Tathandlung. Das Abschalten eines Beatmungsgeräts (wie von dir genannt) ist eigentlich das Musterbsp, obwohl es wohl eher wegen dem damit verfolgten Ziel als Unterlassen eingestuft wird; man kann imho auch sehr gut vertreten, dass es ein Tun darstellt.

Aber egal...

Wenn du also die Abgrenzung vorgenommen hast, kommst du ja erst im Rahmen der Garantenstellung dazu, ob "die Voraussetzungen des Abbruch" (wie du es genannt hast) vorliegen. Wenn ja, besteht keine Garantenpflicht mehr, wenn nein, besteht sie fort.

Je nachdem kommst du halt zur Strafbarkeit oder eben auch nicht.


grtz
BuggerT
avid
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Beitrag von avid »

@buggerT
Erstmal vielen Dank für deinen Beitrag.

Wenn ich in einer Vorprüfung Tun und Unterlassen abgrenze, komm ich zum Ergebnis, dass nach dem Energiekriterium ein Tun vorliegt und nach der Schwerpunktformel ein Unterlassen. Das heißt ich muss den Streit entscheiden.

Das ist jetzt ein bischen schwer zu erklären, aber ich hab das Gefühl, dass der Meinungsstreit bei einem Arzt der die Behandlung abbricht anders ist als der Meinungsstreit, wenn zum Beispiel ein Vater sein Kind nicht aus dem See rettet.
Roxin lehnt zum Beispiel die Schwerpunktformel kategorisch ab und wendet das Energiekriterium an. Wenn jedoch ein Arzt die Behandlung abbricht und die Voraussetzungen des Behandlungsabbruchs vorliegen, nimmt er aufgrund der Schwerpunktformel ein Unterlassen an ( siehe: Roxin, AT II, § 31 VI Rn. 115) daher hab ich auch das Gefühl, das das unterschiedliche Meinungsstreits sind. (sonst versteh ich Roxin nicht, einerseits lehnt er die Schwerpunktformel ab, andererseits wendet er sie an)

Mit den Voraussetzungen eines Behandlungsabbruchs mein ich zum Beispiel den Fall einer todkranken Patientin, die im Koma liegt (siehe BGHSt 40, 257) und keine Einwilligung liefern kann. Diese todkranke Patientin hat nicht eingewilligt und auch die Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilligung liegen nicht vor. Der Arzt geht indes davon aus, dass sie vorliegen (vermeidbarer Verbotsirrtum)
Muss ich diese Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Einwilligung vorliegen, jetzt im Rahmen der Rechtswidrigkeit prüfen? Oder muss ich diese Voraussetzungen inzident bei der Prüfung der Garantenstellung oder bei der Prüfung, ob überhaupt ein Unterlassen vorliegt prüfen?
Nach der Schwerpunktformel ist ja bei einem Arzt, der die Behandlung abbricht von einem Unterlassen auszugehen, sofern die Voraussetzungen eines Behandlungsabbruchs gegeben sind. Die Einwilligung ist so eine Voraussetzung, aber die liegt ja nun mal nicht vor. Darf ich also bei einem Arzt, der die Behandlung abbricht, bei dem die Voraussetzungen des Behandlungsverzichts aber nun nicht gegeben sind, auch von einem Unterlassen ausgehen. Und unterscheidet sich der Meinungsstreit hier von dem Meinungsstreit den ich bei einer normalen Abgrenzung Tun/Unterlassen bringe.

Ich weiß, meine Gedanken sind recht verworren. Aber vielleicht kann man ja so in etwa verstehen, was ich meine und wo mein Problem liegt.
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BuggerT
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Beitrag von BuggerT »

Also zunächst nochmals zum Abbruch der Behandlung:

Stellt man auf das Energiekriterium ab, kommt man zu einem TUN.
Hält man dagegen den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit für entscheidend, muss man erstmal sehen, dass selbst dann ein TUN vorzuliegen scheint. Vergleichbar ist nämlich die Konstellation des Abbruchs eigener Rettungsbemühungen. Dieses stellt nur dann ein Unterlassen dar, wenn die Rettungsbemühungen das gefährdende Objekt noch nicht erreicht haben. Hier ist das aber gerade nicht der Fall, so dass zunächst ebenfalls ein TUN vorliegen würde.
Diese Betrachtung ist aber nicht zwingend. Denn bei einer normativen Betrachtung (und genau das ist dies hier!) müssen immer auch alle Umstände des Einzelfalles miteinfließen. Dann muss man folgende Überlegung anstellen: bei einem Arzt, der anstatt einen Respirator zu benutzen zB selbst die Mund-zu-Mund-Beatmung vornimmt und diese dann abbricht, wäre selbst nach dem Energiekriterium ein Unterlassen anzunehmen. Es kann aber dann doch keinen Unterschied machen, ob der Arzt selbst oder eine Maschine zB die Beatmung abbricht. Letztlich könnte man die Handlung des Arztes als "Unterlassen durch aktives Tun" beschreiben; er unterlässt die Verlängerung lebenserhaltender Maßnahmen.

Beim Streitentscheid lässt sich noch ein weiteres Argument anführen: Es erscheint willkürlich, allein aufgrund der mehr oder weniger zufälligen Notwendigkeit eines "Knopfdrucks" (oder was auch immer zum Abschalten der Geräte nötig ist) zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen.


Alles weitere ist meiner Meinung nach eine Frage der Garantenpflicht. Aber auch das ist problematisch. Man muss sich halt fragen, ob ein ausdrücklicher (oder mutmaßlicher) Wille des Patienten die Garantenpflicht eines Arztes enden lassen kann?
Mit guter Begründung sind hier beide Auffassungen vertretbar. Ich persönlich denke, dass es möglich sein muss, die Garantenpflicht enden zu lassen. Begründung liefere ich auf Wunsch :wink2:.


Zum Schluss noch ein Satz dazu: natürlich wirkt das alles ein bisschen konstruiert; und das ist es in der Tat. Man hatte dabei - wie so oft - das Ergebnis vor Augen. Man will eine Strafbarkeit des Arztes bei sog. passiver Sterbehilfe ausschließen.


grtz
BuggerT
avid
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Beitrag von avid »

@buggerT

Danke für deine ausführliche Erklärung. Ich glaub ich hab jetzt verstanden, wie das Problem mit dem Behandlungsabbruch zu lösen ist.

gruß,
avid
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