§ 645 BGB

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Justitian
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§ 645 BGB

Beitrag von Justitian »

Im Palandt ist zu § 275 BGB Rn. 19 der Satz kommentiert, § 645 BGB enthalte den allgemeinen Rechtsgedanken, dass Leistungsstörungen, die auf dem Wegfall des Leistungssubstrats oder fehlender Mitwirkung des Gläubigers beruhen, zu dessen Sphäre gehören und daher zur Zahlung einer Teilvergütung verpflichten.
Geht diese Formulierung nicht etwas zu weit? Die hM. geht doch gerade nicht von einer allgemeinen Sphärentheorie aus sondern fordert die Schaffung eines besonderen Risikos durch den Gläubiger, wenngleich auch unverschuldet.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Juratutorium »

Zu solch abstrakten Fragen sollte man einen konkreten Fall bilden, bei dem das Problem entscheidungsrelevant ist.

Im Übrigen fehlt bei deiner Darstellung die Einleitung. Es geht nämlich in der Sache um eine analoge Anwendung des § 645 BGB auf Konstellationen, die von § 326 Abs. 2 BGB nicht erfasst werden.
Zuletzt geändert von Juratutorium am Samstag 15. Oktober 2016, 14:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Tibor
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§ 645 BGB

Beitrag von Tibor »

Gute Juristen diskutieren Rechtsprobleme ganz abstrakt und benötigen dazu keinerlei Fälle.
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Juratutorium »

Der Gesetzgeber diskutiert über abstrakte Probleme. Juristen - d.h. Rechtsanwender - diskutieren über konkrete Probleme, andernfalls verschwenden sie ihre Zeit. Selbst wenn deine Ansicht zuträfe, diskutiert man nicht abstrakt auf Basis des letzten Satzes einer Kommentierung, die über 16 Zeilen geht.
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Justitian
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Justitian »

Juratutorium hat geschrieben:Der Gesetzgeber diskutiert über abstrakte Probleme. Juristen - d.h. Rechtsanwender - diskutieren über konkrete Probleme, andernfalls verschwenden sie ihre Zeit. Selbst wenn deine Ansicht zuträfe, diskutiert man nicht abstrakt auf Basis des letzten Satzes einer Kommentierung, die über 16 Zeilen geht.
Das Institut der Subsumtion, das die Bildung abstrakter Obersätze enthält, ist bekannt?

Die übrigen 16 Zeilen behandeln § 275 BGB und nicht § 645 BGB, zudem dürften hier ja die meisten Zugang zu einem Palandt haben. Die Frage hielt ich für hinreichend konkret, eine 10-zeilige Einleitung für mit der Materie Vertraute für nicht erforderlich. Aber danke für Deinen Beitrag.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Juratutorium »

Du arbeitest in der Praxis aber nicht so und mit Subsumtion hat das auch nichts zu tun. Kein Jurist macht sich Gedanken um abstrakte Normen, weil dafür die Zeit nicht reicht. Du kannst nicht jeden theoretisch denkbaren Fall der Welt lösen. Das heißt, du kannst es versuchen, aber es ist ineffektiv. Der Gesetzgeber ist der Programmierer und der macht sich diese Gedanken. Das kannst das sogar in den Motiven nachlesen, oder heutzutage in der Gesetzesbegründung.

Das Thema eignet sich sehr gut, um mal über die richtige Lernmethode nachzudenken. Viele Studenten lernen von der Norm zum Fall. Das heißt, sie schauen sich eine abstrakte Norm an und lernen dazu ein paar Beispielsfälle. Das ist die falsche Richtung! Richtig ist, vom Fall zur Norm zu lernen. Wenn du später mal als Anwalt Mandanten empfängst, dann kommt keiner mit dem Spruch "Herr Anwalt, mir ist heute ein 275 BGB passiert". Die kommen immer mit einem Fall und du musst die Norm finden.

Aber Vorsicht: Beim Lernen nach Fällen gibt es einen beliebten Fehler: Die Leute lernen vom Fall zur Lösung. Das läuft dann nach dem Motto: Das ist Mülleimer-Fall, den kenn ich. Das ist gefährlich, denn wenn das JPA ein winziges entscheidungserhebliches Detail ändert, dann ändert sich auch das Ergebnis und diese Leute fallen dann komplett auf die Nase, obwohl sie viel gelernt haben und viele Fälle kennen. Vom Fall zur Norm wird gelernt und dann wird subsummiert!

Was dein Spezialproblem angeht, gibt es eine weitere wichtige Hilfsüberlegung: Das Problem wird im Palandt allein auf Basis der Literatur (Picker JZ 85, 694) beschrieben und gelöst. Die Urteilszitate sind alle zum Werkvertrag. Anscheinend existiert dazu keine Rechtsprechung. In der Praxis scheint das Problem nicht vorzukommen, deshalb fragte ich auch nach einem Beispiel. Nun der Clou: Da heutzutage im Examen jede Klausur auf einem Originialurteil basiert, wird das Problem vermutlich nicht drankommen. Du kannst das gesamte Thema daher mit gutem Gewissen komplett ignorieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass kurz vor deinem Examenstermin dazu ein brandneues Urteil ergeht, dürfte gegen Null gehen. Wenn es dich dennoch erwischen sollte, dann hast du wirklich Pech gehabt.
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Tibor
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Tibor »

Juratutorium hat geschrieben:Du arbeitest in der Praxis aber nicht so und mit Subsumtion hat das auch nichts zu tun. Kein Jurist macht sich Gedanken um abstrakte Normen, weil dafür die Zeit nicht reicht. ...
Du verkennst, dass sich dieses Forum vorrangig an interessierte Studenten richtet, die sich zu theoretischen Problemen austauschen wollen. Es geht hier nicht um Praxis und bestimmt nicht um Bearbeitung konkreter Fälle von Ratsuchenden!
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Juratutorium »

Das mag zwar sein, aber nach deiner Auslegung bzw. Interpretation der Beiträge fallen ca. 95% in den Bereich der Rechtsberatung. Vielleicht werden hier auch nur abstrakte Fragen zugelassen und das ist sozusagen der cutoff. Die konkreten Fragen erwischt es - jedenfalls aus meiner Sicht - immer. Mit anderen Worten, hätte Justitian gleich zu Anfang einen konkreten Fall gebildet, wäre der Thread vermutlich bereits geschlossen.
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Vorkriegsjugend »

Da er ein bekannter User ist mit Sicherheit nicht, es sei denn es wäre ersichtlich ein Rechtsproblem in eigener Sache aus dem privaten Umfeld. Du scheinst das Forum hier noch nicht wirklich verstanden zu haben.
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Juratutorium »

Achso, bekannt und bewährt sozusagen.
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Justitian
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Justitian »

Gut dass wir die Frage jetzt auf der Metaebene analysiert haben, den Rest kann ich ja dann einfach im Staudinger nachschlagen.
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Juratutorium »

Gute Idee! Lerne das Problem am besten auswendig. Da man nicht auf Lücke lernen sollte, mach den Rest vom Staudinger gleich mit.
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batman
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Re: § 645 BGB

Beitrag von batman »

Zurück zur Sache. Informativ für den TE ist vielleicht folgende andere Kommentierung:
MüKo-BGB/Busche, § 645 Rn. 2 hat geschrieben:Die Tatsache, dass § 645 auf Billigkeitserwägungen beruht (vgl. Mot. II S. 500 f. zu § 577 E; ferner BGHZ 136, 303, 308; BGHZ 78, 352, 354 f.), hat sich im Laufe der Zeit als „Einfallstor“ für Überlegungen erwiesen, die Vorschrift über die beiden in Abs. 1 S. 1 genannten Sachverhalte hinaus auf andere Fälle auszudehnen, in denen es angemessen erscheint, den Besteller auf Grund von Umständen, die seiner Sphäre zuzuordnen sind, mit dem Vergütungsrisiko zu belasten (vgl. Weyers, Gutachten zur Schuldrechtsreform, Bd. II, S. 1117, 1157 f., 1191; Teichmann in Verhandlungen des 55. DJT, 1984, Bd. I, S. A 3, 90; aA Keilholz, Gutachten zur Schuldrechtsreform, Bd. III, S. 241, 273). Eine vorsichtige Übertragung des in Abs. 1 S. 1 angelegten Rechtsgedankens auf vergleichbare Fälle erscheint in der Tat angemessen, obwohl der Gesetzgeber gerade dies offenbar nicht gewollt hat, indem er eine Verallgemeinerung der im Gesetzestext genannten Fälle als sachlich unangemessen ablehnte (Prot. II S. 2253 zu § 577 E). Daran ist richtig, dass es über die (entsprechende) Anwendung von § 645 nicht zu einer Aushebelung der Grundaussage des § 644 Abs. 1 S. 1 kommen darf, der dem Unternehmer für den Regelfall das Vergütungsrisiko bis zur Abnahme zuweist. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich die Schuldrechtskommission im Ergebnis für eine Beibehaltung von § 645 in seiner jetzigen Gestalt ausgesprochen hat. Auch der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat die Problematik nicht aufgegriffen. Damit ist freilich eine behutsame Übertragung des aus § 645 sprechenden „Sphärengedankens“ auf nicht benannte Fälle nicht ausgeschlossen, soweit diese hinsichtlich der objektiven Verantwortlichkeit des Bestellers für den Eintritt des Schadens den geregelten Fällen vergleichbar sind (vgl. auch BGHZ 136, 303, 308; BGH NJW 1998, 456, 457; OLG München NJW-RR 1992, 348, 349).
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Justitian
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Re: § 645 BGB

Beitrag von Justitian »

Hm also wirkliche Kriterien für die analoge Anwendung scheint es demnach ja nicht zu geben, der Begriff einer vorsichtigen Einzelfallanalogie ist doch eher unbefriedigend.
Das Kriterium der besonderen Gefahrschaffung für das Werk durch Maßnahmen oder Verhalten des Bestellers im Scheunenfall (BGHZ 40, 75) hätte für Rechtssicherheit gesorgt, dann wäre aber § 645 BGB in den Abschleppfällen, in denen das Auto vor dem Eintreffen des Unternehmers wieder fahrtüchtig ist, nicht anzuwenden.
Die Aussage im Palandt, § 645 BGB generell auf Leistungsstörungen anzuwenden, die auf dem Wegfall des Leistungssubstrats beruhen, erscheint mir gleichwohl noch zu pauschal: wenn mein Haus abbrennt erfordert doch die Billigkeit keine Teilvergütung für den bereits beauftragten Maler. Dasselbe gilt wenn der Patient vor der Operation verstirbt.
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