Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Juratutorium
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Re: Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Beitrag von Juratutorium »

Dogmatisch gesehen gibt es keinen Rücktritt vom unwirksamen Vertrag, denn dafür haben wir das Bereichungsrecht. Das wurde bereits erwähnt. Das Spannungsfeld besteht daher zwischen den unterschiedlichen Rechtsfolgen dieser Institute, insbesondere dem Wertersatz im Rückgewährschuldverhältnis und der bereicherungsrechtlichen Entreicherung.

Machen wir es etwas konkreter: Nehmen wir an, die eine Partei ist de facto entreichert und der Vertrag ist unwirksam. In diesem Fall zahlt die Partei grundsätzlich nichts (§ 818 Abs. 3 BGB). Wäre der Vertrag jedoch wirksam, müsste sie u.U. Wertersatz leisten (§ 346 Abs. 2 BGB). Ob ein Vertrag wirksam oder unwirksam ist, kann vom Zufall abhängen, was dem Gerechtigkeitsgefühl widerspricht.

Die Frage lautet daher: Soll man diese Unsicherheit akzeptieren, oder soll man eine Lösung entwickeln?

Hier hilft vermutlich nur Sonderwissen: Das Problem existierte bereits im alten Schuldrecht (https://dejure.org/gesetze/0BGB010102/346.html). Die Neuregelung des § 346 basiert auf der von der Rechtsprechung dazu entwickelten Lösung. Insoweit lautet die Empfehlung: Bereicherungsrecht anwenden, weil dem Gesetzgeber das Problem bei der Schuldrechtsreform bekannt war. Die Sonderkonstellation mit dem Verbraucherwiderruf ist natürlich ein netter Trick, den man im Idealfall kennen sollte.
Juratutorium
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Re: Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Beitrag von Juratutorium »

Noch eine Anmerkung dazu: Grundsätzlich finde ich das Abprüfen von Problemen rund um die Schuldrechtsreform unfair, obwohl es mich persönlich massiv bevorteilt. Das beste Beispiel ist die überraschende Häufigkeit von Klausuren, die sich mit dem Tierkauf - regelmäßig Pferdekauf - beschäftigen.

Dazu gab es im alten Schuldrecht Spezialregelungen (https://dejure.org/gesetze/0BGB010102/481.html), die mit der Schuldrechtsreform weggefallen sind. Nicht weggefallen sind jedoch die typischen Probleme und Wertungen beim Tierkauf, die nach dem neuen Schuldrecht anscheinend nicht völlig reibungslos übernommen wurden. Für mich gehört sowas nicht in eine Examensprüfung, weil die Kandidaten die historischen Argumente für die jeweiligen Interessenlagen regelmäßig nicht kennen und auch nicht kennen müssen.
Gelöschter Nutzer

Re: Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Hey:) erst mal danke für die Antwort.
Ich lese da raus, dass das, was der BGH macht eigentlich inkonsequent ist und ich mal hoffen kann, dass das nicht im Examen abgeprüft wird:D

Das mit dem Wertersatz bei § 346 (bzw. ebenso bei § 357 beim Widerruf) würde m.E. immer die bereicherungsrechtlichen Regeln (wie § 818 III) umgehen und der Gesetzgeber. Und bei der Gesetzesänderung von 2014 wusste der Gesetzgeber das ja alles...

Ich frage mich, wenn es in der Klausur kommt, was man zum Rücktritt schreibt. http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2010_2_299.pdf Hier in der Zjs ignorieren sie das Problem "Rücktritt vom unwirksamen Vertrag" vollkommen und machen ein breites Fass erst beim Widerruf auf.
Als Leser habe ich mich da gefragt: Warum bringt man das Problem nicht schon beim Rücktritt.

Da ich darauf immer noch keine für mich nachvollziehbare Antwort habe, würde ich an der Stelle vielleicht einfach der tvA folgen, die entgegen dem BGH auch den Widerruf vom unwirksamen Vertrag ablehnt, wobei es natürlich auch nie besonders gut ist, die neuen BGH-Urteile schlecht zu reden, falls man von nem Praktiker korrigiert wird :D
Honigkuchenpferd
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Re: Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Im Ausgangspunkt ist es selbstverständlich, dass man von einem nichtigen Vertrag nicht zurücktreten kann. In einer Klausur würde man dies deshalb bei einem Rücktritt allenfalls kurz feststellen.

Der BGH und Teile der Lit. sehen das nur für den Fall des verbraucherschützenden Widerrufs anders, weil sonst die Gefahr bestünde, den Verbraucher schlechter zu stellen als er bei einem wirksamen Vertrag stünde. Eben deshalb habe ich hier ganz am Anfang geschrieben, dass es insoweit um einen Sonderfall geht, der nicht auf den Rücktritt verallgemeinert werden kann.
"Honey, I forgot to duck."
Gelöschter Nutzer

Re: Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Oh sorry, ich glaub ich checks jetzt erst.
Grundsatz ist immer: Rücktritt (-), sonst Umgehung von BereicherungsR

Ich dachte erst, wenn man für den Verbraucher eine Ausnahme machen möchte, warum dann nicht auch gleich für den Rücktritt. Aber wenn wir einen Verbraucher im Fall haben, dann ist der Widerruf ja eh spezieller und genau das Instrument, was für Verbraucher entwickelt wurde und mehr Schutz braucht er ja auch nicht, wenn er schon den Widerruf bekommt.
Für nen Rücktritt muss man ja nicht Verbraucher sein, sodass wir da bei der normalen Wertung bleiben können.

Merci!
sai
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Re: Rücktritt vom unwirksamen Vertrag?!

Beitrag von sai »

Der BGH richtet sich in seiner Rechtsprechung - zum Glück - nicht danach, was Studenten in Zweitsemesterklausuren zumutbar ist.
Unabhängig davon, ob die Ergebnisse dogamtisch immer der Weisheits letzter Schluss sind, wie hier ja das Beispiel des Widerrufs eines unwirksamen Vertrages zeigt, hat ein Oberstes Bundesgericht nunmal auch die Aufgabe, (zurückhaltend) Rechtspolitik zu betreiben, Gesetzeslücken auszufüllen und wertungsmäßig faire Urteile zu sprechen.
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