Widerruf nach 109 BGB - Widerrufsgründe

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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veltina
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Widerruf nach 109 BGB - Widerrufsgründe

Beitrag von veltina »

Folgender Standardfall: A hat mit dem minderjährigen B einen schwebend unwirksamen Vertrag geschlossen; von der Minderjährigkeit weiß er nichts. Die Eltern genehmigen nie. Später erfährt A von der Minderjährigkeit des B, und noch später widerruft er - aber nicht wegen dessen Minderjährigkeit, sondern weil er einen wirtschaftlich interessanteren Vertragspartner gefunden hat (zahlt mehr Miete/Kaufpreis, whatever).

Jetzt sagen fast alle, A hätte ja ein Widerrufsrecht nach 109. mE ist es aber gegen den Schutzzweck des Minderjährigenrechts, wenn A ein Reurecht kriegt, nur weil sein Vertragspartner noch nicht volljährig ist. Außerdem, ist es nicht venire contra factum proprium, wenn ich erst einen Vertrag schließe und mich dann von diesem wieder löse, weil mir die ausgehandelten Konditionen nicht gefallen? Die Kommentare gehen immer nur darauf ein, dass der volljährige Vertragspartner nicht das Risiko eines schwebend unwirksamen Vertrag tragen müssen soll, aber wenn dem A dieses Risiko eigentlich schnuppe ist, darf er doch das Widerrufsrecht nicht für sonstige Reue ausnutzen?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

veltina, ich sehe nur das Problem, dass alles andere einen Zwang zum Vertragsabschluss bedeuten würde. Und das ist bekanntlich wegen dem Prinzip der Privatautonomie nur in ganz engen Grenzen möglich.

noch was anderes zum Thema "Reuerecht": Im Gegensatz zu den Widerrufsrechten bei Verbrauchern od. Anfechtung geht es hier ja um einen schwebend unwirksamen (!) Vertrag.
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veltina
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Beitrag von veltina »

Wieso Zwang zum Vertragsschluss - der ist doch schon geschlossen? Auch bei Genehmigung ist doch der Minderjährige Vertragspartner... Und "pacta sunt servanda" ist doch ein akzeptabler Grundsatz, oder?

"Reurecht" ist das Recht, sich von einem unerwünschten Vertrag ohne wichtigen Grund zu lösen, es sich also noch einmal anders zu überlegen; die Verbraucher-Widerrufsrechte sind echte Reurechte und in diesem Sinne sind die Verträge schwebend wirksam bis Ablauf der Widerrufsfrist. In diesem Sinne sagt man ja auch, die Anfechtung gewähre kein Reurecht - wenn der Anfechtungsgegner den Vertrag auch so gelten lassen würde, wie der Anfechtende gedacht hat, dass er geschlossen sei, kann letzterer nicht anfechten.
So doch auch hier - das Widerrufsrecht ist nur gewährt, damit der Vertragspartner nicht mit dem schwebend unwirksamen Vertrag belastet ist, nicht, damit er sich's inhaltlich noch mal anders überlegen kann. Wo bliebe da der Minderjährigenschutz?
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Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich finde Deinen Gedanken nicht uninteressant, würde zwar keine Einschränkung des Widerrufes machen, kann es aber justament gerade nicht begründen.
Evtl eine teleologische Reduktion des § 109? Auch venire contra factum... hat auf den ersten Blick was. Ich muß da noch mal drüber nachdenken.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

veltina hat geschrieben:Wieso Zwang zum Vertragsschluss - der ist doch schon geschlossen? Auch bei Genehmigung ist doch der Minderjährige Vertragspartner... Und "pacta sunt servanda" ist doch ein akzeptabler Grundsatz, oder?
Das sehe ich eben nicht so. Der Vertrag besteht nicht, sondern ist schwebend unwirksam. das einzige was besteht, sind die abgegebenen Willenserkärungen, die erst bei Genehmigung (die dann auf den Zeitpunkt der Erklärungen zurückwirkt, § 184 I) wirksam werden. Davor besteht überhaupt noch kein Vertrag.

Die Sprache des Gesetzes ist sicher auch unglücklich. Es müsste statt "Wirksamkeit des Vertrages" wohl besser "Wirksamkeit der Willenserklärungen" heißen. Denn ein "unwirksamer Vertrag" ist ein Widerspruch in sich.

veltina, um trotzdem auf deinen Ansatz einzugehen: Es gibt eine teleologische Reduktion des § 109, allerdings in einer anderen Konstellation. Nämlich dann, wenn der Vertragspartner die Eltern zur Genehmigung nur deshalb auffordert (§ 108 II), um die Möglichkeit zu nutzen, sofort zu widerrufen (§ 109 I) Dies ist dann sicher nach § 242 eine unzulässige Rechtsausübung.

Nun könnte man dem entgegenhalten: Aber warum dann hier ein Zwang zum Vertragsschluss, nicht aber im Ausgangsfall ? Aber: bei dem von mir geschilderten Fall, liegt eindeutig "venire contra factum proprium" vor. Bei dem Ausgangsfall tut der (potentielle) Vertragspartner dagegen überhaupt nichts, um den Anschein zu erwecken, dass er den Vertrag will. Er wartet nur ab -und das ist m.E. zu wenig.
Zuletzt geändert von Gelöschter Nutzer am Donnerstag 20. Oktober 2005, 16:55, insgesamt 1-mal geändert.
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veltina
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Beitrag von veltina »

Ja, diese Reduktion kenne ich schon... (arbeite mich gerade zwecks Examensvorbereitung durch den AT und bin dabei mal wieder auf dieses mein altes Lieblings-Problem gestoßen)

Deine Argumentation mit der schwebenden Unwirksamkeit hat natürlich was für sich. Aber der Gesetzeswortlaut steht dagegen: In 108 I heißt es, wenn der Minderjährige einen VERTRAG ohne Einwilligung schließe, so hänge die Wirksamkeit des VERTRAGS von der Genehmigung des Vertreters ab. Also habe ich doch nicht nur eine schwebend unwirksame WE des Minderjährigen plus einer voll wirksamen des Volljährigen, die letzterer widerrufen könnte, sondern ein komplettes, zusammengesetztes Rechtsgeschäft (das schwebend unwirksam ist). Bezüglich dessen hat der Vertragspartner ein Widerrufsrecht, so dogmatisch seltsam das auch sein mag.

Anders interessanterweise bei Anfechtung und Verbraucher-Widerruf.

Aber meine Argumentation geht ja ohnehin in eine andere Richtung: Ich meine, wir haben hier ein ZWECKGEBUNDENES Widerrufsrecht. Auch wenn ich deiner Argumentation folge, meine ich doch, dass sich der Verkäufer von seiner WE nicht frei lösen darf (vgl auch den Rechtsgedanken des 145 BGB), sondern nur aus dem einen Grund, dass eben die Annahme nicht voll wirksam ist. Und nicht, weil ihm der Minderjährige jetzt aus anderen Gründen nicht mehr gut genug ist. Alle sonstigen bei B liegenden Risiken hat sich A frei gewählt, warum sollte er es sich plötzlich anders überlegen dürfen?
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Beitrag von Gelöschter Nutzer »

nun gut, dieser Argumentation könnte ich nun wieder entgegenhalten, dass zu einem Vertrag grds. übereinstimmende WE notwendig sind. Solange aber die Erklärung eines Teils überhaupt nicht wirksam ist, kann auch kein "Vertrag" bestehen. Auch kein "schwebend unwirksamer" :D .

Naja, ich halte eben hier einen faktischen Abschlusszwang für schwer vertretbar. Denn der wesentliche Unterschied zum von mir geschilderten Fall liegt m.E. darin, dass der (potentielle :) ) Vertragspartner einen Akt nach außen setzt (Aufforderung zur Genehmigung), während hier nur innere Erwägungen (Motiv den Vertrag nicht zu wollen) eine Rolle spielen.
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Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Gut, dem könntest du jetzt wieder entgegensetzen, dass das lange Zögern bzw. die Nicht-Aufforderung zur Genehmigung dem missbräuchlichen Auffordern zur Genehmigung hinsichtlich der Wirkung nach außen gleichkommt :) .
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Beitrag von veltina »

Nö, das nicht so sehr. Kann ja auch alles kurz hintereinander kommen. Aber warum müssen sich die Situationen bei zwei teleologischen Reduktionen ähneln? Ich mach ja keine Analogie zur allgemein anerkannten Reduktion, sondern schnipsele von 109 an einem anderen Ende was weg.

Und was den Vertrag angeht: Wie gesagt, siehe 108 I BGB. Den gibt's, es sei denn, du willst den Wortlaut dort (teleologisch?) reduzieren.
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Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@ veltina: Bei uns hat ein Prof. im ersten Semester davon gesprochen, dass der Wortlaut des § 108 "unsinnig" sei, weil es eben keinen unwirksamen Vertrag gebe. Das weiß ich halt noch ganz genau...aber keine Ahnung, ist ja nicht ausgeschlossen , dass es da auch Ansichten gibt, die so eine Art "fiktiven Vertrag" annehmen...

Dass 108 I auch nicht wörtlich genommen werden kann, ergibt sich m.E. aus § 184 I, auf den in § 108 (indirekt -"Genehmigung") verwießen wird.
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veltina
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Beitrag von veltina »

Hm. Palandt sagt: "Der Vertrag ist zunächst schwebend unwirksam. Die parteien können aus ihm keine Rechte und Pflichten herleiten, sind aber an ihn gebunden []." Gleiches steht im Müko. Nirgendwo wird auf eine Gegenmeinung hingewiesen.
Wenn ich tippen dürfte, hat da dein Prof eine Privatmeinung vorgebracht. Das soll ja gelegentlich vorkommen (ich hatte im Grundkurs auch so eine wandelnde Mindermeinung, das zu erkennen und richtig zu bewerten lernt man halt erst im Laufe der Zeit, bis dahin geht alles runter wie frisch vom Quell der allgemeinen Weisheit gezapft...)
Übrigens haben wir ja in 178 ein ähnliches Widerrufsrecht des Geschäftspartners, der sich einem schwebend unwirksamen Vertrag nach Mangel der Vertretungsmacht gegenüber sieht. Hier ist offenbar ganz hM, dass der Widerruf erkennen lassen muss, dass er wegen des Vertretungsmangels erfolgen soll (zuerst BGH NJW 65, 1714: "b) Die Erklärung des Widerrufs eines Vertrags mangels Vertretungsmacht eines Vertreters muß die Absicht erkennen lassen, das Vorgehen des Vertreters ohne Vertretungsmacht als rechtlich unwirksam zu behandeln (Bestätigung von RGZ 102, 24)"

Hm. Wenn das dort gilt, dann doch erst recht im Minderjährigenrecht, oder?
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Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

veltina hat geschrieben:Übrigens haben wir ja in 178 ein ähnliches Widerrufsrecht des Geschäftspartners, der sich einem schwebend unwirksamen Vertrag nach Mangel der Vertretungsmacht gegenüber sieht. Hier ist offenbar ganz hM, dass der Widerruf erkennen lassen muss, dass er wegen des Vertretungsmangels erfolgen soll (zuerst BGH NJW 65, 1714: "b) Die Erklärung des Widerrufs eines Vertrags mangels Vertretungsmacht eines Vertreters muß die Absicht erkennen lassen, das Vorgehen des Vertreters ohne Vertretungsmacht als rechtlich unwirksam zu behandeln (Bestätigung von RGZ 102, 24)"

Hm. Wenn das dort gilt, dann doch erst recht im Minderjährigenrecht, oder?
hm...ich sehe dann aber das Problem, dass hier ein Stellvertreter handelt und das mit dem Verhältnis Eltern - Kind - Geschätspartner nicht ganz vergleichbar ist. Also der Geschätspartner wäre dann deshalb stärker an seine ursprüngliche Willenserklärung gebunden, weil er es ja schließlich mit einem erwachsenen Menschen zu tun hatten und somit davon ausgehen konnte, dass der Vertrag zweifelsfrei zustande kommt.

Aber das mit der Mindermeinung des Prof. kann natürlich schon sein.
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