Rechtfertigende Pflichtenkollision

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Gelöschter Nutzer

Rechtfertigende Pflichtenkollision

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ist es richtig, dass sie nur in Unterlassungsdelikten ein Rechtfertigungsgrund sein kann? Ich habe hier etwas schwammige Formulierungen, wobei mir u. a. Kühl am ehesten danach klang, als komme die rechtfertigende Pflichtenkollision nur bei Unterlassungsdelikten in Frage. Scheint mir auch logisch, weil es bei der Kollision um zwei Handlungspflichten gehen soll, was ja schon einen Konflikt aufgrund eines Unterlassens voraussetzt.

Meine Kollegen Kommilitonen sind der Auffassung, dass die Pflichtenkollision auch bei Begehungsdelikten in Frage kommt, darum wäre ich dankbar, könnte jemand Tacheles reden, damit wir den Meinungsstreit beiseite legen können. ;)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Eine Rechtfertigung nach §§ 32 oder 34 entsteht doch auch aus nichts anderem als einer Pflichtenkollision, wenn man so will. Insofern ist es eine rein terminologische Frage. Aber im herkömmlichen Sinn gibt es sowas nur bei Unterlassungsdelikten, wo Handlungspflichten miteinander kollidieren, und nicht, wie oben, Handlungs- und Unterlassungspflichten.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Savigny hat geschrieben:Eine Rechtfertigung nach §§ 32 oder 34 entsteht doch auch aus nichts anderem als einer Pflichtenkollision, wenn man so will.
Erklär das bitte mal genauer!
BöhserOnkel
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Beitrag von BöhserOnkel »

Manolaw hat geschrieben:
Savigny hat geschrieben:Eine Rechtfertigung nach §§ 32 oder 34 entsteht doch auch aus nichts anderem als einer Pflichtenkollision, wenn man so will.
Erklär das bitte mal genauer!
Die Pflicht, nicht in die Rechtsgüter des Angreifers einzugreifen kollidiert mit der Pflicht, oder besser gesagt dem Recht, die Rechtsgüter eines anderen oder die eigenen zu schützen und dem Unrecht nicht zu weichen.

Es ist also eine vergleichbare Ausgangslage wie bei der Pflichtenkollision im Rahmen der Unterlassungsdelikte: Man kann einer Handlungsalternative nur auf Kosten der anderen nachkommen, weshalb eine Rechtfertigung in Betracht kommt.
"Im nächsten Leben werd` ich Fahnenschneider in Teheran, das ist ein einträglicher Job." - Dieter Nuhr
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Das ist mE nicht vergleichbar: Das Handlungsrecht (Notwehr) "überspielt" in dem Fall eine Unterlassungspflicht bzw. stellt eine Ausnahme davon dar.

In dem Fall liegt gerade keine Kollision vor, denn die U-Pfl. tritt zurück.

Im Fall der echten Pfl-Kollision verlangt die Rechtsordnung aber grds., dass beide erfüllt werden! Keine verdrängt die andere. Nur aus der Unmöglichkeit der Erfüllung beider folgt eine Rechtfertigung.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Danke jedenfalls schon einmal für eure Antworten. :)
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Beitrag von dionysos »

BöhserOnkel hat geschrieben:Die Pflicht, nicht in die Rechtsgüter des Angreifers einzugreifen kollidiert mit der Pflicht, oder besser gesagt dem Recht, die Rechtsgüter eines anderen oder die eigenen zu schützen und dem Unrecht nicht zu weichen.
Hier stimme ich Manolaw zu. Der Vergleich hinkt allein schon deswegen, weil keine Pflicht zum Schutz der eigenen Rechtsgüter besteht.


@Jurastudentin: Kannst du einen Fall schildern, in dem eine rechtfertigende Pflichtenkollision durch Begehungsdelikt vorkommen soll (der Ansicht deiner werten Kommilitonen nach)?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Man glaubt, wenn jemand §§ 212 I, 22, 23 I, 12 I dadurch begeht, dass er eine bereits eingeleitete Rettungsmaßnahme für einen Lebensgefährdeten abbricht, die das Opfer bereits erreicht hat, um ein anderes lebensgefährdetes Opfer zu retten, dann greife die rechtfertigende Pflichtenkollision.

(Der Abbruch eine Rettungsmaßnahme, die das Opfer bereits erreicht hat, ist ein aktives Tun, nicht mehr Unterlassen.)
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Beitrag von dionysos »

Jurastudentin hat geschrieben:Man glaubt, wenn jemand §§ 212 I, 22, 23 I, 12 I dadurch begeht, dass er eine bereits eingeleitete Rettungsmaßnahme für einen Lebensgefährdeten abbricht, die das Opfer bereits erreicht hat, um ein anderes lebensgefährdetes Opfer zu retten, dann greife die rechtfertigende Pflichtenkollision.
Hört sich sinnvoll an. Wenn eine Garantenpflicht gegenüber beiden besteht, muss er beide retten. Wenn das nicht geht, liegt eine rechtfertigende Pflichtenkollision nahe... :-k
Jurastudentin hat geschrieben:(Der Abbruch eine Rettungsmaßnahme, die das Opfer bereits erreicht hat, ist ein aktives Tun, nicht mehr Unterlassen.)
Ist das so unumstritten? Im Kühl steht dazu der Beispielsfall, dass jemand einem Ertrinkenden einen Rettungsring zunächst zuwirft, dann aber wieder zurückzieht -> eindeutiges Tun. Wenn er den Rettungsring überhaupt nicht wirft -> eindeutiges Unterlassen. Wenn er aber eine Rettungshandlung, die ihn selbst Anstrengung kostet, abbricht, könnte man bestimmt diskutieren, ob nicht ein Unterlassen der Vollendung der Rettungshandlung vorliegt... mir fällt noch ein anderes Beispiel ein: Die gleiche Diskussion stellt sich auch bei dem Arzt, der durch einen Knopfdruck die lebenserhaltenden Geräte abschaltet: Tun wg. Knopfdruck? Oder Unterlassen wg. Abbruch der Behandlung? Soweit ich mich daran erinnere, war beides vertretbar. Ob das aber für die Anwendbarkeit der rechtfertigenden Pflichtenkollision eine Rolle spielt... k.A.
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Beitrag von dionysos »

Noch was: War bei der Unterscheidung von Tun und Unterlassen nicht der "Abbruch des rettenden Kausalverlaufs" (oder so ähnlich) relevant? Das wäre jetzt die abstrakte Formulierung zu dem, was ich oben geschrieben habe...
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Es ist vorliegend eindeutig ein Tun. Unumstritten ist der Abbruch einer Rettungsmaßnahme nicht, aber wenn der Mensch rettet und dann abbricht, ist es eindeutig ein Tun.

Man kann auf jeden Fall auch entschuldigen anstatt rechtfertigen, aber es ist eben die Frage, welcher Weg der richtigere ist. Wenn gerechtfertigt werden kann, kommt ja die Entschuldigung nicht mehr in Betracht.
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Beitrag von dionysos »

Jurastudentin hat geschrieben:Man kann auf jeden Fall auch entschuldigen anstatt rechtfertigen, aber es ist eben die Frage, welcher Weg der richtigere ist. Wenn gerechtfertigt werden kann, kommt ja die Entschuldigung nicht mehr in Betracht.
Dogmatisch gesehen kann nur eine Rechtfertigung in Frage kommen. Warum sollte man jemandem erst auf der Ebene der individuellen Vorwerfbarkeit freisprechen, wenn das "rechtmäßige" Verhalten (nämlich die Rettung beider) von niemandem erbracht werden konnte?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich glaube, jetzt wird es philosophisch. Ein Verhalten kann doch rechtswidrig, aber trotzdem entschuldbar sein. Würde man rein darauf abstellen, welche Möglichkeiten man hat, würde man nie zur Entschuldigung kommen. Man könnte sich ja z. B. auch erschießen lassen anstatt jemanden umzubringen, um sich zu retten.
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Beitrag von dionysos »

Jurastudentin hat geschrieben:Man könnte sich ja z. B. auch erschießen lassen anstatt jemanden umzubringen, um sich zu retten.
Man könnte, aber man muss nicht.

Im Falle einer Pflichtenkollision ist es aber: Man muss, aber man kann nicht.
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