Vertragsart?

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Justitian
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Justitian »

Ich habe im Examen trotzdem nicht "vgl. § 433 II BGB" geschrieben, es ist leider einfach nicht Mainstream.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Es ist vor allen Dingen auch Quatsch.
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Justitian
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Justitian »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Es ist vor allen Dingen auch Quatsch.
Warum denn? Das Gesetz ist grundsätzlich subsidiär und die Primärleistungspflichten werden von den Parteien selbst geregelt.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Vor allem deshalb, weil es dazu eine ausdrückliche Regelung im Gesetz gibt, die vom Gesetzgeber auch eindeutig als Anspruchsgrundlage gedacht war, und weil diese sonderbare Argumentationsfigur grundsätzlich auch sonst bei allen Rechtsfolgenanordnungen greifen müsste, die maßgeblich auf dem Willen des oder der Beteiligten beruhen.

Darüber hinaus ist es in aller Regel nichts weiteres als eine Fiktion, dass die Parteien insoweit etwas selbst regelten; sie wollen schlicht einen Kaufvertrag schließen und damit, dass die gesetzliche Anordnung in § 433 II BGB greift.
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Justitian
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Justitian »

Die Parteien wollen sicher nicht, dass § 433 II BGB greift - sie kennen die Norm nicht einmal. Sie wollen, dass A dem B 2€ schuldet und B dem A eine Wurstsemmel. Etwas anderes gilt sicherlich, wenn die Sache mangelhaft ist. Über die dann folgenden Ansprüche haben sich die Parteien regelmäßig noch keine Gedanken gemacht.
Das gesamte Schuldrecht beruht auf dem Gedanken der Privatautonomie. Der Gesetzgeber nimmt seine Regelungskompetenz bis auf das zwingende Recht bewusst zurück, wenn bereits eine vertragliche Übereinkunft besteht. Die Überschrift von § 433 BGB spricht auch nur von "vertragstypischen Pflichten". Man könnte genauso gut sagen, hier wird nur ein klassischer Kaufvertrag umschrieben, damit man weiß, wann man in die §§ 433 ff. BGB schauen muss.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
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Mr_Black
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Mr_Black »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Vor allem deshalb, weil es dazu eine ausdrückliche Regelung im Gesetz gibt, die vom Gesetzgeber auch eindeutig als Anspruchsgrundlage gedacht war, und weil diese sonderbare Argumentationsfigur grundsätzlich auch sonst bei allen Rechtsfolgenanordnungen greifen müsste, die maßgeblich auf dem Willen des oder der Beteiligten beruhen.

Darüber hinaus ist es in aller Regel nichts weiteres als eine Fiktion, dass die Parteien insoweit etwas selbst regelten; sie wollen schlicht einen Kaufvertrag schließen und damit, dass die gesetzliche Anordnung in § 433 II BGB greift.
Nach dieser Argumentation gäbe es aber keine Unterscheidung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen, sondern es gäbe nur einerseits "gesetzliche Schuldverhältnisse deren Rechtsfolge durch Parteiwille ausgelöst wird" und andererseits "gesetzliche Schuldverhältnisse deren Rechtsfolge unabhängig vom Parteiwillen ausgelöst wird".
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Mr_Black hat geschrieben:Nach dieser Argumentation gäbe es aber keine Unterscheidung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen, sondern es gäbe nur einerseits "gesetzliche Schuldverhältnisse deren Rechtsfolge durch Parteiwille ausgelöst wird" und andererseits "gesetzliche Schuldverhältnisse deren Rechtsfolge unabhängig vom Parteiwillen ausgelöst wird".
Das ist doch Unsinn. Wenn die Parteien bestimmte Details bei einem Vertrag nicht selbst regeln, würdest du ja auch nicht behaupten, dass es sich nun um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt, weil die gesetzlichen Regelungen eingreifen. Ebenso wenig würdest du wohl sagen, dass § 475 BGB dazu führt, dass Kaufverträge insoweit gesetzliche Schuldverhältnisse sind. Die Einordnung hängt davon ab, wie das Schuldverhältnis begründet wird.

Tatsächlich ist es aber so, dass nach der gegenteiligen Argumentation z.B. § 433 II BGB vollkommen obsolet würde, ein denkbar fernliegendes Auslegungsergebnis.
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Mr_Black »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: Tatsächlich ist es aber so, dass nach der gegenteiligen Argumentation z.B. § 433 II BGB vollkommen obsolet würde, ein denkbar fernliegendes Auslegungsergebnis.
Hieße umgekehrt, wenn der Gesetzgeber § 433 BGB ersatzlos streichen würde, könnte ein Verkäufer mangels Anspruchsgrundlage keinen Kaufpreis mehr verlangen?
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Justitian
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Justitian »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: Tatsächlich ist es aber so, dass nach der gegenteiligen Argumentation z.B. § 433 II BGB vollkommen obsolet würde, ein denkbar fernliegendes Auslegungsergebnis.
Es ist halt eine erläuternde Einstiegsnorm. Wenn eine Partei nicht verpflichtet ist, einen Kaufpreis zu bezahlen, die andere aber schon Eigentum und Besitz an einer Sache verschaffen muss, findet eben kein Kaufrecht Anwendung.
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Justitian hat geschrieben:Die Parteien wollen sicher nicht, dass § 433 II BGB greift - sie kennen die Norm nicht einmal. Sie wollen, dass A dem B 2€ schuldet und B dem A eine Wurstsemmel. Etwas anderes gilt sicherlich, wenn die Sache mangelhaft ist. Über die dann folgenden Ansprüche haben sich die Parteien regelmäßig noch keine Gedanken gemacht.
Den meisten Menschen dürfte durchaus bewusst sein, dass es eine solche Regelung im Kaufrecht gibt, ob sie nun die konkrete Norm nennen können oder nicht - ebenso wie eine solche zum Gewährleistungsrecht. Diesbezüglich würdest vermutlich nicht einmal du ein sachgedankliches Regime der §§ 437 ff. BGB unterstellen. Warum dann also diese sonderbare Argumentation zu § 433 II BGB?
Das gesamte Schuldrecht beruht auf dem Gedanken der Privatautonomie. Der Gesetzgeber nimmt seine Regelungskompetenz bis auf das zwingende Recht bewusst zurück, wenn bereits eine vertragliche Übereinkunft besteht. Die Überschrift von § 433 BGB spricht auch nur von "vertragstypischen Pflichten". Man könnte genauso gut sagen, hier wird nur ein klassischer Kaufvertrag umschrieben, damit man weiß, wann man in die §§ 433 ff. BGB schauen muss.
Nein, der Gesetzgeber hat ganz bewusst die typischerweise vorkommenden Verträge im BGB - einschließlich Anspruchsgrundlagen - geregelt.
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Mr_Black hat geschrieben:Hieße umgekehrt, wenn der Gesetzgeber § 433 BGB ersatzlos streichen würde, könnte ein Verkäufer mangels Anspruchsgrundlage keinen Kaufpreis mehr verlangen?
Wieso sollte das der Fall sein? Wenn ich aber eine diesbezügliche Regelung habe, ist es doch grober Quatsch, sie zu ignorieren und ihr jeden Anwendungsbereich zu nehmen.

Der Gesetzgeber könnte - europarechtliche Bindungen mal außen vor gelassen - sämtliche Normen zum Kaufrecht streichen. Dann würde eben das gelten, was die Parteien im Einzelnen vereinbart haben - und in ganz weitem Umfang das, was Rechtsprechung und Praxis daneben entwickeln.
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Justitian
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Justitian »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: Den meisten Menschen dürfte durchaus bewusst sein, dass es eine solche Regelung im Kaufrecht gibt, ob sie nun die konkrete Norm nennen können oder nicht - ebenso wie eine solche zum Gewährleistungsrecht. Diesbezüglich würdest vermutlich nicht einmal du ein sachgedankliches Regime der §§ 437 ff. BGB unterstellen. Warum dann also diese sonderbare Argumentation zu § 433 II BGB?
Das Gesetz ist gegenüber dem Vertrag subsidiär. Wenn die Parteien (außerhalb des § 475 BGB) detailliert in ihren Vertrag aufnehmen, was passiert, wenn die Sache mangelhaft ist, dann ist auch bei Sekundäransprüchen der Vertrag die richtige Anspruchsgrundlage und nicht etwa die §§ 437, 280, 346 BGB. Wenn der Vertrag ein vom BGB gänzlich abweichendes Gewährleistungsregime enthält leuchtet das denke ich unmittelbar ein.
Da das regelmäßig nicht der Fall sein wird, ist dann eben § 433 II BGB keine Anspruchsgrundlage und § 346 I BGB schon.
Zuletzt geändert von Justitian am Dienstag 21. Februar 2017, 11:47, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Justitian hat geschrieben:Es ist halt eine erläuternde Einstiegsnorm. Wenn eine Partei nicht verpflichtet ist, einen Kaufpreis zu bezahlen, die andere aber schon Eigentum und Besitz an einer Sache verschaffen muss, findet eben kein Kaufrecht Anwendung.
Das soll sich dann aber aus § 433 II BGB ergeben?

Es führt jedenfalls kein Weg daran vorbei, dass der Gesetzgeber diese und vergleichbare Normen als Anspruchsgrundlage verstanden wissen wollte.
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Justitian hat geschrieben:Das Gesetz ist gegenüber dem Vertrag subsidiär. Wenn die Parteien (außerhalb des § 475 BGB) detailliert in ihren Vertrag aufnehmen, was passiert, wenn die Sache mangelhaft ist, dann ist auch bei Sekundäransprüchen der Vertrag die richtige Anspruchsgrundlage und nicht etwa die §§ 437, 280, 346 BGB. Wenn der Vertrag ein vom BGB gänzlich abweichendes Gewährleistungsregime enthält leuchtet das denke ich unmittelbar ein.
Bei der bloßen Zahlungspflicht gilt das aber nicht. Und wenn ich in den Vertrag hineinschreibe, dass die gesetzlichen Regelungen Anwendung finden sollen, dann gilt auch §§ 437 ff. BGB. Die Zahlungspflicht wird von den Parteien doch vielmehr dem Grunde nach vorausgesetzt.
Da das regelmäßig nicht der Fall sein wird, ist eben § 433 II BGB keine Anspruchsgrundlage und § 346 I BGB schon.
Wenn das so wäre, müsste bei einem vertraglichen Rücktrittsrecht auch der Vertrag die Anspruchsgrundlage sein und nicht § 346 I BGB. Das passt aber ebenso wenig.
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Tibor
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Re: Vertragsart?

Beitrag von Tibor »

Ja, wollte der Gesetzgeber, doch aber nur für den Fall, dass die Parteien selbst keine Regelung treffen. Vielleicht ist das Bspw. mit dem Kaufpreis auch nicht gut gelungen, weil es sich hierbei um eine wesentliche Vertragseigenschaft handelt und ohne Kaufpreis, kein Kaufvertrag. Nimm doch jede andere Regelung des Schuldrechts, ob nun Zahlungs- oder Besitzverschaffungsmodalitäten. Der Rückgriff auf die Normen des BGB ist nicht erforderlich, wenn der Vertrag was regelt. Der Grund, warum es im Studium dennoch oft heißt "Anspruch auf § 433" ist, dass es im Klausursachverhalt nur rudimentäre Angaben zu den Vertragsinhalten gibt. Oftmals steht ja nur, dass sich "A und B darüber geeinigt haben, dass A das Auto von B bekomme und B dafür dem C 20.000 € gebe, weil A dem C noch was schuldig sei". Dann ist es nicht zwingend falsch, für den Kaufpreisanspruch auf § 433 Abs. 2 zu gehen, ich habe aber auch immer "iVm mit den individuellen Vereinbarungen" wenigstens einmal geschrieben; freilich nur im 1. Examen.
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