Überbuchungsfälle

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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markus87
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Überbuchungsfälle

Beitrag von markus87 »

Ich habe den aktuell durch die Medien gehenden Fall nur am Rande mitbekommen. Es ging wohl um einen Flugzeugpassagier, der nachdem er eingecheckt hatte aus dem Flugzeug entfernt wurde, weil eine Überbuchung vorlag. In den mir vorliegenden Quellen wurde die Einschätzung vertreten, diese Vorgehensweise sei rechtmäßig und wäre dies auch bei einem Inlandsfall in Deutschland. Ich bin mir da nicht so sicher. Hinsichtlich der Primärleistungspflicht geht es um die Frage des Erlöschens durch Unmöglichkeit. Unproblematisch ist dies, wenn nachdem bei 100 Sitzplätzen 100 Passagiere eingecheckt haben ein weiterer Kunde kommt. Diesem gegenüber liegt Unmöglichkeit vor (Die Möglichkeit von Ersatzflügen etc. möchte ich bewusst ausklammern). Nehmen wir als Beispiel einen Kaufvertrag über ein Auto. Wenn ich privat meinen Gebrauchtwagen verkaufe, kann ich mich dem Käufer gegenüber dann auf Unmöglichkeit berufen, weil ich beabsichtige das Auto stattdessen an jemand anderes zu verkaufen? Würde die Primärleistungspflicht nicht vielmehr erst dann erlöschen, wenn ich vollendete Tatsachen geschaffen habe? Hat bis dahin der Käufer nicht noch den (einklagbaren) Anspruch auf Erfüllung? Im jetzigen Fall schien es ja auch lediglich so zu sein, dass die Fluggesellschaft noch eine Crew mitbefördern wolllte; die Beförderung des gewaltsam entfernten Passagiers also noch absolut möglich war (anders wäre es nur bis zum CheckIn dieses Passagiers gewesen). Nach US-amerikanischem Recht mag es jederzeit möglich sein, sich einseitig von einem Vertrag zu lösen; aber es geht mir nur um die Übertragung auf Fälle für die deutsches Recht anwendbar ist. (Nach meinem letzten Kenntnisstand ist es so, dass die maßgeblichen EU-Verordnungen nur Mindeststandards regeln, aber keinesfalls Ansprüche verdrängen oder ausschließen, die nach nationalem Recht bestehen).
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immer locker bleiben
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von immer locker bleiben »

Meinst Du das hier: http://www.heute.de/skandal-bei-united- ... 79218.html

Das wäre nach europäischem (und deutschem) Recht wohl rechtswidrig. In den USA hat es jedenfalls Potential für recht hohe Punitive Damages ...
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markus87
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von markus87 »

Genau das meinte ich.

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Honigkuchenpferd
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von Honigkuchenpferd »

immer locker bleiben hat geschrieben:Meinst Du das hier: http://www.heute.de/skandal-bei-united- ... 79218.html

Das wäre nach europäischem (und deutschem) Recht wohl rechtswidrig. In den USA hat es jedenfalls Potential für recht hohe Punitive Damages ...
Aber doch nur wegen der exzessiven Gewaltanwendung. Vgl. für Deutschland und Europa Art. 4 II VO Nr. 261/2004 (EG). Es dürfte auch keine Rolle spielen, ob derjenige bereits eingecheckt hat oder nicht.
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von immer locker bleiben »

Hm. Bzgl. der Gewaltanwendung bin ich mir nicht sicher. Das letzte Wort in jeder Hinischt hat der Pilot. Wenn der einen Passagier auffordert, das Flugzeug zu verlassen, dann muss er diesem Folge leisten, Ticket hin oder her. Im konkreten Fall hat wohl die Polizei diese Aufforderung des Piloten durchgesetzt. Ob der Passagier insoweit wegen der Eskalation noch im Recht ist, halte ich für zweifelhaft, jedenfalls dürfte er Mitverschulden tragen (zumindest nach deutschem Rechtsverständnis).

Aber eigentlich kann eine Fluggesellschaft einem Passagier, der eine Bordkarte hat, die Beförderung nicht einfach wegen Überbuchung oder anderweitiger Benötigung seines Sitzplatzes verweigern. Hinsichtlich des Anlasses, der in der Eskalation mündete, ist die Fluggesellschaft in jedem Fall im Unrecht.
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Honigkuchenpferd
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ich war da natürlich auch nicht dabei, möchte aber bezweifeln, dass es erforderlich war, den 69-Jährigen derart zu verletzen. Die Frage ist aber, ob das überhaupt noch in der Verantwortung der Airline liegt. Immerhin war es die Flughafenpolizei, die ihn so zugerichtet hat.
Aber eigentlich kann eine Fluggesellschaft einem Passagier, der eine Bordkarte hat, die Beförderung nicht einfach wegen Überbuchung oder anderweitiger Benötigung seines Sitzplatzes verweigern. Hinsichtlich des Anlasses, der in der Eskalation mündete, ist die Fluggesellschaft in jedem Fall im Unrecht.
Bist du dir sicher? M.E. muss sie ihm dann zwar die Leistungen nach Art. 7, 8 und 9 der genannten Verordnung gewähren und macht sich eventuell auch nach nationalem Recht schadensersatzpflichtig. Dennoch gewährt Art. 4 II den Fluggesellschaften auch dann im Hinblick auf die schlichte Beförderungsleistung eine entsprechende "Einwendung", wenn der Passagier bereits eine Bordkarte erhalten hat.
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von immer locker bleiben »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich war da natürlich auch nicht dabei, möchte aber bezweifeln, dass es erforderlich war, den 69-Jährigen derart zu verletzen. Die Frage ist aber, ob das überhaupt noch in der Verantwortung der Airline liegt. Immerhin war es die Flughafenpolizei, die ihn so zugerichtet hat.
Aber eigentlich kann eine Fluggesellschaft einem Passagier, der eine Bordkarte hat, die Beförderung nicht einfach wegen Überbuchung oder anderweitiger Benötigung seines Sitzplatzes verweigern. Hinsichtlich des Anlasses, der in der Eskalation mündete, ist die Fluggesellschaft in jedem Fall im Unrecht.
Bist du dir sicher? M.E. muss sie ihm dann zwar die Leistungen nach Art. 7, 8 und 9 der genannten Verordnung gewähren und macht sich eventuell auch nach nationalem Recht schadensersatzpflichtig. Dennoch gewährt Art. 4 II den Fluggesellschaften auch dann im Hinblick auf die schlichte Beförderungsleistung eine entsprechende "Einwendung", wenn der Passagier bereits eine Bordkarte erhalten hat.
Naja ... indem Moment, wo er sitzt, haben Sie doch mit der Erbringung der Beförderungsleistung im Grunde schon begonnen. Außerdem ändern die Art. 7. 8 und 9 der VO ja nichts daran, dass eigentlich die Beförderung geschuldet ist. Der Beförderungsanspruch erlischt ja nicht dadurch, dass die Fluggesellschaft ihn schlicht nicht befördert. Die Regelungen betreffen doch alle nur Sekundärpflichten.
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Honigkuchenpferd
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von Honigkuchenpferd »

immer locker bleiben hat geschrieben:Naja ... indem Moment, wo er sitzt, haben Sie doch mit der Erbringung der Beförderungsleistung im Grunde schon begonnen. Außerdem ändern die Art. 7. 8 und 9 der VO ja nichts daran, dass eigentlich die Beförderung geschuldet ist. Der Beförderungsanspruch erlischt ja nicht dadurch, dass die Fluggesellschaft ihn schlicht nicht befördert. Die Regelungen betreffen doch alle nur Sekundärpflichten.
Nicht wirklich. Ich halte es sogar für möglich, auf dieser Grundlage bei Zwischenstopps eine weitere Beförderung zu verweigern. Es kann ja auch tatsächlich zu Situationen kommen, bei denen die Airline guten Grund hat, jemanden noch nach dem Check-in abzuweisen, auch wenn das Flugzeug nicht absichtlich überbucht worden ist, etwa wenn man plötzlich Plätze für Crewmitglieder anderer Flugzeuge braucht, weil jemand ausgefallen ist o.Ä. und ein Ersatz so schnell wie möglich zu einem bestimmten Flughafen transportiert werden muss.

Würde man hier den Passagier nicht wieder aus dem Flugzeug entfernen, hätte das evtl. für zahlreiche andererPassagiere weitreichende negative Folgen.

Rechstechnisch bewirkt Art. 4 II auf jeden Fall, dass die Beförderung für diesen Flug nicht mehr geschuldet wird, ähnlich § 275 III BGB.
Zuletzt geändert von Honigkuchenpferd am Dienstag 18. April 2017, 17:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von immer locker bleiben »

Andere Gründe als Überbbuchung sind ja was anderes ...
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Aber Art. 4 II sieht einen entsprechenden Vorbehalt nicht vor. Das spielt m.E. tatsächlich nur für das Vertretenmüssen bei etwaigen Sekundäransprüchen eine Rolle (§§ 280 I, III, 281 bzw. 283 oder §§ 280 I, II, 286 BGB).
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Re: Überbuchungsfälle

Beitrag von markus87 »

Hat der europäische Gesetzgeber für eine so verstandene Norm denn die Kompetenz?

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