Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Blue125
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Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Blue125 »

Mich würde Eure Meinung zu folgendem Sachverhalt interessieren. Die Sache wurde vor längerer Zeit bereits rechtskräftig entschieden. Ich habe jedoch meine Zweifel an der Vorgehensweise des Gerichts. Meines Erachtens birgt sich hier jedenfalls ein sehr spannendes und auch praxisnahes Problem hinsichtlich des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion:

Ein Fitnessstudio verwendet eine AGB-Klausel, wonach man nur dann krankheitsbedingt kündigen könne, wenn man ein Attest vorlegt, dass eine "dauerhafte Sportunfähigkeit" aussagt. Der Kunde kündigt aufgrund einer Erkrankung seinen noch 1 Jahr laufenden Vertrag und legt ein fachärztliches Attest vor, mit dem Wortlaut, dass er "auf "unabsehbare Zeit" keinen Sport ausüben könne. Das Fitnessstudio weist das Attest auf "unabsehbare Zeit" als nicht ausreichend zurück und pocht auf die dauerhafte Sportunfähigkeit. Auf Nachfrage was der Unterschied zwischen dauerhaft und unabsehbar sei, wird dem Kunden erklärt, dass man nur bei lebenslanger Sportunfähigkeit kündigen könne.

Der Kunde wendet ein, dass kein Arzt für alle Zeit in die Zukunft sehen könne. Das Fitnessstudio ignoriert dies und verweist immer wieder auf seine AGB.

Nach fast einem Jahr legt das Studio Klage ein auf die Monatsbeiträge. Das Gericht wertet die AGB Klausel zwar als unwirksam, stellt jedoch seinerseits darauf ab, dass der Kunden eines Studios nur dann kündigen könne, wenn die Sportunfähigkeit mindestens für die Dauer der Restvertragslaufzeit besteht. Hier also noch 1 Jahr. Dies könne trotz ausführlichen Vortrages des Kunden im Zweifel nur durch Einholung eines Medizinischen Sachverständigengutachtens abschließend geklärt werden.

Hier nun meine Frage: Das Studio verwendet unzweifelhaft intransparente und benachteiligende AGB verwenden, da der Begriff "dauerhaft" zum einen viel zu unbestimmt ist und zum anderen eine lebenslange Sportunfähigkeit quasi ein Kündigungsverbot darstellt.

Wenn nun das Gericht hingeht und die Klausel zwar als unwirksam verwirft, dann aber entscheidet, dass ein wichtiger Grund nach § 314 BGB nur dann vorliegt, wenn der Kunde durch Sachverständigengutachten nachweist, dass er bis zum Ende der Vertragslaufzeit sportunfähig sei, hätte dies meines Erachtens zur Konsequenz, dass das Studio keinerlei Risiko eingeht. Es könnte seine unwirksamen AGB weiter verwenden und versuchen die Kunden trotz fachärztlichem Attest von der Kündigung abzuhalten, in dem Wissen, dass der Kunde vor Gericht zumindest die Sportunfähigkeit bis zum Ende der Vertragslaufzeit durch Gutachten nachweisen muss.

Dies ist meines Erachtens eigentlich genau das, was das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion verhindern will. Das "Zurechtstampfen" einer unwirksamen AGB auf ein vielleicht noch zulässiges Maß. Zudem sehe ich hier Probleme hinsichtlich des Transparenzgebots, da der Kunde letzten Endes erst im Prozess seine Pflichten erfährt.

Das Risiko würde also quasi nicht beim Studio als Verwenderin unwirksamer AGB liegen, sondern beim Kunden, der nur dann obsiegen kann, wenn er ein teures Gutachten in Auftrag gibt.

Anderseits kann ich verstehen, wenn das Gericht den Begriff des wichtigen Grundes nach § 314 BGB mit Leben ausfüllen möchte. Allerdings bin ich hier der Ansicht, dass dies zu weit geht und zu sehr zu Lasten des Kunden geht.

Wie seht ihr das?
Tobias__21
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Re: Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Tobias__21 »

Ich verstehe das Problem nicht. Die Klausel ist unwirksam, weil sie das Recht des Kunden zur außerordentlichen Kündigung unangemessen beschränkt. An die Stelle der unwirksamen Klausel tritt die gesetzliche Regelung, § 306 II BGB. Der Kunde kann also unter den Vrs. des § 314 BGB kündigen. Liegen dessen Vrs. nicht vor, bzw. kann er sie nicht beweisen, hat er eben Pech gehabt. Das hat mit einer geltungserhaltenden Reduktion überhaupt nichts zu tun. Es wird hier auch nichts auf ein zulässiges Maß zurecht gestampft, sondern schlicht das Gesetz angewendet. Die Vrs. des § 314 muss der Kündigende beweisen. Und wenn er dafür ein Gutachten braucht, dann ist das eben so. Das ist in anderen Fällen auch nicht anders und hat rein gar nichts mit der unwirksamen AGB Klausel zu tun.
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Blue125
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Re: Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Blue125 »

Ich finde schon. Das Studio versucht den Kunden, der ein grundsätzlich wohl ausreichendes Attest eingereicht haben dürfte, durch das Einfordern einer lebenslangen Sportunfähigkeit einzuschüchtern.

Wenn nun das Gericht die Klausel als unwirksam wertet, greift § 314 und es ist zu schauen, ob die Fortführung des Vertrages dem Kunden zum Zeitpunkt der Kündigung zumutbar war oder nicht. Dies ist meines Erachtens etwas anderes, als die Frage, ob jemand nachweisen muss, dass er das Studio bis zum Ende der Vertragslaufzeit nicht nutzen kann.

So könnte eine Unzumutbarkeit in meinen Augen schon deswegen zu bejahen sein, weil der Kunde zum Zeitpunkt der Kündigung ein fachärztliches Attest hatte, wonach er unstreitig auf unabsehbare Zeit sportunfähig ist. Darauf hat er schließlich vertraut.

Ich tue mich jedenfalls schwer damit, dass nun das Gericht daher geht und quasi eine eigene Klausel aufstellt, wonach der Kunde nur dann aus wichtigem Grund kündigen könne, wenn er krankheitsbedingt das Studio für die restliche Vertragslaufzeit nicht nutzen kann. Das entspricht ja quasi der Klausel aus dem Grundsatzurteil des BGH vom 08.02.2012 XII ZR 42/10.

Die unwirksame Klausel würde quasi durch eine noch zulässige Klausel ersetzt werden und der Verwender ginge keinerlei Risiko ein. Er kann weiterhin die lebenslange Sportunfähigkeit verlangen, in der Hoffnung, dass sich viele davon beeindrucken lassen. Und die, die sich davon nicht beeindrucken lassen, müssen noch immer wenigstens die Sportunfähigkeit bis zum Vertragsende nachweisen.

Meines Erachtens ist dies kritisch, denn das Risiko unwirksamer AGB soll im Zweifel beim Verwender liegen und nicht beim Kunden. Zumal der Kunde erst im Prozess von dieser Pflicht erfährt.
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Tobias__21
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Re: Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Tobias__21 »

Ich verstehe es immer noch nicht....


Der BGH stellt gerade keine eigene Klausel aus. Er wendet den § 314 BGB an / legt ihn aus und sagt, dass die Fortsetzung des Vertrages dann unzumutbar ist, wenn der Kunde das Studio während der Vertragslaufzeit nicht mehr nutzen kann. Es wird hier keine Klausel durch eine andere ersetzt. Und das man von seinem Rechten und Pflichten manchmal erst in einem Prozess erfährt, liegt halt in der Natur der Sache.
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Re: Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Blue125 »

Tobias__21 hat geschrieben:Ich verstehe es immer noch nicht....


Der BGH stellt gerade keine eigene Klausel aus. Er wendet den § 314 BGB an / legt ihn aus und sagt, dass die Fortsetzung des Vertrages dann unzumutbar ist, wenn der Kunde das Studio während der Vertragslaufzeit nicht mehr nutzen kann.
Nein, das tut er an keiner Stelle. Es geht mir auch nicht um eine geltungserhaltende Reduktion durch den BGH, sondern durch das Amtsgericht in dem von mir geschilderten Fall.

Das Amtsgericht hebt die unwirksame Klausel auf, sagt aber, dass eine krankheitsbedingte Kündigung nur dann zulässig sei, wenn der Nutzer durch Gutachten nachweist, dass er die Einrichtungen bis zum Ende der Laufzeit nicht nutzen kann.

Ich zitiere hierzu mal den BGH mit Urteil vom 25.01.2006 AZ VIII ZR 3/05:

"Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, für eine den Gegner des Klauselverwenders unangemessen benachteiligende und deshalb unwirksame Klausel eine Fassung zu finden, die einerseits dem Verwender möglichst günstig, andererseits gerade noch rechtlich zulässig ist. Eine teilweise Aufrechterhaltung einer unwirksamen Laufzeitklausel würde zudem dem Ziel der §§ 305 ff. BGB zuwiderlaufen, auf einen angemessenen Inhalt der in der Praxis verwendeten oder empfohlenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinzuwirken und dem Vertragspartner des Verwenders die Möglichkeit sachgerechter Information über die ihm aus dem vorformulierten Vertrag erwachsenden Rechte und Pflichten zu verschaffen. Sie würde dem Klauselverwender die Möglichkeit eröffnen, bei der Aufstellung seiner Konditionen unbedenklich über die Grenze des Zulässigen hinauszugehen, ohne mehr befürchten zu müssen, als dass die Benachteiligung seines Vertragspartners durch das Gericht auf ein gerade noch zulässiges Maß zurückgeführt wird."

Meines Erachtens wäre das hier aber der Fall.
Tobias__21
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Re: Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Tobias__21 »

Nein, das ist eben nicht der Fall. Klausel unwirksam -> § 306 II BGB. § 306 II BGB führt uns zu § 314 BGB. In § 314 BGB steht etwas von "Wichtiger Grund" und das der vorliegt wenn "unzumutbar". Wann ist etwas unzumutbar? Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, den die Gerichte auszulegen haben. Nach Ansicht der Gerichte ist es unzumutbar am Vertrag festzuhalten, wenn der Kunde das Fitnessstudio bis zum Ende der Vertragslaufzeit nicht nutzen kann. Das muss der Kunde eben beweisen, weil er von Gesetzes wegen eben die Beweislast trägt, wenn er sich auf § 314 beruft. Ein Sachverständigengutachten ist ein Beweismittel.

Hier wird schlicht und einfach der § 314 angewandt. Und das sieht das Gesetz eben so vor. Nochmal: § 306 II BGB.
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Re: Frage zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Beitrag von Theopa »

Wurde der Zeitraum von mindestens einem Jahr (bzw. mindestens die Länge der Restlaufzeit) Sportunfähigkeit als "wichtigem Grund" eigentlich auch erst in diesem Urteil aufgestellt, oder gab es dazu schon Rechtsprechung mit ähnlichen Zeiträumen?

In diesem Fall hätte es dann wohl auch der Klägervertreter verbockt, der Beweis einer Sportunfähigkeit von mehr als einem Jahr dürfte doch wohl zu erbringen gewesen sein. Nachdem es bereits ein ärztliches Attest für eine Sportunfähigkeit auf "unabsehbare Zeit" gab, wird es sich ja wohl um keinen verstauchten Knöchel gehandelt haben.
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