Heimtückemord an Kleinkind

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

Gelöschter Nutzer

Heimtückemord an Kleinkind

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Hallo zusammen!
Ich persönlich habe ja noch nie verstanden, weshalb die herrschende Meinund sagt, dass die Tötung eines Kleinkindes nie heimtückisch sein kann.
Das Argument ist, ein Kleinkind könne von Natur aus keinen Argwohn empfinden (stimmt das überhaupt?!) und daher könne man nicht dessen Arglosigkeit ausnutzen (müsste das, wenn man davon ausgeht dann nicht eigentlich bedeuten, dass IMMER wenn ein Kleinkind getötet wird Heimtücke vorliegt?!).
Hier habe ich jetzt im Internet einen Aufsatz gefunden, der vertritt, was ich schon immer dachte und wollte euch mal fragen ob ich mich trauen kann, das in einer Klausur zu schreiben:

"Man kann aber auch prüfen, ob das Verhalten des Angeklagten nicht den Tatbestand des versuchten Mordes erfüllt hat. Konkret kommt die Alternative des so genannten Heimtückemordes gemäß den §§ 211 Abs. 2, 22, 23 StGB in Betracht. Heimtücke im Sinne dieser Mord-Alternative ist gegeben, wenn die Tötung unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers erfolgt. Zwar wird man mit der herrschenden Meinung die Arglosigkeit verneinen können, weil nicht einmal ein Kleinkind, viel weniger also ein Embryo, in der Lage ist, eine böse Absicht des Täters zu erkennen. Da diese Auffassung auf eine ältere BGH-Entscheidung zurückgeht (vgl. Tröndle/Fischer, wie vor, Rn 20 zu § 211 StGB mit Hinweis auf BGHSt 3, 330), ist allerdings zu fragen, ob diese Entscheidung noch dem Stand der medizinischen Erkenntnis entspricht. Bedenken bestehen, weil der Embryo, dem eine Abtreibung gegen Ende der ersten zwölf Schwangerschaftswochen droht, dies durchaus erkennt und sich dementsprechend abwehrend verhält. Dies jedenfalls berichtet Sendler (NJW 2001, 2149) mit Bezug auf eine dokumentarisch im Film festgehaltene Abtreibung: im Film sei ein sich heftig wehrender und vergeblich um sein Leben kämpfender Embryo zu sehen. Wenn ein Embryo sich aber schon in diesem Schwangerschaftsstadium so situationsgerecht zu verhalten weiß, dürfte er im Stadium der Spätabtreibung erst recht spüren, dass die Geburt nicht zu seinem Wohl eingeleitet wird. Während oder unmittelbar nach der Geburt dürfte für das neugeborene Kind nichts anderes gelten.
Folgt man dem nicht, so steht immer noch gegen die herrschende Meinung, dass der Argunfähige ebenso arglos ist wie der Wehrunfähige wehrlos ist. Die Wehrunfähigkeit ist als Merkmal der Heimtücke anerkannt (Tröndle/ Fischer, wie vor, Rn 18 zu § 211 StGB). Warum zur Arglosigkeit die Fähigkeit, Argwohn empfinden zu können, noch hinzukommen soll, ist nicht einzusehen, zumal der Zeitpunkt, ab wann der Mensch, sei es prä- oder postnatal, Argwohn empfinden kann, sich objektiv kaum exakt wird bestimmen lassen. Da der Mensch nun zu keinem Zeitpunkt argloser ist als vor, während oder unmittelbar nach der Geburt und die Wehrlosigkeit hinzukommt, ist das Tatbestandsmerkmal der Heimtücke erfüllt. Nach allem sind die Voraussetzungen des Mordtatbestandes gemäß §§ 211 Abs. 2, 22, 23 StGB durchaus erfüllt."


:-k Also, was meint ihr?

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BuggerT
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Beitrag von BuggerT »

Puh, ob du das vertreten kannst oder nicht... ich weiß nicht. Wenn, dann musst du aber schon gewaltig gewichtige Gründe auffahren, weil es meines Wissens der ganz herrschenden Meinung entspricht, Arglosigkeit nur dann bejahen zu können, wenn überhaupt die Fähigkeit vorhanden ist, Argwohn zu hegen. In den gängigen Lehrbüchern, zB Rengier, wird auch nicht auf eine andere Meinung eingegangen.

Ansatzpunkt für die Kritik könnte aber durchaus die gängige Formulierung sein: Demnach ist arglos, wer sich bei Beginn des Tötungsversuchs nach § 22 keines tätlichen Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. Anders formuliert: Die Arglosigkeit entfällt, wenn das Opfer vor dem konkreten Tatzeitpunkt des § 22 mit einem erheblichen Angriff zumindest auf seine Körperintegrität rechnet (Rengier, BT II, § 4 Rn 24).

Mit einem tätlichen Angriff kann das Kleinkind sicher nicht rechnen, wonach die zweiten Formulierung fehl gehen würde.
Allerdings stellt die ganz h.M. eben auf den Gedanken ab, dass arglos auch nur derjenige sein kann, der die Fähigkeit hat, Argwohn zu hegen.

Man müsste sich damit mal genauer befassen, aber bei einer extensiveren Auslegung - wie du sie vornehmen willst - stellt sich zugleich auch immer die verfassungsrechtliche Problematik.


grtz
BuggerT
Zuletzt geändert von BuggerT am Donnerstag 3. November 2005, 18:43, insgesamt 1-mal geändert.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

also bei alpmann hatten wir mal folgendes gelernt:

1. versucht jemand einem baby ein gift zu verabreichen und wegen dem giftigen geschmack isst das kind es nicht freiwillig und es muss gezwungen werden = totschlag

2. mischt man dem baby das gift in den süssen brei, damit es "arglos" schluckt = mord

ist wahrscheinlich fraglich, ob das ausspucken des gifts dann argwohn ist oder ein unbewusster reflex.
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Beitrag von ready_or_not »

Entweder ich verstehe den Aufsatz falsch oder ich würde mich jedenfalls nie auf ihn berufen .... Prüft der tatsächlich MORD an einem EMBRYO? Mag man ja moralisch so sehen können (ich nicht), aber der strafrechtliche Lebensschutz nach §§ 211,212 beginnt unstrittig erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen ....

Im übrigen würde ich so etwass NIE in einer Klausur schreiben. Warum? Eine Klausur schreibe ich ausschließlcih um Punkte zu bekommen. Dies schaffe ich leichter und mit weniger Begründungsaufwand, wenn ich der Lösung folge, die auch der Korrektor aller Wahrscheinlichkeit nach kennt und vor sich hat. dies gilt insbsondere in Streiten, in denen 99% eine bestimmte Meinung vertreten. Insbesodnere in einer Strafrechtsarbeit fehlt regelmäßig die Zeit eine Mindermeinung so gut darzustellen, dass sie auch den durchschnittlichen Korrektor überzeugt.
Abweichende Meinungen würde ich mir für Aufsätze, Seminararbeiten, doktorarbeiten und (vielleicht) Hausarbeiten aufsparen.
Kann man de genannte These in einem Aufsatz vertreten? Sicherlich, gänzlich abwegig ist sie nicht. Allerdings finde ich das Argument der h.M. persönlcih überzeugender.
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Beitrag von BuggerT »

lea hat geschrieben:2. mischt man dem baby das gift in den süssen brei, damit es "arglos" schluckt = mord
Ja, dieser Ansicht ist der BGH; er bejaht Heimtückemord gegenüber Kleinkindern, wenn der Täter durch wohlschmeckende Gifte oder durch Vermischung die natürlichen Abwehrinstinkte des Kindes ausgeschaltet hat.

In der Literatur wird diese Ansicht (mE zu Recht) abgelehnt. Sie führt schlicht und einfach zu einer mehr oder weniger willkürlichen Grenzziehung.
Prüft der tatsächlich MORD an einem EMBRYO? Mag man ja moralisch so sehen können (ich nicht), aber der strafrechtliche Lebensschutz nach §§ 211,212 beginnt unstrittig erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen ....
Bzw beim Kaiserschnitt mit Öffnung des Uterus. Erfolgt die Handlung zuvor, halte ich einen Totschlag/Mord für nicht vertretbar. Es fehlt einfach am Tatobjekt "Mensch". Insofern erübrigt sich in Bezug auf den Embryo die Überlegung, ob dieser arglos sein kann. Dafür gibt es bekanntlich die §§ 218 ff.
Anders bei Kleinkindern. Mit entsprechend guter Argumentation ist es wohl vertretbar, würde ich selbst aber nie so vertreten, allein schon aus den genannten klausurtaktischen Überlegungen. Aber auch so ist es imho wenig überzeugend.



grtz
BuggerT
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Prüft der tatsächlich MORD an einem EMBRYO? Mag man ja moralisch so sehen können (ich nicht), aber der strafrechtliche Lebensschutz nach §§ 211,212 beginnt unstrittig erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen ....

"...weil es im Strafgesetzbuch irgendwann einmal einen Paragraphen mit der Bezeichnung "Kindestötung" (§ 217 StGB) gab, in welchem stand, dass die Tötung eines "in der Geburt befindlichen Kindes" strafbar sei......"
Diese Begründung findet man in fast jedem Lehrbuch. Trotzdem ist diese Grenzziehung nichts als "blanker Unsinn", weil es den § 217 StGB eben nicht mehr gibt, und dementsprechend lässt sich aus ihm auch absolut "nichts" ableiten. Das "systematische Argument" mit der Überschneidung bzgl. der §§ 218 ff. StGB ist besser, aber letztendlich auch unhaltbar, weil es naturwissenschaftlich unvertretbar ist, zu behaupten, ein (beispielsweise) 8 Monate alter ungeborener "Mensch" sei gar kein "Mensch" (und demzufolge angeblich kein "taugliches Rechtsschutzobjekt" der Tötungsdelikte).
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Beitrag von BuggerT »

stud. iur. hat geschrieben:
Prüft der tatsächlich MORD an einem EMBRYO? Mag man ja moralisch so sehen können (ich nicht), aber der strafrechtliche Lebensschutz nach §§ 211,212 beginnt unstrittig erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen ....

"...weil es im Strafgesetzbuch irgendwann einmal einen Paragraphen mit der Bezeichnung "Kindestötung" (§ 217 StGB) gab, in welchem stand, dass die Tötung eines "in der Geburt befindlichen Kindes" strafbar sei......"
Diese Begründung findet man in fast jedem Lehrbuch. Trotzdem ist diese Grenzziehung nichts als "blanker Unsinn", weil es den § 217 StGB eben nicht mehr gibt, und dementsprechend lässt sich aus ihm auch absolut "nichts" ableiten. Das "systematische Argument" mit der Überschneidung bzgl. der §§ 218 ff. StGB ist besser, aber letztendlich auch unhaltbar, weil es naturwissenschaftlich unvertretbar ist, zu behaupten, ein (beispielsweise) 8 Monate alter ungeborener "Mensch" sei gar kein "Mensch" (und demzufolge angeblich kein "taugliches Rechtsschutzobjekt" der Tötungsdelikte).
Das Problem ist nur wieder, dass es wohl allg. Meinung ist, dass das Menschsein im strafrechtlichen Sinne erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen bzw mit Öffnen des Uterus beginnt.

Dagegen als kleiner armer Student in einer kleinen Klausur anzukämpfen... ob das so sinnvoll ist :-w .


grtz
BuggerT
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Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Das Problem ist nur wieder, dass es wohl allg. Meinung ist, dass das Menschsein im strafrechtlichen Sinne erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen bzw mit Öffnen des Uterus beginnt.

Dagegen als kleiner armer Student in einer kleinen Klausur anzukämpfen... ob das so sinnvoll ist
Das hat niemand behauptet! Bloß unterscheiden wir uns fundamental: Ich denke bei Klausuren gar nicht und sonst ständig, und du nur während Klausuren und sonst nie! (Vielleicht habe ich etwas übertrieben, aber das "Klausurenargument" ist wirklich nicht besonders stark!)
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Beitrag von BuggerT »

stud. iur. hat geschrieben:
Das Problem ist nur wieder, dass es wohl allg. Meinung ist, dass das Menschsein im strafrechtlichen Sinne erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen bzw mit Öffnen des Uterus beginnt.

Dagegen als kleiner armer Student in einer kleinen Klausur anzukämpfen... ob das so sinnvoll ist
Das hat niemand behauptet! Bloß unterscheiden wir uns fundamental: Ich denke bei Klausuren gar nicht und sonst ständig, und du nur während Klausuren und sonst nie! (Vielleicht habe ich etwas übertrieben, aber das "Klausurenargument" ist wirklich nicht besonders stark!)
Um diese Uhrzeit denke ich grundsätzlich nicht mehr, sondern komme betrunken von der Donnerstag-Nacht-Party heim :wink2:.

Wenn aber die Frage lautet...
wollte euch mal fragen ob ich mich trauen kann, das in einer Klausur zu schreiben:
... ist dann das Klausurenargument wirklich so schwach [-( ???


Naja... :-s


grtz
BuggerT
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Beitrag von BlaBla »

Ich sach nur "Babybrei Fall" -> BGHSt -> JA 99, 288
Regel: Konstitutionell Arglose können in der Regel nicht heimtückisch gemeuchelt weden. Ausnahme (steht "so ähnlich" da drin): "wenn die natürlichen Abwehrinstinkte ausgeschaltet werden"
(hier ist das Gift durch den süßen Geschmack nicht schmeckbar)
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Beitrag von ready_or_not »

stud. iur. hat geschrieben:
Prüft der tatsächlich MORD an einem EMBRYO? Mag man ja moralisch so sehen können (ich nicht), aber der strafrechtliche Lebensschutz nach §§ 211,212 beginnt unstrittig erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen ....

"...weil es im Strafgesetzbuch irgendwann einmal einen Paragraphen mit der Bezeichnung "Kindestötung" (§ 217 StGB) gab, in welchem stand, dass die Tötung eines "in der Geburt befindlichen Kindes" strafbar sei......"
Diese Begründung findet man in fast jedem Lehrbuch. Trotzdem ist diese Grenzziehung nichts als "blanker Unsinn", weil es den § 217 StGB eben nicht mehr gibt, und dementsprechend lässt sich aus ihm auch absolut "nichts" ableiten. Das "systematische Argument" mit der Überschneidung bzgl. der §§ 218 ff. StGB ist besser, aber letztendlich auch unhaltbar, weil es naturwissenschaftlich unvertretbar ist, zu behaupten, ein (beispielsweise) 8 Monate alter ungeborener "Mensch" sei gar kein "Mensch" (und demzufolge angeblich kein "taugliches Rechtsschutzobjekt" der Tötungsdelikte).
So nicht richtig, die Grenzziehung ist mit Sicherheit juristisch nicht "blanker Unsinn". Vor der Aufhebung wurde aus § 217 einhellig der Beginn der Eröffnungswehen als Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens i.S.d. § 212 abgeleitet.
§ 217 wurde durch den Gesetzgeber nur aufgehoben um eine nach seiner Ansicht überflüssige Privilegierung abzuschaffen, er wollte damit nicht den Beginn des strafrechtlichen Lebensschutzes vorverlegen. Somit hat sich am Beginn des straftrechtlichen Lebensschutzes nichts geändert. weiterhin läßt sich diese Einschätzung des Rechtsgebers aus §§ 218 ff ableiten.
Juristisch unvertrebar ist daher nicht den Lebensschutz mit den Eröffnungswehen beginnen zu lassen, vielemehr ist es juristisch absolut unvertretbar, das ungeborene Kind dem Schutz des § 212 (und nach obigen Ausführungen ja auch stets § 211!) zu unterstellen.
Dies mag man moralisch anders beurteilen, auch naturwissenschaftlich kann man die Grenze sicher anders ziehen, juristisch ist das aber nach aktueller Gesetzeslage nicht möglich!
Wir können gerne darüber Diskutieren, ob Abtreibung als Mord behandelt werden soll und eine entsprechende Gesetzesänderung wünschenswert wäre, nach aktueller Gesetzeslage die Spätabtreibung aber als Mord anzusehen ist blanker Unsinn ....
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Zitate deines letzten Beitrags, die entscheidenden Worte habe ich groß geschrieben:
Vor der AUFHEBUNG wurde aus § 217 einhellig der Beginn....§ 217 wurde durch den Gesetzgeber nur AUFGEHOBEN um.... , auch naturwissenschaftlich kann man die Grenze sicher anders ziehen, juristisch ist das aber nach AKTUELLER Gesetzeslage nicht möglich!
Das ist ja fast wie bei "Lorio". Da schafft der Gesetzgeber einen Paragraphen komplett ab (mehr geht nun wirklich nicht), und "juristisch" tun wir einfach so als sei er noch vorhanden? Nach "aktueller" Gesetzeslage ist § 217 nicht existent! Oder soll ich jetzt etwa ein Dutzend anderer abgeschaffter Paragraphen aus dem Archiv ausgraben, die dann MEINE Auffassung unterstützen? *kopfschüttel*
ready_or_not
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Beitrag von ready_or_not »

Du hättest Recht, wenn § 217 gelautet hätte: Der strafrechtliche Lebensschutz beginnt mit den Eröffnungswehen.

Hat er aber nicht.

Es ging in § 217 StGB ausschließlich um die Privilegierung bei der Tötung unehelicher Kinder. Hieraus wurde einhellig geschlossen, dass der Schutzbereich des § 212 StGB erst mit den Eröffnungswehen beginnt.

§ 217 StGB wurde abgeschafft.

Grund war, dass die Privilegierung abgeschafft werden sollte.

Grund war NICHT, dass der Schutzbereich des § 212 StGB erweitert werden sollte.

Ergo: Der Gesetzgeber hat keine Regelung aufgehoben, die den Beginn des Schutzbereichs festgelegt hätte.
Der Gesetzgeber hat eine privilegierende Regelung aufgehoben um die Privilegierung abzuschaffen, nicht um eine mittelbar aus der Privilegierung abgeleitet Strafbarkeitsgrenze für einen anderen Tatbestand zu verändern.

Somit hat der Gesetzgeber in Bezug auf § 212 weder etwas an der vor der Aufhebung geltenden Rechtslage geändert, noch wollte er das. Folglich gibt es keinen vernünftigen Grund eine Änderung der Gesetzeslage anzunehmen.

Somit ist nach aktueller Gesetzeslage an dem Beginn der Strafbarkeit nach § 212 festzuhalten, auch wenn das ursprünglich aus einem inzwischen abgeschafften § gefolgert wurde. Um die bestehnde Gesetzeslage zu ändern bedürfte es daher einer Änderung des § 212, die Aufhebung des § 217 genügt nicht.

Selbstverständlich steht es Dir frei das anders zu sehen. Ich würde dies aber an Deiner Stelee NIE in ener Klausur schreiben, da du daneben mit Sicherheit die Bemerlung finden wirst "absolut unvertretbar". Warum wird das da stehen? Erstens weil es kein einziges juristisches Argument gibt, dass für Deine Rechtsansicht spricht. Naturwissenschaftliche Erwägungungen und moralische Überlegngen können zwar juristische Argumente stützten, nciht aber eine gesetzliche Regelung gegen den Willend es Gesetzgebers schaffen.
Der zweite Grund besteht darin, dass es weder Literatur deutscher Professoren noch Entscheidungen deutscher (Ober-)Gerichte gibt, die Deine Ansicht auch nur ernsthaft thematisieren. Dies wiederum liegt darin, dass diese Ansicht allgemein für so abwegig gehalten wird, dass sie nicht einmal diskussionswürdig ist.

Selbstverständlich steht es Dir auch frei davon auszugehen, dass sämtliche Professoren und Richter schlicht nicht Deine juristische Brilianz haben, allerdings wird dir das weder beim Studium noch später vor Gericht sonderlich viel weiterhelfen ;-)


Rein aus Interesse: Wo würdest Du den die Trennlinie ziehen? Befruchtung, Nidation, bestimmte Zeit nach der Nidation oder Empfängnis? Wie würdest du hier rechtsdogmatisch § 218 einbauen? Woraus folgerst Du Deine Grenze entgegen dem in den Gesetzesmaterialien zum ausdruck kommenden Wilen des Gesetzgebers?
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Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

§ 217 StGB wurde abgeschafft.

Grund war, dass die Privilegierung abgeschafft werden sollte.

Grund war NICHT, dass der Schutzbereich des § 212 StGB erweitert werden sollte.
Das mag alles richtig sein, aber es spielt keine Rolle, aus "welchem Grund" dieser Paragraph abgeschafft wurde. Er existiert nicht mehr und dementsprechend kann man diesen Paragraphen auch nicht mehr zur (systematischen) Auslegeung heranziehen.
Ich würde dies aber an Deiner Stelee NIE in ener Klausur schreiben, da du daneben mit Sicherheit die Bemerlung finden wirst "absolut unvertretbar".
Das hatte ich auch nicht vor gehabt.
Warum wird das da stehen? Erstens weil es kein einziges juristisches Argument gibt, dass für Deine Rechtsansicht spricht.
Nein, deswegen steht das nicht am Rand. Vermutlich wird der Korrektor das deshalb an den Rand schreiben, weil für ihn nur die "h.M." zählt. Argumente sind da im Grunde genommen wertlos.

Dies wiederum liegt darin, dass diese Ansicht allgemein für so abwegig gehalten wird, dass sie nicht einmal diskussionswürdig ist.

Unter Strafrechtlern vielleicht, das wesentliche Problem ist aber wohl, dass ein Hund "im strafrechtlichen Sinne" eine Katze ist.
Rein aus Interesse: Wo würdest Du den die Trennlinie ziehen? Befruchtung, Nidation, bestimmte Zeit nach der Nidation oder Empfängnis?
Ja, irgendwo dort liegt wohl die Trennlinie. Man muss zunächst einmal begreifen, um welches Problem es geht: Ein rein naturwissenschaftliches. Und dieses Problem betrifft nicht nur die Frage, wann das "Menschsein" beginnt, sondern prinzipiell, wann "das Leben" beginnt, beispielsweise bei Tieren oder Pflanzen. Dies ist hoch komplex und sicherlich nicht leicht zu beantworten, ich kritisiere nur, dass versucht wird, "mit sog. juristischen Argumenten aus einem Hund eine Katze zu machen".
Wie würdest du hier rechtsdogmatisch § 218 einbauen?
Da gibt es viele Möglichkeiten, man könnte § 218 StGB etwa als Privilegierung zu den Tötungsdelikten auffassen (wohl aber falsch) oder aber so - meine Auffassung - als ein eigenständiges Delikt neben §§ 211 f. StGB.
Woraus folgerst Du Deine Grenze entgegen dem in den Gesetzesmaterialien zum ausdruck kommenden Wilen des Gesetzgebers?


Käme jetzt genau darauf an, was in den Gesetzesmaterialien steht, grundsätzlich sind diese Erklärungen des Gesetzgebers m. E. unbeachtlich. Nur in ganz seltenen Fällen ist es zulässig auf derartiges bei der Gesetzesauslegung zurückzugreifen. Dies hat vielerlei Gründe. Ein gewichtiges Argument ist beispielsweise, dass es "den" Gesetzgeber gar nicht gibt, sondern eine Vielzahl an Organen, Institutionen, Personen usw. an der Gesetzesentstehung beteiligt sind, und Gesetze oft ein Ergebnis zahlreicher politischer Kompromisse darstellen. Sich dann zu fragen, was wollte den X, Y und Z mit dem Gesetz erreichen und wie war wohl dieser oder jener Satz gemeint, ist es richtiger zu fragen, was HABEN die Verantwortlichen denn letztendlich mit dem Gesetz geregelt, welche Gesetzeslage IST denn tatsächlich entstanden?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

"Der Gesetzgeber" ist immer noch der Bundestag, der Bundestag erhält seine Legitimation vom Volk, daher ist das Volk der Gesetzgeber - das soll Deiner Meinung nach unbeachtlich sein?!

Auch ist es absolut üblich Gesetze nach dem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers (u.a.) auszulegen.
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