Aktuelles aus dem Zivilrecht

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Pipocco
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Pipocco »

Ich finde es irgendwie ein wenig seltsam, dass das Mitverschulden an ein Verhalten angeknüpft wird, welches als solches kein gesetzliches Gebot missachtet.
lucidum_intervallum
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von lucidum_intervallum »

Warum? Nicht jedes fahrlässige Verhalten verstößt zwingend gegen ein gesetzliches Verbot. Im Rahmen des mitverschuldens kann es natürlich trotzdem Berücksichtigung finden.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Versicherungsnehmer »

Aber ist das Nichttragen eines Fahrradhelms ein fahrlässiges Verhalten? Andere OLG (Saarbrücken und Düsseldorf) haben in der Vergangenheit übrigens ein Mitverschulden verneint.
lucidum_intervallum
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von lucidum_intervallum »

Mir als passioniertem Fahrradfahrer bereitet das auch Unbehagen. Nichtsdestotrotz kann man wohl aufgrund der allseits bekannten Gefährlichkeit des Straßenverkehrs, gerade auch für Fahrradfahrer, von fahrlässigem Verhalten und somit von mitverschulden ausgehen.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Versicherungsnehmer »

Ich halte die Bejahung eines Mitverschuldens von 20 % durch die Nichtverwendung einer freiwilligen Sicherungsmaßnahme, die das schädigende Ereignis ohnehin nicht abwenden kann, für gewagt, zumal die Mehrheit der Radfahrer keinen Helm trägt.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von lucidum_intervallum »

Der fehlende Schutzhelm hat zwar in der Tat nicht zum Unfall als solchen geführt, wohl aber zur Entstehung des Schadens; darauf kommt es im Rahmen des 254 BGB an. Und ob das Verhalten üblich ist oder nicht, spielt für die Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabes nicht die entscheidende Rolle. Es kommt vielmehr darauf an, wie sich ein verständiger Verkehrsteilnehmer verhalten hätte.
Aber im Ergebnis geb ich dir Recht. Welche Sorgfalt angewendet werden muss ist in hohem Maße wertungsabhängig. Insofern kann man mit guten Gründen auch vertreten, dass das Nichttragen eines Sturzhelms kein Sorgfaltsverstoß ist.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Parabellum »

Empfehlung: In der aktuellen NJW ist ein Aufsatz mit sehr großem Nutzwert:

Kempe, Antochewicz: Haftungsfall oder Rettung möglich? – Die fehlerhafte Beklagtenbezeichnung in der Klageschrift

NJW 2013, 2797
"Ich sage nicht, dass man sich hier zu siezen hätte oder ähnlichen Quatsch. Bei einem Forum von Juristen für Juristen ist meine Erwartungshaltung aber trotzdem nochmal eine andere als bei der Kneipe um die Ecke." OJ1988
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Versicherungsnehmer »

Neues zum Fahrradhelm, diesmal vom OLG Celle (Urteil vom 14.02.2014; Az.: 14 U 113/13):

"Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen, sich verkehrswidrig verhaltenden Verkehrsteilnehmer und erleidet er infolge des Sturzes unfallbedingte Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich gleichwohl nur in Ausnahmefällen - nämlich wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition, beispielsweise aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht - ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen (in Abweichung von: OLG Schleswig, Urteil v. 5. Juni 2013 - 7 U 11/12)".
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immer locker bleiben
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von immer locker bleiben »

Versicherungsnehmer hat geschrieben:Neues zum Fahrradhelm, diesmal vom OLG Celle (Urteil vom 14.02.2014; Az.: 14 U 113/13):

"Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen, sich verkehrswidrig verhaltenden Verkehrsteilnehmer und erleidet er infolge des Sturzes unfallbedingte Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich gleichwohl nur in Ausnahmefällen - nämlich wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition, beispielsweise aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht - ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen (in Abweichung von: OLG Schleswig, Urteil v. 5. Juni 2013 - 7 U 11/12)".
=D>

Ich bin sowieso ein großer Fan des OLG Celle.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von batman »

Den Sorgfaltsmaßstab bei Alltagsgefahren mit sehr individuellen Kriterien ("sportlich ambitionierter Fahrer") zu definieren, erscheint fragwürdig.
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JS
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von JS »

batman hat geschrieben:Den Sorgfaltsmaßstab bei Alltagsgefahren mit sehr individuellen Kriterien ("sportlich ambitionierter Fahrer") zu definieren, erscheint fragwürdig.
Das ist ein Missverständnis. Gemeint ist "eine besonders rasante oder anderweitig risikobehaftete Fahrweise". Ob die Fahrt sportlich oder anderweitig motiviert ist spielt keine Rolle.

Interessanterweise war der Kläger im vorliegenden Fall sogar als "sportlich ambitionierter Fahrer" auf einer "Trainingsfahrt". Dabei war er allerdings nur "mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h auf einer abschüssigen Straße unterwegs". Das stellt kein besonders gefahrträchtiges Verhalten dar.

=D> für das OLG Celle.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von batman »

Sagen wir mal so: es ist zumindest missverständlich ausgedrückt vom OLG Celle. Das gilt auch für seine Formulierung "infolge seiner persönlichen Disposition".
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Niederegger »

Lehrbuchmäßige Erörterungen des BGH zu den besitzmäßigen Voraussetzungen des Abhandenkommens bei Mitbesitzern nach § 935 I BGB einschließlich Analogieprüfung: BGH, Urteil vom 13.12.2013 - V ZR 58/13 = NJW 2014, 1524 (diese Woche).
Nebenher: Wer sich bei bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten unbedingt einen BMW für knapp 47.000 € kaufen muss, hat eben in bedrängter Lage einen klaren Blick für das Wesentliche... ;)
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Parabellum »

Niederegger hat geschrieben:Nebenher: Wer sich bei bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten unbedingt einen BMW für knapp 47.000 € kaufen muss, hat eben in bedrängter Lage einen klaren Blick für das Wesentliche... ;)
Dann viel Spaß damit, für welche Farbe hast Du Dich entschieden?
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Niederegger »

Oh, mein eigenes schon etwas betagtes Gefährt hat immer noch nicht das Ende seines irdischen Weges erreicht... O:)
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